Was vom Grauen übrig bleibt

Die Son­ne scheint. Frau­en in kur­zen Röcken, Män­ner in Shorts und Flip Flops zie­hen  vor­bei. Fotos wer­den geschos­sen. Es wirkt wie eine tou­ris­ti­sche Sehens­wür­dig­keit. Ausch­witz.

Nein, es sind nicht die so oft ver­teu­fel­ten Jugend­li­chen in ihrem angeb­li­chen Sel­fie-Wahn, die mich erschüt­tern. Die lau­fen betrof­fen durch die Bara­cken. Das Smart­phone weg­ge­steckt. Kei­ne Albern­hei­ten mehr. Kein Kichern vor den Haar­bü­scheln der getö­te­ten Men­schen. Nur Schwei­gen. Und auch kei­ne Gesprä­che vor den 80.000 Schu­hen. Alle haben einen Kloß im Hals und betrach­ten still die roten Pumps mit den Riem­chen oder den einen schwar­zen Leder­schuh, dem die Schnür­sen­kel feh­len.

Auch ich läche­le schon lan­ge nicht mehr. Hier in Ausch­witz. Doch es wur­de Zeit. Ich muss­te und woll­te die­sen Ort besu­chen. In mei­ner Stu­di­en­zeit habe ich vie­le Haus­ar­bei­ten über das Drit­te Reich ver­fasst, hat­te aber nie ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger mit eige­nen Augen gese­hen. Nur die Bil­der kann­te ich. Wie Men­schen so bös­ar­tig sein kön­nen, bleibt mir für immer ein Rät­sel.

Mit all die­sen bedrü­cken­den Gefüh­len hat­te ich gerech­net. Ich wuss­te, das wird hart und es wird mich noch lan­ge beschäf­ti­gen. Aber eine Sache trifft mich unvor­be­rei­tet:

Besu­cher las­sen sich foto­gra­fie­ren – lachend – auf der Ram­pe. Dort wo die Selek­ti­on statt­fand. Grin­send, mit Peace-Zei­chen vor dem Vieh­wag­gon, in dem fast 100 Men­schen ein­ge­sperrt waren auf ihrem Weg in den Tod. So beklagt auch der Spre­cher der Gedenk­stät­te Ausch­witz, dass Besu­cher gar vor den Erschie­ßungs­wän­den Sel­fies »schie­ßen« wür­den.

Und die­se dumm­dreis­ten Denk­zwer­ge sind nicht etwa 14-jäh­ri­ge Halb­reif­lin­ge, die es noch nicht bes­ser wis­sen. Nein, es sind Mitt­vier­zi­ger von über­all her. Ohne Scham. Hier, wo mehr als eine Mil­li­on Men­schen ermor­det wur­den.

Zeigt man so etwas sei­nen Freun­den daheim? Bleibt das vom Grau­en übrig? Ein Foto mit einer däm­li­chen Grin­se­ba­cke im Tou­ris­ten-Hot-Spot Ausch­witz?

Ich bin wütend. Nicht nur auf die­se Hohl­bir­nen, die schon längst den Schrank nicht mehr haben, in dem die Tas­sen feh­len. Ich bin auch wütend auf mich. Dass ich nicht hin­ren­ne und ihnen das Han­dy aus der Hand schla­ge. Zumin­dest ein herz­li­ches »Fuck you« wäre doch drin gewe­sen. Aber ich bin zu geschockt. Es reicht nur für ein ange­wi­der­tes Gesicht. Und wenn ich die­se Zei­len nie­der­schrei­be, so bin ich gleich wie­der ärger­lich auf mich selbst.

Es ist viel­leicht rich­tig, dass auch in Ausch­witz gelacht wer­den soll. Ein­fach, um dem Grau­en etwas ent­ge­gen zu set­zen. Aber Sel­fies oder Grup­pen­fo­tos gehö­ren für mich nicht zu einer respekt­vol­len Auf­ar­bei­tung. Das ist schlicht geschmack­los. Punkt.

The one who does not remem­ber histo­ry is bound to live through it again

- Geor­ge San­ta­ya­na -

Auschwitz2
Das Zitat: »Die haben schon längst nicht mehr den Schrank, in dem die Tassen fehlen« ist ursprünglich vom Kabarettisten Dieter Hildebrandt.

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Antwort

  1. Avatar von Ute

    Es feh­len inzwi­schen lei­der die Leu­te, die in unse­rer Spaß­ge­sell­schaft etwas erzäh­len kön­nen. Fast alle sind tot. Uns hat in die­sem Alter, ein alter Mann mit Trä­nen in den Augen erzählt, was er in The­re­si­en­stadt erlebt hat. Glau­be mir, es hat kei­ner mehr gelacht und auf der Heim­fahrt im Bus , war Toten­stil­le.
    Ich wür­de das Buch »Eine Hand­breit Hoff­nung« von Cla­ra Kra­mer, unbe­dingt als Schul­lek­tü­re emp­feh­len, noch mehr als »Anne Frank«.… Die Auf­zeich­nun­gen eines zwölf­jäh­ri­gen, jüdi­schen Mäd­chens, wel­ches unweit von Ausch­witz, im Kel­ler eines Volks­deut­schen über­lebt hat. Bes­se­ren Geschichts­un­ter­richt kann man nicht bekom­men.
    Aber falls sie die Alter­na­ti­ve wei­ter gewäh­ren las­sen, ist guter Geschichts­un­ter­richt, wohl bald Geschich­te. 🙁