Fast Kunst

Du berührst das Bild, fährst mit den Fin­ger­spit­zen über die dicke Schicht Ölfar­be, wan­derst ent­lang grü­ner Palm­we­del, streichst über ein leuch­tend rotes Kleid, zwir­belst schwar­ze Haa­re und stupst eine bron­ze­far­be­ne Nasen­spit­ze.

Du zögerst. Hat die Nase bei dei­ner Berüh­rung gera­de gezuckt? War da nicht ein Flüs­tern?

Die Far­ben wer­den flüs­sig, sie krie­chen, bil­den Stru­del. Die Pig­men­te flie­ßen inein­an­der: Aus Bron­ze wird Rot und Gelb, ver­mischt sich mit Blau und Grün. Lila Trop­fen rin­nen wie Sirup die Lein­wand hin­ab. Der bun­te Strom wan­dert dei­nen Fin­ger ent­lang, färbt dei­ne Hand, dei­nen Arm. Ein Sog zieht dich ins Bild. Du kannst Dich nicht weh­ren, du drehst und drehst dich, alles ver­schwimmt in einem bun­ten Oze­an.

Du öff­nest die Augen.

Die Son­ne am Him­mel blen­det. Der Schat­ten einer Kokos­pal­me streift dei­nen Blick und der Duft von gebra­te­nem Huhn und Vanil­le liegt in der Luft. Die Frau mit dem roten Kleid und der Haut aus Milch­kaf­fee sitzt neben dir, wie ein dickes gemüt­li­ches Sofa­kis­sen. „Malo lei lei, wan­na coco­nut? Cool and fresh?“ Du bist durs­tig. “Yes yes, malo. Thank you.“ Du bist in Ton­ga.

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Paul Gau­gin hat Poly­ne­si­en einst so gemalt, wie er es sich erträumt hat: bunt, ursprüng­lich, wild, unzi­vi­li­siert. Mit nack­ten Schön­hei­ten in Bast­röck­chen, gefloch­te­nen Kör­ben voll Mani­ok und Koch­ba­na­nen, mit damp­fen­dem Hüh­ner­bein aus dem Erd­ofen. Er mal­te Orte am Ende der Welt, an denen die Zeit ste­hen geblie­ben ist, getaucht in sat­te, leuch­ten­de Far­ben. Doch was er statt­des­sen sah, waren Men­schen mit fle­cki­gen Karo­hem­den und aus­ge­tre­te­nen Leder­schu­hen in ihren Well­blech­hüt­ten, viel zu geschäf­tig für das Para­dies. Eben Wes­ten statt Kolo­ni­al-Kitsch.

So ist Ton­ga. Gefloch­te­ne Bast­gür­tel hal­ten die gewal­ti­gen Becken der wuch­ti­gen Frau­en. Wenn sie lächeln, blit­zen gol­de­ne Kro­nen zwi­schen perl­wei­ßen Zäh­nen. Män­ner in waden­lan­gen, schwar­zen Röcken und meter­lan­gen Bast­mat­ten trin­ken Kava – kal­tes Matsch­was­ser, das die Zun­ge betäubt. Zier­li­che Mäd­chen in bun­ten Uni­for­men mit lan­gen, schwar­zen Zöp­fen schlen­dern kichernd zur Schu­le. Von irgend­wo­her läu­ten Kir­chen­glo­cken und der laue Wind trägt den Lob­ge­sang über Herrn Jesu Chris­tus an dein Ohr.

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Nicht weit von hier waschen sanf­te Wel­len den Kalk aus Koral­len­rif­fen und hin­ter­las­sen ein­sa­me, hoh­le Buch­ten, schnee­weiß im glei­ßen­den Son­nen­licht.

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Doch Ton­ga, das sind auch die unzäh­li­gen Chi­ne­sen in bil­li­gen Kunst­le­der­ja­cken, die kein Wort Eng­lisch spre­chen. Ramsch­wa­re aus Asi­en ver­staubt hin­ter den Git­tern ihrer Tan­te-Emma-Läd­chen. Gigan­ti­sche Rekla­me­ta­feln ent­lang der Haupt­stra­ßen ver­spre­chen end­lich schnel­les Inter­net, und Auto­ver­mie­tun­gen schi­cken ihre wür­fel­för­mi­gen Hon­das und Nissans als Shut­tle-Ser­vice zum Flug­ha­fen.

Die Jun­gen tan­zen Hip-Hop in der Dance Aca­de­my und ver­ar­bei­tet so ihre all­täg­li­chen Epi­so­den über Lie­be, Streit und Dro­gen. Die Alten war­ten auf Almo­sen ihrer Ver­wandt­schaft in Neu­see­land oder Aus­tra­li­en, die dem Insel­kö­nig­reich mit sei­ner Kor­rup­ti­on und Armut ent­flo­hen ist. Zar­te Mäd­chen mit sanf­tem Lächeln und sol­che, die ger­ne ech­te Mäd­chen wären, bespa­ßen die Tou­ris­ten in den Beach-Resorts. Die klat­schen und schun­keln dazu, bis die tei­gig-wei­ßen Ober­ar­me wackeln.

Zwi­schen all dem gra­ben fet­te Schwei­ne Yams­wur­zeln mit ihren Rüs­seln aus. Ihre schwe­ren Zit­zen schlei­fen im Dreck, und die Fer­kel quie­ken dazu.

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James Cook hat die­ses Fleck­chen Para­dies in der Süd­see einst „Fri­end­ly Islands“ genannt. So weit weg von Cha­os und Krieg der Palangi Peo­p­le – der Wei­ßen aus dem Wes­ten. Hier weiß man wenig von Gaza und von der Krim. Man hat ande­re Sor­gen, und irgend­wie ist es auch egal.

Du bist so eine Palangi, eine Wei­ße inmit­ten von Bron­ze. Eine Frem­de. Jeder weiß es, jeder sieht es. Doch sie win­ken, spre­chen mit dir, laden dich ein. Nach Kilo­me­tern zu Fuß ent­lang von Kokos­nuss­plan­ta­gen, mit­ten im Busch, hält knat­ternd ein Lie­fer­wa­gen. „Whe­re you wan­na go?!“ fragt ein freund­li­ches Gesicht. „Vei­ton­go“. Ein Nicken, ein Lächeln aus Per­len und Gold, und du springst auf die Lade­flä­che.

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An dir vor­bei zie­hen grü­ne Pal­men, unter dir der rote Sand. Schul­kin­der win­ken dir zu und rufen „Bye!“, nie­mals „Hi“. Du blickst auf dei­ne Hän­de, schwar­zer Dreck unter dei­nen Nägeln. Du kratzt die wei­ße Far­be von der ver­schmier­ten Dose neben dir, ver­reibst sie zwi­schen den Fin­gern. Die Far­be wird flüs­sig, kriecht. Nein, Unsinn. Der Fahrt­wind rupft an dei­nen Haa­ren und weckt dich aus dei­nem Tag­traum.

Das ist echt. Du bist in Ton­ga. Du bist so weit weg von allem. Und du bist glück­lich.

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Antworten

  1. Avatar von Stephie

    Was für ein schö­ner Bericht – pas­send zu den wirk­lich tol­len Fotos 🙂

  2. Avatar von Philipp Laage via Facebook
    Philipp Laage via Facebook

    Sehr schön!

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