Der Klang der Sahara

Bild­lich ist es kaum vor­stell­bar – neun Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­ter Tro­cken­wüs­te, etwa so groß wie die USA, 26 Mal so groß wie Deutsch­land. Die Saha­ra. Der Name weckt Träu­me von Wei­te und Lee­re und Stil­le, dabei bedeu­tet das ara­bi­sche Wort ‚saha­ra‘ ein­fach nur Wüs­ten. Die Ein­hei­mi­schen nen­nen sie ‚die gro­ße Wüs­te‘, manch­mal das ‚Meer ohne Was­ser‘. Mit Wel­len aus Sand und einem Hori­zont, hin­ter dem es immer wei­ter­geht. Ein Teil die­ses Mee­res rollt durch den Süden Tune­si­ens, teils ganz sach­te, teils lär­mend, teils zu den Klän­gen ara­bi­scher Musik. Ich tau­che ein in die Welt der Bedui­nen und Dro­me­da­re, der Skor­pio­ne und Wüs­ten­vö­gel. Und wer­de über­rascht.

Es war ein­mal in der Wüs­te

Noch ein­mal neh­me ich Anlauf, erklim­me die höchs­te Düne, der gleich eine noch höhe­re folgt. Sehe ein Grüpp­chen durs­ti­ger Bäu­me. Schaue dem Wind dabei zu, wie er mei­ne Spu­ren ver­wischt, als wären Sie etwas Unge­zo­ge­nes, das dort nicht hin­ge­hört. Vie­le nen­nen die Wüs­te ein Nichts, ein Nir­gend­wo. Die­se end­los auf den Hori­zont zuhal­ten­den Sand­wel­len.

Doch sind sie nicht ein Alles, jeder Fleck Sand so prä­sent auf der Land­kar­te wie die Metro­po­len der Welt? Genau­so in Bewe­gung, dem Wind des Wan­dels aus­ge­lie­fert, Höhen und Tie­fen, die man mit Schwung erobert und noch schnel­ler zurück­rutscht. Leben in Sand­korn­for­mat. Ein Alles, das vor­gau­kelt, dass hier die Ewig­keit exis­tiert. Weil die Stil­le ein­lullt. Die Stil­le, deret­we­gen vie­le in die Wüs­te fah­ren. Die Stil­le, die aus der digi­ta­li­sier­ten, Stän­dig-erreich­bar-sein-und-funk­tio­nie­ren-Welt der Metro­po­len aus­ge­zo­gen ist auf der Suche nach Orten, wo ihr nicht zu jeder Tages- und Nacht­zeit geräusch­vol­le Gewalt ange­tan wird. Die Stil­le, die wir gera­de in unse­ren Köp­fen drin­gend brau­chen und doch ver­trie­ben haben. Und die sogar in der Wüs­te Man­gel­wa­re gewor­den ist. Ich muss sie mir erkämp­fen, Düne um Düne. Weg vom Camp, das mit einem bevor­ste­hen­den Musik­fest Musik­lieb­ha­ber, Blog­ger, Insta­gra­mer und Sel­fie-Jun­kies anlockt. Weg von der x‑ten Quad-Tour, deren Moto­ren die Stil­le zer­fet­zen. Weg von Gelän­de­wa­gen mit Pro­vi­ant an Bord, weg vom Small Talk der in der Wüs­te Gestran­de­ten und Fra­gen, die gera­de kei­ne Ant­wort brau­chen.

Ich ste­he auf der längst nicht höchs­ten Düne, mit­ten in der Saha­ra. Und end­lich, end­lich höre ich sie. Die Stil­le. Hin­ter mir ein lan­ger Weg.

Das Tor zur Wüs­te

Alles braucht ein Tor oder eine Tür, um uns begreif­lich zu machen, dass hier etwas beginnt und dass es okay ist, hin­durch­zu­ge­hen. So braucht auch die Wüs­te ein Tor. Es trägt den Namen Douz und ist eine Klein­stadt mit cir­ca 30.000 Ein­woh­nern. Die Fahrt auf dem High­way to Nowhe­re ist lang. Die zunächst all­ge­gen­wär­ti­gen Oli­ven­hai­ne in Mee­res­nä­he wei­chen einem Berg­pass, wo Dör­fer aus­se­hen, als wären sie aus dem Stein des Bodens gewach­sen und wo Leu­te mit Eseln Gas­si gehen. Wie in Tou­ja­ne.

Es fol­gen Geröll- und Sand­ebe­nen, in denen das Auge nur an ille­ga­len Tank­stel­len hän­gen­bleibt – Bara­cken mit auf­ge­reih­ten Plas­tik­con­tai­nern vol­ler Ben­zin aus Liby­en. Ab und an pas­sie­ren Dro­me­da­re die Stra­ße – ein­hö­cke­ri­ge Kame­le. Stra­ßen­schil­der war­nen vor den Ver­kehrs­teil­neh­mern, die in bes­ter Break-my-stri­de-Manier Mofa- und Auto­fah­rer auf die Brem­se zwin­gen.

Dann end­lich: Douz. Es erhebt sich aus einer pal­men­rei­chen Ebe­ne, ver­spricht Ankom­men und Auf­bruch. Die meis­ten Bewoh­ner sind Mra­zig, ein Volk aus noma­di­schen Vieh­züch­tern, die ihre vier Wän­de regel­mä­ßig ver­las­sen und in die Wei­te zie­hen. Die Häu­ser in Douz sind ent­we­der sand- oder schnee­far­ben, die Men­schen haben die Wüs­te im Blick. In einem klei­nen Laden ent­ste­hen Wüs­ten­schu­he – leder­ne Tre­ter mit rut­schi­gen Soh­len, die auf Sand jedoch beson­ders gut grei­fen sol­len. „Für ein Paar brau­che ich drei Tage“, erzählt einer der Arbei­ter ohne auf­zu­se­hen. Kos­ten pro Paar: 35 Dinar, etwa zehn Euro.

Douz ist der Super­markt für alle, die sich vor dem gro­ßen Aben­teu­er wüs­ten­mä­ßig aus­staf­fie­ren möch­ten. Neben Wüs­ten­schu­hen gibt es Wüs­ten­ho­sen – dün­ne Stoff­ho­sen mit einem so aus­la­den­den Schritt, dass die bis in die Knie­keh­len absin­ken­den Hosen deut­scher Jugend­li­cher im Ver­gleich als Leg­gings zu bezeich­nen sind und man bequem einen Kar­tof­fel­sack dar­in lagern könn­te. Zweck: Die Din­ger sind opti­mal, um sich auf den Rücken eines Kamels zu schwin­gen und dar­in tage­lang durch die Wüs­te zu rei­ten. Zwi­schen Tep­pi­chen en mas­se fin­den sich lan­ge Schals, die bei Sand­stür­men um Kopf und Gesicht gewi­ckelt wer­den. Für den klei­nen oder gro­ßen Hun­ger kauft man Dat­teln pro Kilo. Das Geschäft mit den Dat­teln boomt, schwit­zen­de Ver­käu­fer ver­pa­cken die von der Decke hän­gen­den Strän­ge.

Drau­ßen vor den Stra­ßen­ca­fés sit­zen Män­ner zusam­men, rau­chen, plau­dern. Einer, der ver­sucht, es anders zu machen, ist Abdel­ma­jid Bel­haj Ibra­him, 36, in des­sen Café in der Ecke vom Place du mar­ché, dem Markt­platz, ich zufäl­lig einen Kaf­fee trin­ke. „Meins soll in Kul­tur­ca­fé wer­den“, erzählt er mir, ein Leuch­ten in den Augen, das ich nur bei Men­schen sehe, die für etwas bren­nen. „Ich habe in Alge­ri­en Über­set­zung stu­diert, doch nach dem Stu­di­um gab es für mich kei­ne Per­spek­ti­ve. Ich woll­te aber unbe­dingt in mei­ner Hei­mat­stadt Douz blei­ben.“ Dann sei ihm die Idee mit dem Kul­tur­ca­fé gekom­men. In der Ecke steht eine Vitri­ne vol­ler Bücher. „Die Leu­te sol­len hier­her­kom­men und lesen, und manch­mal orga­ni­sie­re ich Film­ver­an­stal­tun­gen.“ Die Bank habe ihm kein Dar­le­hen geben wol­len, aber Freun­de und Bekann­te hät­ten ihm die Ein­rich­tung gespen­det. Es in Tune­si­en zu etwas zu brin­gen, sei nicht leicht, aber er sei hoff­nungs­voll. Auch in die­sem Café sit­zen nur Män­ner. Und Frau­en? „Frau­en gehen nor­ma­ler­wei­se nicht in Cafés, aber auch das soll sich ändern. Eine Jour­na­lis­tin aus Douz hat bereits den Anfang gemacht und besucht mein Café. Ich hof­fe, ande­re wer­den fol­gen.“

Wie es sich für ein Tor zur Wüs­te gehört, hat Douz auch ein Saha­ra-Muse­um. Es ist wie ein Teaser zu den 40.000 Qua­drat­ki­lo­me­tern Wüs­te Tune­si­ens. Ein Resu­mé von Pflan­zen, Tie­ren und Men­schen, die in dem Sand­meer hei­misch sind. Wer behaup­tet, die Wüs­te sei ein Nichts, wird spä­tes­tens hier als Dumm­kopf ent­larvt. Da ist die Rede von Schlan­gen, Skor­pio­nen, Käfern, Gazel­len, Anti­lo­pen, Gepar­den und Hyä­nen. Von Vögeln und Schmet­ter­lin­gen. Dann folgt die ers­te Tuch­füh­lung mit der Wüs­te – bei einem Mini-Dro­me­dar-Aus­ritt bei Son­nen­un­ter­gang. Bei Off­ra befin­det sich die größ­te Düne am Anfang der Saha­ra, und ein kur­zer Ritt hin­term Höcker reicht aus, um die Sucht nach Wei­te und Stil­le zu befeu­ern. Nicht nur mir geht es so. Wer unter der moder­nen Volks­krank­heit des stän­di­gen Über­ma­ßes und der Geräusch­über­do­sis lei­det, sehnt sich nach Nichts. Doch so ein­fach, wie ich mir das vor­stel­le, ist das gar nicht.

Mars

Wür­de man mich oder einen ande­ren Besu­cher in der Wüs­te aus­set­zen, wären wir sofort ver­lo­ren. Selbst auf einer Art Sand­schnell­stra­ße von Douz in die Saha­ra, wo alle paar Minu­ten Gelän­de­wa­gen, Motor­rä­der, Quads und sogar Moun­tain­bike-Fah­rer vor­bei­sau­sen – ita­lie­ni­sche Jeep­sa­fa­ris, tune­si­sche Ral­leys, slo­we­ni­sche Aben­teu­rer – kön­nen die Spu­ren inner­halb von Sekun­den ver­we­hen, rei­fen­ge­präg­te Pfa­de wer­den in einem Augen­blick wie­der jung­fräu­lich.

Ich muss an Her­bert Grö­ne­mey­er den­ken, der sang „Bleibt alles anders“. Wes­halb Aus­län­der, auch wenn sie ihren eige­nen fahr­ba­ren Unter­satz haben, nur in Beglei­tung eines kun­di­gen Tune­si­ers in die Saha­ra auf­bre­chen soll­ten. Einem Tune­si­er wie Ham­med, der bis zu sei­nem 17. Lebens­jahr in der Wüs­te gewohnt hat und außer der Sand­far­be und mini­ma­len Grö­ße vie­le Gemein­sam­kei­ten mit einem Wüs­ten­fuchs teilt. „Wenn man mich in der Wüs­te aus­set­zen wür­de, wür­de ich sofort mei­nen Weg zurück­fin­den“, erklärt er ohne Stolz. Wie alle, die die Wüs­te im Blut haben, kann er in den Sand­dü­nen lesen, in der Wei­te des Him­mels, in den für uns unsicht­ba­ren Spu­ren am Boden.

„Möch­tet ihr einen Skor­pi­on sehen?“ Ham­med tritt auf die Brem­se, steigt aus, dreht Stei­ne um, schüt­telt ent­täuscht den Kopf. Weni­ge Meter wei­ter das­sel­be Spiel. Plötz­lich jubelt er, bückt sich und taucht mit einem grü­nen Skor­pi­on auf der Hand­flä­che wie­der auf. Sind die Vie­cher nicht gif­tig? Alle tre­ten einen Schritt zurück, wäh­rend Ham­med das schläf­rig wir­ken­de Wesen an sei­ne Lip­pen führt und küsst. „Macht mir das nicht nach! Ich weiß genau, wie man mit dem Skor­pi­on umgeht, damit er nicht sticht.“ Das Tier scheint Ham­med nicht als Prinz zu deu­ten, bleibt wie erstarrt lie­gen. Was dar­an lie­gen mag, dass Skor­pio­ne im Win­ter – zwi­schen Sep­tem­ber und Mai – tat­säch­lich eine Art Win­ter­schlaf hal­ten. „Im Som­mer wim­melt es hier von Schlan­gen und Skor­pio­nen und es sind um die 55 Grad – da kön­nen kei­ne Tou­ris­ten kom­men.“

Bald fah­ren wir an einem nicht enden wol­len­den Zaun ent­lang. Ist das etwa eine Mili­tär­zo­ne? Immer­hin soll die gesam­te tune­si­sche Wüs­te unter Mili­tär­kon­trol­le ste­hen, ver­stärkt in der Nähe zu den Nach­bar­län­dern Alge­ri­en und Liby­en. Wir befin­den uns etwa 100 Kilo­me­ter von der alge­ri­schen und 300 Kilo­me­ter von der liby­schen Gren­ze ent­fernt. „Nein, das ist der Jebil Natio­nal­park“, weiß Ham­med. „Die Gazel­len hier sol­len sich wie­der ver­meh­ren, manch­mal kann man sie am Zaun sehen.“ Doch gera­de an die­sem Tag sind die Gazel­len so rar wie die Noma­den, die noch immer mit ihren Dro­me­da­ren oder Kame­len durch die Wüs­te zie­hen und wie Ham­med in der Land­schaft lesen wie unser­eins in einem Stadt­plan.

Eine fla­che Hüt­te erscheint neben der Fahr­bahn, mit den gro­ßen Let­tern ‚Café du Parc‘. Ein Café mit­ten in der Wüs­te, davor gepark­te Gelän­de­wa­gen, Motor­rä­der und Quads. Dies ist ein Treff für alle Wüs­ten­hung­ri­gen und ein will­kom­me­ner Stopp zum Bla­sen­lee­ren, bevor die wah­re Wild­nis über­nimmt. Mus­ta­fa, ein Mann mitt­le­ren Alters, betreibt das Café seit 2002 und schenkt zusam­men mit sei­nem Sohn Kaf­fee aus. Vor dem Café plau­dern Besu­cher ver­schie­de­ner Natio­na­li­tä­ten zusam­men, als hät­ten sie sich nicht gera­de erst getrof­fen. Auf einer Bank sit­zen Ein­hei­mi­sche mit Tur­ba­nen, nip­pen eben­so genüss­lich am Kaf­fee und beob­ach­ten lächelnd die Exo­ten mit ihren wüs­ten­taug­li­chen Gefähr­ten. Wir sind kaum in der Saha­ra ange­kom­men und schon alle gleich – Men­schen auf der Suche nach Wei­te und Stil­le und mit knir­schen­den Zäh­nen, da jedes Gespräch mehr Sand­kör­ner in den Mund weht.

Die Land­schaf­ten der Saha­ra sind so viel­sei­tig wie Berg­land­schaf­ten – mal flach und karg, mal hüge­lig und grün. Der Regen der ver­gan­ge­nen Tage hat eini­ge Pflan­zen aus dem Sand her­vor­ge­zau­bert, hin­ter jeder Düne ist die Aus­sicht anders. Dann erkennt man sie am Hori­zont – wei­ße Punk­te, die wie Boo­te in der Wei­te der Sand­dü­nen trei­ben. Die Punk­te sind die Zel­te des Camp Mars, 2008 von dem Tune­si­er Riadh Mnif und sei­ner Frau eröff­net. Es nennt sich Luxus­camp, weil man statt einem ein­fa­chen Zelt samt Schlaf­sack gro­ße Dop­pel- oder Mehr­bett­zel­te mit Bet­ten bekommt, mit Tep­pi­chen überm Sand, dicken Decken und einem Sei­den­vor­hang, hin­ter dem sich ein Dusch­tisch – Was­ser wird in einen Krug gefüllt – sowie eine Toi­let­te befin­den. Zwar kein WC, aber ein Klo mit Plas­tik­tü­te drin­nen und einer Kata­stro­phen­pa­ckung Holz­spä­ne dane­ben, um Gerü­che zu dämp­fen. Wei­te­re Toi­let­ten und Duschen – wer mag, kann einen Eimer Was­ser bekom­men und ihn sich über den Kopf kip­pen – gibt es drau­ßen, alles von Ham­mams inspi­riert. Im gro­ßen, offe­nen Restau­rant­zelt kom­men die Besu­cher zu den Mahl­zei­ten zusam­men, es gibt Wein und Krea­tio­nen aus der Küche, dar­un­ter typisch tune­si­sches Brik, Sup­pen, Wach­tel mit Bul­gur oder Dro­me­dar-Gou­lasch.

Hin­term Camp erhebt sich der über 200 Meter hohe Tafel­berg Tem­bain. Am Nach­mit­tag klet­te­re ich hoch, habe Glück – der Sand ist vom Regen der Vor­ta­ge kom­pakt, nur am Ende wird es stei­nig und steil. Bald ste­he ich oben, auf dem Dach der Wüs­te. Erspä­he eine grü­ne Oase in der Fer­ne, die sich nach wei­te­rem Regen sehnt wie ich mich nach Stil­le. Ich beob­ach­te, wie eine Kara­wa­ne vor­bei­zieht, den­ke an Ham­meds Wor­te, dass auf 55 weib­li­che Kame­le ein männ­li­ches kom­men soll und dass die Tie­re ab April in der Wüs­te frei­ge­las­sen und im Okto­ber wie­der ein­ge­sam­melt wer­den. Eigent­lich woll­te ich nur ein paar Fotos aus der Höhe schie­ßen, doch dort oben ver­liert die Zeit an Bedeu­tung. Eine dicke Wol­ken­schicht droht den Son­nen­un­ter­gang zu ver­mie­sen, doch ich bin genau­so hoff­nungs­voll wie Abdel­ma­jid mit sei­nem Kul­tur­ca­fé in Douz. Ich glau­be an das, was unmög­lich erscheint – einen far­ben­ver­schwen­de­ri­schen Son­nen­un­ter­gang an mei­nem ers­ten Wüs­ten­abend.

Unter­des­sen lau­sche ich der Stil­le, spü­re den kal­ten Stein unter den Gesäß­hö­ckern, ab und an eine leich­te Bri­se. Ver­su­che mir die Welt­kar­te vor Augen zu rufen und den Punkt mit­ten in der Saha­ra, wo ich sit­ze. Stun­den ver­ge­hen, ich füh­le mich belohnt, auch ohne Son­nen­un­ter­gang. Und dann spielt der Him­mel doch noch mit. Möch­te mir mei­ne Illu­si­on nicht rau­ben, dass wenn ich fest genug an etwas glau­be, es auch pas­sie­ren kann. Kurz vor der Linie am Hori­zont taut die Wol­ken­schicht auf, macht dem Feu­er­ball Platz, der zum ers­ten Mal an die­sem Tag mei­ne Augen kit­zelt. Die Son­ne ver­wan­delt den zuvor grau­en Him­mels­tep­pich in einen explo­die­ren­den Tusch­kas­ten mit einem Über­schuss an Rot- und Oran­ge- und Pink­tö­nen, der auch die Sand­dü­nen rot malt. Will­kom­men auf dem Mars!

Musik und Stil­le

Es ist voll gewor­den im Lager. Am Fol­ge­tag ver­an­stal­tet Mnif zum vier­ten Mal das Fes­ti­val ‚Musi­que & Silence‘ unweit des Camp Mars, Musik und Stil­le. Im All­tag nut­ze ich Musik oft dazu, die Geräu­sche mei­ner Umwelt zu dämp­fen. Lau­fe mit Kopf­hö­rern durch die Stadt, mei­ne Lieb­lings­rhyth­men im Ohr, um nicht die Moto­ren­ge­räu­sche und Sire­nen, das Han­dy­klin­geln, Gequat­sche und instän­di­ge Brum­men der Zivi­li­sa­ti­on zu hören. In der Wüs­te brau­che ich Musik eigent­lich nicht, und kann sie gera­de des­we­gen umso mehr genie­ßen. Die Vor­freu­de auf den nächs­ten Tag wächst, wäh­rend einer der Küchen­chefs am offe­nen Lager­feu­er Fla­den­brot backt. Er rollt den Teich auf einem Tuch aus, fegt die Asche des Feu­ers zur Sei­te, legt das Brot in die Mit­te und bedeckt es schließ­lich mit der alten Glut. Zehn Minu­ten spä­ter ist das Brot gar, schmeckt nach fri­scher Luft und Feu­er.

Camp Mars nennt sich selbst ein öko­lo­gi­sches Sozi­al­pro­jekt, denn nicht nur die Köche sind Ein­hei­mi­sche – als Auf­la­ge für einen Kre­dit galt, dass nur Ein­hei­mi­sche beschäf­tigt wer­den dür­fen. Selbst die Wäsche aus dem Camp wird nach Douz gebracht, wo eine Frau, die eine gro­ße Wasch­ma­schi­ne besitzt, eben­falls am Tou­ris­mus­ge­schäft ver­dient. Ziel: mög­lichst vie­le Men­schen am Pro­fit zu betei­li­gen. „Seit der Revo­lu­ti­on 2010 und 2011 kamen kaum noch Tou­ris­ten, aber 2018 war wie­der ein gutes Jahr für uns“, berich­tet der Bedui­ne Moham­med, 48, der das Café Tem­bain unter­halb des gleich­na­mi­gen Ber­ges betreibt.

Genau wie das Camp Mars gewinnt er Ener­gie aus der Son­ne, zeigt stolz sei­ne ein­zi­ge Steck­do­se, wo auch Besu­cher mal erschlaf­fen­de Akkus laden dür­fen. „Ich ver­kau­fe auch Ben­zin oder hel­fe, wenn jemand eine Pan­ne hat“, erzählt er in flie­ßen­dem Deutsch. Gelernt hat er die Spra­che nur mit Tou­ris­ten. Von Mai bis Okto­ber fah­re er zurück nach Douz und arbei­te in Pal­men­gär­ten, doch am meis­ten lie­be er das Leben drau­ßen in der Wüs­te. Er lau­fe viel, suche Hasen. Auf die Fra­ge, was er sich für die Zukunft wünscht, wei­ten sich sei­ne Augen. „Ich wün­sche mir, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich bin glück­lich.“ Ich kann mich nicht erin­nern, wann ich das zum letz­ten Mal gehört habe. Viel­leicht des­halb, weil es noch nie jemand gesagt hat. Auch Moham­med backt Fla­den­brot unter der Glut eines offe­nen Feu­ers und macht zum Früh­stück fan­tas­ti­schen Brik, der mit Dro­me­dar-Milch run­ter­ge­spült wird. Wenn er sich schnell fort­be­we­gen will, tut er das auf dem Motor­rad. „Ich hät­te aber lie­ber einen Esel.“ Er lacht.

Kurz hin­ter dem Café Tem­bain bau­en die Musi­ker ihre Instru­men­te auf – ein Ensem­ble des in Tune­si­en bekann­ten Musi­kers Riadh Fehri aus Tunis. Dazu gehö­ren zwei Vio­li­nen, eine Gitar­re, eine Trom­mel und eine Oud, Kurz­hals­lau­te. Die Klän­ge erhe­ben sich aus dem stei­ni­gen Sand, krab­beln an der Fels­wand im Rücken empor und ent­schwin­den im Blau des Him­mels wie ein mit Gas gefüll­ter Luft­bal­lon. Alle sit­zen still. Lau­schen. Die ech­ten Wüs­ten­fans und die Stil­le­su­cher, die Blog­ger und Insta­gra­mer in ihren von Sty­lis­ten aus­ge­wähl­ten Outfts, die den Blick ein wenig stö­ren wie die Musik die Stil­le der Wüs­te. Und die doch alle­samt vom Sand­meer groß­zü­gig umarmt wer­den.

Wenn die Wün­sche aus­ge­hen

Ich inha­lie­re die Stil­le wie eine Ver­hun­gern­de die ers­te Mahl­zeit seit Lan­gem. Stel­le mir vor, wie der Tank sich bis an den Rand füllt, um das Gebrab­bel des All­tags noch lan­ge zum Schwei­gen brin­gen zu kön­nen. Am Nach­mit­tag kommt Wind auf. Noch kein Sand­sturm, aber mit genug Kraft, die fei­nen Kör­ner in Mas­sen wie Schaum über die Dünen zu bla­sen. Ich set­ze mich auf einer ab, sehe und höre das Wehen. Schlie­ße die Augen. Öff­ne sie erst wie­der, als ich Nähe spü­re. Ein schwar­zer Vogel mit wei­ßem Schwanz schaut mich aus weni­gen Metern Ent­fer­nung an, den Kopf schief­ge­legt. Irgend­wann lau­fe ich wei­ter, als Ziel­schild den Hori­zont. Blei­be immer wie­der ste­hen. Glot­ze. Stau­ne. Zwei mei­ner Lieb­lings­ak­ti­vi­tä­ten. Ein­mal, als ich ganz ruhig blei­be, setzt sich ein oran­ge­far­be­ner Schmet­ter­ling auf mei­nem Arm ab. Ich den­ke an die Weis­heit über Schmet­ter­lin­ge und Glück, die sich bei­de nur dann zu einem gesel­len, wenn man auf­hört, sie zu jagen.

Nach Son­nen­un­ter­gang klingt der Wind ab. Im Camp spielt die Musik wei­ter, doch mir reicht es für heu­te mit den mensch­lich erzeug­ten Tönen. Ich brau­che mehr von dem, was mir nur die Wüs­te schen­ken kann. Fern­ab des Feu­ers und der Ker­zen und Stim­men lege ich mich in den Dünen auf einer Decke ab. Hoff­nungs­voll, wie am ers­ten Abend mit der Son­ne. Über mir spielt gro­ßes Him­mels­ki­no – das Best of der Milch­stra­ße. Ich lie­ge, spü­re den küh­len Sand im Rücken. Genau über mir ver­ab­schie­det sich ein Stern vom Him­mels­zelt. Ich schi­cke ihm einen Wunsch hin­ter­her. Auch dem zwei­ten und drit­ten. Nach fünf Wün­schen begin­ne ich, mir etwas für mei­ne Lie­ben zu wün­schen. Nach dem zehn­ten gebe ich das Wün­schen ganz auf. Las­se die Stil­le in mei­nem Her­zen auch in den Kopf ein­zie­hen. Wunsch­los glück­lich. Moham­med hat recht. Es soll­te ein­fach mal alles genau­so blei­ben, wie es jetzt gera­de ist.

 Infor­ma­tio­nen:

Die­se Rei­se wur­de unter­stützt vom Frem­den­ver­kehrs­amt Tune­si­en, https://www.discovertunisia.com/de/

Unter­künf­te: 

Douz: Hotel Off­ra

Saha­ra: Camp Mars

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Bernadette

    Vie­len Dank für das Kom­pli­ment, lie­ber Mat­thi­as, ich freue mich sehr, dass dir mein Arti­kel gefal­len hat. Ich wün­sche dir, dass du bald mal in die Saha­ra kommst, es war unglaub­lich. Die Stil­le im Nor­den ken­ne ich auch und bin auch davon ein gro­ßer Fan – da müss­te ich wie­der­um bald mal wie­der hin 🙂
    Mit Marok­ko ken­ne ich mich lei­der nicht so gut aus – ich war ein­mal vor vie­len Jah­ren dort, aber lei­der nur in den Städ­ten, nicht in der Wüs­te. Wüs­ten­tech­nisch müss­te es aber vom Kli­ma her ähn­lich sein wie Tune­si­en – sprich zwi­schen Sept. und Mai ist die bes­te Rei­se­zeit, da es im Som­mer uner­träg­lich heiß ist. Ob man sich über­all frei bewe­gen kann, dar­über infor­mierst du dich bes­ser genau bei Marok­ko-Foren o.Ä., bevor es los­geht 🙂
    LG
    Ber­na­dette

  2. Avatar von Matthias

    Wow, was für ein tol­ler Bericht! Span­nend und unter­halt­sam sind oft eure Rei­se­be­rich­te aus Städ­ten und von beleb­ten und unru­hi­gen Orten, aber die­ser hier ist wirk­lich ganz beson­ders mit­rei­ßend. Man fühlt wahr­lich den Wind und die nächt­li­che Käl­te, man riecht das Lager­feu­er, man schmeckt das Fla­den­brot!

    In die Saha­ra wür­de ich auch ger­ne mal fah­ren, ich war schon im Death Val­ley und die Tage und Näch­te dort waren auch ganz beson­ders. Wenn man dann nach Las Vegas kommt, haut der Dreck und Krach einen schier um.

    Die tie­fe Ruhe gibt es auch im Nor­den, beson­ders im Win­ter. Wir waren eini­ge Male in Lapp­land und nörd­li­chen Nor­we­gen und manch­mal war mor­gens das Auto einen Meter dick zuge­schneit, das gibt auch eine unheim­lich (schö­ne) Stil­le.

    Was ist denn die bes­te Zeit für Maroc­co? Im Som­mer hält man es sicher nicht aus und im Win­ter sind die Näch­te ziem­lich frisch, neh­me ich mal an? Darf man sich über­all frei bewe­gen? (Ich soll­te mal goog­len 😉 )

    Vie­len Dank noch­mal! Hat mir super gefal­len!!!

    Mat­thi­as

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