Von Leipzig nach Alaska per Anhalter: Bolivien, meine neue Liebe (7)

Boli­vi­en hat­te mich vom ers­ten Moment an ver­zau­bert. Ich war schon wie­der ver­liebt. Vie­le Grün­de spre­chen für die­se Lie­be. Den Anfang mach­ten die grün bedeck­ten Hügel im Süden und alte Berg­bau­städ­te aus der Kolo­ni­al­zeit. Hier wur­de das Gold und Sil­ber des ehe­ma­lig reichs­ten Lan­des von Süd­ame­ri­ka abge­baut. Dann kamen die Spa­ni­er, haben alles mit­ge­nom­men und nun zählt Boli­vi­en zu einem der ärms­ten Län­der des Kon­ti­nen­tes. Das die Boli­via­ner auf­grund der Geschich­te des Lan­des kei­ne aus­ge­präg­te Will­kom­mens­kul­tur haben, soll­te ver­ständ­lich sein.

Der ehe­ma­li­ge Regie­rungs­sitz der spa­ni­schen Besat­zer lag in Sucre. Dies war auch mein erst­ers Ziel. Sucre ist bekannt, als der bes­te Ort zum Spa­nisch ler­nen in Süd­ame­ri­ka, weil die Aus­spra­che hier so klar ist. Die Boli­via­ner spre­chen fast ohne Dia­lekt. Eigent­lich hat jeder Rei­sen­de in der Stadt Spa­nisch gelernt und die Infra­struk­tur hat sich ent­spre­chend dar­auf ein­ge­stellt. Man konn­te umsonst in Hos­tels über­nach­ten, wenn man neben­bei noch Spa­nisch Unter­richt bucht und die Prei­se waren abso­lut unschlag­bar. Weni­ger als 5€ für eine Stun­de Ein­zel­un­ter­richt. Wer Sprach­schu­len kennt, der weiß, wie bil­lig das ist.

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Außer­dem ist Sucre ein­fach ein Juwel. Man merkt, dass die Spa­ni­er hier resi­diert haben. Wenn mir Leu­te sagen, ich soll nach Anti­gua in Gua­te­ma­la fah­ren, um ein schö­nes Fee­ling für den Kolo­ni­al­stil zu krie­gen, glau­be ich, die waren nie in Sucre. Schö­ne alte Katho­li­ken­bau­ten. Auf dem Berg gibt es einen klei­nen Markt­platz, mit einem über­dach­ten Durch­gang, schön ver­zier­ten Gelän­der und eini­gen Lie­bes­schlös­sern, die dar­an befes­tigt sind. Von die­sem roman­ti­schen Ort kann man die gan­ze Stadt über­bli­cken. Eig­net sich auch gut für Dates.

Es war auch so ziem­lich der ers­te Ort in Süd­ame­ri­ka, von dem mir Men­schen gesagt habe, dass er sicher sei. Iro­ni­scher­wei­se auch der ers­te Ort, an dem ich fast aus­ge­raubt wor­den wäre. Das war ne hei­ße Nacht für mich. Erst hab ich einen Schot­ten in einer der Bars ken­nen­ge­lernt und die sagen grund­sätz­lich nie „Nein“, wenn man fragt: „Wol­len wir noch eins trin­ken?“, was ich sehr zu schät­zen gelernt habe. Und dann ein Hau­fen jun­ger Typen, die mich auf dem Heim­weg durch die Stra­ßen ver­folgt haben.  Die Angrei­fer haben aller­dings so sou­ve­rän agiert, wie eine F‑Jugend Mann­schaft, der man gera­de die tak­ti­schen Vor­tei­le einer Abseits­fal­le erklärt. Und ich hab noch mei­ne Wert­sa­chen.

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Ich hat­te trotz­dem eine sehr schö­ne Zeit dort. Mein Besuch wur­de je unter­bro­chen von der gro­ßen Was­ser­kri­se. Irgend­wo hat ein Erd­rutsch die Haupt­was­ser­lei­tung zur Stadt weg­ge­ris­sen. Wir hat­ten mehr als eine Woche kein flie­ßend Was­ser. Natür­lich hat­te die Regie­rung sofort alle ver­füg­ba­ren Kräf­te mobi­li­siert und fünf Mann zur Repa­ra­tur ent­sandt. Zwi­schen­durch war das Pro­blem beho­ben. Dann ist irgend­ein Feh­ler pas­siert und die Lei­tung ist erneut kaputt gegan­gen. Für uns im Hos­tel hieß das: Kei­ne Toi­let­ten und Duschen. Geschis­sen wur­de trotz­dem. Wahr­schein­lich von der Grup­pe jun­ger, stän­dig besof­fe­ner Eng­län­der. Ich hab sel­ten sowas wider­li­ches auf mei­ner Rei­se erlebt. Also nicht die Eng­län­der, aber die Toi­let­ten. Rück­bli­ckend war es aber auch eine ziem­lich lus­ti­ge Situa­ti­on. Wir habens mit Humor genom­men und am Ende einen fet­ten Rabatt bekom­men.

Und wenn ihr je nach Sucre kommt, das „Cel­tic Tide“ – Hos­tel wird betrie­ben von einem sehr net­ten Deut­schen Namens Mike, hat ne tol­le Dach­ter­as­se, gut aus­ge­stat­te­te Küche und ein total ruhi­ger Ort mit erwach­se­nen Rei­sen­den (außer der Grup­pe Eng­län­der). Kann ich nur emp­feh­len. Das ist kei­ne Schleich­wer­bung, son­dern ein gut gemein­ter Tip. Nor­ma­ler­wei­se mag ich kei­ne Hos­tels und mei­de die, wie die Kat­ze das Senf­glas. Wenn mir mal Eins gefällt, dann muss das schon irgend­wie beson­ders sein.

Ich hab also sprich­wört­lich ver­sucht aus der Schei­ße raus­zu­kom­men, als ich Sucre ver­las­sen habe. Mein nächs­tes Ziel war Peru, aber vor­her woll­te ich noch die berühm­te „Death Road“ abtram­pen. Eine der gefähr­lichs­ten Stra­ßen der Welt. Mit die­ser Idee brach ich aus Sucre auf und hat­te anschlie­ßen einen Mords­spaß. Hier hab ich mich so rich­tig in Boli­vi­en ver­liebt. Ich hat­te ja kei­ne Ahnung was da vor mir lag. Hab mir auf der Kar­te die für mich sinn­volls­te Rou­te aus­ge­sucht und bin los­ge­trampt. Das ist dann alles etwas eska­liert. Ich tramp­te mit­ten ins boli­via­ni­sche Hoch­land, wo der Unter­grund den Begriff Stra­ße nicht mehr ver­dient hat­te, wur­de von Kran­ken­wä­gen mit­ge­nom­men und fand mich auf der Lade­flä­che von einem LKW wie­der, der außer­dem von ca. sie­ben ande­ren ein­hei­mi­schen „Tram­pern“ und einer dicken, schwar­zen Sau bewohnt wur­de. Wir waren auf 4000m Höhe und über uns leuch­te­ten die Ster­ne, nein sie strahl­ten viel­mehr. Der Tag ende­te in einer Lehm­hüt­te ohne Fens­ter bei einem boli­via­ni­schen Bau­ern, den ich vol­ler Ver­zwei­fe­lung um einen Schlaf­platz gebe­ten hat­te.

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Die Tour war knall­hart und mega lang­sam. Ich hat­te gehofft 1,5 Tage zur Death Road zu brau­chen. Am Ende waren es fünf. Fünf der bes­ten Tramp­ta­ge, die ich je hat­te. Nach der ers­ten Etap­pe  erreich­te ich das Yun­gas Gebir­ge. Ich will hier auch nicht stän­dig mit Super­la­ti­ven um mich wer­fen, aber wenn Men­schen mich fra­gen, was denn der schöns­te Ort mei­ner gan­zen Rei­se war, dann muss ich immer an der Yun­gas den­ken. Vom 4000m hohen boli­via­ni­schen Hoch­pla­teau geht es run­ter auf 500m. Von der Wüs­te kommt man auf ein­mal in den Dschun­gel. Enge, stau­bi­ge Ser­pen­ti­nen schlän­geln sich an den Berg­hän­gen ent­lang. Eine Regi­on, so abge­schot­tet von der Welt, dass der Koka Anbau noch für die tra­di­tio­nel­len Märk­te (Blät­ter kau­en) und nicht zur Dro­gen­pro­duk­ti­on genutzt wird.

Was ich hier noch nicht wuss­te: Die Death Road war eigent­lich eine Stra­ße wie jede ande­re im Yun­gas. Viel­leicht mit etwas mehr Atmo­sphä­re und mod­ri­gen Ecken, die sich gut für Fotos eig­ne­ten und den gan­zen Tou­ris gut gefie­len, die dort mit Moun­tain­bikes run­ter­roll­ten. Aber im Prin­zip ist der gan­ze Yun­gas eine ein­zi­ge Death Road. Ich war vor­her schon zwei kom­plet­te Tage auf einer Death Road unter­wegs, hat­te irre Nacht­lifts mit Whis­ky in omi­nö­sen Taxis und mach­te Bekannt­schaft mit einem besof­fe­nen Poli­zis­ten, der mich eine Stun­de auf sei­nem Motor­rad mit­ge­nom­men hat. Das war ein Adre­na­lin­kick der beson­de­ren Art, wenn meh­re­re hun­dert Meter Abgrund neben euch hin­ab­stür­zen und euer Fah­rer Pro­ble­me hat, dem nächs­ten Auto aus­zu­wei­chen. Das ein­zi­ge was mich hier beru­higt hat, wäh­rend ich sei­nen Bauch umarmt hab, war der Gedan­ke: „Wenn wir da run­ter gehen, dann nur zusam­men, dafür werd ich schon sor­gen!“

Ich hat­te schon mei­ne Nah­tod­erfah­rung, bevor ich auf die eigent­li­che Death Road kam. Zwi­schen­durch blieb ich ein paar Tage in Coroi­co, der Haupt­stadt der Yun­gas Regi­on. Ich hat­te ein wun­der­ba­res Zim­mer mit einem Aus­blick, der sich anfühl­te, als ob ich im Him­mel woh­nen wür­de. Eine sehr schö­ne Stadt mit unglaub­lich unfreund­li­chen Men­schen. Das lag aber defi­ni­tiv am Tou­ris­mus. Wer einen Aus­flug in den Yun­gas machen möch­te, der soll­te auf jeden­fall Coroi­co ansteu­ern. Lohnt sich! Aber nur wegen dem Aus­blick, nicht wegen den Men­schen.

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Natür­lich tramp­te ich noch die Death Road, mit einem Taxi, was gera­de nach La Paz fuhr. Von dort ging es direkt wei­ter in Rich­tung Titi­ca­ca­see in mein zweit­liebs­tes Land von Süd­ame­ri­ka: Peru. Hier hat­te ich wie­der eine spe­zi­el­le Mis­si­on, um mal etwas Abwechs­lung vom Tram­pen zu erhal­ten: Ich woll­te den ers­ten Güter­zug in mei­nem Leben hop­pen. Was ich nicht wuss­te: Peru war zur sel­ben Zeit erschüt­tert von hef­ti­gen sozia­len Pro­tes­ten. Und da ich Tram­per bin, immer am Kern des Gesche­hens, immer mit der loka­len Bevöl­ke­rung unter­wegs, soll­te ich das bald her­aus­fin­den, was „sozia­le Pro­tes­te“ in Peru bedeu­te­te. In Sucre steck­te ich in der Schei­ße und bin, ohne es zu wis­sen, in noch grö­ße­re Schei­ße hin­ein getrampt. Das mich aber die wahr­haf­ti­ge Schei­ße erst in Peru erwar­ten wür­de, konn­te ja nie­mand wis­sen…

 

Leipzig-Alaska-Karte

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Antworten

  1. Avatar von Lorenz Glatz
    Lorenz Glatz

    Hal­lo Ste­fan,

    ja das hab ich schon mit­be­kom­men wor­um es bei dei­nem Sport­tram­pen geht – wirk­lich Klas­se!

    Nur hät­te es mich inter­es­siert, wie und wo du da genau die­sen Stre­cken­ab­schnitt durch bist … denn wenn du von Chi­le kommst, dann bleibt dir eigent­lich auch nichts übrig durch die Salz­wüs­te … und so wie ich damals dort das erlebt hab, ist nicht wirk­lich viel Ver­kehr da durch 😉

    Aber lass dich nicht von mir auf­hal­ten, fin­de dei­ne Berich­te echt geil! Respekt

  2. Avatar von Lorenz Glatz
    Lorenz Glatz

    jaaa Boli­vi­en ist defi­nitv ein Traum .… aber wenn du von Ata­ca­ma kom­mend rauf nach Boli­vi­en bist, dann muss­test du ja durch die Salz­wüs­te durch oder nicht? Wie­so kein Bericht dar­über? 😉

    Wei­ter so!

    1. Avatar von Stefan

      Ich hab so vie­le Erleb­nis­se, über die ich schrei­be, da las­se ich die Sicht­see­ing-Orte mit gutem Gewis­sen aus. Das über­neh­men Ande­re. Mir geht es mehr um Geschich­ten von der Stra­ße. Viel­leicht rei­che ich aber irgend­wann noch­mal Foto­se­ri­en auf mei­nem Blog nach, aller­dings erst, wenn nicht mehr soviel pas­siert in mei­nem Leben. 🙂

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