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Gegen 6.30 Uhr geht über dem Bahnhof in Mary die Sonne auf. Es wäre ein fantastisches Fotomotiv, doch weder Sebastian und ich, noch unsere Reisegefährten Nicolás und Yogesh zücken die Kamera. Bahnhof und Züge fotografieren ist in Turkmenistan verboten… Zweieinhalb Tage turkmenisches Visum liegen noch vor uns und ich bin gespannt, wie sich das Land außerhalb seiner Hauptstadt Ashgabat präsentieren wird!
Der Anfang in Mary ist beschwerlich. Der Ticketschalter am Bahnhof ist zwar überraschend schon um 6 Uhr morgens geöffnet, doch die Fahrkarten für unsere abendliche Weiterreise nach Turkmenabad können erst ab 14 Uhr gekauft werden. Da wir den Tag für einen Ausflug in die alte Seidenstraßenstadt Merv in der Nähe nutzen möchten, kommt ein so langes Warten für uns nicht in Frage. Wir gehen das Risiko ein und beschließen, die Tickets erst kurz vor der Abfahrt des Zuges zu kaufen. Also machen wir uns auf die Suche nach einer Gepäckabgabemöglichkeit für unsere großen Rucksäcke und Jogeshs Fahrrad – und haben keinen Erfolg. Das Bahnhofspersonal teilt uns mit, dass der Gepäckraum leider erst um 12 Uhr öffnet, ein kleines Restaurant will das Fahrrad auf keinen Fall im Außenbereich stehen haben und in einem Hotel müssten wir ein Zimmer für 50 Dollar anmieten, um unser Gepäck abzustellen. Ein Gepäckraum? Fehlanzeige. Völlig entnervt laufen wir, zurück am Bahnhof, einem Polizisten in die Arme. Auch das noch! Mit unseren fünf Brocken Russisch erklären wir ihm unser Problem und können es kaum glauben, als auf einmal alles ganz schnell geht. Ein kurzer Befehl auf Russisch, schon kommt die Bahnhofsangestellte mit einem Schlüssel aus ihrem Verkaufsschalter heraus und winkt uns, ihr zu folgen. Fünf Minuten später sind Fahrrad und vier große Rucksäcke abgestellt und wir können uns endlich auf den Weg zum Bus machen, der uns in das kleine Örtchen Bayramaly bringt, dem Ausgangspunkt für Erkundungen des alten Merv. Ab nun nimmt der Tag eine erfreuliche Wendung, die mit dem Auffinden eines kleinen netten Restaurants beginnt.
Da wir in aller Hergottsfrühe morgens um 5.30 Uhr schon mit dem Nachtzug aus Ashgabat in Mary ankamen, freuen wir uns jetzt auf ein zweites Frühstück. Das Essen sieht lecker aus – gefüllte Teigtaschen, ähnlich den tibetischen Momos, wie große Ravioli, und frittierte Samsas, ähnlich den indischen Samosas, auch gefüllte Teigtaschen, aber frittiert und nicht gedünstet. Leider gibt es keine vegetarischen Varianten der beiden Gerichte, deshalb fällt mein Hunger etwas geringer aus als der von Sebastian und unserer Mitreisenden… Als endlich alle satt sind, bitten wir um die Rechnung. „110 Manat“, zeigt uns die Frau auf dem Taschenrechner. 110 Manat? 29 Euro für so ein paar Teigtaschen? Wir schauen geschockt und die Frau zückt ihren Taschenrechner erneut und tippt eine neue Zahl ein. 22 Manat. Umgerechnet 5,80 Euro. Das wirkt schon realistischer. Da es uns noch häufiger passieren wird, eine zuerst völlig übertriebene Zahl genannt zu bekommen, die dann im zweiten Schritt verkleinert wird, vermuten wir eine Art zweite Geldbezeichnung, ähnlich den iranischen „Tuman“, bei der die letzte Null wegfällt. Leider kriegen wir aber nicht raus, ob an unserer Vermutung etwas dran ist.
Von Bayramaly aus brechen wir zu viert mit einem Taxi und unserem Fahrer Vigli auf zu den Ruinen der alten Stadt Merv. Wir fahren über kleine, holprige Wege durch eine mit niedrigen Büschen bewachsene Steppenlandschaft und halten als erstes bei dem noch gut erhaltenen Mausoleum von Sultan Sanjar aus dem 12. Jahrhundert. In der sengenden Mittagshitze sind wir die einzigen Gäste. Die kommenden drei Stunden führen uns zu Ruinen der alten Stadtmauer, einer auch heute noch genutzten Moschee, zwei Mausoleen und außerplanmäßig – für unseren Fahrer völlig uninteressant – zu einem unterirdischen Wasserspeicher, in dem trotz der Hitze draußen angenehme Temperaturen herrschen. Von einem Berg aus genießen wir die Aussicht über die karge Umgebung, bis Vigli zum Aufbruch drängt. Wir machen uns langsam auf den Weg zurück Richtung Mary, biegen um eine Kurve und fahren auf eine Herde Kamele zu! Auch dies ist für Vigli mehr ein Ärgernis und nur durch mehrmaliges Auffordern können wir ihn davon abhalten, die Kamele nicht alle von der Straße runter zu hupen, sondern uns erst mal Zeit zum Schauen und Fotografieren zu geben. Auch der Hinweis, dass es in unseren Ländern keine freilaufenden Kamele auf der Straße gibt, interessiert ihn nicht sonderlich…
Schließlich verlassen wir die kleinen Holperstraßen und sind wieder auf der gut geteerten Schnellstraße, die uns zurück nach Mary führt. Wir alle sind durstig von der Hitze und leeren unsere Wasserflaschen. Vigli öffnet sein Fenster und trotz unseres lautstarken Protests – immerhin sitzen wir zu viert mit ihm im Auto – schmeißt er seine leere Plastikflasche raus auf die Straße. Was sollen wir hierzu noch sagen? Es muss eine gut funktionierende Müllabfuhr im sonst so sauberen Turkmenistan geben, schießt es mir durch den Kopf.
Um 17 Uhr steigen wir wieder in den Zug – nach 12 Stunden in Mary machen wir uns auf den Weg nach Turkmenabad, der letzten großen Stadt im Norden Turkmenistans, nahe der usbekischen Grenze. Bald schon bekommen wir Besuch von einem Jugendlichen, der mit seiner Familie die gleiche Strecke fährt. Er spricht leider kein Englisch und Sebastian ist von uns vieren der einzige, der halbwegs einen Smalltalk auf Russisch bestreiten kann. So wird er zum gefragten Gesprächspartner. Leckeres Brot bekommen wir von der Familie geschenkt und ich bin dankbar über den vom Schaffner gespendeten grünen Tee, so dass wir unserem neuen Freund immerhin eine Tasse Tee als Dankeschön aufdrängen können.
In Turkmenabad angekommen, wechseln wir die Straßenseite und fallen bald darauf in unser 60-Dollar-Bett. Nach den 110 Dollar in Ashgabat sind wir schon fast positiv überrascht über den "günstigen" Preis… Leider ist das Frühstück nicht inbegriffen und so lassen wir am nächsten Morgen vor Öl tropfende Spiegeleier und zwei ebenso fettige Würstchen zu einem deftigen Preis über uns ergehen. Als späteren Proviant bitten wir um zwei hartgekochte Eier, was sich als ein Fehler herausstellen wird… Sie werden für eine ordentliche Sauerei sorgen, denn die Definition von „hartgekocht“ scheint hier nicht die unsrige zu sein…
Was fangen wir an mit unserem Tag in Turkmenabad? Trotz der großen Hitze spazieren wir mit Nicolás ein wenig durch die Stadt. Unser Weg führt uns am Museum vorbei. Reingehen? Warum eigentlich nicht? Die Preise schocken uns mal wieder – 250 Manat, umgerechnet etwa 66 Euro, für drei Personen?? Schließlich kann ich die Dame auf insgesamt 15 Manat, etwa 5 Euro, runterhandeln. Das wirkt schon etwas normaler…
Der zentrale Museumsraum lässt uns den Mund offen stehen: ein Foto des Präsidenten hängt neben dem nächsten. Präsident im Krankenhaus. Präsident in der Schule. Präsident mit anderen Schlipsträgern. Präsident im Baumwollfeld. Präsident im Zug. Und natürlich Präsident auf Pferd. Auf ihre Pferde sind die Turkmenen stolz. Eine Museumsangestellte gesellt sich zu uns – am Anfang kommt sie uns wie eine Aufpasserin vor, irgendwann ist es aber doch ganz nett, ihr die ein oder andere Frage stellen zu können. Auch wenn sie vor allem turkmenisch und russisch spricht und nur ganz wenig englisch, so kriegen wir doch die zentralen Infos raus. Nach dem ersten Raum – wir wollen das Museum schon fast abhaken – führt sie uns um die Ecke und wir sind überrascht über doch noch mehr Themen als nur das öffentliche Leben des Präsidenten. Die kommenden Räume geben uns professionell gestaltet Einblicke in das nomadische Leben, die Tierwelt und den Abdruck eines Dinosaurierfußes, der im Osten des Landes wohl immer noch zu sehen ist.
Den anschließenden Spaziergang beenden wir bald wieder, es ist einfach zu heiß, um planlos durch die Stadt zu schlendern. Nach dem Mittagessen brechen wir mit einem Taxifahrer (Anfangspreis: 450 Manat, Endpreis 60 Manat, also 5 Euro pro Person) auf zur turkmenisch-usbekischen Grenze Farap und erleben dort die strengsten Kontrollen, die wir bislang auf dieser Reise hatten. Nach dem Ausfüllen der Zollerklärung (bei der Ausreise wichtig, aber bei der Einreise nicht?!) wird all unser Gepäck durchsucht. Zu guter Letzt schnappt sich die strikte Zolldame unsere Kamera und geht Foto für Foto die in Turkmenistan geschossenen Bilder durch. Zum Glück hatten wir davon schon im Internet gelesen und die uns heikel vorkommenden Fotos (Züge, Bahnhöfe, Präsidentenpalast, generell Infrastruktur,…) auf den Laptop gezogen und von der Kamera gelöscht. Sie findet nichts. Gut für den nach wie vor mit uns reisenden Nicolás, der seine Fotos nicht gesichert hat und für den ein Löschen ein tatsächlicher Verlust wäre. Aber seine Kamera wird nicht gecheckt. So verlassen wir also Turkmenistan – am Ende einen Tag früher, als wir müssten.
Der Besuch von Merv sowie unser Vormittag in Turkmenabad gaben uns nochmal einen anderen Einblick in dieses Land, von dem wir am Anfang fast schon geschockt waren. Ashgabat ist nicht unsere Stadt, wir fühlten uns dort nicht wohl. Auf unseren Zugfahrten und in Merv durften wir aber die tolle Landschaft sehen und trafen in beiden Städten auf offenere, neugierigere und nettere Menschen als in Ashgabat. Was uns in Erinnerung bleiben wird? Natürlich der Präsident. Zwar nie persönlich getroffen, aber in zahlreichen goldenen Statuen, überlebensgroßen Plakaten und in allen öffentlichen Einrichtungen mehr als genug zu Gesicht bekommen. Das Zuviel an Marmor und Gold. Die vielen Frauen in langen, samtenen, bunten Kleidern, die uns am ersten Tag an ein Märchenland denken ließen. Die Kamele mitten auf der Straße. Und die Menschen mit ihren vergoldeten Zähnen, die uns (außerhalb Asghabats) fast immer nett anlächelten.
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