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Trainhopping stand an. Illegal auf Güterzügen mitfahren. Nur eine weitere Fortbewegungstechnik, die ich mir erarbeiten wollte. Ein weiterer „Sport“. Ich hatte vorher einen technischen 300 Seiten Guide zum Thema Trainhopping gelesen und fühlte mich gut vorbereitet, als ich auf die Yards zulief. Schon Tags zuvor in Denver konnte ich überall in der Stadt Güterzüge pfeifen hören. Ein wunderbares Geräusch zur Einstimmung auf ein neues Hobby.
Trainhopping ist gefährlich. Im Gegensatz zum Trampen kann hier ein falscher Schritt den Tod bedeuten. Oder „nur“ den Verlust von diversen Gliedmaßen. Züge sind eines der wenigen Objekte, bei denen es schwerer ist sie anzuhalten, als sie zu bewegen. Wie brutal und monströs diese Dinger sind, konnte ich vorher nur erahnen. Ihr kennt das sicherlich, wenn man am Gleisübergang wartet und dann dieser träge Stahlkoloss an einem vorbeizieht. Der Boden vibriert. Rhythmische Schläge untermalen die Bewegung. Ehrfurcht kommt auf.
Getting on the train
Ich hatte einen typisch amerikanischen Donut Shop gefunden und frühstückte dort billig und ungesund. Als ich den Shop verließ, lief dieser Hobo* gerade über die Straße. Unsere Blicke trafen sich. „Hey man, wie läufts? Weißt du irgendwas über die Yards hier?“. Ich hatte ja keine Ahnung. War ein Greenhorn. Noch nie auf einen Zug gehoppt und auch noch nie was von einem „Hop-Out-Spot“ gehört. Ich hab diesen Trainhopping Guide gelesen und wusste nun sehr viel über Güterzuge, amerikanische Eisenbahngeschichte, technische Details zur Airbreak**, Zusammensetzung von Yards, aber vom Trainhopping an sich hatte ich keine Ahnung. Trainhopping lernt man nicht in Büchern. Man muss raus und es machen!
Mein neuer Hobofreund hieß Jessie. Er war seit zwei Jahre auf den Schienen unterwegs und gerade dabei seine Reise zu beenden und den letzten Zug nach Hause zu hoppen. „I am ready to deal with my family now.“, sagte er und es berührte mich etwas, dass ich diesen Moment mit ihm teilen konnte. Wir unterhielten uns über die Yards, über Trainhopping und ich hörte gespannt zu. Er erzählte Geschichte von einigen Hardcore Trainhoppern, die Haken an ihren Körpern befestigt haben und Züge „on the run“*** hoppen. „To fly out with the train!“, meinte Jessie. Eine abgefahrene Vorstellung.
Wir schlenderten durch die Stadt. Ich kaufte uns beiden eine Gallone Wasser (3,78L). Jessie hatte kein Geld und musste erst Straßenmusik machen, um sich Wasser kaufen zu können. Ich gab es ihm gerne aus. Er war ein dufter Typ, meinte irgendwann: „I make sure, we get you on a good car.“ Da hab ich mich echt umsorgt gefühlt. Ich war echt dankbar ihn getroffen zu haben.
Trainhopping ist ein Lifestyle. Teil der amerikanischen Kultur mit einer langen Geschichte. Die Trainhopping Community in den USA ist eine sehr geschlossene Gemeinschaft. Es ist illegal, man muss aufpassen. Es sind viele, dumme Kids auf den Schienen unterwegs, die allerlei Scheiße bauen und ein Teil der Trainhopper fühlt sich davon angegriffen. Es soll kein schlechter Eindruck entstehen. Und die Sicherheitsmaßnahmen der Zuggesellschaften sollen nicht noch weiter ausgebaut werden.
Viele Infos zu diesem Sport sind daher nicht öffentlich zugänglich. Es gibt den Crew Change Guide, eine Art Trainhopping-Bibel, mit detaillierten Tips, wo welcher Zug hält und auf was man in diesem Yard achten muss. So einen CCG zu bekommen ist schwierig. Ich hab einige Zeit gebraucht, bis ich einen CCG 2006 bekam. Völlig veraltet. Eigentlich nutzlos, aber besser als nichts.
Umso glücklicher war ich Jessie getroffen zu haben. Er zeigte mir den Hop-Out. Eine Brücke. Ziemlich viel Verkehr darunter. Einige Autos der Military Police überquerten die nahe gelegene Kreuzung. Es dauerte ca. 15 Minuten, da rollte ein Zug in meine Richtung ein. Und stoppte. Ich war schon wieder vollgepumpt mit Adrenalin und fragte Jessie, ob der Zug in meine Richtung fuhr. Er meinte es sei nur eine Lok. Schade. Ich checkte trotzdem das Gleis. Da war definitiv ein langer Güterzug auf den Gleisen. Und in meine Richtung. Also, auf geht’s!
Wir liessen ein weiteres Auto der Militärpolizei passieren und kletterten die Brücke empor. Mitten am helllichten Tag an einer viel befahrenen Straße. Hat sich komisch angefühlt, aber ich dachte „Okay, wird wohl so gemacht.“ Wir kletterten über den Ersten stehenden Zug und konnten dann im Schutz der Wagons zwischen den beiden Stahlkolossen hin und her laufen und nach einem guten „Car“ Ausschau halten.
Wir fanden einen Grainer****. Jessie sagte, ich kann diesen hoppen. Ich kletterte auf, wir sagten Goodbye, danach war verstecken angesagt. Keep yourself low. Nicht gesehen werden! Ich lag auf kaltem, dreckigem Stahl, mein Herz schlug aufgeregt. Die Air-Break zischte, der Zug sollte gleich losfahren. Langsam setzten sich die Wagons in Bewegung und ich war auf meinen ersten Güterzug aufgesprungen. Was für ein Gefühl. Geschafft! Freude und Euphorie. Highball, die Fahrt geht los!
Gefangen auf dem Stahlmonster
Wenn ein Zug rollt, dann rollt er. Und wenn ein Zug rollt, dann wird es laut. Stahl Kupplungen, die mit immenser Kraft die Wagons über die Gleise reißen. Das monotone Geräusch der Räder, die über die Schienen preschen. Staub und Dreck überall. Und vor mir ein hundert Tonnen Container, der sich immer wieder bedrohlich auf meinen Wagon zu bewegt, mit einem heftigen Schlag in die Kupplung gedrückt wird, um bei der nächsten Beschleunigung wieder in die entgegengesetzte Richtung gezogen zu werden. Als wir rollten, erkannte ich, dass ich nun gefangen war. Hier gab es keinen Ausstieg. Alles rumpelte und ich hörte Stahl an jeder Ecke aufeinander schlagen. So ein Güterzug kann Angst machen. Besonders, wenn man mitten drin sitzt.
Die Strecke führte aus der Stadt mitten in den wilden Westen Amerikas. In die unbewohnten Steppen, durch trockene Landschaften die nichts beinhalteten, außer den Gleisen, die uns den Weg vorgaben. Zwischendrin immer wieder anhalten, Züge durchlassen, losfahren, krachende Kupplungen. Ich war auf einem sogenannten Peddlar, ein Low-Priority-Train. Wir fuhren sehr langsam. In den ersten 17 Stunden legten wir ca. 200 Meilen zurück. Ich wusste, dass Züge nicht schnell waren, aber so langsam?
Ich hatte damit gerechnet, dass die Fahrt 8–10 Stunden dauert. Dass ich letztendlich 21 Stunden auf meinem ersten Zug sitzen würde, war nicht eingeplant. Mal wieder hatte ich kein Essen dabei. Mal wieder zu faul zum einkaufen gewesen. Eine Gallone Wasser und ein Päckchen Zigaretten, das war alles. Meine Vorbereitung war schlecht und naiv. Aber solange mein Lift in die richtige Richtung rollt, steig ich nicht aus. Niemals gebe ich einen Lift auf!
Irgendwann wurde es dunkel. Der Zug stoppte vor der alles entscheidenden Kreuzung. Würde er nun weiter nach Westen fahren, dann trägt er mich direkt zu meinem Zielort. Oder rollt er nach Norden, wo ich eigentlich nicht hin möchte. Wir standen bereits seit 30 Minuten und ließen einen Zug nach dem Anderen durch. Ich nutzte die Mondscheinnacht und machte ein paar Fotos. Immer wieder wurde ich leicht Paranoid. Hatte jemand das rote Fokus-Licht meiner Kamera gesehen? Oder vielleicht mich? Ist die Polizei auf dem Weg um den Zug zu durchsuchen? Es sollte noch schlimmer kommen.
Ich tapste durch meine Wagon. Am Boden waren diese Stahlstangen. Verbunden mit der Bremse. Einmal stolperte ich über diese Stange. Das konnte nicht gut gewesen sein für die Mechanik. Ob ich nun etwas kaputt gemacht hatte? Ich saß direkt neben dem Presslufttank der Air-Break. Plötzlich ein lautes, ohrenbetäubendes Zischen. Die Air-Break enlud sich. Acht Bar zischen in die Freiheit, direkt neben meinem Ohr. Tinnitus, Stress, irgendetwas war kaputt. Ich wurde panisch. Starrte zur Lok. Kam da jemand um meinen Wagon um die Bremse zu reparieren? Ich sah ein Licht. Sollte ich nun entdeckt werden? Ich war so unsicher und aufgeregt. Nach wenigen Minuten pumpte die Bremse neuen Druck in den Tank. Dann rollten wir los. Alles gut Stefan.
Ain´t no wrong train
Der Zug überquerte die Kreuzung und steuerte Richtung Norden. Scheiße. Falsche Richtung. Ich muss hier raus. Aber mein so träger und langsamer Peddlar entschloß sich zu einem Hot-Shot***** zu mutieren. Er sollte die nächsten 5 Stunden nicht mehr anhalten. Wir rollten durch die Rocky Mountains. Es wurde sehr kalt. Kalte Luft wehte manchmal von der Seite auf mich. Mein Sommerschlafsack versagte mal wieder und ich zitterte. Wasser und Zigaretten, mehr hatte ich nicht. Ich war müde, durchgefroren, hungrig und fuhr in die falsche Richtung! Frust! Auch das ist Trainhopping: Anstrengend und erbarmungslos. Ich konnte nicht raus. Leidenszeit.
Während ich auf meinem Rucksack saß und irgendwie versuchte mich wach zu halten, sah ich die Berge an mir vorbeiziehen. Die Landschaft war leer und die weiten Ebenen wurden vom Mondschein erhellt. Irgendwo legte sich in mir ein Schalter um. Ich Begriff meine Situation jetzt erst so richtig! Was mir vorher verborgen blieb, kam nun voll in mein Bewusstsein. Wie wunderschön ist das hier! Dieses laute, brutale Stahlmonster. Ich mittendrin. Draußen gleissender Mondschein und an mir ziehen die Rocky Mountains vorbei. Keine Häuser waren zu sehen. Keine Straßen. Ein Panorama, dass man nur auf einem Güterzug erleben kann. Verdammt, wieso friere ich eigentlich?
Euphorie, Glück und Wahnsinn kamen mal wieder aus ihren Betten gekrochen, setzten sich gemeinsam an einen Tisch, entsagten dem Selbstmitleid und ich fing an diese Fahrt in vollen Zügen zu geniessen (haha, dieses Wortspiel). Es war atemberaubend. Serotonin strömte durch meinen Körper. Es war schon einige Zeit her, dass ich „diesen“ Kick beim trampen erlebt hatte. Trainhopping: Meine neue Liebe. Das war Hobo Romantik. Mein Zug wurde zu Gott. Ich ordnete mich bedingungslos unter.
Es war gegen 5 Uhr am morgen, als mein Zug endlich anhielt und mir Gelegenheit zu einer Flucht gab. Ich schaute mich um. Da war tatsächlich eine kleine Siedlung. Zivilisation. Zeit um aus zu steigen. Der Himmel dämmerte bereits. Ich war in Idaho. Ein wenig zu weit nördlich. Aber erstmal runter vom Zug. Meine Ohren waren taub vom Lärm. Als mein Zug sich in Bewegung setzte, schaute ich mir die vorbeifahrenden Wagons nochmal an. Ich hatte keine Eile nach dieser Nacht. Hinter dem Zug wartete ein Auto am Gleisübergang. Ich hielt meinen Daumen raus. Der Fahrer hielt direkt an und nahm mich mit. Ich konnte meine Begeisterung nicht zurück halten und erzählte ihm, dass ich gerade auf diesem Zug mitgefahren bin. Er verstand mich, wir hatten eine gute Unterhaltung. Er ist selbst Güterzüge gehoppt, als er jung war.
*Hobo kommt von „Homeless Bohemian“ und ist eine generelle Bezeichung für all die auf Güterzügen umherreisenden Nomaden.
**Bremssystem der Züge. Die Airbreak kann euch viel über den Zug verraten, wann er losfährt, ob und wie lange er hält. Etc.
***“on the run“ bedeutet, wenn der Zug in Bewegung ist und man währenddessen auf und abspringt. Nicht zu empfehlen übrigens. Idealerweise hoppt man Nachts und nur auf stehende Züge.
****Grainer ist ein Car, welches standardmäßig für Getreide und andere trockene Feststoffe genutzt wird. Man kann nicht alle hoppen, manche haben keinen Sichtschutz oder andere keinen Boden (oder beides).
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Hallo Stefan, deine Aufnahme aus dem Zug ist toll. Sie erinnert mich fast schon an eine Hollywood Produktion. Bin mir jetzt nicht sicher ob ich an einen bestimmten Film erinnert werde oder es allgemein »Hollywood Niveau « ist. jedenfalls wäre das Foto es wert vergrößern zu lassen und es in der Wohnung aufzuhängen
Beeindruckend und mitreißend – das Abenteuer Trainhopping und der Artikel darüber!
Krasse Aktion und spannend beschrieben – ich war kurz richtig gefesselt!
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