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Tag 1. Adventdalen, Svalbard. (Spitzbergen, Norwegen), ‑25 Grad.
Wir laufen und ziehen dabei einen Lastenschlitten durchs Eis bis zu einem Camp und bleiben ein paar Tage dort; so die Idee. Die Schlitten wurden verladen, und ein lokales Team fuhr uns hinaus aus dem Hauptort Longyearbyen in Richtung des Adventdalen. Alle denken immer, dass dieses Tal mit „Advent“ in Verbindung steht. Allerdings ist es eher mit »Adventure« zu verbinden. Das Tal steht also für das reine Abenteuer. Angekommen an einem Abzweig an Grube 7 (Kohlemine), werden unsere Schlitten abgeladen und wir spannen uns wie Pferde vor die Schlitten. Kurz darauf geht es los. Meter für Meter ziehen wir unsere Schlitten vollbeladen in die weiße Ewigkeit. Eingerahmt von schroffen Hängen schreiten wir in ein Tal aus Weiß. Langsam erlischt jede Form der Zivilisation, langsam verschwindet der Geräuschpegel, und nur noch das Surren des Windes erklingt in unseren Ohren. Knackend und knirschend stapfen wir unseren Weg in den Schnee. Die Landschaft vor uns wird immer größer, immer schroffer ragen die spitzen Berge empor. Die Kälte zieht allmählich in unsere Kleidung. Alle setzen ihre Kapuzen auf, die Sturmhauben und Skibrillen. Kleine Schneekristalle werden aufgewirbelt und setzen sich in jede verfügbare Ritze unserer Kleidung.
Langsam gefrieren wir…
Der Himmel ist trüb, leicht bläulich das Licht. Immer weiter gehen wir in ein Bildnis aus endloser Weite. Der Horizont schwindet dahin. Nach gut zwei Stunden pausieren wir. Sofort stürzen sich viele auf ihr Essen und trinken Tee oder Kaffee. Auch ich verspüre bestialischen Hunger. Wir laufen bei rund ‑25°. Je länger wir draußen sind, desto mehr verlangt unser Körper nach Energie. Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Wieder spannen wir uns ein und wandern mit unseren Schlitten weiter in Richtung des „Foxtoppen“, einem Berg mit vorgelagertem Plateau. Nach einer weiteren Stunde kommen wir an einer Schräge an. Von nun an verlangsamen wir das Tempo und stampfen unseren Weg den Hang hinauf. Die Last des Schlittens drückt uns hinunter, und wir haben alle Mühe, unsere Ausrüstung in Richtung des Plateaus zu transportieren. Mir wird nach einer Weile so warm, dass ich meine Jacke ausziehe und nur noch im Wollpullover laufe. Immer weiter zieht sich der Weg hinauf, und immer schwerer wird die Last. Doch als man denkt, wie schlimm die Tour wohl noch werden wird, kommt man am Ziel an. Mit aller Mühe errichten wir unser Camp.
Später sitzen wir zusammen im relativ warmen Gruppenzelt und essen in einem Topf aufgetauten Rentiereintopf mit Kartoffelbrei. Nach nur vier Stunden in der Kälte ist unser Equipment bis auf unseren Schlafsack und die Isomatte gefroren. Telefone funktionieren nicht mehr. Akkus von Kameras geben vor Kälte den Geist auf. Nach nur vier Stunden draußen gefriert unsere Kleidung, Rucksäcke, Essen, Getränke, Uhren, einfach alles. Zieht man seine Jacke nicht ordentlich zu, gefriert der Reißverschluss und sie kann nicht mehr geschlossen werden. Die Kapuze an der Jacke gefriert ebenfalls. Ein Glück, dass wir das Gruppenzelt haben.
Langsam geht die Sonne unter und taucht die Landschaft in tiefes Blau. Nur die Bergspitzen leuchten von der verzweifelt kämpfenden Sonne vor ihrem Untergang auf. Danach wird Spitzbergen von Dunkelheit beherrscht.
Bald werden die Stern sichtbar mit dem Polarstern direkt über unserem Zelt. Es fühlt sich an, wie in der Polarnacht. Zum ersten Mal fühle ich richtige Kälte. Schnell schlüpfe ich in meinen Schlafsack, esse noch ein paar Reiswaffeln, die zum Glück nicht gefroren sind. Die Energie tut mir gut und hilft mir beim Einschlafen. An Waschen oder Zähneputzen ist nicht zu denken. Wenn man sich mit Wasser wäscht, gefriert dies. Die Haut platzt auf, und die Zahnbürste ist eh gefroren. Also, was soll´s. Ich muss schlafen. Dringend. Die Temperatur fällt diese Nacht auf ‑30°.
Tag 2. Foxtoppen, Svalbard, ‑28 Grad
Das Frühstück wurde mit ordentlich dickem Haferbrei eröffnet. Schnell packten wir danach unseren Rucksack und zogen unsere Schneeschuhe über. Dann ging es auch schon los. Wir zogen hinaus in die weiße Einsamkeit und hinein in das tiefe Tal. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und brannte auf uns herab. Ohne Gletscherbrille ist es mit der Sicht nach kurzer Zeit vorbei. Langsam bahnt sich die Gruppe ihren Weg in Richtung des Foxtoppen. Immer steiler geht es hinauf, und wieder zieht die Kälte in unsere Leiber hinein. Es ist wie ein Segen und Fluch zugleich. Als wir auf der nächsten Anhöhe gut angekommen sind, eröffnet sich ein unvergleichlicher Blick in das Tal unter uns. Weit in der Ferne stehen ein paar Rentiere umher. Ansonsten ist das hier das Reich der weißen Schönheit. Ein Bildnis wie aus einem Dokumentarfilm hält unsere Aufmerksamkeit gefangen. Wir ziehen unsere Sturmhauben und Handschuhe aus und machen so viele Fotos wie wir nur können, ohne darauf zu achten, dass die Kälte wieder unsere Haut gefrieren lässt. Es ist einfach zu schön. Doch wir stehen zu lange auf einer Stelle, und langsam wird mehreren Teilnehmern kalt. Wir wandern noch ein Stück weiter.
Wir lachen, machen Witze, freuen uns hier, in der Sonne das Eis um uns herum zu haben. Ich strotze nur so vor Energie. Von mir aus kann es weiter gehen. »Was ist schon der Nordpol! »Den lauf ich dir doch locker ab!«
Nach einer weiteren Stunde verzieht sich die Sonne langsam, und die Dunkelheit hält langsam Einzug. Wir wandern zurück zum Gruppenzelt. Später gibt es Lachs und Reis, als Nachtisch dann Apfelstücke und Vanillesoße. Wir essen, bis wir platzten. Zu späterer Stunde gehen die ersten in ihre Zelte und somit beginnt eine neue Nacht.
Und diese Nacht wird noch sehr lang werden.
Die Bärenwache beginnt um 22 Uhr. Das erste Team läuft mit Stirnlampen, Signalpistolen und Trillerpfeifen bis 23.30 Uhr um das Camp herum. Ich werde danach übernehmen. Da es für mich unnütz ist, für so kurze Zeit in den Schlafsack zu krabbeln, bleibe ich einfach im Gruppenzelt sitzen, während die anderen zu Bett gehen. Ich gieße mir einen heißen Kaffee ein und entspanne, so gut ich kann, im Gruppenzelt.
Um 23.30 Uhr beginnt die Wache für mich. Bis 1.00 Uhr werde ich nun meine Runden drehen. Wieder leuchte ich Runde für Runde in die tiefe Finsternis hinein und versuche, mich mit Bewegung warm zu halten. Nichts passiert, nichts ist zu sehen. Um 1.00 Uhr ist es soweit: Ich werde abgelöst und verziehe mich in mein Zelt. Schnell schlüpfe ich in meinen Schlafsack und ziehe an dem Verschluss und.…er reißt ab. Der Reißverschluss ist kaputt, und der Schlafsack lässt sich nicht mehr schließen.
Was folgt, ist ein ewiger Kampf gegen die in meinen Körper ziehende Kälte.
Ich ziehe die Handschuhe aus und versuche den Reißverschluss zu reparieren.
Doch immer wieder muss ich die Handschuhe anziehen, weil meine Finger zu kalt werden, und ich sie nicht bewegen kann. Draußen knackt der Schnee, und ich höre die Wachposten umherlaufen. Ich setze mich hin, ziehe den Schlafsack aus und versuche, so gut ich kann. eine Art Decke zu basteln mit einem Notfallschlafsack (eine dünne Hülle für Notfälle draußen) und dem offenen Schlafsack ohne Verschluss Die Temperatur fällt auf ‑35°. Langsam beginnen meine Beine zu zittern, dann meine Arme, dann klappern meine Zähne. Ohne Bewegung ist es zu kalt. Immer wieder lege ich die Sachen beiseite und mache Liegestütze im Zelt, damit mein Blut zirkuliert. Ständig versuche ich, mich zuzudecken, spüre jedoch keine Wärme und muss immer wieder Liegestütze machen, damit mein Kreislauf »oben« bleibt. Ich muss zwischendurch leise lachen, weil ich diese Situation so absurd finde, und gleichzeitig denke ich mir, dass ich das hier so die ganze Nacht machen müsste. Jedoch würden irgendwann meine Kräfte schwinden. Es ist nun 2.30 Uhr,und ich finde weder Wärme noch Schlaf. Ich klettere aus meinem Zelt und laufe hinüber zu unserem lokalen Begleiter.
»Mirko?«
»Was?«
»Hast du nicht noch einen Schlafsack oder Biwaksack? Ich bekomme meinen nicht mehr repariert.«
Er kramt ein wenig in seinen Klamotten umher und hält mir dann seinen Biwakschlafsack hin.
»Danke, Mirko!«
Ich renne zurück zu meinem Zelt und bastel mir aus dem Biwacksack und meinem Schlafsack eine Decke und wickel mich darin ein. Es ist nun 2.45 Uhr. Meine Uhr ist gefroren, mein Handy auch, meine Kleidung hab ich nun einfach angelassen und mein Bart ist weiß vom Eis.
Langsam fallen mir die Augen zu.
Am nächsten Morgen werde ich ruckartig geweckt. »Dennis steht auf! Wir müssen packen! Ein Sturm kommt.«
So schnell ich kann, klettere ich aus meinem Schlafdeckenberg und fange an, meinen Rucksack zu packen. Alles erscheint trüb um mich herum, und meine Sicht reicht keinen Meter. Der Wind wird stärker. Wir müssen uns beeilen. So schnell es geht, bauen wir das Camp ab, ohne einen Gedanken an Frühstück oder heißen Kaffee. Wir beladen die Schlitten, beißen kurz in eine Scheibe Brot und ziehen dann die Ladung zurück in Richtung Zivilisation.
Dick eingepackt, zerren wir das Camp zurück in Richtung Straße. Der Wind peitscht uns entgegen, drückt uns zurück, und schnell beißt sich die Kälte in unsere Glieder. Mein Gesicht, meine Augen, alles brennt und Zwei Tage und zwei Nächte. Kaum Schlaf. Die ständige Gefahr wegen Eisbären.
– „Verdammt nochmal, bring das Ding jetzt sicher nach Hause!«
Die Kälte war unsere Herausforderung. Nicht die Last auf dem Schlitten, nicht der Anspruch der Sportlichkeit auf den Wanderungen. Es war einfach die menschenfeindliche Umgebung, welche auf kurze Zeit unser Zuhause wurde. Paradoxerweiuse fühlten wir uns in dieser Extreme wohl, auch wenn sie uns vieles abverlangte. Was wir unternommen haben, ist von vielen aus touristischer Sicht noch nicht in diesem Format häufig unternommen worden. Klar gibt es Touren, die länger, härter und noch extremer sind. Aber allein die Tatsache, dass wir diesen Schritt gewagt haben und dass wir draußen waren, lässt uns in unseren Fähigkeiten und unseren Erfahrungen wachsen. Und darum geht es doch, oder nicht?
Antwort
Danke für die schöne Schneegeschichte. Temperaturen ganz nach unserem Geschmack.
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