Dein Warenkorb ist gerade leer!
Wild-Food-Kochkurs heißt der Programmpunkt. Wir sind in Finnisch-Lappland, wo die Winter lang sind und die Rentiere entspannt über die leeren Landstraßen spazieren, und zumindest in meinem Kopf spielen sich, als ich den Begriff zum ersten Mal höre, Szenen ab, in denen bärtige Männer mit karierten Hemden in reißenden Bächen stehen und Lachse mit der Hand fangen. Oder so ähnlich. Wild eben.
Ein wilder Kochkurs
Dann stehen wir vor der Tür von Jarmo Pitkänen – von außen sieht das typische rote Haus, das abgeschieden mitten im Nirgendwo am Waldrand liegt, überhaupt nicht aus wie ein Restaurant. Dreißig Menschen haben hier Platz, gekocht wird nur an festen Terminen oder auf Anfrage. Im Eingangsbereich Keramikteller und ‑vasen, filigran in Vitrinen präsentiert. Jarmo ist hier nicht nur Koch, sondern er designt und fertigt auch die Untersätze, auf denen seine Speisen aus der Küche kommen. Ich staune: So hübsch und zerbrechlich hätte ich mir „wildes Essen“ nicht vorgestellt.
„Wild Food“ ist Essen, das direkt aus der Natur vor der Haustür stammt. Frische Beeren zählen ebenso dazu wie aus den vielen finnischen Seen gefangener Fisch, Wildkräuter oder wildes Gemüse. Eine genaue Definition gibt es nicht, der Begriff ist eher ein Gegenbild (und vielleicht auch eine kleine Kampfansage) zum immer künstlicher gewordenen Essen, das in unseren Supermarktregalen liegt – und bei dem von den ursprünglich natürlichen Zutaten nicht mehr viel zu erkennen ist. Es geht dabei nicht nur um die „Natürlichkeit“, sondern vor allem um die Frische – und damit um regionale und saisonale Produkte.
Kochen mit dem, was die Natur einem schenkt
Kurzum: Man nimmt die Lebensmittel, mit denen schon die Urgroßeltern gekocht haben, darf aber selbstverständlich nach allen Regeln der kulinarischen Kunst damit experimentieren. Und das haben schon die verschiedensten Spitzen- und Hobbyköche getan – die skandinavische Küche hat sich in den letzten Jahren zu einer der hippsten und beliebtesten der Welt entwickelt, stylishe Kochbücher und schicke Londoner Cafés inklusive. Und obwohl Skandinavien vom südlichen Dänemark bis zum äußersten Norden von Finnland reicht, hat das Essen hier überall ein verbindendes Element: Man kocht mit dem, was vor der Haustür wächst, schwimmt oder läuft – man isst „wild“.
Jarmo kennt die finnische Wildnis seit seiner Kindheit, denn er ist ein einem kleinen Fischerdorf aufgewachsen. Heute kann man zwar auch in Lappland alles im Supermarkt kaufen, was das Herz begehrt, aber die Menschen, die hier leben, sehen darin keinen Sinn. Die Natur bietet einem hier gerade im Spätsommer und Herbst so viel, dass man im wahrsten Sinne des Wortes nur noch die Hand ausstrecken muss – all die Beeren, Pilze und Wildkräuter stehen zu lassen, würde beinahe an Verschwendung grenzen.
Wir essen aber nicht nur, sondern wir kochen auch – natürlich unter fachmännischer Anleitung von Jarmo. Und so geht es als erstes direkt raus auf die Wiese. Keine fünf Meter müssen wir laufen, um die Wildkräuter für die Vorspeise zu finden, die Kleeblüten und die verschiedenen Blätter für den Salat. Einen Steinwurf weiter wachsen die Beeren, die wir für die Nachspeise brauchen. Das ist gut so, denn es ist kalt und regnet. Wildes Essen ist eben nicht immer bequem.
Auch Rentiere sind wild – ein bisschen zumindest
Drinnen geht es an die Bestandteile, die zwar auch aus der Region kommen, aber nicht im Garten zu finden sind: Zur Hauptspeise gibt es Fisch, zur Vorspeise Rentierzunge. Das sieht so appetitlich aus, wie es klingt, und wird daher klein geschnitten und mit Zwiebeln, Öl und Kräutern mariniert.
Rentiere und all ihre Bestandteile gehören wohl genauso zu Lappland wie der Weihnachtsmann. Sie laufen am Straßenrand durch den Wald, grasen dekorativ im Sonnenuntergang und stehen auch gerne mal ganz entspannt mitten auf der Straße herum. Wer glaubt, die Tiere würden wie Elche und Rehe frei durchs Land wandern, der irrt sich jedoch. Rentiere sind für Lappland das, was für die Alpen die Kühe sind: Auch, wenn jedes jemandem gehört und per Markierung zugeordnet werden kann, verbringen die Tiere den Sommer frei in den finnischen Wäldern und fressen sich mit Moos und wilden Kräutern voll. Im Herbst werden die Tiere zusammengetrieben und wieder ihren Besitzern zugeteilt, die entscheiden, welche Tiere geschlachtet werden können. Die Besitzer sind mittlerweile übrigens mehr nicht nur eingefleischte Rentierfarmer – auch unter jungen Städtern wird es immer populärer, einige Tiere zu halten.
Als wir am letzten Tag unserer Reise unbedingt noch einen Rentier-Schnappschuss wollen, bleiben die Tiere einfach nicht stehen. „Kein Wunder, ihr habt ja in den letzten Tagen einen ganzen von deren Brüdern verdrückt!“, ist der Kommentar. Stimmt wohl – Rentier gab es zu jedem Abendessen. Das typischste Gericht aus Finnisch-Lappland ist Rentier-Geschnetzeltes mit Kartoffelbrei und Beeren. Serviert wird es in familiärer Atmosphäre mit einer Riesenportion Gemütlichkeit. Und mit Pilzsalat, der so lecker ist, dass ich in drei Tagen wohl eine Monatsration esse.
Butter für den kalten Winter
Während die Rentierzunge dekorativ mit Kräutern und Salatblättern auf Jarmos selbstgefertigter Keramik angerichtet wird, wenden wir den Fisch in Roggenmehl und braten ihn dann an. In Öl und Butter. Das ist eines der Geheimnisse der finnischen Küche, erklärt Jarmo – egal was, es muss definitiv ein gutes Stück Butter dran. Für den kalten Nordwinter. Und damit das Essen diesen ganz speziellen „wie bei Oma“-Geschmack bekommt.
Zum Fisch gibt es dann Kartoffeln, die zwar ursprünglich nicht aus Finnland stammen, aber selbst hier im kalten Klima wachsen, Lauch und Speck. Und zum Nachtisch einen Schwan aus Zucker, einen Kuchen aus weißer Schokolade – und natürlich viele Beeren. Die Sahne, die es dazu gibt, ist mit Mädesüß gewürzt, ebenfalls aus dem eigenen Garten. So viele ungewohnte Geschmackserlebnisse, die sich im Mund vermischen, hat man selten – und frischer könnten die einzelnen Zutaten kaum sein.
Jetzt wird richtig gesammelt!
Ein Kontrastprogramm zu Jarmos feinsinnig angerichteten Gerichten erwartet uns am Tag darauf: Wir gehen mit Liisa Vihermaa, die im Winter Schneemobil- oder Huskytouren anbietet, in den Wald und sammeln Beeren. Eigentlich sind wir beinahe schon zu spät unterwegs, die beste Beerenzeit ist vorbei. Doch in Finnland wachsen so viele Beeren, dass man immer noch welche findet – und zwar zur Genüge. Wir pflücken per Hand, die Lappländer haben jedoch auch kleine Gefäße mit einem „Kamm“, mit Hilfe dessen man die Pflanzen im Stehen abernten kann. Die Natur produziert hier einen Überfluss, dass es einen fast beschämt. Doch alles ernten, das ist überhaupt nicht möglich. „Letztes Jahr hatten wir eine gute Pilzsaison“, erzählt Liisa, „ich habe viel zu viel gesammelt und wollte die Pilze an Freunde und Familie verschenken. Doch allen ging es so wie mir!“
Die Beeren essen wir schließlich in einer kleinen Holzhütte auf einem Hügel, in deren Mitte ein Feuer wärmt. Einfach ein bisschen mit der Gabel zerdrücken, ordentlich Tetrapak-Vanillesauce drüber – und das Ganze könnte nicht besser schmecken. Gut, dazu trägt wohl auch der Sammlerstolz bei. Und das Gefühl, in einem Astrid Lindgren-Film gelandet zu sein.
Ein bisschen Wildnis – auch zu Hause
Liisas Mann Sami, der in der Hütte zu uns stößt, entspricht dann tatsächlich dem Bild, das ich von „Wild Food“ im Kopf hatte. Er tischt uns geräucherte Rentierstückchen und getrocknetes Taubenfleisch auf, natürlich selbst geschossen, und erzählt Geschichten von der Bärenjagd. Die gefundenen Pilze werden klein geschnitten und in der Pfanne direkt über dem offenen Feuer angebraten. Mehr wild geht nicht.
Egal, ob Sterneküche oder zermatschte Beeren mit Vanillesauce: Mich beeindruckt, wie selbstverständlich die Menschen in Lappland mit der Natur als Lebensraum umgehen. Während ich nicht mal wüsste, wo in meiner Umgebung Beeren wachsen und mich an Pilze überhaupt nicht herantraue, aus Angst, einen Falschen zu erwischen, kennen sie sich mit den verschiedensten Wildkräutern aus und haben absolut kein Problem damit, einen Fisch auszunehmen.
Und auch, wenn ich als Stadtkind bestimmt nicht damit anfangen werde, Tauben zu schießen und Fische aus dem Baggersee zu angeln: Zu meiner nächsten Spätsommerwanderung nehme ich definitiv Schälchen, Gabel und Vanillesauce mit.
Wild Food in Finnisch-Lappland |
Wild Food ist gerade »the big thing« in Finnland – vom Snack bei der Husky-Tour bis zum Sternemenü. Eine Übersicht über Wild Food-Restaurants in und um Kuusamo findet ihr hier. Mehr Infos zu Jarmo – und Termine, an denen man seine Speisen genießen kann, gibt es hier. |
Mehr von Finnland gibt’s übrigens auf Meerblog und Anemina Travels. |
Antworten
Toller Post, da bekomme ich schon beim Lesen richtig Hunger. Leider ist Finnland nicht wirklich um die ecke, aber vieleicht schaffe ich es ja trozdem mal.
Gruß Axel
Ich liebe dieses samische Brot…Sehr schöne Eindrücke von Sami-Land…Vielen Dank
Schreibe einen Kommentar