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Wir fahren entlang einer sehr geraden Straße der Dasht-e-Kavier Wüste tief im Innern des Irans. Es ist heiß. Sehr heiß. Fast 50 Grad. Die Landschaft wirkt äußerst karg und uns kommen nur sehr wenige Fahrzeuge entgegen. Wie so manchmal bei ausgedehnten Fahrten reden wir nicht viel und genießen die vorüberziehende Landschaft, während Peter und ich die jüngsten Erlebnisse verarbeiten und einordnen. Zum Beispiel die letzten Tage und Wochen im Iran.
Ich selbst bin tief in Gedanken versunken und drifte völlig ab. Jahrhunderte alte, zerfallene Lehmhäuser mit kuppelartigen Dächern inmitten der Wüste, einzelne Palmen sowie die flirrende Hitze erinnern mich an biblische Schauplätze. Die unbesiedelte Landschaft und gelbes Gestein rufen Bilder verschiedener ernster und auch weniger ernster Verfilmungen der Jesusgeschichte und des neuen Testaments ins Gedächtnis.
„Hm … wenn Maria und Josef in der heutigen Zeit einen Platz für ihre Niederkunft finden müssten, würde ich Ihnen wünschen, sie wären im Iran!“ sprudelt es plötzlich aus mir heraus. Peter lacht. Und versteht ganz genau, was ich meine. „Überall sonst auf der Welt würde man ihnen womöglich die Tür vor der Nase zuschlagen“ überlege ich weiter.
Dieser eher dahergeredete Gedanke lässt mich dann aber doch nicht mehr los und ich traue mich, ihn einfach einmal weiter zu spinnen …
Stellen wir uns also einmal vor, die junge, schwangere Digitalnomadin Marie und ihr frisch gebackener Ehemann Jojo, ein sich im Sabbatical befindender Produktdesigner mit einer Dozentenstelle an einer bekannten Holzfachschule, sind mit ihrem Geländewagen auf Reisen durch den Iran. Die beiden waren lange Zeit in der ganzen Welt unterwegs, da ist Marie überraschend schwanger geworden und so machen sie sich wenige Wochen vor der geplanten Geburt auf den Weg in die Heimat. Auf dieser Rückreise durchfahren sie viele weitere Länder, denn ein Flug kommt für die hochschwangere Marie leider nicht mehr in Frage.
Das junge Paar kennt sich nicht besonders gut aus im Iran weshalb sie sich mehrfach verfahren. Doch sie werden an jeder Straßenecke sogleich als Fremde erkannt und so müssen sie sich eigentlich niemals nach dem Weg erkundigen, bevor ihnen allerhand Passanten auch ungefragt zur Hilfe kommen. Trotz der unerträglichen Hitze bereitet die beschwerliche Fahrt große Freude, denn egal wo sie sich befinden, winken ihnen die Menschen heiter zu, hupen vor Freude und rufen ihnen „Welcome to our country!“ hinterher. Und natürlich „Where are you from?“
Doch es soll ganz anders kommen: leider kündigen sich die Wehen der jungen Marie früher an als erwartet und die beiden schaffen es nicht mehr, die geplante Rückreise in die Heimat fortzusetzen. Auch die nächstgrößere Stadt mit einer Mother-and-Child-Clinic ist nicht mehr erreichbar, denn Marie krümmt sich bereits vor Schmerzen; die viel zu frühe Geburt steht kurz bevor. Jojo und Marie sind völlig verzweifelt, doch kaum stehen sie mit ihrem Wagen hilflos am Straßenrand da kommen schon allerhand Iraner auf die beiden zu.
„Salam! Welcome to our country!“ und „Which country?“ sowie „Can I help you!“ wird ihnen von unterschiedlichsten Richtungen immer wieder zugerufen. Es bildet sich eine kleine Traube um das Geschehen und es werden schnell ein paar Fotos mit allerhand Mobiltelefonen geschossen. Einer der Iraner, nennen wir ihn Mohammed (eigentlich Dr. Mohammed Lavin, ein Agrarwissenschaftler) übernimmt das Kommando und bittet Jojo ihm mit dem Jeep zu folgen. Marie darf sich in dieser Zeit auf dem Rücksitz eines weißen Peugeot lang machen. Das Autoradio wird laut aufgedreht: persische Rockmusik! Unterhalten braucht man sich ja auch nicht. Is’ ja klar was lost ist!
Mohammeds Frau (eine Mathematikerin), sein Neffe (Mikrobiologe) und seine Schwester (Archäologie Professorin) befinden sich ebenfalls im Fahrzeug und versorgen Marie erst einmal mit gutem, eisgekühltem Trinkwasser aus dem heimischen Wasserhahn.
Der Weg zu Mohammeds Haus am Rand der kleinen Stadt ist nicht weit und schon bald darf sich Marie im kühlen Garten auf einem wunderschönen persischen Outdoor-Teppich niederlassen um sich zusammen mit Mohammeds wundervollen Frau Samira (Lehrerin für Arabisch) auf die Geburt vorzubereiten. Doch erst einmal serviert Mohammeds Bruder (ein Veterinärmediziner) der gesamten Mannschaft eine Runde Çay mit selbst gemachtem Würfelzucker und Walnusstörtchen, denn schließlich braucht die ganze Sippe Kraft für so eine Geburt. Und sogleich wird ein kleines neonpinkes Campingzelt aufgebaut, um der hechelnden Marie etwas Schatten zu spenden.
Während Samira, die zwar kein Englisch spricht aber bereits drei Söhne und zwei Töchter zur Welt gebracht hat, Marie mit Händen und Füßen den Geburtsvorgang erklärt, schiebt Mohammed den nervösen Jojo erst einmal auf einen zweiten persischen Teppich, wo Mohammeds älteste, fließend englisch sprechende Tochter Alyna (eine Physikstudentin) sogleich ein opulentes Mahl serviert: einen Stapel Fladenbrot, mindestens drei Sorten Kebap, Reis mit Safran und Beeren, gekochte rote Bohnen, Linsengemüse mit Lamm, gefüllte Auberginen, frische Zwiebeln und grüne Chili, Ziegenjoghurt, Tomaten und Gurken, Schafskäse, Oliven, Honig, Pistazien, Datteln, getrocknete Aprikosen, Kartoffelsalat mit Hühnchen, gebratenen Fisch sowie frische Früchte und Wassermelonen. Eben eine winzige Kleinigkeit … denn auch der aufgeregte werdende Vater sollte ja ein klein wenig gestärkt werden.
Plötzlich klopft es an der Gartentür. Ein paar sehr neugierige aber freundliche Nachbarn, die auf der Star-Point-App ein paar Postings zu diesem Event entdeckt haben, kommen vorbei und bringen gerade noch rechtzeitig kochendes Wasser und Tücher (für was auch immer) und lassen ein wenig Gebäck sowie selbst gebackenen Kuchen da – damit auch Marie im Anschluss an die Geburt nicht hungern muss. Aber natürlich nicht ohne nach „Which country?“ zu fragen und sich Maries und Jojos Email-Adresse, Whats App- sowie Facebook Kontakte geben zu lassen!
Samiras Enkeltöchter stützen Marie währenddessen von allen Seiten, Samiras Schwestern fächeln reichlich frische Luft zu, reichen Kissen und allerhand weitere Utensilien der fidelen Gebärlandschaft. Die Frauen nehmen allesamt ihre Hijabs ab, um der wehengeplagten Marie den Rücken zu stützen. Nun wird der weiße Peugeot direkt neben der Szenerie geparkt, der Kofferraum geöffnet, so dass die unglaublich laute Disko-Musik für etwas weniger Entspannung beim „Pressen“ sorgen kann.
Die Geburt, auf die hier nicht näher eingegangen werden muss, verläuft reibungslos. Inschallah! Es ist ein Junge! Schon nach ein bis zwei Stunden erblickt der kleine Jesper – quietschfidel und kerngesund – das Licht der persischen Welt. Marie und Jojo sind überglücklich! Mohammed, Samira, Djava, Payam, Berus, Fathme, Sinan, Amir, Peria, Mahmut, Mehmet, Aylani, Feryde, Momi, Alyna, Anita, Khomar, Farzin, Mahdiye, Mehdi, Sajad, Moji, Sanam, Robab, Kazem und Hosang sind es noch viel mehr! Welch eine Freude in ihrem Haus!
Sogleich packt die gesamte Familie Mohammeds die Mobiltelefone aus, um Freunde und Verwandte über das freudige Ereignis in ihrem Garten zu informieren. Und zwar alle! Eine riesige Shisha sowie die siebte Runde Çay dieses Nachmittags werden herumgereicht. So ein Ereignis muss schließlich gefeiert werden!
Doch schon wieder klopft es an der Gartentür. Gleich drei ehrwürdige Besucher stellen ihre Motorräder am Gartenzaun ab und betreten den mittlerweile vollen Innenhof: ein iranischer Polizist, ein sehr junger Soldat sowie ein Zöllner haben durch die Star-Point-App vom turbulenten Treiben in Mohammeds Garten erfahren und bringen der jungen, fremden Familie selbstgemachte Marmelade ihrer Mütter, kostenlose Voucher für die iranische Autobahn sowie weitere Stapel Fladenbrote mit. Während sich der Zöllner laut und lachend mit Mohammed über den freudigen Anlass unterhält, beginnt der Polizist ein ausschweifendes Gespräch mit Josef über die Leistung seines Geländerwagens, während der Soldat die junge Familie bittet, zusammen mit ihm ein Foto machen zu dürfen. Er würde dies so gerne seiner Frau zeigen.
Im Stall von Mohammeds Garten stehen ein paar Ziegen sowie ein ausgesprochen vergnügtes, grunzendes Kamel.
Wie gesagt. Nur so ein Gedanke.
Fröhliche Weihnachten. Wo auch immer.
Antworten
Tolle Geschichte! Super! Man könnte meinen die ist echt!
Euch schöne Weihnachten – wo auch immer Ihr gerade seid!
LG
ChristianDanke Christian!
Jedenfalls ist die Geschichte für uns gut vorstellbar und es sind viele wahre Erlebnisse darin verpackt!
Frohe Weihnacht!
Haha wundervoll, ich musste herzlich lachen!
Ich hab schon oft gehört, dass der Iran ein wunderschönes Land sein soll, war aber noch nie dort. Sind die Leute da wirklich so gastfreundlich? Da fühlt man sich dann ja wirklich gut aufgehoben 🙂
Schöne Weihnachten,
KathiDanke dir sehr, Kathi.
Ja, die Leute dort sind wirklich unglaublich. Das muss man einfach mal erlebt haben.
Das schöne ist die Unvoreingenommenheit und Neugier allen und allem Fremden gegenüber.
Merry Xmas!
Sehr nett geschrieben & in diesem Sinne, Frohes Fest 😉
Danke.
Ein schönes Fest dir auch!
Wow, die Bilder sind echt super geworden *Daumenhoch*. Waren zwar noch nie im Iran, aber nach diesen Bildern würde es sich mal lohnen.
Danke, Robin!
Der Iran hat unglaublich viel Schönes zu bieten. Die Wüste war für mich definitiv ein Highlight!
Gute Reise und Frohe Weihnachten!
Hahaha. Ja, warum auch nicht. Auf jeden Fall will ich jetzt unbedingt in den Iran. Ich weiß nur nicht, ob ich diese Reise nicht vielleicht doch noch antrete, bevor die Familienplanung ansteht – aber für den Fall, dass was unvorhergesehenes passiert, weiß ich ja jetzt, dass ich mir keine Sorgen machen muss 🙂
Liebe Anna,
Ob mit Familie oder alleine – du wirst gerade als Fremde eine wundervolle Zeit haben im Iran.
Die Gastfreundschaft ist unvergleichlich …
Und ich möchte gar nicht daran denken was in manchen Gegenden Deutschlands gerade los ist …Gute Reise!
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