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Wenn mich jemand fragt, was mich bei all den verrückten Ereignissen meiner Reise am meisten Spaß gemacht hat, dann muss ich immer an Trainhopping denken. Den Rausch von der Straße, all die Parties, Liebschaften und Skurrilitäten… nein, das Trainhopping war es, was mich wirklich mitgerissen hat. Vielleicht sollte ich erstmal kurz Erläutern, was Trainhopping eigentlich ist. Es geht um das (illegale) mitfahren auf Güterzügen. In einem der Wagons, manchmal auch in der Lok am Ende des Zuges. Entgegen der allgemeinen Vorstellung springt man normalerweise nicht auf den fahrenden Zug auf, sondern wartet bis er zum stehen kommt, meist wenn die Lokführer wechseln, um sich dann ein gemütliches Plätzchen auf einem der Wagons zu suchen. Und dann gilt es sich zu verstecken und nicht gesehen zu werden.
Trainhopping gehört zur amerikanischen Kultur, wie die Güterzüge selbst. Der Kontinent wurde von Bahngesellschaften erschlossen. Viele Orte sind nur wegen der Bahn entstanden und das Trainhopping ist genauso alt, wie die Gleise. Früher waren es Berufspendler und Tagelöhner, die mit der Bahn von A nach B gehoppt sind. Heutzutage sind es Hobos, Tramper, Punks, Landstreicher, Aussätzige, Immigranten, Psychos und Abenteuersuchende, die auf den Gleisen unterwegs sind. Der harte Kern der Trainhopping Community ist sehr verschlossen und konspirativ. Es gibt einen Crew Change Guide, die Bibel der Trainhopper. Dieses Dokument wird in der Szene von Mensch zu Mensch weitergereicht und enthält Informationen zu jedem Bahnhof in Nordamerika, über Beschaffenheit, Zugpläne (Güterzüge kommen immer nach Plan, +- 6 Stunden), an welcher Stelle man in welche Richtung einen Zug abfangen kann, wie die Bahnhofspolizei drauf ist und wo die neuesten Schlupflöcher sind, um in den Yard zu kommen. Es gibt davon keine digitale Version und wenn, dann ist sie so veraltet, dass man sie nicht mehr gebrauchen kann. Wer einen aktuellen Crew Change hat, der ist aber noch lange nicht bereit zum Trainhopping.
Ich persönlich habe mehrere Monate damit verbracht, über dieses Thema zu recherchieren. Hab mir Internetguides reingezogen, eine 200 Seiten umfassende technische Anleitung zum Thema Trainhopping studiert und mich mit vielen Leuten unterhalten, die „vom Fach“ waren. Schlußfolgerungen: Es ist gefährlich, es ist illegal und man lernt es nicht aus Büchern, sondern nur, wenn man raus auf die Gleise geht. Seit Peru wollte ich auf einem Güterzug mitfahren. In den USA war ich wieder heiß darauf. Der Zug gehört zum Landschaftsbild der USA, wie die S‑Bahn zu Berlin. Schon beim Trampen ist mir aufgefallen, dass immer wieder 1 bis 2 km lange Güterzüge neben der Straße auftauchen, da die Gleise oft parallel zum Highway gelegt sind. In fast jeder Stadt, kann man die Züge pfeifen hören, wenn man darauf achtet. Es ist der amerikanische Traum. Nicht der, der euch zum Millionär macht, aber der, der euch Freiheit verspricht.
Mein erstes Rendezvous mit einem Güterzug war schmutzig, laut und brutal. Ich hatte einen Hobo auf der Straße kennengelernt, der gerade 2 Jahre auf den Gleisen unterwegs war und nun seinen letzten Zug nach Hause hoppen wollte. Er meinte, er sei nun bereit, um sich mit seiner Familie auseinanderzusetzen. Jessy war sein Name und er half mir auf meinen ersten Zug zu kommen. Was folgte war ein 21 Stunden Ride durch den wilden amerikanischen Westen, über endlose Steppen und im Mondschein durch die Rocky Mountains. Ich kann euch sagen, dass war pure Extase, auch wenn ich mir Nachts den Arsch abgefroren und kein Essen eingepackt hatte. Anfängerfehler.
Beim zweiten Versuch wartete ich zuerst eine volle Nacht im sogenannten „Hobo-Jungle“ (das sind Grünflächen, die es eigentlich bei jedem Yard irgendwo gibt, wo dann meist irgendwelche Leute „wohnen“ und sich Hopper treffen), um dann am nächsten Tag einen Haufen abgefahrener Menschen zu treffen. Das typische Publikum auf den Gleisen. Einen Mexikaner der irgendwie nach Chicago musste und seit 20 Jahren nicht mehr auf Zügen war, ein offensichtlich paranoider Hulk-Hogan-Verschnitt, der auf der Flucht vor der Polizei war. Und Roy, mit dem ich mich schließlich zusammengetan hatte, ein Student der den neuesten Crew Change Guide dabei hatte und mega gut auf das Trainhopping vorbereitet war. Von ihm hab ich viel gelernt. Wir haben in der Nacht einen Hotshot (schnelle Züge mit hoher Priorität) abgefangen und sind wie der Sauseblitz nach Kalifornien gerollt.
Beim dritten mal war ich alleine. Zumindest als ich mich meinem Wagon genähert hatte. Am Ende bin ich in einer Gondola gelandet. Das sind die großen Wannen, wo man normalerweise Kohle und anderen Kram rein lädt. Der Wagon war vorher schon besetzt mit drei Hobos, die Aussahen als kämen sie von einer Steam-Punk-Convention und einem Hund, so groß wie ein Kalb. War aber noch ein Welpe, meinten sie. Gondolas sind auch als Party Wagons verschrien. Ich weiß jetzt warum.
Ich bin insgesamt drei mal gehoppt und das war dann genug, um es auszuprobieren, zu lernen, mein Wissen anzuwenden und die ganze Angelegenheit auf später zu vertagen. Weiter wollte ich nicht auf den Gleisen sein, damit es keine Probleme mit meinem Visa gibt (falls man doch einmal erwischt wird) und weil der Winter sich ankündigte. Ich werde sicher mal wieder für ein paar Monate in die USA fahren, um diesem „Sport“ noch etwas näher auf den Grund zu gehen.
Es war ne geile Zeit. Jeder Versuch war auf seine Weise einzigartig und hat mir eine andere Seite des Trainhopping gezeigt. Sei es wegen den Leuten, den Wagons oder der Landschaft, die ich durchquert habe. Es sind zweifelsohne viele zwielichtige Gestalten und so manch psychisch gestörter Mensch in der amerikanischen Outsider-Gesellschaft unterwegs. Ich hab viele Menschen beim Trampen getroffen, hing auch mit den Landstreichern am Supermarkt ab und wenn man auf der Straße lebt und einen „Kollegen“ mit Rucksack und Schlafsack sieht, dann grüßt man sich im vorbeigehen selbstverständlich. Machen Trucker ja auch.
Ich persönlich mag diese Parallelwelt. Die Menschen machen ihr eigenes Ding. Jeder hat einen Grund dafür, die wenigsten reden darüber. Was auch okay ist. Viele sind herzensgute Menschen, die einfach keinen Bock haben in dieser Gesellschaft zu leben. Anstatt zu meckern und sich mit Anderen verbitterten Neurotikern zu einem Vollidioten-Mob zusammenzuschließen, um gegen Ausländer und andere diffuse Ängste anzugehen, gehen diese Menschen einfach raus aus dem, was sie verabscheuen. Sie gehen ihren Weg. Konsequent und unabhängig. Sicherlich trifft das nicht auf alle zu, speziell Menschen mit psychischen Problemen sind in der US-amerikanischen Gesellschaft oft alleine gelassen und enden dann auf der Straße im Dreck. Aber fast alle, die ich getroffen habe, waren im Kern gute Menschen. Am Rande der Gesellschaft.
Vielleicht ist es genau das, was mich so am Trainhopping fasziniert hat. Diese andere Welt. Dieser Gegenpol. Vagabundentum der alten Schule. Und die Erfahrung, auf einem 100-Tonnen schweren Stahlmonster zu sitzen. Um einen herum krachen die Stahlkupplungen, man wird hin und her geschmissen und ist ständig in Gefahr erwischt zu werden. Es ist kein leichtes Leben auf den Gleisen und auch keinesweg so romantisch, wie ich es darstelle. Es ist unangenehm und anstrengend. Daher hab ich umso mehr Respekt vor den Menschen, die sich für diesen Weg entscheiden. Weil hier geht es nicht um Geld und Komfort, sondern um Freiheit und Bewegung. Das find ich gut.
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Habe hier in DE mal ca. eine Stunde auf nem Waggon rumgehockt der aufm Güterbahnhof in der Warteschleife stand. Dann habe ich die Geduld verloren und bin wieder nach Hause, geiles Abenteuer, eh? Ich finde es cool, dass du immer ganz offenherzig auf die Leute drauf zugehst. Bei mir ist immer viel mehr Misstrauen im Spiel.
Bei unserem letzten Versuch mussten wir 3–4 Stunden auf dem Wagon warten. Aber hat sich gelohnt. 🙂
Sehr coole Erfahrung und sehr gut geschrieben!
Danke!
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