Vom Leben mit dem Meer

Salz auf der Zun­ge, Wind in den Haa­ren, Sand unter den Füßen und der Blick in die Fer­ne – Meer, gera­de für uns in Deutsch­land ist das gera­de­zu ein Syn­onym für »Urlaub«. Plant­schen zwi­schen ruhi­gen Wel­len, son­nen­ba­den mit Blick auf den fer­nen Hori­zont, auf dem Surf­brett durch die spru­deln­de Gischt bret­tern. Das Meer ist Ent­span­nung und Spaß, Fern­weh-Fak­tor Num­mer eins und Garant für kit­schi­ge Son­nen­un­ter­gän­ge – für die Tou­ris­ten. Ein­hei­mi­sche haben meist eine ganz ande­re Bezie­hung zu ihrem Oze­an, ihrer Küs­te. Für sie ist das Meer Iden­ti­tät und Gren­ze, Arbeits­platz und Wild­nis, All­tag und Frem­de.

Kaum irgend­wo wird das so deut­lich wie in der Bre­ta­gne, die­sem Land­strich zwi­schen Ärmel­ka­nal und Atlan­tik, vor des­sen Küs­te wil­de Strö­mun­gen und scharf­kan­ti­ge Fel­sen die See­leu­te um den Ver­stand brin­gen. Am Meer leben heißt hier mit dem Meer leben, und das ist alles ande­re als eine Wahl – dem Wind und den Wel­len kann sich nie­mand ent­zie­hen.

Kapitel 1: Die Wellen

Frü­he Flü­ge, Flug­ha­fen­cha­os, dar­aus resul­tie­ren­de Ver­spä­tung und eine Umstei­ge­zeit von 10 Minu­ten in Paris-CDG machen unse­re Anrei­se zu einem klei­nen Aben­teu­er. Zu allem Übel haben Bea­tri­ce und ich es zwar als Letz­te in den Flie­ger geschafft, unser Gepäck jedoch nicht – wir haben nur unser Hand­ge­päck dabei, und das, was wir am Kör­per tra­gen. Viel­leicht fin­den wir es des­halb erst mal gar nicht so schlimm, als wir zum Start des Bre­ta­gne-Pro­gramms zusätz­lich zu unse­ren Kajaks direkt Neo­pren­an­zü­ge aus­ge­hän­digt bekom­men. Schlu­cken muss ich, als ich mich hin­ein­ge­zwängt habe, dann doch beim Blick aufs Was­ser: Der Wind türmt die Wel­len zu klei­nen Ber­gen auf, wei­ße Schaum­kro­nen tan­zen wild auf und ab. Je näher wir dem Steg kom­men, von dem aus wir uns ins Nass stür­zen sol­len, des­to mehr wird aus dem Opti­mis­mus in unse­ren Gesich­tern zwei­feln­des Stirn­run­zeln.

Wäh­rend wir damit beschäf­tigt sind, die Kajaks bis zum Was­ser zu tra­gen, legt neben­an schau­kelnd ein Boot an. Ob es nicht ein biss­chen win­dig wäre für die Kajaks, will der Kapi­tän wis­sen, und wir fra­gen uns stumm das­sel­be. Außer Nina ist noch nie­mand von uns jemals in einem Kajak geses­sen. In die all­ge­mei­ne Rat­lo­sig­keit mischt sich Jean-Marie, der uns die Boo­te ver­mie­tet, mit einem über­zeug­ten »It’s no pro­blem!« Er selbst möch­te trotz­dem nicht mit­fah­ren, weist uns nur den Weg: Etwa andert­halb Kilo­me­ter geht es durch die Wel­len zur Insel Île de Vier­ge, den Leucht­turm kön­nen wir nicht ver­feh­len. Frös­telnd und mit ver­schränk­ten Armen sehen wir Jean-Marie dabei zu, wie er uns eine Ein­wei­sung gibt, die die­sen Namen wohl kaum ver­dient hat: Drauf­set­zen und pad­deln. No pro­blem.

Jean-Marie scheint unse­re Zwei­fel nicht zu tei­len oder nicht unbe­dingt ernst zu neh­men, denn schnel­ler, als ich schau­en kann, hat er bereits die ers­ten Boo­te mit­samt Insas­sen ins Was­ser gescho­ben, wo sie von den Wel­len erfasst wer­den – und direkt ken­tern. Zehn Minu­ten, ein paar Ver­su­che und eine klei­ne Ret­tungs­ak­ti­on spä­ter, geken­tert, abge­trie­ben, halb ver­schluckt von den Wel­len, müs­sen wir uns ein­ge­ste­hen: Ganz so pro­blem­los ist das nicht, das mit dem Meer.

Eine Rei­se in die Bre­ta­gne, das mer­ke ich direkt hier in Plou­guer­neau, am ers­ten Stop unse­res Road Trips, kann eine ganz gute Lek­ti­on in Sachen Demut sein. Gegen­über den Ele­men­ten, gegen­über den Gezei­ten und dem Meer an sich. Sich die eige­nen Unzu­läng­lich­kei­ten bewusst machen, das ist viel­leicht schmerz­haft, aber auch ab und an ganz lehr­reich. Heu­te, hier in der Bre­ta­gne, ist es vor allem kalt. In den Neo­pren­an­zü­gen, eini­ge von uns immer noch klatsch­nass, tra­gen wir unter dem ver­ächt­li­chen Blick Jean-Maries, dem wohl das fran­zö­si­sche Wort für »Weich­ei­er« im Kopf her­um­spukt, die Kajaks davon und stei­gen statt­des­sen auf ein klei­nes Boot, das uns in weni­gen wack­li­gen Minu­ten auf die Insel bringt.

Die Schmer­zen kom­men auch noch, in Form klei­ner Stei­ne, die das Betre­ten der Insel bar­fuß zur Tor­tur machen. Und in unse­ren Ober­schen­keln, als wir die 397 Stu­fen erklim­men, die es im Leucht­turm kreis­rund nach oben geht. Unser per­sön­li­cher Slo­gan für die Bre­ta­gne steht jetzt schon fest: Ist sie zu stark, bist du zu schwach.

Der Leucht­turm ver­söhnt uns zum Glück mit einer spek­ta­ku­lä­ren Aus­sicht in alle Rich­tun­gen und der per­fek­ten Spi­ra­le, als wel­che sich die Trep­pe von unten betrach­ten lässt. Über 82 Meter ist er hoch und damit der höchs­te Leucht­turm Euro­pas. Seit über 100 Jah­ren steht er auf der Insel, die bei Ebbe tat­säch­lich zu Fuß erreich­bar ist – etwas, das ich beim aktu­el­len Wel­len­gang kaum glau­ben möch­te. Sein Licht reicht gan­ze 50 Kilo­me­ter weit, betrie­ben nur von einer klei­nen Glüh­bir­ne, die über meh­re­re Glä­ser immer wie­der ver­grö­ßert wird. 2010 ist der letz­te Leucht­turm­wär­ter hier aus­ge­zo­gen, die Steue­rung ist mitt­ler­wei­le auto­ma­tisch.

Die Wel­len spü­ren, das dür­fen wir auch am zwei­ten Tag: Früh mor­gens stei­gen wir mit unse­rem Gui­de Clau­de auf sein Boot, um Aus­schau nach Kegel­rob­ben zu hal­ten. Wie­der heißt der Dress­code Neo­pren­an­zug. Das Meer liegt so ruhig da, als hät­te es nie etwas von Wel­len­gang gehört, die Son­ne scheint ein sanf­tes Herbst­licht auf den Strand. Doch wir haben eini­ges an Stre­cke vor uns, und Clau­de gibt ordent­lich Gas. Das Boot hat kei­ne Sit­ze, und bei jeder Wel­le muss ich mich an die Reling klam­mern, um nicht über Bord zu gehen. Mein Kör­per wird nach oben gewor­fen und sackt wie­der nach unten, es braucht nur Minu­ten, bis sich mein Hin­tern anfühlt, als wür­de er nur noch aus blau­en Fle­cken bestehen. Dazu der gele­gent­li­che Schwall Salz­was­ser ins Gesicht. Wir kön­nen nicht anders, als dar­über zu lachen – etwas ande­res als so eine Aben­teu­er-Boots­fahrt hat­ten wir schließ­lich nicht erwar­tet, hier in der Bre­ta­gne.

Und auch die lan­ge, anstren­gen­de Fahrt lohnt sich: Die Rob­ben schwim­men direkt vor uns, unter uns, neben uns durchs Was­ser. Wie sie ihre Köp­fe aus dem Was­ser stre­cken, um uns neu­gie­rig anzu­gu­cken und schließ­lich unschlüs­sig wie­der abzu­tau­chen, erin­nern sie mich an Erd­männ­chen – man kann nicht anders, als bei die­sem Anblick direkt gute Lau­ne zu bekom­men.

Kapitel 2: Die Tide

An unse­rem ers­ten Tag keh­ren wir abends noch ein­mal zum Ort unse­rer Nie­der­la­ge zurück. Dort, wo Jean-Marie uns ins Was­ser geschubst hat, steht das Was­ser noch, doch direkt unter der Kai­mau­er ist nur noch Sand. Die Land­schaft hat sich voll­kom­men ver­än­dert: Die Boo­te, die zuvor ange­ket­tet auf den Wel­len tanz­ten, lie­gen nun erschlafft auf dem Mee­res­bo­den. Es wird sicht­bar, was zuvor ver­bor­gen lag, Algen, ein regel­rech­ter Tep­pich, die ver­schie­dens­ten Sor­ten und Far­ben, Mee­res­tie­re oder zumin­dest deren leb­lo­se Scha­len, das eine oder ande­re ver­lo­re­ne Fund­stück. Die auf­ge­zo­ge­nen Wol­ken tau­chen die Sze­ne­rie in ein düs­te­res Licht, eine Mischung aus Tris­tesse und End­zeit­stim­mung.

Die Gezei­ten bestim­men das Leben in der Bre­ta­gne wie kaum ein ande­rer Effekt des Mee­res. Bis zu 14 Meter Was­ser kön­nen bei Ebbe ver­schwin­den – kilo­me­ter­weit hat man dann Sand. Bei Saint-Malo im Osten der Bre­ta­gne kann man den höchs­ten Tiden­hub Euro­pas erle­ben. So viel Was­ser, ein­fach ver­schwun­den. Frü­her fand ich Ebbe immer doof – Was­ser weg, es stinkt und der Boden ist glit­schig vor lau­ter Algen. Am Strand von Plou­guer­neau bin ich ein­fach nur beein­druckt davon, wie ich den Ort kaum mehr wie­der­erken­ne, ganz ohne Meer.

Nicht nur direkt an der Küs­te sind die Tide spür­bar, auch in den Fluss­adern, die das Land durch­zie­hen: So wie die Fjor­de in Nor­we­gen hat die Bre­ta­gne die »Abers«, die zwar nicht durch Glet­scher, son­dern durch Absen­kun­gen ent­stan­den sind, das Land aber ähn­lich beein­dru­ckend ein­schnei­den. Wenn Ebbe ist, ver­schwin­det das Was­ser auch hier, die Flüs­se lie­gen teils wie aus­ge­trock­net in der Land­schaft.

Kein Wun­der, dass in der Bre­ta­gne so gut wie jeder einen Tiden­ka­len­der in der Tasche hat – oder eine ent­spre­chen­de App auf dem Smart­phone. Beson­ders wich­tig sind die Gezei­ten aber natür­lich für Fischer und alle ande­ren, die am Meer mit Tie­ren und Pflan­zen zu tun haben, denn alles Leben unter Was­ser wird von Ebbe und Flut bestimmt. Auch eini­ge Spe­zia­li­tä­ten, für die die Bre­ta­gne bekannt ist, hän­gen von den Tiden ab – die Aus­tern bei­spiels­wei­se, die wir in Can­ca­le in der Nähe von Saint-Malo pro­bie­ren kön­nen. Bei Ebbe ver­wan­delt sich das Meer hin­ter dem Hafen in eine rie­si­ge Sand­flä­che vol­ler Aus­tern­käs­ten. Durch die Rei­hen dazwi­schen fah­ren Trak­to­ren. Nur die Boo­te, die dahin­ter schief im Sand ste­cken, ver­ra­ten, dass in ein paar Stun­den das Was­ser zurück­kom­men wird, das Meer sich den Strand zurück­er­obern wird. Ein biss­chen Salz­was­ser von der letz­ten Flut haben die Aus­tern auf jeden Fall gespei­chert, das schmeckt man deut­lich.

Auch die Algen, die auf dem Mee­res­bo­den wach­sen, sind in der Bre­ta­gne eine Spe­zia­li­tät, die sich bei Ebbe ern­ten lässt. Gera­de in den Abers fin­det man sie, denn hier ist es flach und die Son­ne kann ihre gan­ze Wir­kung ent­fal­ten – idea­le Wachs­tums­be­din­gun­gen. Es gibt die ver­schie­dens­ten Far­ben und For­men, die man für unter­schied­li­che Zwe­cke in der Küche ein­set­zen kann. Und wie wir in den nächs­ten Tagen ler­nen, gibt es kaum etwas, das es nicht in der Geschmacks­rich­tung »Alge« gibt: Algen­sa­lat, Algen­nu­deln, Algen­pes­to, Algen­kek­se, Algen-Galet­te, Algen-Kara­mell… Man­geln­de Expe­ri­men­tier­freu­de kann man den Bre­to­nen auf jeden Fall nicht vor­wer­fen!

Kapitel 3: Der Sturm

Schon als ich an unse­rem zwei­ten Rei­se­tag spät abends im Bett lie­ge, tut mir alles weh. Dabei haben wir, was Wel­len angeht, in unse­ren Tagen in der Bre­ta­gne ja wirk­lich noch gar nichts erlebt. Gutes Wet­ter und maxi­mal eine stei­fe Bri­se – idea­le Schiff­fahrts­be­din­gun­gen, also. Das Meer ist hier von sich aus schon wild: Zusätz­lich zu den extre­men Gezei­ten­än­de­run­gen wüten an der Gren­ze zwi­schen Ärmel­ka­nal und Atlan­tik wil­de Strö­mun­gen zwi­schen her­aus­ste­chen­den Fels­in­seln. Seit jeher ist die bre­to­ni­sche Küs­te eine Her­aus­for­de­rung für Kapi­tä­ne und Steu­er­män­ner. Das ist auch der Grund, war­um es in der Bre­ta­gne so vie­le Leucht­tür­me auf einem Fleck gibt wie an kei­nem ande­ren Ort in Euro­pa. Auch heu­te noch sind sie über­le­bens­wich­tig für die Schif­fe, die um die Halb­in­sel her­um­fah­ren.

Aber das Wet­ter in der Bre­ta­gne ist unbe­re­chen­bar. Mehr als ein­mal pas­siert es uns, dass Ein­hei­mi­sche uns in Restau­rants nach drin­nen trei­ben, wäh­rend drau­ßen die Son­ne noch strah­lend auf die Tische scheint – und es tat­säch­lich anfängt zu schüt­ten, sobald wir unse­re Tel­ler und Glä­ser hin­ein­ge­tra­gen haben.

Mehr als abwechs­lungs­rei­ches Wet­ter und wil­des Meer, eine gefähr­li­che Mischung. Die meis­ten Leucht­tür­me sind etwa fünf­zig Meter hoch. Da ab und an Dächer oder Glüh­bir­nen ein­ge­schla­gen wer­den, weiß man, dass Wel­len bei Sturm tat­säch­lich die­se Höhe errei­chen – also so hoch wie ein Gebäu­de mit 17 Stock­wer­ken. Bekannt gewor­den ist das Foto von Jean Gui­chard, der sich mit einem Heli­ko­pter übers Meer flie­gen ließ, um einen hef­ti­gen Sturm zu foto­gra­fie­ren. Als er einen Leucht­turm über­quer­te, hielt der dort sta­tio­nier­te Leucht­turm­wär­ter das Roto­ren­ge­räusch für den Ret­tungs­hub­schrau­ber, der ihn aus dem Sturm holen soll­te – und trat vor die Tür, und damit vor eine rie­si­ge Wel­le.

In der Bre­ta­gne ste­hen gan­ze 52 Leucht­tür­me, mehr als ein Drit­tel der Leucht­tür­me Frank­reichs. Eini­ge von ihnen ste­hen an Land, ande­re, wie der Leucht­turm auf der Île de Vier­ge, auf Inseln, und man­che ste­hen nur auf Fel­sen, mit­ten im Meer. Letz­te­re sind bau­lich eine ganz schö­ne Her­aus­for­de­rung – der Leucht­turm Ar-Men befand sich sogar in einer Zone so schwie­ri­ger Bedin­gun­gen, dass man kaum Zeit fand, an ihm zu bau­en. Im Jahr 1867 konn­te man nur acht Stun­den lang bau­en. Noch dazu war es häu­fig schwie­rig, die Arbei­ter recht­zei­tig wie­der zu eva­ku­ie­ren, und im Lauf der Zeit wur­de das Gebau­te häu­fig wie­der vom Wel­len­gang zer­stört. Kein Wun­der, dass man bis zur Fer­tig­stel­lung gan­ze 14 Jah­re benö­tig­te.

Kapitel 4: Die Einsamkeit

Der Leucht­turm­wär­ter ist wohl das Kli­schee des ein­sa­men Berufs – in der Bre­ta­gne viel­leicht noch extre­mer als anders­wo. Unter den jun­gen Män­nern waren die Leucht­tür­me, die mit­ten im Meer stan­den, frü­her als »Höl­len« bekannt. Auch die auf Inseln wur­den immer noch »Fege­feu­er« genannt, nur die am Fest­land beka­men den Bei­na­men »Para­die­se«. In Letz­te­ren wur­den ohne­hin nur älte­re Leucht­turm­wär­ter sta­tio­niert – die Jün­ge­ren muss­ten sich zunächst in den Höl­len bewei­sen und wochen- oder gar mona­te­lang voll­kom­men allein im Nir­gend­wo aus­har­ren. Ob und wann sie wie­der zurück ans Fest­land konn­ten, hing auch von den Wet­ter­be­din­gun­gen ab. Die längs­te Zeit, die ein Leucht­turm­wär­ter ein­mal voll­kom­men allei­ne mit­ten im Meer ver­brin­gen muss­te, waren gan­ze 101 Tage.

Kein Wun­der, dass vie­le der Leucht­turm­wär­ter in die­ser Ein­sam­keit ver­rückt wur­den. Ein beson­ders abge­le­ge­ner Leucht­turm galt unter ihnen sogar als ver­flucht, denn angeb­lich kehr­te jeder von dort wahn­sin­nig zurück.

Heu­te läuft in den Leucht­tür­men alles auto­ma­tisch ab, Leucht­turm­wär­ter braucht es nicht mehr. Der letz­te von ihnen ist in der Bre­ta­gne 2015 in Ren­te gegan­gen, die­se end­lo­se Ein­sam­keit muss heu­te kei­ner mehr ertra­gen.

Doch ein biss­chen Ein­sam­keit kann ja auch mal ganz schön sein, und das Meer gibt einem die bes­te Mög­lich­keit dafür. Wir stel­len das fest, als wir an unse­rem drit­ten Rei­se­tag wie­der mit dem Boot nach drau­ßen fah­ren, dies­mal auf der Suche nach Del­fi­nen. Irgend­wann sind wir ein­fach mit­ten im Meer, zu jeder Sei­te nur Wel­len und ein paar Wol­ken am Hori­zont. Gesell­schaft leis­tet uns eine Möwe, die sich ent­spannt auf dem wip­pen­den Was­ser trei­ben lässt. Die Del­fi­ne, nach denen wir Aus­schau hal­ten sol­len, habe ich bald ver­ges­sen, ich genie­ße ein­fach nur die­sen unglaub­lich wei­ten Blick. Nur wir, nur die­ses eine Boot, nie­mand sonst, wie wir still im Was­ser trei­ben, ein fas­zi­nie­ren­des Gefühl.

Die Ein­sam­keit ist ein Gefühl, das die Bre­ta­gne geprägt hat. Mit ihr kam die Eigen­stän­dig­keit – wir ste­hen hier zwar in Frank­reich, aber irgend­wie auch wie­der nicht. Die Bre­ta­gne hat eige­ne Tra­di­tio­nen, eige­ne Spe­zia­li­tä­ten und eine eige­ne Spra­che, die für Außen­ste­hen­de ähn­lich unlern­bar erscheint wie Fin­nisch oder Islän­disch. Bis ich mir das Wort für »Prost« mer­ken kann, ver­ge­hen drei Glä­ser Cid­re, und eine Stun­de spä­ter habe ich es wie­der ver­ges­sen. Als ich es mir notie­ren will, der nächs­te Schock: Was sich wie »Jer­matt« aus­spricht, wird auf ein­mal »Yec’hed mat« geschrie­ben. Da sind wir wie­der beim Aus­gangs­the­ma – ist sie zu hart, bist du zu schwach.

Die Bre­to­nen sind wider­stän­dig und stolz, ein Teil von Frank­reich und doch etwas Eige­nes. Die offi­zi­el­le Anglie­de­rung an Frank­reich erfolg­te zwar schon im 16. Jahr­hun­dert, das Bre­to­ni­sche hat jedoch bis heu­te über­lebt und wird auch an Schu­len unter­rich­tet. Es ist kein Zufall, dass auch das gal­li­sche Dorf von Aste­rix und Obe­lix, das sich so tap­fer gegen die Römer wehr­te, in der Bre­ta­gne liegt.

Kapitel 5: Die Schönheit

Dass die Bre­ta­gne wirk­lich ein Teil von Frank­reich ist, sieht man spä­tes­tens, wenn man im Restau­rant bestellt. Schlem­men ohne Gren­zen – ohne ein Glas pas­sen­den Wein zu jedem Gang und ein ordent­li­ches Des­sert will man uns gar nicht gehen las­sen. Tra­di­tio­nell isst man in der Bre­ta­gne Crê­pes und Galet­tes, frü­her mal eine Art Arme-Leu­te-Essen, heu­te in so vie­len krea­ti­ven Vari­an­ten prä­sen­tiert, dass einem fast schwin­de­lig wird. Ich selbst befin­de mich in der Bre­ta­gne im Salz­ka­ra­mell-Him­mel und könn­te mich wahr­schein­lich nur noch davon ernäh­ren, ergänzt durch den süßen Cid­re. Das har­te Leben am Meer und der für uns Deut­sche fast über­trie­be­ne Hang zum aus­schwei­fen­den Genuss, eine unge­wöhn­li­che Mischung. Aber war­um soll­te man nicht dafür sor­gen, dass die müh­sam auf den Tel­ler gebrach­ten Aus­tern, Hum­mer, Fische oder Algen eine wür­di­ge Zube­rei­tung erfah­ren? Viel­leicht ist in der Küche der Punkt, an dem sich das Kel­ti­sche und das Fran­zö­si­sche begeg­nen.

Die Bre­ta­gne ist hart und rau – und schön zugleich. Nicht nur ihre Eigen­stän­dig­keit macht die Bre­ta­gne beson­ders, son­dern auch die­se fas­zi­nie­rend wil­de Land­schaft. Am Meer und im Land – wir trau­en unse­ren Augen kaum, als wir zwi­schen den Hügeln der Monts d’Ar­rée ste­hen. Die Mondlan­schaft aus Hei­de­kraut, Fel­sen und Moor­ge­bie­ten ver­strömt eine bei­na­he mys­ti­sche Stim­mung, gera­de, wenn sich, wie jetzt, die Wol­ken zusam­men­zie­hen. Bei kla­rem Wet­ter sieht man von hier bis aufs Meer. Ein ganz ande­res Bild das Städt­chen Saint-Malo, des­sen his­to­ri­scher Stadt­kern als Fes­tung mit­ten ins Meer hin­ein­ragt und dicke Mau­ern aus der Pira­ten­ver­gan­gen­heit zur Schau stellt.

Mein pri­va­tes Bre­ta­gne-High­light habe ich dann aller­dings in der letz­ten Nacht. »Du hast Glück«, erklärt mir der Hotel­re­zep­tio­nist und schwenkt mei­nen Zim­mer­schlüs­sel in sei­nen Fin­gern. Ich darf zum Meer­blick. Etwas hib­be­lig ste­he ich neben dem Bett und mache immer wie­der fas­zi­niert die Tür zum win­zi­gen Bal­kon auf, um das Wel­len­rau­schen zu hören, bis mir halb die Zehen abfrie­ren. Mei­nen Wecker stel­le ich nach einem Check der Son­nen­auf­gangs­zeit um sechs und bin am nächs­ten Mor­gen erst ent­täuscht – alles grau, alles umsonst. Aber dann schleicht sich nach und nach ein wenig Rot in die Wol­ken, und am Ende blei­ben auf­ge­türm­te wei­ße Ber­ge, die sanft vom Mor­gen­licht bemalt wer­den und sich vor­sich­tig auf den Wel­len spie­geln. Meer­blick beim Zäh­ne­put­zen, das könn­te ich auch jeden Tag haben.

Mehr Infor­ma­tio­nen
Für mehr Infor­ma­tio­nen lei­te ich euch ger­ne an mei­ne Kol­le­gin­nen wei­ter: Lau­ra hat auf Try Try Try einen aus­führ­li­chen Tra­vel Gui­de mit vie­len Tipps und Links ver­öf­fent­licht. Auf ihrem You­tube-Kanal fin­det ihr außer­dem ein rich­tig coo­les Video, in dem ich auch rum­hüp­fe. Nina von Rei­seh­ap­pen hat über die echt bre­to­ni­schen Erleb­nis­se geschrie­ben und alle Restau­rant­tipps auf­ge­lis­tet. Außer­dem hat sie einen Arti­kel über 17 bre­to­ni­sche Spe­zia­li­tä­ten geschrie­ben, die man im Urlaub pro­bie­ren muss – den ich abso­lut so unter­schrei­ben wür­de. Bei Bea­tri­ce von Rei­se­zei­len gibt’s einen tol­len Haut­nah-Bericht vom Schnor­cheln mit den Kegel­rob­ben und eine Lis­te von 10 Din­gen, die ihr wahr­schein­lich noch nicht über die Bre­ta­gne wuss­tet – inklu­si­ve vie­ler Infos zum The­ma Nach­hal­tig­keit.

Die echt bre­to­ni­schen Erleb­nis­se
In der Bre­ta­gne gibt es eine tol­le Mög­lich­keit, sich Akti­vi­tä­ten für den eige­nen Urlaub aus­zu­su­chen und zusam­men­zu­stel­len: Die echt bre­to­ni­schen Erleb­nis­se. Die Idee dahin­ter ist, dass Bre­to­nen Besu­chern ihre Regi­on vor­stel­len und sie qua­si mit in ihren All­tag neh­men. So kann man bei­spiels­wei­se mit einem Fischer aufs Meer fah­ren, in einer Crê­pe­rie mit­hel­fen oder sich von einem Aus­tern­züch­ter alles über die Aus­tern­bän­ke zei­gen las­sen. Neben unse­rem erfolg­rei­chen Kajak­ver­such sind wir mit Kegel­rob­ben geschwom­men, haben eine Del­fin-Tour unter­nom­men und zum Abschluss noch bre­to­ni­sche Kek­se bei Mai­son Guel­la geba­cken.

Mei­ne per­sön­li­chen High­lights
Neben den echt bre­to­ni­schen Erleb­nis­sen möch­te ich euch ger­ne noch ein paar wei­te­re Sachen emp­feh­len, die mich in der Bre­ta­gne echt vom Hocker gehau­en haben: Den tol­len Meer­blick beim letz­ten Son­nen­auf­gang gab’s im Hotel Les Char­met­tes, die span­nends­ten Crê­pe- und Galet­te-Varia­tio­nen im Breizh Café und das bes­te Abend­essen ein­deu­tig im Restau­rant Absinthe.

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