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Über 2.000 Kilometer habe ich bereits in den Beinen, als im Sommer 1996 mein Vorderrad am Eingang der syrischen Wüste anklopft. Nach den Bergen Anatoliens verloren sich die Pisten nun im sandigen Nichts der Al-Bādiya. Die Weite, Stille und Hitze ließen keine Zweifel: eine Wüstendurchquerung der besonderen Art stand bevor. Sie ging fast an meine Grenzen.
KURT
Zugegeben ein ungewöhnlicher Name hier inmitten der syrischen Wüste. Kurt ist Besitzer einer noch ungewöhnlicheren Tankstelle. Eigentlich ist es nur eine Garage und die Zapfsäulen sind mit Benzin gefüllte Fässer.
Knatternd fährt ein Moped heran. Kurt erhebt sich, nimmt einen Schlauch und saugt Benzin an, um den Tank des Mopeds zu füllen. Der Fahrer steht lässig rauchend daneben. Nach dem Tanken startet er sein Moped mit einem Schraubenzieher, nickt zum Gruß mit dem Kopf und fährt von dannen.
Kurt reicht mir ein Glas Tee und deutet an, dass ich ein weiteres Glas zu Stephan, meinem Reisepartner, bringen soll.
Stephan liegt an der „kühlen“ Seite der Garage und schläft. Seit drei Tagen leidet er an Fieber und einer starken Magenverstimmung. Gierig trinkt er den Tee und fällt wieder in einen unruhigen Schlaf. Hoffentlich geht es ihm bald besser. Bis zur nächsten Stadt, Palmyra, sind es noch 120 Kilometer. Dazwischen gibt es nur einzelne Dörfer, verloren in der Wüste.
Nach ein paar Stunden gibt Stephan das Zeichen zum Aufbruch. Er will es versuchen. Zum Abschied gibt mir Kurt den Rat, immer auf die Hauptstraße zu achten, sonst kämen wir nie an. Ich weiß zwar nicht, was Kurt damit meint, denn die Straße ist ein schwarzes Asphaltband, das sich bis zum Horizont durch die sandige Ödnis zieht. Wie soll da etwas schief gehen?
Fluchend bremse ich mein Fahrrad ab und traue meinen Augen nicht: die Straße ist einfach zu Ende, wie abgebrochen. Danach kommt nur noch Sand und Stein. Undeutlich zu erkennen teilt sie sich in fünf verschiedene Pisten auf. Welche ist die Richtige?
Irgendwie alle, fürchte ich. Nach einem Blick auf den Kompass entscheiden wir uns für eine Richtung. Der Karte zufolge liegen jetzt noch 80 Kilometer dieser Sandstrecke vor uns, bis wir vielleicht die Asphaltstraße nach Palmyra treffen. Sie zieht sich von West nach Ost, von der syrischen Küste in den Irak, durch die Wüste.
Ein Tuch um den Kopf gewickelt, den Mund und die Nase verdeckt, in den Flaschen warmes Wasser und immer noch kein Ort in Sicht. Die Piste ist schwer zu befahren. Treibsand und blanker Fels tun sich vor meinen Reifen auf.
Ich weiß, dass ein kleiner Lenkfehler nicht gut für Mensch und Material ausgehen würde. Stephan und ich unterhalten uns schon lange nicht mehr. Jedes Wort ist Anstrengung, jedes Wort verlorene Energie, jedes Wort würde die eigenartige Stille zerstören, die uns umgibt.
Stephan, vom Fieber wieder eingeholt, strampelt verzweifelt weiter, obwohl er nicht mehr ganz Herr seiner Sinne ist. Mich überkommt plötzlich Angst. Was ist, wenn wir uns für die falsche Piste entschieden haben? Was, wenn Stephan nicht mehr weiter kann?
Verloren stehe ich auf einer Anhöhe. Der Horizont verschwimmt im Hitzeflimmern. Kein Baum, kein Strauch, kein Haus. Nur Sonne, Sand und Steine. Ich spüre meine eigene Ohnmacht. Ich bin allein, nur auf mich gestellt. Auf meine Erfahrung und meinen Instinkt angewiesen. Nur die Hoffnung auf den nächsten Ort mit kaltem Wasser motiviert mich und stärkt meinen Willen.
Plötzlich tauchen aus dem Hitzedunst am Horizont Häuser auf. Endlich geschafft? Endlich Schatten, Wasser, Ruhe? Neue Kraft durchflutet mich und ein Blick zu Stephan verrät, dass auch er neue Hoffnung und neue Kraft schöpft. Hoffentlich ist es kein Trugbild!
Erschöpft, aber zufrieden lehne ich mich an das Kissen, welches mir der Hausherr zurechtgerückt hat. Im kühlen Schatten seines Hauses sitzen wir und erklären seiner Frau, dass wir nicht miteinander verheiratet sind und auch keine Kinder haben. Nein, wir brauchen da auch keine Hilfe, auch wenn unser Gastgeber bereits zwei Frauen für uns hätte.
Da nehme ich doch lieber noch ein Glas heißen Tee, der hier mehr den Durst löscht als kaltes Wasser. Ich genieße die Ruhe, hier inmitten der syrischen Wüste.
Epilog
Wenige Tage später erreichen wir Damaskus. Wir bleiben ein paar Tage, bevor wir über Jordanien weiter nach Israel radeln.
Über Qumran entlang des Toten Meeres geht es wieder hoch in die Wüste Negev und wenig später nach Betlehem, Jerusalem und Tel Aviv. Nach 46 Tagen und 5.000 Kilometern verabschieden wir uns aus dem Nahen Osten und fliegen wieder heim nach Deutschland.
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Antworten
Hallo Martin,
Es war super zu lesen, dass Ihr ein so großartiges Abenteuer gehabt habt! Und nicht zuletzt überlebt habt. Unter solchen Umständen reicht ein Fehler und alles ist vorbei. Ich und meine Frau sind auch gerade im Heurigen dabei, durch die Wüste mit einem Tandemrad zu fahren, aber es wird in diesem Falle nur eine europäische sein und zwar die Wüste Tabernas in Spanien. Für Einsteiger-Fahrradtuaregs ist es auf jeden Fall nicht so gefährlich. 🙂 respect für die Leistung! LG, CsongorWow, das liest sich nach einem echten Abenteuer… Wirklich beeindruckend!
Die nächste Woche werde ich mich nicht über Fahrradfahrschmerzen nach Kurzstrecken Beschwerden 😉Hallo Tabitha,
Danke! Ja, es war ein Abenteuer.
Und ich habe auch auf Kurzstrecken Beschwerden. Mittlerweile. 😉Gruß,
Martin
Super!
Tolle Bilder!
Mit dem Fahrrad fahre ich auch sehr gerne, aber durch eine Wüste bin ich noch nicht gefahren. Naja, NOCH nicht ^^. Sieht auch ziemlich anstregend aus, wobei es sich anscheind dafür lohnt 🙂
Hallo Anna,
ja, mit dem Rad lohnt es sich schon, aber es gibt auch angenehmere Arten die Wüste zu erleben 😉
Gruß,
Martin
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