Dein Warenkorb ist gerade leer!
Meine Augen verfolgen aufmerksam den Finger, der behutsam über die marokkanische Landkarte zirkelt, die aus einer Ecke des Hauses hervorgekramt wurde. Wir wollen in den Norden reisen, zu dem Tazekka National Park, in dem sich die größte Tropfsteinhöhle Nordafrikas befindet. Sie wird Friouato Grotte genannt oder auch Gouffre de Friouta und liegt 30 km südlich von Taza, im mittleren Atlas Gebirge. Nabils Vater (der Besitzer unserer Pension in Todra) hat uns eine Rundreise vorgeschlagen und sein Finger skizziert uns gerade die beste Route für dieses Vorhaben.
Von der Todra Gorge nach Midelt. Von Ifrane hoch bis nach Fes, die größte gut erhaltene Mittelalterstadt der Welt. Dann die ca. 100 km Richtung Osten durch das West-östliche Durchgangstal Marokkos bis nach Taza. Von dort aus in den Süden durch den Tazekka National Park zu der Grotte. Wenn wir uns danach Süd-westlich orientieren, brauchen wir nur noch unserer Nase folgen bis wir wieder durch Tinerhir düsen, 15 km entfernt von der Todra Gorge. Das ist locker in den fünf Tagen zu schaffen, die wir noch in Marokko bleiben.
Nabil, der uns ein guter Freund geworden ist, laden wir dazu ein. Es ist eine gute Chance für ihn, sein Heimatland besser kennenzulernen. 35 Euro am Tag kostet es, einen Kleinwagen zu mieten. Dafür werden wir uns Hotels sparen und unter dem freien Himmel schlafen. Der Mietwagen kommt mit acht Stunden Verspätung und einem höchst aufgeregten Fahrer um die Ecke geschossen. Schnell erledigen wir die Formalitäten und schmeißen unser Gepäck in den Kofferraum.
Nabils Verwandtschaft kommt mit allerlei Nützlichem aus dem Haus gerannt. Ein Tajine Tontopf zum Kochen, ein rot schwarz gemusterter Berber Teppich als Nachtlager, eine silberne Kanne für den traditionellen Minztee, frische Minze und selbst gebackenes Brot. Außerdem Decken und Kissen, eine Trommel und unsere Gitarre, die wir in Sidi Ifni ersteigerten.
Abenteuer Marokko: Roadtripping
Roadtrip! Flatterndes Haar im Wind, flüchtige Gesichter am Straßenrand, exotische Gerüche und arabische Abenteuer. Die Anlage des Wagens voll aufgedreht, düsen wir Abenteuerhungrig davon.
Unser heutiges Nachtlager stimmt uns auf die nächsten Tage ein. Der Vollmond erleuchtet die Nacht. Die Konturen ferner Hügel zeichnen sich schwarz am Horizont ab. Nabil entfacht ein Feuer für das Abendessen. Wir bereiten währenddessen unseren Schlafplatz unter dem sternenklaren Himmel vor. Nach dem Essen liegen wir träge auf dem handgewebten Berberteppich und schlürfen den traditionellen Minztee. Der Duft von Freiheit liegt in der Luft.
Am nächsten Morgen rollen wir in eine kleine Wüstenstadt ein. Dort halten wir an, um unsere Vorräte aufzustocken. Der Markt bietet uns alles, was wir brauchen. Frisches Gemüse, Nüsse, Datteln, Wasser, Gewürze und Brot. Nabil übernimmt die Verhandlungen um den Preis: Als Einheimischer ist er hier ganz klar im Vorteil. Als zuverlässigen Feuerstarter besorgt Nabil uns zusammengepresste Kohle aus einem kleinen Eckladen.
Der Ifrane National Park
Die Straße windet sich eng an einem ausgetrockneten Flussbett entlang. Rote Felsen ragen in den tiefblauen Himmel. Ausgeklügelte Wassersysteme haben den Bewohnern dieser Gegend ermöglicht, blühende Landschaften zu erschaffen und Lebensmittel anzupflanzen. Vereinzelt stehen Nomadenzelte in der Wüste und Esel und Pferde lecken gierig am kargen Boden auf der Suche nach Nährstoffen. Einige Männer stehen am Wegesrand, in der Mitte von Nirgendwo. Eine oder auch zwei Flaschen Honig stehen zum Verkauf auf einem kleinen Tisch neben ihnen.
Die Landschaft verändert sich. Jetzt ragen hohe Zedern hölzern in den Himmel und Schafherden laben sich am saftig grünen Gras. Einzelne Zedern verwandeln sich bald in einen großen Wald. Der Ifrane National Park. Am Wegesrand sehe ich Touristen, die die hier heimischen Berberaffen mit Junkfood füttern. Wir suchen einen Parkplatz und atmen tief den ätherischen Duft der Zedern ein. Eine Wanderung im Wald ist eine willkommene Abwechslung zu den trockenen Wüstenlandschaften der letzten zwei Monate.
Den Abend lassen wir am Lagerfeuer ausklingen. Gitarre und Trommel untermalen die Abenteuerromantik. Am frühen Morgen bekommen wir unerwarteten Besuch von einer ganzen Horde Berberaffen. Erst vorsichtig, dann rebellisch durchkämmen sie unser Lager auf der Suche nach etwas Essbaren.
Auf dem Weg nach Fes halten wir an römischen Ruinen an. Alte gemeißelte Steine, verblichene Farben und Mosaikkunstwerke berichten von vergangener Zeit. Auch Germanicus, der Schlächter der Germanen, hat hier einst gelebt. Nicht gerade einer meiner Favoriten. Meine Freunde schlendern völlig unbeeindruckt und sichtlich gelangweilt an dieser geschichtsträchtigen Stätte. Historische Stätten erzählen nicht jedem ihre Geschichte. Weiter geht die Fahrt vorbei an einem Dorf, das sich gelb und weiß an einem Hügel schmiegt.
Die Königsstadt Fes
Eine der vier Königsstädte Marokkos ist Fes. Über eine Million Einwohner hat die größte Mittelalterstadt der Welt. Sackgassen und Schwärme von Touristenjägern erschweren die unabhängige Fortbewegung in diesen Gemäuern. Nabil wird von den einheimischen Bewohnern als Führer ohne Lizenz verkannt und gerät zwischen die Fronten. Männer rufen ihm bedrohliche Worte zu, kommen näher und reden wild gestikulierend auf ihn ein. Er bewegt sich angespannt an unserer Seite. Wir fliehen aus den alten Stadtmauern.
Mein Freund und ich möchten eine der alten Gerbereien und Färbereien besuchen. Eine berühmte Attraktion in Fes. Ein junger Araber fällt uns auf, der die viel befahrene Straße entlang trottet. Wir fragen ihn, wo wir diese Rarität finden können. „Folgt mir unauffällig. Ich zeige Euch den Weg. Fünf Meter Abstand.“ Wie in einem alten Spionagefilm folgen wir ihm durch die kleinen Gassen über einen Schrottplatz auf ein Dach.
Vor uns befindet sich eine Gerberei. Schnell schießen wir einige Fotos und entfliehen der Hitze, hinab in die schattigen Gassen. Wieder folgen wir dem jungen Mann zu den Stadtmauern. Natürlich unauffällig, im Schatten der Mauer. Er sieht sich schnell um und verschwindet kurz darauf in einer dunklen Seitengasse.
Der Tourismus Markt ist heiß in Fes. Nach weiteren optimistischen Versuchen uns Fes gemütlich allein anzusehen, geben wir auf. Alle paar Meter zischt jemand aus einer Seitenstraße: „Haschisch?“, oder jemand will uns für Geld von einem zum anderen Ort bringen. Als wir einem älteren Mann begegnen, geben wir endlich nach. Wir begeben uns in seine Dienste. Er zeigt uns das jüdische Viertel und berichtet von vergangener Zeit. Nabil und er tauschen Nummern aus ‑für zukünftige Geschäfte- und wir verabschieden uns. Raus die Freiheit der Straße genießen!
Marokko, das Land der Kontraste
Die 100 km in den Osten des Landes werden wir von sich ständig wechselnden Landschaften überrascht. Kopfüber springen wir in einen See und wiederbelebt drehen wir die afrikanische Musik im Auto auf. Nabil ruft immer wieder euphorisch aus dem Autofenster: „Ich liebe mein Land! Ich will hier niemals weg!“ Beim Sonnenuntergang stehen wir auf einer Anhöhe mit Blick über Taza. Warmer Wind streift über meine Haut und die rote Landschaft glüht in der untergehenden Sonne. Roadtripping. Stündlich wechselt die Szenerie. Ich liebe es.
Im Untergrund des Tazekka National Parks
Der Tazekka National Park ist nicht mehr weit. Die größte Tropfsteinhöhle Nordafrikas erwartet unsere Anwesenheit, um unsere Bewunderung in ihrem feuchten Inneren kundzutun. Ein enges, grünes Tal an einer Straßenbiegung mit einem Wasserfall soll unser heutiges Nachtlager werden. Gerade haben wir es uns so richtig bequem gemacht, da werden wir von zwei Taschenlampen geblendet. Polizei. „Ihr wollt hier doch nicht etwa schlafen?“
Die Beweislage ist erdrückend, was sollen wir sagen. Zustimmend nicken wir. „Hier sind Banditen unterwegs. Passt auf. Schlaft woanders.“ Müde packen wir unser spärliches Hab und Gut und werden zum Auto begleitet. Der kurvigen Straße folgend suchen wir in der Dunkelheit ein passendes Lager. Aber wir finden nichts. Im Scheinwerferlicht leuchtet ein Schild auf. Gouffe de Friouta. Wir sind schon da. In einer kleinen Straßenbucht halten wir an und schlafen todmüde auf dem ausgerollten Teppich ein. Ganz ohne Lagerromantik.
Die warmen Sonnenstrahlen wecken uns am nächsten Morgen. Unsere verschlafene Truppe betritt das kleine Gebäude mit den Souvenirs. Hier bezahlen wir auch den Eintritt für die Höhle. Schuhe, einen Overall und einen Helm mit Lampe bekommen wir für die Erkundungstour in den Höhlen gestellt. Zuerst möchte Nabil gar nicht mitkommen, die Angst vor der Unterwelt ist zu groß. Aber der Guide, mein Freund und ich überreden ihn. Und er wird es nicht bereuen.
Die Höhlen sind phänomenal. Durch einen kleinen Eingang, ein paar Stufen abwärts in die Dunkelheit, eröffnet sich eine riesige sonnendurchflutete Höhle. Der blaue Himmel über uns. Ein Loch im Berg. Pflanzen, kleine Bäume und Vögel sind hier heimisch. Es ist gigantisch.
Dort fängt die Entdeckungsreise der Tropfsteinhöhle an. Der Einstieg ist schmal, wir klettern, waten durch Wasser, rutschen über Schleim und staunen. Nabil ist so begeistert von diesem Abenteuer, dass er sich- wieder oben angekommen- mit sämtlichen Souvenirs eindeckt. Er tauscht sein traditionelles Berber Gewand gegen T‑Shirt, Käppi und Tasse.
Eine unerwartete Begegnung im Atlas Gebirge
Der heutige Tag wird sich zum Höhepunkt unserer Reise entwickeln. Die Landschaft im mittleren Atlasgebirge ist der Wahnsinn. Zaghafter Schnee bedeckt die braunen Gipfel der Berge, vereinzelte Bäume wachsen in dem trockenen Boden. Braun ist die herrschende Farbe. Ein alter Mann auf seinem Pferd reitet durch die Weiten der Landschaft. Er gibt uns durch Handzeichen zu verstehen, dass er durstig ist. Beim Überholen reicht Nabil ihm eine Flasche Wasser durch das Fenster. Ein kurzes zufriedenes Nicken des Reiters zaubert ein breites Grinsen in Nabils Gesicht.
Den Zeichnungen auf der Landkarte nach soll hier bald ein Dorf auftauchen. Wir brauchen Brot. Aber es ist wie vom Erdboden verschluckt. Stunden lang erwarten wir hinter jeder Biegung Zeichen von Zivilisation. Die spärlichen Wanderer und Reiter deuten Richtung Straßenverlauf mit den gleichen Einschätzungen: „50 km“.
„Stopp“, ruft Nabil unerwartet in mitten von einer kargen Landschaft. Mein Freund tritt auf die Bremse. Nach nur einigen Sekunden sehe ich mich einem wettergegerbten Gesicht gegenüber, dass seinen Weg durch die Fensteröffnung gefunden hat. Eigentlich sind es vier Gesichter. Durch jede Fensteröffnung steckt eines. Nomaden. Sie blicken sich aufmerksam im Wagen um. Der Blick bleibt an der Trommel und der Gitarre hängen. Lachend fordern sie uns auf auszusteigen und das komische Instrument ‑die Gitarre- mitzunehmen.
Nabil übersetzt uns ihre Worte von Berber ins Englische. Eine Gitarre haben sie demnach noch nie gesehen. Und so musizieren mein Freund und Nabil in der braunen Einöde, während die Männer sich, schüchtern wie kleine Kinder, gegenseitig in meine Richtung schubsen, um mich zum Tanzen aufzufordern. Einladend winken sie, damit wir ihnen folgen.
Wir bewegen uns auf ein großes Nomadenzelt zu. 50 Meter entfernt davon setzen wir uns auf einige sonnengewärmte Steine. Frauen kommen mit dem traditionellen Minztee, frisch gebackenem Brot und hausgemachter Butter aus dem Zelt und setzen sich zu uns. Neugierig nähern sich rotbackige Kinder. Einer der Männer versucht auf der Gitarre zu spielen und zupft tatkräftig an deren Saiten. Tatkräftig genug, um meinen Freund Sorgenfalten auf die Stirn zu zeichnen. Der Mann tanzt und singt lauthals- zu unserer Belustigung.
Unerwartet wird mir ein handgemachter Gürtel zum Verkauf unter die Nase gehalten. Nach einigem Zögern wird mir der Preis verraten. „50 Euro“, übersetzt Nabil ungläubig. Ich muss lachen. Nabil versucht zu erklären, dass wir, obwohl wir aus wohlhabenden Ländern stammen, nicht so wohlhabend sind und das der kostbare Gürtel unser Budget sprengt.
Jetzt ist sie an der Reihe uns ungläubig anzugucken. Das Auto ist der offensichtliche Beweis unseres Reichtums. Aber vielleicht könnten wir unseren Freunden und Verwandten dann verraten, dass hier oben im Gebirge einige Nomaden leben, die kostengünstig Teppiche verkaufen? „Ja, das können wir machen“, versprechen wir. Wir bekommen einige Brote für unsere Reise eingepackt und geben 5 Euro im Tausch. Alle sind zufrieden. Gitarre zupfend werden wir zurück zum Auto begleitet.
Eine Fatamorgana lockt am Horizont
Das Auto setzt sich wieder in Bewegung. Laut Karte ist hier eine Straße, die links abbiegen soll. Nach einigem Hin und Her entdecken wir eine schmale Geröllspur an der Seite des Berges. Das kleine Auto wird gefordert. Es ist steil, eng und ein großer Felsbrocken versperrt den Weg. Irgendwie balanciert mein Freund den Wagen an dem Hindernis vorbei und schafft es bis zum Gipfel. Von dort rollen wir den steilen Abhang auf der anderen Seite des Berges hinab bis wir auf eine kleine Straße treffen. Die Nacht verbringen wir in der Wüste. Baumlose, silberne Hügel rollen bis zum Horizont.
Schwitzend sitzen wir am nächsten Tag in der Mittagshitze in dem aufgeheizten Auto. Nach frischer, kühlender Luft verlangend, öffne ich das Fenster und werde von heißer Luft kräftig geohrfeigt. 50 Grad Außentemperatur übersteigt meine Komfortzone. In einer weitläufigen Wüstenstadt schleppen wir uns zu einem kleinen Restaurant am Straßenrand. Hier wurden Bäume gepflanzt. Eine erfrischende Oase in dieser gnadenlosen Hölle.
Kühles, nasses, lebendiges, urzeitliches Wasser läuft langsam durch meine ausgetrocknete Kehle. Erinnerungen an eine Zeit vor der Wüste huschen durch meinen Kopf. Stöhnend stelle ich die Flasche auf den Tisch. Wieder im Backofen auf vier Rädern sitzend, nähern wir hoffnungsvoll einer Fata Morgana. In der Weite der Wüste flackert es Türkis am Horizont. Ein See.
Ungläubig betreten meine kochenden Füße den ausgezehrten Boden. Tiefe Furchen haben sich, wie die Falten in den Gesichtern der Wüstenbewohner, in das Erdreich gegraben. Wir wickeln uns T‑Shirts um den Kopf, packen unsere Badesachen und schlurfen Richtung See. Die Hitze flimmert über der Steinwüste.
Am Ufer des Sees sinke ich plötzlich in den Boden. Tiefer und tiefer. Die trockene Erde hat sich in einen Albtraum aus klebrigem Schlamm verwandelt und zerrt mich hinab ins Erdreich. Mutter Erde spuckt mir mitten ins Gesicht. „Ich will eine Abkühlung!“, rufe ich verzweifelt. Das Wasser ist so nah. Nur noch ein paar Meter. Benommen ergebe ich mich. Schlamm verschmiert dackle ich zurück zum Wagen.
Einige Stunden vergehen, bis wir in Tinerhir einfahren. Nur noch 15 km bis zur Todra Gorge: Grüne Täler, Schatten und eine luftige Dachterrasse erwarten uns.
Wir kurbeln die Fenster des Wagens runter und drehen die Musik ein letztes Mal auf volle Lautstärke. Der frische Fahrtwind zerzaust mein Haar. Zufrieden guckt Nabil aus dem Fenster: „Ich liebe mein Land.“ Wir nicken zustimmend und grinsen.
Antwort
Wirklich eine tolle region. Ich würde es gerne dort sehen. Danke
Schreibe einen Kommentar