von geistiger Geschwindigkeit und Grausamkeiten

Tag 1 in Kam­bo­dscha. Mein Geist ist voll­be­schäf­tigt mit den Ein­drü­cken der Ver­gan­gen­heit: die hek­ti­schen Tage vor dem Abflug aus Makas­sar, die 36 Stun­den am Flug­ha­fen von Sin­ga­pur mit der Über­nach­tung in einem Snoo­ze Chair. Doch die Netz­haut bie­tet neue Bil­der an. Schon wie­der.

Das Gehirn greift die Bil­der nicht mehr ab, es fühlt sich an als hät­ten sich zuvie­le Daten im Zwi­schen­spei­cher ange­häuft. So ist auch der ein­zi­ge Antrei­ber für unse­ren spä­ten Aus­flug auf die kaum beleuch­te­ten Stra­ßen Phnom Penhs ein rein phy­si­scher: Unse­re Kör­per ver­lan­gen nach Nah­rung.

„Die See­le reist nicht mit der Geschwin­dig­keit eines Düsen­flug­zeu­ges, son­dern mit der eines Kamels.“ Erst jetzt, in der Nach­be­trach­tung, fällt mir die­ses Zitat ein und wie zutref­fend es in jenem Moment war. Drau­ßen, an den Gar­kü­chen des Siha­nouk-Bou­le­vard nimmt dar­auf nie­mand Rück­sicht. Es wer­den die letz­ten Sup­pen aus­ge­schenkt, der Boden ist über­säht von benutz­ten Papier­ser­vi­et­ten. Als wir uns hin­set­zen schaut ein Khmer zu uns, des­sen hoch geknöpf­tes Hemd mit sei­ner per­fek­ten Bügel­fal­te mir nach­hal­tig in Erin­ne­rung blei­ben wird. „Will you drink a beer with me?“ fragt er ganz freund­lich und schnör­kel­los. Die Khmer sind aber gesel­lig, poppt in mei­nem über­la­de­nen Gehirn auf. Die größt­mög­li­che Fehl­leis­tung bie­tet mir mein Geist also an: den Schluss vom Indi­vi­du­um auf das Kol­lek­tiv. Mein Geist ist ein Kamel.

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Ein paar Tage geben wir dem Geist die Chan­ce auf­zu­ho­len. Man kann auch in Phnom Penh sein und sich jeden Tag dar­über freu­en, dass das Essen abwechs­lungs­reich ist, dass das Hotel­zim­mer sau­ber ist und es manch­mal sogar Bür­ger­stei­ge für Fuß­gän­ger gibt. Erwar­tet hat­ten wir das zunächst nicht und aus Sula­we­si (Indo­ne­si­en) kom­mend ist uns das in die­sem Moment viel Wert.

Doch natür­lich dürs­tet es uns bald nach Erkennt­nis­sen. Das liegt auch an der tur­bu­len­ten jün­ge­ren Geschich­te Kam­bo­dschas. Die­se ist in ihrer Grau­sam­keit so absurd, dass es mir gar schwer­fällt sie als real anzu­er­ken­nen. Mil­lio­nen von Men­schen sind Ende der 70er Jah­re dem Völ­ker­mord Pol Pots zum Opfer gefal­len. Vor allem gebil­de­te Men­schen, und dazu gehör­ten auch Bril­len­trä­ger, wur­den sys­te­ma­tisch umge­bracht. Die Khmer Rouge woll­ten eine Bau­ern­staat auf­bau­en, einer gesam­ten Gesell­schaft das kul­tu­rel­le, geist­li­che Erbe neh­men. Phnom Penh, eine Stadt mit 1,5 Mil­lio­nen Ein­woh­nern, wur­de nahe­zu kom­plett eva­ku­iert, die Ein­woh­ner in Straf­la­ger gebracht, wo vie­le durch Fol­ter, Gewalt oder Man­gel­er­näh­rung star­ben.

Wer, wie ich, in den 80/​90ern in Deutsch­land auf­ge­wach­sen ist begreift den Frie­den als gege­ben, gleicht sol­che Sze­na­ri­en reflex­ar­tig mit Fik­ti­on ab, wie sie in Hol­ly­wood erson­nen wird. Auch der Holo­caust kam mir fern vor, das Wis­sen dar­über kam aus Geschichts­bü­chern, nicht aus mei­nem All­tag.

Wir besu­chen Tuol Sleng, eines jener ehe­ma­li­gen Straf­la­ger im Her­zen Phnom Penhs. Der Gebäu­de­kom­plex war eine Schu­le, doch wur­de kur­zer­hand umfunk­tio­niert. Klas­sen­zim­mer wur­den zu Fol­ter­kam­mern. Wir gehen durch über­wie­gend lee­re Räu­me, es ste­hen ver­ein­zel­te Metal­bet­ten in den Zim­mern, auf denen noch Fuß­fes­seln lie­gen.

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Auf dem Schul­hof sieht man Turn­stan­gen. Die­se wur­den von den Scher­gen Pol Pots als Gal­gen ver­wen­det. Kopf­über wur­den Gefan­ge­ne hier gehängt, der Kopf in Was­ser getunkt, bis sie letzt­lich gestan­den Kol­la­bo­ra­teu­re der CIA zu sein. Als ich am Fuß­bo­den und den Wän­den Blut­spu­ren erken­ne poten­ziert sich für mich schlag­ar­tig die Inten­si­tät die­ser Aus­stel­lung. Alles wirkt unmit­tel­ba­rer und rea­ler. Ande­re Besu­cher von Tuol Sleng, dar­un­ter Aylin, berich­ten, dass die unzäh­li­gen Fotos der Inhaf­tier­ten den größ­ten emo­tio­na­len Ein­druck bei ihnen hin­ter­lie­ßen. Jeder Häft­ling wur­de bei sei­ner Ankunft foto­gra­fiert. Zu die­sem Zeit­punkt wuss­ten wohl die meis­ten noch nicht, dass sie dem Tod geweiht waren. Eini­ge rin­gen sich sogar noch ein Lächeln ab.

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Anschlie­ßend haben wir den Wunsch erst­mal einen Kaf­fee zu trin­ken. Es fühlt sich fast hedo­nis­tisch an, sich unmit­tel­bar nach so einer Erfah­rung damit aus­ein­an­der­zu­set­zen, wo es wohl einen „geschei­ten“ Kaf­fee gibt. Plötz­lich erschei­nen mir all unse­re The­men zu tri­vi­al. Gene­rell ist die­ser Wunsch „erst­mal“ eine Tas­se Kaf­fee zu trin­ken auf die­ser Rei­se häu­fig da, und wenn er erfüllt wird, kann das ein ech­tes emo­tio­na­les Hoch zur Fol­ge haben.

17 Kilo­me­ter süd­lich von Phnom Penh, in Cho­eung Ek, befin­den sich die soge­nann­ten Kil­ling Fields. Der Ort, an den die Insas­sen des Tuol Sleng Gefäng­nis­ses gebracht wur­den, um hin­ge­rich­tet zu wer­den. In der Dun­kel­heit, gekne­belt und gefes­selt, wur­den die Häft­lin­ge Last­wa­gen­wei­se dort­hin gekarrt. Wir fah­ren die­sel­be Rou­te per Tuk Tuk über die­se stau­bi­gen, unver­sie­gel­ten Stra­ßen außer­halb Phnom Penhs.

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Bei den Kil­ling Fields unter­hal­ten sich die Besu­cher kaum unter­ein­an­der. Das liegt zum Einen dar­an, dass jeder ein Audio­gui­de im Ohr hat, aber vor allem dar­an, dass Vie­len die Grau­sam­keit die­ses Ortes wie kör­per­li­cher Schmerz im Gesicht steht. Der Rund­gang führt ent­lang von Mas­sen­grä­bern. Man erfährt, dass die roten Khmer Gewehr­mu­ni­ti­on spa­ren muss­ten und ihre Opfer daher vor allem durch einen geziel­ten Schlag mit der Gewehr­rück­sei­te auf den Hin­ter­kopf töte­ten. Am Weges­rand ent­deckt man Kno­chen­split­ter und Klei­dungs­fet­zen, und wie­der wird der Ein­druck plötz­lich unheim­lich greif­bar. Der Audio­gui­de lotst uns zum soge­nann­ten Kil­ling Tree. Gegen die­sen Baum wur­den, ja wirk­lich, Säug­lin­ge geschmet­tert, um ihnen das Leben aus­zu­hau­chen. Ich fin­de kei­ne Ebe­ne auf der ich so etwas begrei­fen könn­te. So tra­ge ich das Gese­he­ne wie eine Last mit mir her­um. Mir fällt auf, wie ich danach in den Gesprä­chen „das Gute“ in mei­nem Gegen­über suche, als wol­le ich den Glau­ben an die Mensch­heit zurück­ge­win­nen.

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 In der Gegen­wart erle­ben wir Phnom Penh zumin­dest an der Ober­flä­che als fried­lich. Oft lau­fen wir, wie so häu­fig, ein­fach durch die Stadt. Man nimmt links und rechts ein paar inter­es­san­te Din­ge wahr, weist ein­an­der auf Kurio­si­tä­ten hin und gerät mit­un­ter in mehr oder weni­ger inter­es­san­te Kon­ver­sa­tio­nen. Wir spre­chen mit einem deut­schen Aus­wan­de­rer, der mitt­ler­wei­le sein zwei­tes Restau­rant in der Stadt eröff­net hat. Mit sei­nem Geschäfts­part­ner hat er sich über­wor­fen, die bei­den tref­fen sich dem­nächst vor Gericht. 60–80€ sei der gän­gi­ge Monats­lohn in der Gas­tro­no­mie. Zitat des Tages: „Die Khmer haben kei­ne Kul­tur“.

Eini­ge Khmer bekla­gen sich über die Kor­rup­ti­on in ihrem Land, haben kein Ver­trau­en in ihre Volks­ver­tre­ter. Mir fällt auf, dass vie­le unse­rer Gesprächs­part­ner ihre Stim­me sen­ken und sich ner­vös umbli­cken, wenn sie Kri­tik an ihrer Regie­rung üben. In Kam­bo­dscha habe ich, mehr denn je, das Gefühl, dass über vie­le The­men der berühm­te „Man­tel des Schwei­gens“ gehüllt wird. Die Vor­sicht ist gut begrün­det: kurz nach­dem wir Phnom Penh ver­las­sen erfah­ren wir von 3 Toten Tex­til­ar­bei­tern, die für höhe­re Löh­ne demons­triert hat­ten. Sie wur­den von der Poli­zei erschos­sen.

Wer sich in der Beur­tei­lung des Wohl­stands eines Lan­des auf sei­ne visu­el­len Ein­drü­cke ver­lässt, läuft Gefahr, die Lage falsch ein­zu­schät­zen. Phnom Penh ist voll von Restau­rants, Shops und Bars, wie man sie aus New York und Lon­don kennt. Tee­nies, geklei­det wie aus dem Mode­ka­ta­log, sit­zen am Abend in „Roof­top­bars“ und machen Selbst­por­traits mit ihren Smart­phones. Ein paar Stra­ßen­zü­ge wei­ter ren­nen ein paar Stra­ßen­kin­der auf mich zu, weil sie erken­nen, dass ich eine spär­lich gefüll­te Was­ser­fla­sche in der Hand hal­te. Sie rei­ßen sie mir aus der Hand und schub­sen sich gegen­sei­tig auf den Boden um einen Schluck Was­ser abzu­be­kom­men. Die­se Koexis­tenz von arm und reich auf so engem Raum ist für mich immer befremd­lich. Die Armen zu mit­tel­los um etwas zu ändern, die Rei­chen stets bemüht den Sta­tus Quo zu kon­ser­vie­ren.

Die Erkennt­nis: Der Erwar­tungs­hal­tung des Rei­se­blog­gers ein paar Tage in Phnom Penh zu ver­brin­gen und danach einen Bericht dar­über zu schrei­ben wie es „dort so ist“ kann kaum ent­spro­chen wer­den. Manch­mal ist es Zufall an wel­chen Men­schen man gerät, wel­che Situa­tio­nen man vor­fin­det. Der eine wird vom Taxi­fah­rer abge­zockt, der ande­re nicht. Was der eine nor­mal fin­det, scho­ckiert den ande­ren. Was den einen berührt, lässt den ande­ren kalt. Man schaut immer durch sei­ne per­sön­li­che Bril­le. Alles ist Sub­jek­tiv. Immer.

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Antworten

  1. Avatar von Sandra

    Soeben habe ich den Bericht über Kam­bo­dscha gele­sen. Es ist wirk­lich schwie­rig, die­se Gräu­el­ta­ten der roten Khmer in Wor­te fas­sen zu kön­nen. Ihr habt sie jedoch sehr gut getrof­fen. Wir waren anfangs 2000 in Kam­bo­dscha. Vor der Ein­rei­se habe ich mich damals inten­siv mit der Geschich­te Kam­bo­dschas befasst, was mir noch mehr Ein­drü­cke ver­mit­tel­te. Wir kamen auf dem Land­weg aus Thai­land und sind auf die­sem Weg bis nach Pnomh Penh gereist. Auf der gan­zen Rei­se ist uns auf­ge­fal­len, dass es kaum älte­re Leu­te gab. Die Kil­ling Fields sowie das Gefäng­nis und die Armut haben uns dann ver­an­lasst, Kam­bo­dscha schon etwas frü­her zu ver­las­sen. Zu stark waren unse­re Emo­tio­nen zu die­sem Zeit­punkt.

    1. Avatar von Stefan

      Hey San­dra,

      dan­ke, dass auch du dei­ne Ein­drü­cke teilst. Letzt­lich habe ich ein­fach auf­ge­schrie­ben, was ich so emp­fun­den habe, wäh­rend unse­rer Zeit in Pnomh Penh. Ich kann jeden ver­ste­hen, dem die­se grau­sa­me Geschich­te, gepaart mit sehr gegen­wär­ti­ger Armut, ein­fach irgend­wann zu viel wird.

      Alles Lie­be!

  2. Avatar von Darius

    Hal­lo ihr bei­den,
    Gera­de habe ich euren Arti­kel zu Tuol Sleng gele­sen und hat die­ses schwer zu beschrei­ben­de Gefühl wie­der auf­le­ben las­sen, das ich selbst wäh­rend des Besuchs dort gehabt habe. Es war auch für uns nicht ein­fach, in unse­rem Blog­ein­trag die dor­ti­ge Stim­mung zu ver­mit­teln. Eine Mischung aus Gedenk­stät­te und Tou­ris­ten­at­trak­ti­on, die Gän­se­haut ver­ur­sacht …
    Vie­len Dank für euren berüh­ren­den Bericht!

    1. Avatar von Aylin

      Hey Dari­us, Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar. Ich kann gut ver­ste­hen, dass es euch auch nicht leicht fiel, über die­sen Ort zu schrei­ben. Umso mehr freue ich mich, dass Dich unse­re Gedan­ken berührt haben.

      LG und alles Gute, Aylin

  3. Avatar von Yasmin
    Yasmin

    Mein Auf­ent­halt in Phnom Penh ist nun fast ein Monat her und obwohl ich seit­dem schon wie­der unheim­lich viel erlebt habe, ist vor­al­lem die Geschich­te des Lan­des und die kon­trast­rei­che Gesell­schaft eine der inten­sives­ten und tief­grei­fens­ten Erleb­nis­se gewe­sen, die ich in den letz­ten 3 Mona­ten auf mei­ner Rei­se erfah­ren durf­te! Ich fin­de euren Arti­kel wun­der­bar und ziem­lich gut getrof­fen! Wei­ter so!

    1. Avatar von Stefan

      Dan­ke Yas­min,

      »inten­siv« ist genau das rich­ti­ge Wort! Ein Bericht dazu aus dei­ner Per­spek­ti­ve wuer­de mich inter­es­sie­ren – da wae­ren sicher wie­der ganz neue Ansaet­ze dabei.

      Lie­be Grues­se!

  4. Avatar von regina

    Hal­lo ihr bei­den, sehr schö­ner und vor allem tief­grün­di­ger Bericht. Ich konn­te mei­ne Gedan­ken lei­der nicht so detail­liert nie­der schrei­ben, da sie doch sehr weit­ge­hend sind. Mein letz­ter Blog­post war auch zu Phnom Phen, aller­dings etwas mehr an der Ober­flä­che. Euch eine gute Rei­se !!! Regi­na

    1. Avatar von Stefan

      Hey Regi­na,
      vie­len Dank fuer das Lob. Dei­ne »weit­ge­hen­den« Gedan­ken haet­ten mich per­soen­lich sehr inter­es­siert! Gute Rei­se auch Dir!

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