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Das Fremdenverkehrsamt von Uganda hatte mir von einer Fahrt ins Nachbarland mit öffentlichen Verkehrsmitteln abgeraten. Die Straßenverhältnisse und so weiter, das sei alles nicht ganz verlässlich. Ich käme bequemer nach Ruanda, mit dem privaten Transfer einer Safari-Agentur. Dazu würde man mir schon raten. 250 US-Dollar für 400 Straßenkilometer? Teure Spesen, aber vielleicht wäre das noch drin gewesen. Ich entschied mich bewusst dagegen. Am Geld lag es nicht.
Deshalb sitze ich nun in einem Minibus, den Rucksack auf den Knien. Ich habe mich einfach an die Straße gestellt, und keine fünf Minuten später hielt der erste Bus in Richtung Süden. Er ist furchtbar eng, so wie jeder Minibus zwischen Daressalam und Johannesburg furchtbar eng ist, aber das stört mich nicht. Im Gegenteil, ich finde es angenehm, mitten unter den Leuten zu hocken statt im klimatisierten Toyota.
Ich bin in Uganda gewesen für zwei Reportagen, über die Rwenzori-Berge und den Queen-Elizabeth-Nationalpark. Trekking und Safari. Die offizielle Recherche ist vorbei, aber ich habe noch ein paar Tage Zeit. Ich will nach Süden, über Ruanda in den Ostkongo, und dafür muss ich erst einmal nach Kigali – laut Google Maps sieben Stunden Fahrzeit. Ich weiß, dass das niemals hinkommt, nicht nur wegen der Grenze.
LANGSAM, LANGSAM
Der Bus hält alle paar Minuten bei einem Dorf: Rubirizi, Ndeke, Ryeru, Lutoto. Die Ansiedlungen bestehen aus schlichten Hütten und Häusern, die besseren sind geziegelt, die schlechteren aus Lehm. Kühe, Ziegen, manchmal ein Schwein. Wenn Kinder mich hinter der Scheibe entdecken, winken sie und lachen. An jeder Ecke ein "authorized dealer", der was auch immer verkauft, in jedem Dorf ein Telecom-Shop, wo man SIM-Karten bekommt. Das Festnetztelefon wurde technologisch einfach übersprungen.
Eine Hochzeitsgesellschaft heizt vorbei, pinke Schleifen an den Autos, die Herren im Anzug, die Damen im Kleid, der Lippenstift knallt. Viele Motorradfahrer tragen dagegen Daunenjacken. Ist das nicht zu heiß? Ich jedenfalls schwitze, allerdings den Schweiß des ehrlichen Reisenden, der sich dem Land ausliefert, wie es nun einmal ist: langsam, gemütlich, dabei trotzdem laut, ohne Fahrplan. Nächstes Ziel: Mbarara.
In Mbarara, erklärt mir ein Mann im Minibus, müsse ich umsteigen, wenn ich nach Süden zur Grenze nach Ruanda wolle. Wir fahren drei Stunden, bis wir den Ort erreichen. Der Verkehr ist dicht. Trucks, Autos, schwer beladene Motorräder. Rechts der Straße ein gewaltiges Baugerüst, dann ein Supermarkt, ein Buchladen, das Lake View Resort – ein Hotel mit Pool. Dort ein paar Bahnen ziehen und den Staub der Straße abspülen, das wäre was. Aber ich will weiter, Strecke machen. Ich habe keine Ahnung, wo ich heute Abend schlafen werde. Irgendwo wird schon ein Bettchen auf mich warten.
ON THE ROAD
Diese Leerstelle in meinem Reiseplan versetzt mich nicht in Unruhe. Sie beruhigt mich. Ich werde immer entspannter, je länger der Tag sich im gemächlichen Rhythmus des ugandischen Alltags seinem Ende zuneigt. Auf meinen letzten Reisen war der Transport nur Mittel zum Zweck: Ich wollte irgendwohin, um darüber zu schreiben, und saß deshalb in Flugzeugen, Bussen und Autos. Hier im Süden Ugandas behauptet sich die Wegstrecke zwischen den Reisezielen als spannende Attraktion, die sich genauso auskosten lässt wie Trekking und Tiere gucken. Ich muss mich einfach treiben lassen. Sitzen und schauen, schwitzend und dreckig. Was für ein Luxus.
Das kann natürlich nur jemand sagen, der aus einem reichen Land wie Deutschland kommt, aus einer gesicherten Erwerbstätigen-Existenz mit Urlaubsanspruch und vermögenswirksamen Leistungen. Eine Amerikanerin erzählte mir einmal von ihrer Arbeit bei einer NGO in Burundi. Die Organisation setzte sich dafür ein, dass Menschen einen vernünftigen Fußboden bekamen. Das reduziere das Risiko, sich mit einem Krankheitserreger zu infizieren, um soundso viel Prozent. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Was mich zu Hause erfreut, sind meine Kaffeemaschine und der handgeknüpfte Berberteppich. Der Fußboden ist einfach da.
In Mbarara halten wir an einem Parkplatz. Dort dauert es eine halbe Stunde, bis der nächste Minibus zur ruandischen Grenze vollgequetscht und damit abfahrbereit ist. Unterwegs schaue ich aus dem Fenster und lasse die Gedanken ziehen, wohin es sie treibt. Macht ihr mal. Ich habe heute nichts mehr vor.
Der Bus durchquert ein Gebirge, draußen ist es schon dunkel geworden. Die Nacht ist pechschwarz. Die Straße macht scharfe Kurven, die den Fahrer aber nicht dazu verleiten, das Tempo zu drosseln. Ebenso wenig wie die eingeschränkte Sicht. Alle paar Hundert Meter wurden Bremsschwellen über den Asphalt gezogen, die uns schon den ganzen Tag begleiten. Seit Stunden drückt der Fahrer das Gaspedal nach jeder Schwelle voll durch, um vor der nächsten Schwelle abrupt abzubremsen. Mir erscheint das unsinnig, aber ich kann mich nicht darüber aufregen. Wo soll ich eigentlich schlafen?
EINE NACHT IN KABALE
Die letzte größere Stadt vor der Grenze ist Kabale. Wir erreichen den Ort gegen zehn Uhr. Straßenlaternen, Wohnhäuser und geschlossene Geschäfte, deren Fassaden aus der Dunkelheit lugen. Sieht nicht gerade einladend aus. Eine Durchreisestation für Fernfahrer, denke ich. Rechts der Straße sehe ich aus dem Bus heraus ein Schild mit der Aufschrift "Hotel". Ich überlege nicht lange. Als der Wagen anhält, steige ich aus und laufe entlang der Straße zurück.
Im Erdgeschoss des Hotels befindet sich eine Bar. Dort sitzt ein halbes Dutzend Männer am Tresen, die alle schon ein halbes Dutzend leere Bierflaschen vor sich stehen haben. Sie schauen mich an. Mein Blick weiß nicht, wohin. Wo bin ich hier gelandet? In einer fremden Stadt bei Nacht mit einem Haufen angetrunkener Typen, deren Laune ich nicht beurteilen kann. Als wäre es das Gewöhnlichste der Welt, gehe ich auf den Barmann zu und frage nach einem Zimmer. Bloß nichts anmerken lassen. Und als wäre es das Gewöhnlichste der Welt, händigt der Barmann mir einen Schlüssel mit einer Nummer aus und weist mir den Weg zur Treppe in den ersten Stock. Die Nacht kostet acht Euro.
Das Hotel mit seinem Innenhof erinnert mich an ein Gefängnis. Schwer zu sagen, wer hier sonst absteigt, wer außerdem von meiner Ankunft erfahren hat. Jedenfalls vergewissere ich mich dreimal, dass das Vorhängeschloss an meiner Zimmertür verschlossen ist. Auf dem Bett breite ich meinen Schlafsack aus. Das Bad ist schmutzig, die Klobrille abgerissen. Zum Waschen steht ein Bottich bereit, aus der Wand kommt ein Wasserhahn. Zum Zähneputzen benutze ich Flaschenwasser. Ich habe nicht vor zu duschen.
ÜBER DIE GRENZE
Am nächsten Morgen stehe ich um sieben Uhr auf, packe meine Sachen zusammen, zahle die Unterkunft und trete hinaus in einen hellen Morgen. Ich laufe die Straße entlang. Nach zwei Minuten hält neben mir ein Motorrad. Der Fahrer erkundigt sich, wohin ich wolle. Zur Grenze, sage ich. Sie liegt zwanzig Kilometer südlich der Stadt. Natürlich will der junge Mann mich fahren. Wir handeln einen Preis aus, und ich springe auf.
Motorradtaxis heißen in Uganda bodaboda, lerne ich von meinem Fahrer, was sich vom englischen Wort border für Grenze ableitet, weil Motorräder lange Zeit für grenzüberschreitenden Schmuggel nach Kenia eingesetzt wurden.
In Kampala gibt es die Gruppe Bodaboda 2010, die ursprünglich einmal zur Unterstützung der Polizei ins Leben gerufen wurde, aber bald darauf anfing, die Leute zu drangsalieren – eine Art Schattenorganisation, gedeckt von der Regierung. Doch die ugandische Hauptstadt ist weit weg. Ich erreiche unbehelligt die Grenze.
Meine letzten Uganda-Schilling gebe ich einer Bettlerin. Es dauert nur ein paar Minuten, bis ich den Ausreisestempel habe. Dann rüber zum Gatuna Border Post. In der ruandischen Einreisestation warte ich länger, viel Trubel, dann bekomme ich mein Visa on arrival. Eine freundliche Beamtin durchsucht akribisch meinen großen Rucksack. Ruanda hat Plastiktüten komplett abgeschafft, die Einfuhr ist verboten. Ich muss eine Tüte abgeben, in der meine dreckigen Wanderschuhe stecken, und das fühlt sich für mich, den Ökosünder aus dem globalen Norden, absolut richtig an. "Of course, of course", pflichte ich bei. Ein Reisebus nach Kigali steht bereit, weil im kleinen Ruanda alle Wege in die Hauptstadt führen.
BEGEGNUNG MIT EINEM PRIESTER
Ruanda. Ein Wort, das fast schon synonym für Völkermord steht. Wer in weltpolitischen Diskussionen "Ruanda 94" raunt, löst zielsicher Grusel aus. Die jahrzehntelangen ethnischen Spannungen im Land gipfelten damals in der Ermordung von mindestens 800.000 Tutsi und gemäßigten Hutu binnen weniger Wochen. Man denkt natürlich daran, wenn man nach Ruanda einreist. Man kann nicht anders.
Mein erster Eindruck ist vollkommen banal: Hier gibt es keine Bremsschwellen auf der Straße – und trotzdem rast der Bus nicht. Auf den Straßen fährt kaum jemand zu schnell, man hält sich ans Tempolimit. Die Strafen sind empfindlich, erfahre ich, es wird streng kontrolliert. Draußen ziehen die Tee- und Kaffeeplantagen darum eher gemächlich vorbei. Wolken liegen auf grünen Bergen. Es regnet ein wenig.
Neben mir sitzt ein Mann aus Nairobi, wir kommen ins Gespräch. Früher sei er ein Gangster gewesen und habe ständig eine Waffe getragen. Heute sei er Pastor und leite ein Waisenhaus. "I used to rob people, now I rob souls for good." Amen. Fällt einem so ein Satz spontan ein?
Wir tauschen Telefonnummern. Später wird mir der Kenianer schreiben und Fotos von den Kindern schicken. Und um eine Spende bitten. Ich antworte, dass ich wohl erst selbst nach Nairobi kommen müsse, vielleicht ergebe sich das irgendwann. Die Vom-Saulus-zum-Paulus-Geschichte ist natürlich stark. Ich will sie glauben.
Der Reisebus erreicht den Stadtverkehr von Kigali und schließlich einen Busbahnhof. "Bless you, my friend." Yes man, bless you.
SIGHTSEEING IN KIGALI
Ich nehme ein Taxi zu einem Hostel, das ich mir vorher herausgesucht habe. Es braucht ein paar Minuten, bis ich bemerke, was Kigali von anderen Großstädten in Ostafrika unterscheidet. Aber dann ist es offensichtlich: Nirgendwo liegt Müll herum. Stattdessen sieht man tadellose Blumenbeete.
Die Bewohner machen jeden letzten Samstag im Monat gemeinsam die Stadt sauber, erklärt mir der Taxifahrer. Das nennt sich umuganda (zu einem gemeinsamen Zweck zusammenkommen). Kehrtag. Wer nicht mitmacht, muss Strafe zahlen. Ein Programm, das auch Berlin gut täte, aber in der deutschen Hauptstadt würde eine solche Anordnung gleich einen Aufstand provozieren. Zwangsmaßnahme! Polizeistaat!
Ich bleibe einen Tag und eine Nacht in Kigali. Die Stadt wirkt beschaulich auf mich, geordnet, sicher. Langzeitpräsident Paul Kagame wird nachgesagt, das Land ausgesöhnt und für ein Wirtschaftswunder gesorgt zu haben. Dafür kommen Oppositionspolitiker manchmal unter ungeklärten Umständen ums Leben. Der geschätzte Herrscher lässt sich Kritik von Menschenrechtlern nicht gefallen. Ruanda gilt heute als "Schweiz Afrikas", ein Vorzeigeland. Wer könnte abstreiten, dass hier einiges besser gemacht wurde als in anderen Staaten Ostafrikas? Ich, der Kurzzeit-Besucher, jedenfalls nicht.
Kigali erkunde ich mit Motorradtaxis. Die Fahrer haben immer noch einen zweiten Helm dabei. Ich mache Halt beim Inema Arts Center und schaue mir zeitgenössische Werke ruandischer Künstlerinnen und Künstler an. Ich besuche aber auch das Kigali Genocide Memorial, ein Museum für den Völkermord. Dort lerne ich, dass es die Belgier waren, die die Bevölkerung während der Kolonialzeit in Hutu und Tutsi einteilten. Die Begriffe markierten in der ruandischen Gesellschaft eigentlich sozioökonomische Unterschiede innerhalb der Clans. Die Europäer machten daraus "Rassen". Und legten damit den Grundstein für einen grausamen Konflikt.
EINE BESONDERE PIZZA
In einem Einkaufszentrum lerne ich eine junge, ruandische Frau kennen. Wir verabreden uns abends in einer Pizzeria, die eine halbe Stunde zu Fuß von meinem Hostel entfernt in einem der besseren Viertel liegt. Ich laufe durch die warme Abendluft. Jolie erzählt von ihrem Studium, von Alltäglichkeiten, von der Familie. Ihr Vater sei im Krieg auf der Flucht verschollen, sie wisse nicht, wo er sei und ob er überhaupt noch lebe. Sie erwähnt diese Ungeheuerlichkeit beiläufig. Was sagt man dazu? Fast muss ich weinen, aber ich merke, wie unangemessen das wäre. Unser Gespräch ist ja heiter. Der Lebensweg dieser Frau ist mir so fremd, und doch sitzen wir einfach bei einer Pizza zusammen. Wahnsinn. Da ist so viel außerhalb meines kleinen Lebens.
Ein Klischee, das häufig stimmt: Am bedeutendsten auf Reisen sind die Begegnungen mit Menschen. Und der Freiraum, Ungeplantes entstehen zu lassen. Minibus statt Toyota. Diese Aneignung der Welt mit etwas abenteuerlichen Mitteln verschiebt die Welt im eigenen Kopf. Sie überwindet Denkschwellen, schärft die Empathie, löst Verspannungen im Gemüt.
Nach dem Abendessen spaziere ich mit Jolie durch das nächtliche Kigali, wir essen noch ein Eis. Dann trennen sich unsere Wege.
"Was nice to meet you." Und wie!
Antworten
Wirklich guter Artikel.
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Herzliche Grüße 🙂Wie immer sehr hübsch zu lesen.
«in jedem Dorf ein Telecom-Shop, wo man SIM-Karten bekommt.»
SIM-Karten kauft man ja nur einmal und davon könnten diese Dealer nicht leben. Es geht zum einen um den Verkauf von Mobilfunkguthaben. Die üblichen Scratch Cards waren (sind?) in Uganda verboten. Es sollte nur noch elektronische Aufladung geben (»easy load«). Zum anderen ist das Mobilfunkkonto wie in vielen ostafrikanischen Ländern auch Zahlungsmittel (MoMo: Mobile Money). Diese Dealer haben die quasi die Funktion von Banken. Man kann Geld auf sein Mobilfunkkonto einzahlen oder ausgezahlt bekommen. Die Dealer bekommen bei Ein- und Auszahlungen zwischen 1 Promille und 20% Kommission.
Eine Besonderheit in Uganda ist noch, dass für die Nutzung sozialer Medien wie Facebook, Whatsapp usw. eine Extrasteuer (OTT) fällig wird (60 Social Networks erfasst). Die Einführung dieser Steuer hat die Internetnutzung im Land drastisch reduziert. Die Steuer lässt sich mittlerweile anscheinend auch nicht mehr mit VPNs umgehen lässt. Das bedeutet, dass die technisch einen großen, kostenintensiven Aufwand treiben (sogenannte Deep Packet Inspection), um das durchzusetzen. Da fragt man sich schon: Haben die sonst keine Probleme lösen?
Eine Steuer auf die Nutzung sozialer Medien ist schon bitter. Derartige Pläne waren übrigens im Libanon der Funke, der die jüngsten Proteste entzündet hat.
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