Von Leipzig nach Alaska per Anhalter: Über die hoffnungslose Liebe auf Reisen (5)

Manch­mal ver­liebt man sich. Ein­fach so. Man trifft die­se Men­schen, die so ganz beson­ders erschei­nen. Manch­mal ver­lie­ben sich auch zwei Men­schen inein­an­der. Das ist dann etwas Beson­de­res. Ganz beson­ders schön. Ich hat­te in Uru­gu­ay die­se jun­ge Dame ken­nen­ge­lernt. Wir waren ver­liebt. Inein­an­der. Ich glau­be seit mei­ner Schul­zeit war ich nicht mehr so ver­liebt.

Das alles fing ganz uner­war­tet an. Und irgend­wie war es auch ganz süß. Voll de Honich, wie wir in Hes­sen sagen wür­den. Uru­gu­ay wur­de haupt­säch­lich mit Ita­lie­ne­rIn­nen und Spa­nie­rIn­nen kolo­ni­siert und ich fin­de die Men­schen dort irgend­wie sehr schön. Wir hat­ten eine kur­ze, lei­den­schaft­li­che Bezie­hung. Wir bei­de rede­ten über Zukunft. Waren blind vor Lie­be und irgend­wie hat es uns Spaß gemacht. Blu­men­ge­schen­ke, Valen­tins­tag, roman­ti­sche Näch­te mit Blick auf das Meer und dem schöns­ten Kuss mei­nes Lebens. Die­se gan­ze Affä­re war wun­der­bar, ver­zau­bernd und ende­te in einem voll­kom­me­nen Desas­ter. Uner­war­tet und plötz­lich, wie sich das für Süd­ame­ri­ka gehört. Mit Kara­cho an die Wand fah­ren. Wie zwei nai­ve Teen­ager, die, eng inein­an­der ver­schlun­gen, einen Tan­dem-Fall­schirm­sprung machen. Nackt. Soll­te nicht die letz­te Erfah­rung die­ser Art für mich sein. Und viel­leicht wer­de ich den zuge­hö­ri­gen Arti­kel irgend­wann ver­öf­fent­li­chen.

Ich ver­ließ das Land noch am sel­ben Tag und setz­te mei­nen Weg nach Bue­nos Aires fort, wo direkt in das nächs­te Desas­ter rann­te, aber das ist ne ande­re Geschich­te. Es war eine wun­der­ba­re Zeit, mit all sei­nen Höhen und Tie­fen. Etwas, dass ich nicht mis­sen möch­te. Auch mit all der Lee­re, die am Ende übrig bleibt. Ein Freund mein­te mal zu mir, nach­dem er gehei­ra­tet hat­te: „Ach wees­te, eigent­lich ver­mis­se ich das auch ein biß­chen, sich ver­lie­ben, dann so rich­tig auf die Fres­se fal­len und wie­der auf­ste­hen.“ Ich kann ihn ver­ste­hen. Lie­be auf Rei­sen ist etwas Schreck­li­ches. Lie­be auf Rei­sen ist ver­dammt zum schei­tern. Es gibt kei­nen ande­ren Weg. Ent­we­der die Lie­be ist von vorn­her­ein ent­täu­schend. Oder es ist total schön, was auch nicht gut ist, da man sich bald wie­der trennt. Klar man­che fin­den jeman­den und rei­sen dann gemein­sam bis ans Ende ihre­re Tage, aber das ist eher die Aus­nah­me.

Ich hat­te mich also ver­liebt. Wur­de ver­zau­bert. Und dann gabs, völ­lig uner­war­tet für alle Sei­ten und uner­klär­lich für mich, ein gro­ßes Dra­ma. Aber war­um erzähl ich das hier eigent­lich? Weil sich in die­ser Zeit viel in mir geän­dert hat. Das ist für mei­ne Gesamt­rei­se sehr wich­tig.

Weil ich so ver­liebt war, beschloß ich schon in Uru­gu­ay die Rou­te zu kom­pri­mie­ren, um dann im nächs­ten Jahr in Deutsch­land eine Fami­lie grün­den zu kön­nen. Wir phan­ta­sier­ten ja schon über ein gemein­sa­mes Wald­haus mit Ate­lier und klei­nen Deutsch-Uru­gua­ya­ne­rIn­nen. Wenn ich das so schrei­be, muss ich gera­de über mich selbst lachen. Träu­men ist ne schö­ne Sache. Wäre ich nicht so veträumt gewe­sen, dann hät­te ich mir ein paar Sachen nicht bewusst machen kön­nen. Für mich war also hier schon klar, dass ich nach Deutsch­land zurück will und nicht irgend­wo anders enden woll­te.

Als ich los­ge­zo­gen bin, hat­te ich ja kei­ne wirk­li­chen Erwar­tun­gen an die Rei­se. Ich hat­te kei­nen Bock in ein Voll­zeit-Arbeits­le­ben ein­zu­tau­chen. Das war mir sehr klar. Ich dach­te, ich kann erst­mal 3–4 Jah­re in die Welt zie­he und einen Job fin­den, wenn es mir irgend­wo gefällt. Viel­leicht sogar ein neu­es zu Hau­se, wenn ich einen tol­len Men­schen tref­fe. Tja und dann ver­liebt man sich. Und dann muss­te ich erst­mal nach­den­ken, was ich eigent­lich will. Auf jeden­fall nicht in Uru­gu­ay woh­nen, da ist es zu lang­wei­lig. Ich hat­te zu die­ser Zeit schon den Plan der Welt­um­tram­pung gefasst. Dann doch lie­ber 1,5–2 Jah­re unter­wegs sein und das Durch­zie­hen. Der Lie­be wegen. Wald­haus, Fami­lie und so.

Und außer­dem kam in die­ser Zeit schon das ers­te Heim­weh in mir auf. Das war so ein Effekt von: Na, da isse doch. Kön­nen wir jetzt ein­pa­cken und nach Hau­se fah­ren, da ist es doch so schön! Ein Heim­weh, das mich auch jetzt noch beglei­tet. Seit 12 Mona­ten. Es ist ein­sam auf der Stra­ße, lasst euch das gesagt sein. Aber Ein­sam­keit ist nur eines von vie­len Gefüh­len, dass man unter­wegs durch­lebt. Ich sehe das all­ge­mein eher als Her­aus­for­de­rung, zu ler­nen damit umu­ge­hen, anstatt mei­ne Mis­si­on dabei aus den Augen zu ver­lie­ren.

Aber eine Erkennt­nis ist geblie­ben: Ich hab eigent­lich kei­ne Lust auf län­ge­re Rei­sen. Das war mir auch vor­her schon klar. Bin dafür nicht der Typ. Auch nach 15 Mona­ten auf der Stra­ße nicht. Ja, ich hat­te kei­nen Bock jah­re­lang durch die Welt zu zie­hen. Kei­ne Bock mei­ne Zeit zu ver­schwen­den, gefan­gen im Gefühl der eige­nen Nutz­lo­sig­keit, wäh­rend ich mich in irgend­ei­nem Hos­tel mit einem Hau­fen 18-jäh­ri­ger Eng­län­der betrin­ke. Ich hat­te ein Bedürf­nis irgend­et­was auf­zu­bau­en. Das wur­de mir hier das Ers­te mal klar. Daher wür­de ich auch nie­mals Arbeit suchen und mich in einem ande­ren Land nie­der­las­sen. Ich muss­te zurück in mein schö­nes Leip­zig und dort blei­ben und etwas wach­sen las­sen. Aller­dings erst, nach­dem ich ein­mal um die Welt getrampt bin, natür­lich.

Die­se Gedan­ken sind wich­tig, um mei­ne eigent­li­che Rei­se zu ver­ste­hen. Ich rede immer von einer Expe­di­ti­on, weil ich abso­lut nicht der Mensch bin, der irgend­wo rum­reist, an Strän­den abhängt und sich irgend­ei­nen Scheiß anschaut. Mir ging es nie um Tou­ris­mus. Ich war nie auf Machu Pic­chu, hab alle Hip­pie-Sur­fer-Orte an der West­küs­te lie­gen gelas­sen, mir kei­ne Ama­zo­nas Völ­ker gege­ben und mir auch kei­ne berühm­ten Glet­scher in Pata­go­ni­en ange­schaut (wahr­schein­lich sind sie nun schon geschmol­zen). Weils ein­fach nicht mein Ding ist.

Nur die Stra­ßen, die sind mein Ding. Die fas­zi­nie­ren mich. Und das Tram­pen, die Bewe­gung. Einen rie­si­gen Road-Trip Leben und die gan­ze Welt durch­que­ren. Ich mache den Scheiß nur des­we­gen. Weil ich wis­sen will, wie weit ich kom­men kann und wie schnell ich das bewerk­stel­ligt krie­ge. Weil mich all die Pro­ble­me unter­wegs for­dern und ich immer wie­der neue Lösun­gen fin­den muss. Weil ich wun­der­ba­re Men­schen tref­fe und durch tol­le Land­schaf­ten fah­re. „Jeder dreht anders durch!“, mein­te mal eine Kran­ken­schwes­ter aus einer Irren­s­an­stalt zu einem unse­rer Sport­tram­pen-Teams, wel­ches sie gera­de auf­ge­sam­melt hat.

Mei­ne Tramp­tou­ren sind mei­ne eigent­li­che Rei­se. Die Zeit, in der all die Ent­beh­run­gen und Lei­den sich auzah­len. Die Zeit, für die ich lebe! Und viel­leicht muss­te ich mich erst schreck­lich in die­se Uru­gua­ya­ne­rin ver­lie­ben, damit mir das alles bewusst wer­den konn­te. Damit ich ver­ste­hen konn­te, wie­so ich trotz Heim­weh und Plä­nen auf mei­ner Rou­te blei­ben muss. Weil es das ist, was ich Lie­be. Und wenn ich nicht davon zurück kom­men soll­te, so ist es genau das, was ich woll­te.

 

Leipzig-Alaska-Karte

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Antworten

  1. Avatar von Daniela

    Ein tol­ler Arti­kel, so erfri­schend und ehr­lich geschrie­ben.
    Ich war mal so wie du. Ein­fach weg, so lan­ge rei­sen, wie es geht und irgend­wo blei­ben, wo es mir gefällt. Es war toll… allein und unab­hän­gig sein. Und dann traf es mich irgend­wann und ich ver­lieb­te mich, in einen Japa­ner, der auch unter­wegs war. So lan­de­te ich irgend­wann in Japan, das Land hat­te ich gar nicht auf dem Schirm bei mei­ner Rei­se.

    Jetzt muss ich ein­fach wei­ter stö­bern in dei­nem Blog. Muss wis­sen, wie es wei­ter­ging.
    Vie­len Dank für den schö­nen Arti­kel
    Danie­la

  2. Avatar von Melanie Berbner via Facebook

    Kom­pli­ment – sehr schön geschrie­ben.

    1. Avatar von Stefan

      Dan­ke. 🙂

  3. Avatar von Philipp
    Philipp

    Groß­ar­tig! Sehr unter­halt­sam und schön geschrie­ben. Wei­ter machen! 🙂

    1. Avatar von Stefan

      Freut mich, wenns gefällt!

  4. Avatar von Eva
    Eva

    Du bist ne wei­se , aber trotz­dem sehr coo­le Socke.
    Lie­be Grü­ße, Eva

    1. Avatar von Stefan

      Dan­ke. Ich ver­su­che mein Bes­tes. 🙂

  5. Avatar von rainer feichter

    Ganz egal, wie ste­fans geschich­te hier auf reisedepeschen.de noch wei­ter­gehn wird, und kom­plett wurscht, wel­che ande­ren bei­trä­ge nach ende die­ses geburts­tags­spe­zi­als hier noch ver­öf­fent­licht wer­den, eines jeden­falls ist jetzt schon fix: bes­ser kann’s nicht mehr wer­den.
    Ste­fans geschich­ten, die wür­ze sei­ner wor­te, die ver­blüf­fen­de nüch­tern­heit sei­ner ein­sich­ten, die extra­va­ganz sei­nes aben­teu­ers, aber vor allem sei­ne kom­plett unprä­ten­tiö­se art, all das ist (und bleibt wohl) uner­reicht.
    Also in jeder hin­sicht: thumbs up!

    1. Avatar von Stefan

      Oh mensch, dan­ke. Da fühl ich mich aber geschmei­chelt!

    2. Avatar von Stefan

      Ach­so und übri­gens Rai­ner, der Bei­trag hat mich am meis­ten Über­ar­bei­tung gekos­tet. Ist immer schwie­rig sowas zu ver­öf­fent­li­chen und sich dabei abso­lut sicher zu füh­len. Wenn man dann fer­tig ist und den abschlie­ßen­den But­ton drückt, dann bleibt immer ein leich­tes unwohl­sein, was pas­siert und wie die Men­schen reagie­ren. Daher machen mich sol­che Kom­men­ta­re umso mehr zufrie­den.

      ABER.…ich glau­be da kom­men noch ein paar Schman­kerl. Obs bes­ser wird? Weiß ich nicht. Viel­leicht… 😉

  6. Avatar von Der Schamane
    Der Schamane

    »Jeder dreht anders durch« … der Spruch schlägt dem Nagel den Boden aus … oder so 🙂

    Weiß nicht war­um ich jetzt gera­de die­sen Bei­trag kom­men­tie­re, sonst mach ich das eher nicht. Wird sowie­so meis­tens igno­riert, zwi­schen den gan­zen Kom­men­ta­ren ande­rer Blog­ger die natür­lich nie­mals nur einen Link hin­ter­las­sen wol­len … aber was red ich, ich war auch mal so einer … vor lan­ger Zeit …

    Viel­leicht mach ich das, weil ich auch auf einer Rei­se bin – dabei habe ich das Münch­ner Umland seit Jah­ren nicht ver­las­sen, Rei­sen geht trotz­dem, man muss nur auf eine ande­re Welt aus­wei­chen … da ver­liebt man sich auch manch­mal

    Maxi

    1. Avatar von Stefan

      Ich kann dir da voll zustim­men. 🙂
      Ich den­ke mir immer so, dass ich doch nicht in XYZ sein muss, um tol­le Men­schen zu tref­fen. Die gibts auch direkt vor der Haus­tür. Frem­de Kul­tu­ren auch. Von daher, kann man immer auf Rei­sen sein, wenn man möch­te.

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