Dein Warenkorb ist gerade leer!
Von den Andamanen nach Kolkata fliegen kommt der Vertreibung aus dem Paradies gleich. Auch wenn ich nun einige große indische Städte gesehen habe, war Kolkata hart. Es gibt diese Momente in Indien, wo die Grenzen des Erträglichen überschritten werden – und ich bin nicht zimperlich. Die Mischung aus Hitze, Gestank, verlogenen Taxifahrern, Lautstärke, Übermüdung machte mich so unglaublich dünnhäutig, dass ich diese Kinder nicht anschauen konnte. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, vielleicht ist es die Erkenntnis, dass es tatsächlich verlorene Seelen gibt.
Der Touristenquote der indischen Bahn sei Dank konnte ich der Hölle am selben Abend nach Varanasi entfliehen. Varanasi, die heilige Stadt der Hindus, das klingt doch nach Erlösung. Wenn also ein verstorbener Hindu zwischen den Flüssen Varuna und Assi am Ganges verbrannt wird, ist das eine gute Sache, weil dann die Seele auf eine höhere Ebene als üblich kommt (kompliziert, man kommt zwar nicht gleich in den Himmel, aber sozusagen kurz davor). Das finden nun auch viele Touristen spannend, und die Geschäftemacher in Varanasi beherrschen virtuos das Spiel der spirituellen Erpressung. Ist man nicht gewillt, den angeblich üblichen Preis für Dienstleistung xy zu zahlen, wird man darauf hingewiesen, dass das nun aber ganz schlecht für das eigene Karma sei.
Erstaunlicherweise funktioniert die Erzeugung von Unwohlsein sogar, obwohl ich gar nicht genau weiß, was ein schlechtes Karma genau für Konsequenzen für mich haben kann. Ein Mann (Funktion ungewiss) wies mich darauf hin, einer Omi Geld zu geben, damit sie sich zu gegebener Zeit auch genug Holz für ihren Scheiterhaufen kaufen kann, und war dann mit meinem gespendeten Geldbetrag nicht einverstanden (also, nicht die Omi war unzufrieden, sondern ihr… sagen wir Sohn). Er wünschte mir schlechtes Karma. Ich wünschte ihm eine Wiedergeburt als Schalke-Fan.
Während all dieser Spiränzchen steht man vor den brennenden Leichen, und da ich in meinem Leben noch keine Kremation live gesehen hatte, war ich wirklich mehr als beeindruckt. Zum Glück hatten wir jemanden zur Seite, der den anfänglichen Ekel mit seinen Erklärungen mindern konnte. Ich meine, man SIEHT, wie die Leichen brennen, man sieht alles. Unser provisorischer guide war ein Österreicher, der seit mehreren Jahren als Guru in Indien lebt und den wir in unserem Hotel trafen, wo er seinen eigenen Opa mit ayurvedischer Medizin von einem Schambeinbruch zu kurieren versuchte, den er sich bei seinem elften Indienurlaub bei einem Sturz zugezogen hatte. Wäre der Guru nicht ganz so wild im Gesicht bemalt gewesen, wäre die Geschichte weniger absurd und ich hätte außerdem nicht nonstop darüber nachdenken müssen, dass Aschermittwoch ist. Egal, ansatzweise haben wir die Verbrennungsgeschichte nun verstanden.
Eigentlich suchen wir zum Ende der Reise mehr Entspannung als Aufregung, daher ging es schnell weiter in die Berge. Über das Transportwesen in Indien habe ich mich überhaupt noch nicht gebührend ausgelassen, dabei ist es doch ganz großer Sport! Teil 1: Bahnfahren (nachts), Varanasi-Delhi, Liegewagen unklimatisiert, 14 Stunden. Zuerst unterschreiben wir bei einem Polizisten, dass wir auf unserem Gepäck schlafen und von niemandem Essen oder Trinken kaufen werden, weil wir nämlich sonst vergiftet werden. Aha.
Ich stelle fest, dass meine Fensterscheibe leider nicht vorhanden ist und kleide mich im Zwiebelsystem. Nachdem sich alle Kinder beruhigt haben, falle ich in leichten Schlaf. Ich erwache im Halbstundentakt, da das Zwiebelsystem unwirksam ist und ich zittere. Gegen 4:30 hat ein Mitreisender Lust, mal ein bisschen Musik zu hören. Leider hat er seine Kopfhörer vergessen und ich habe meine gerade an eine Estin verschenkte. Ich hopse in meinem Schlafsack zu ihm rüber und frage ihn, ob es ihm sehr viel ausmachen würde, die anderen 80 schlafenden Waggoninsassen mit Justin Bieber zu verschonen. Seine Antwort: “What is the problem?” Eine Viertelstunde später betritt der Teeverkäufer die Bühne, der mit angenehmer Bassstimme “Chaaaaai, chaichaichaichaaaaaai!” durch den Wagen brüllt. Kein Wunder, seine Kunden müssen ja erst geweckt werden, bevor sie konsumieren können, da muss man was lauter werden. Dass wir seinen Tee nicht trinken dürfen, weil wir sonst sterben, weiß er nicht. Es folgt ein blinder Sänger (in jedem Zug gibt es genau einen blinden Sänger). Die Sonne geht auf, ich friere weniger. Frisch und ausgeruht, nach Blumen duftend, verlasse ich den nur um zwei Stunden verspäteten Zug.
Teil 2: Busfahren (nachts), Delhi-Dharamsala, Sitzplatz unklimatisiert, elf Stunden. Darüber möchte ich nicht sprechen.
Das Reisen in Indien mag ziemlich anstrengend sein, doch es gibt durchaus sehr bequeme Wege, nach Indien zu kommen: Etwa mit emirates.com, die fünf Städte in allen Ecken Indiens anfliegen: Bangalore, Delhi, Hyderabad, Kozhikode und Trivandrum. Und eine bequeme Anreise ist einiges wert, denn strapazierend wird es in Indien früh genug! 🙂
Erschienen am
Antworten
Köstlich – ach was haben wir gelacht 🙂 Noch gelacht… Die letzte Zugfahrt in Indien ist bereits 7 Tage her und die nächste folgt erst morgen. Noch freuen wir uns, doch bald schon werden wir uns für den Kauf der Sleeper-Tickets wieder hassen 😉
Ich fühle mit euch. Ihr schafft das!!!
Krasser Reisebericht! Ein bißchen bin ich ja geschockt, das mit den »Leichen verbrennen« ist für uns wohlbehütete West-Europäer wohl doch etwas too much. Hut ab, dass Du Dir das so lässig antun konntest. Sehr schöne Bilder, allerdings glaube ich, dass Indien nichts für mich wäre. Gibt bestimmt und mit Sicherheit richtig schöne Ecken, aber irgendwie assoziiere ich mit Indien immer nur »Dreck & Slums«
Was ich jedoch richtig geil fand war die Floskel »ich wünsche ihm eine Wiedergeburt als Schalke Fan« 😀 Hehe, der war gut!
Lieben Gruß
FrannyLiebe Franny,
Ja, für mich ist Indien auch krass. Mal ganz krass schön und im nächsten Moment krass abstoßend (und mittendrin noch Millionen anderer Facetten, aber irgendwie immer extrem) – anstrengend, aber sehr, sehr spannend! Leichenverbrennung war für mich auch so eine Geschichte, die erstmal zu krass ist, weil sie einfach so anders ist als alles, was man kennt. Mir hat es sehr geholfen, dass mir jemand erklärt hat, was da passiert. Dann versteht man nämlich, dass es eigentlich gar nicht so roh und destruktiv ist, wie es aussieht, sondern ein Moment, der auch etwas Schönes und Befreiendes hat…
Und falls es dich doch mal nach Indien verschlagen sollte, wünsche ich dir jetzt schon eine fantastische Zeit!
LG,
Annika
Das wird sich ab Samstag ändern … ich mache Dir den Dalai!! Der Stuhl war lange genug frei, Du hast die freie Auswahl.
Für uns fällt Weihnachten diesmal auf den 19.3. Dass Ihr Euch für die Rückkehr den Geburtstag meines Schwagers ausgesucht habt, legt die Vermutung nahe, dass das eine oder andere vermeintliche (!!) Defizit aus der Vergangenheit jetzt erstmal überkompensiert wird. Alles wird gut!
ich hoffe der dalai rückt deinen rücken wieder grade nach der bustour…
Pffft, der hat mir nicht mal einen Stuhl angeboten!
Schreibe einen Kommentar