Dein Warenkorb ist gerade leer!
Es ist schwierig geworden, der Rastlosigkeit des vernetzten Lebens zu entkommen. Im Tayrona-Nationalpark im Norden Kolumbiens gelingt uns das für eine kurze Zeit. Am Ende gehen wir mit einem seltsamen Gefühl.
Dritter Tag im Tayrona-Nationalpark an der Karibikküste Kolumbiens: Wir haben einen seltenen Zustand erreicht. Es kostet uns keine Anstrengung mehr, nichts zu tun. Die Unruhe ist gewichen. Wir sind am Meer, und das ist alles.
Woran merkt man, dass man wirklich zur Ruhe kommt und die permanente und deshalb kaum mehr bewusst wahrnehmbare Rastlosigkeit ablegt?
Wir merken es daran, dass sich das Aufstehen und Schlafengehen dem Lauf der Sonne angepasst hat. Wir haben nicht mehr das Gefühl, etwas tun zu müssen, wenn der Tag vorbei ist. Wir stehen auf, wenn der Morgen dämmert.
Wir haben auch aufgehört, auf die Uhr zu schauen. Es gibt kein Telefonnetz und kein Wifi. Das macht normalerweise schnell nervös. Aber ab einem bestimmten Punkt ist keine News mehr so wichtig, dass man sie nicht auch am nächsten Tag lesen könnte oder in einer Woche. Der Reiz der Dinge, die einen umgeben, reicht völlig aus.
Vielleicht ist der Mensch mit der Permanenz der Internetverbindung degeneriert. Abschalten ist nicht mehr vorgesehen, das ist die Doktrin der großen Technologiekonzerne. Der Mensch verlernt, nur mit sich selbst zu sein, und wer das kulturpessimistisch nennt, hat die Auswirkungen der digitalen Revolution noch nicht verstanden.
Man braucht dabei nicht soweit gehen wie Ray Kurzweil, Visionär und Entwicklungschef bei Google, der davon ausgeht, dass technischer Fortschritt und Wissen exponentiell wachsen und sich die Grenze zwischen Mensch und Maschine früher oder später aufhebt. Es reicht, die Generation zu beobachten, die ein Offline-Leben nicht mehr kennt.
Wir schauen von der Veranda unserer Herberge auf den Palmenhain, der die Sicht auf den Ozean nimmt. Sitzen, quatschen, schauen. Kaffee und Zigaretten. Ich rauche wieder, wohl auch deshalb, weil man sich sonst so gesund fühlt unter dieser Sonne. Arecifes heißt der Strandabschnitt. Man muss vom Ende der Straße eine Stunde laufen, von Bucht zu Bucht. Tayrona ist der beliebteste Nationalpark Kolumbiens und erzeugt dennoch ein Gefühl großer Abgeschiedenheit.
Urlauber kommen wegen der rauen Natur, die nicht der kommerzialisierten Ästhetik eines »paradiesischen« Strandes aus den Reisekatalogen entspricht. Mannshohe Wellen rollen über die Korallensee mit ihren gefährlichen Strömungen. Schilder warnen: In dieser Bucht sind schon mehr als 100 Menschen gestorben. Die Monotonie der Küstenvegetation wird aufgebrochen durch glattgeschliffene Felsen, tonnenschwere Monolithe aus dem kaum zu durchdringenden Bergdschungel der Sierra Madra. In entlegenen Tälern soll noch immer Koka angebaut werden.
Die Infrastruktur ist sehr einfach. Bis auf die Eco-Lodge in Cañaveral, wo die Straße endet, gibt es nur Zelte, Hängematten und Holzhütten. Die Lagerplätze sind durch kleine Buschpfade verbunden. Generatoren erzeugen Strom. Ihr Rattern ist der Tribut an das bisschen Zivilisation hier. Wir essen immer nur Reis mit camarones, mit Krabben, oder Nudeln mit Thunfisch.
Vielleicht braucht es diesen räumlichen Abstand, um die allgemeine Ruhelosigkeit des Alltags zu überwinden. Das Flugzeug bringt einen nur bis Cartagena, von dort fährt der Bus in fünf Stunden nach Santa Marta, dann wieder umsteigen. Mit einem anderen Bus geht es nach Zaino an der Grenze zum Nationalpark, dort fährt ein Minibus bis zum Ende der Straße, dann geht es zu Fuß weiter. Man muss sich langsam vorarbeiten und ist deshalb am Ende besonders weit weg.
Die Sierra Madra ist schon geografisch ein abgeschiedener Ort. Noch immer leben in den Bergen Kogi-Indianer, Nachfahren der Tairona, die hier um 200 nach Christus Fische fingen, Felder bestellten und Gold schmiedeten. Man kann einem Dschungelpfad zu einem verfallenen Tairona-Dorf folgen, er beginnt in Cabo de San Juan de la Guía, dem letzten Zivilisationsposten entlang der Küste des Nationalparks.
Der Zeltplatz von Cabo de San Juan bietet sicher 200 Gästen Platz. Es gibt eine Küche und Plastikstühle, Toilettenhäuschen und Duschkabinen. Iguanas sonnen sich auf den Felsen. Am Nachmittag kommt eine Gruppe euphorischer Israelis mit dem Boot von Taganga herübergefahren. Die Typen fotografieren sich ständig gegenseitig, schreien betont crazy und machen mit dem kleinen Finger und dem Zeigefinger den Teufelsgruß. Doch eine verrückte Party gibt es nicht. Die Nacht bleibt Nacht und wird nicht zum Tag. Die enttäuschten Israelis fahren wieder.
Wir übernachten in einem hölzernen Pavillon mit Hängematten. Er steht auf einer Anhöhe, die nur durch einen Streifen Sand mit dem Festland verbunden ist. Die Brandung rauscht von drei Himmelsrichtungen heran. Es hört sich an, als schlafe man auf dem offenen Ozean, frei schwebend zwischen Wind und See. Am Morgen weckt uns die Sonne.
Nach dem Frühstück folgen wir einem Trampelpfad durch den Wald. Wir laufen barfuß. Nach fünf Minuten stößt der Weg wieder auf das Meer. Hinter dem Vorhang aus Blättern und Ästen liegt ein menschenleerer Strand. Weißer Sand und rauschende Wellen vor sattgrünen Berghängen. Sonne, Salz und Sand. Wir sitzen da, bis das Abendlicht schräg in die Wellen fällt. Die Reise hat ihren Ruhepunkt erreicht.
Manchmal kommt es einem vor, als sei man in einer Klischeegeschichte gefangen, in einer müden Dramaturgie: Der Reisende findet die Abgeschiedenheit in der Ferne und erholt sich von der Beschleunigung des vernetzten Lebens. Doch genau das passiert unter anderen Umständen nicht mehr. Zu meinen, man könnte es doch jederzeit so haben, wenn man denn wollte, ist eine Illusion.
Es sind natürlich ökonomische Bedingungen, die zu unserem rastlosen Alltag führen, die Technik ist nur das Werkzeug. Ständiges Wachstum bedingt immer mehr Produktion und mehr Konsum. Technische Automatisierung verschärft die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wo der Mittelstand obsolet wird, kann es sich niemand mehr erlauben, nur Mittelmaß zu sein. Es scheint, als hielten immer weniger Menschen die Fliehkräfte dieser Beschleunigung aus.
Die Zeit in Tayrona ist eine kostbare Zeit. Als wir ankamen, dachte ich, die Tage könnten uns lang werden an diesen einsamen Stränden. Am Abend vor der Abreise bin ich wehmütig und würde gerne bleiben.
Erschienen am
Antworten
Klasse Beitrag und klasse Fotos!
Spontanes WOW ! – Schade, dass wir es fast verlernt haben uns dieses Gefühl manchmal in unseren Alltag zu holen…
Im Alltag gelingt es ja wirklich kaum noch (wobei doch: gestern am Schlachtensee). 😉
Ach wie schoen! Toller Bericht aus einer tollen Ecke der Welt. Ich kann dein Gefuehl nur bestaetigen. Im letzten Jahr sass ich auch an letzterem Strand, hab gelesen, gedoest und war ein bissl schwimmen und spazieren. Es war zwar viel los auf dem Zeltplatz (eine nahegelegene Uni hatte einen Ausflug dorthin organisiert), aber der Strand war fast leer (bis auf die berittenen Polizei, die zweimal vorbei kam – was fuer ein geiler Job!).
Ich bin eine hyperaktive Reisende,aber merke, wie auch ich mehr zur Ruhe komme, weil ich es auch zulasse. Nicht unbedingt wegen dem Dis-Connecten (schoener Anglizismus), sondern eher wegen mehr Laessigkeit. Frueher hatte ich mehr von einer inneren Rastlosigkeit (»Ich MUSS unbedingt noch das sehen oder dies machen!«), heute sag ich mir immer oefter »Ich MUSS gar nix.« Ich werde bestimmt nie ein 1‑Woche-nur-am-Strand-Urlauber, aber mal einen Gang rausnehmen ist sehr angenehm.
Uebrigens kann man auch gut von Bogota nach Santa Marta fliegen, mit so ner kleinen Propellermaschine, mit Avianca mehrmals taeglich 😉Oh, guter Tipp mit Avianca und Santa Marta. Das ist ja noch um einiges bequemer. Ich glaube, diese Lässigkeit nimmt zu, je öfter man reist. So auf den ersten Backpacking-Trips war man richtig nervös, wollte alles richtig machen, nichts auslassen. Irgendwann wird man entspannter.
Der Typ macht mich einfach feddich mit seinen Fotos…
Achso ja, Text lese ich auch gleich noch. 😉Das freut mich, dass du auch noch liest… 😉
wunderschön. und wieder mal Fernweh gemacht.
Vielen Dank!
Schöner Beitrag! Ich mag die Ecke um Santa Marta sehr gern. Nur im Tayrona Park ging es bei meinem ersten Aufenthalt aufgrund der Weihnachtszeit weniger entschleunigt zu. Das wäre für die Gruppe Israelis eindeutig die bessere Zeit gewesen 😉 LG, Mad
Lag das daran, dass so viele Kolumbianer dort Ferien gemacht haben?
Ja, Philipp. Halb Kolumbien schien auf den Beinen zu sein und der Tayrona Park ist ein beliebtes Ziel. Wenn ich also die Menschenmassen ausklammere, war es doch sehr schön. Deshalb fahre ich ja auch immer wieder gern dahin 😉 Aber umso schöner war es zu lesen, wie Du dort zur Ruhe gekommen bist…
Schreibe einen Kommentar