The Sound of silence

Es war ein­mal eine jun­ge Frau, die stand in der Wüs­te. Am 25. Dezem­ber. Und dusch­te. Über ihr die Ster­ne bis in den letz­ten Win­kel ange­knipst. Den Kör­per über­zo­gen von fei­ner Gän­se­haut. Im Rücken ein bedui­ni­sches Stoff­zelt. Sie sog die küh­le Wüs­ten­luft tief ein und … Krrrrrrrrrk.

Film­riss.

„Komm bloß nicht zu spät zum Essen“, hat mich der ägyp­ti­sche Rei­se­füh­rer Moham­med gewarnt. „Dann gibt’s näm­lich nix mehr.“ Vom Wüs­ten­es­sen hat er genau­so wenig Ahnung wie von Oman, stel­le ich bald fest. Ich betre­te das größ­te Zelt im Wüs­ten­la­ger. Wer­de in die Schlacht am Buf­fet à la Kreuz­fahrt­schiff geschubst. Fra­ge mich, ob der Oma neben mir, die das Essen so hoch auf ihren Tel­ler türmt, dass die Hälf­te hin­ten wie­der run­ter­rutscht, nicht ein paar Tas­sen im Schrank feh­len. Genau wie dem 1000 Nights Camp, in dem ich gera­de bin, eine Nacht fehlt. Und ich ärge­re mich zum zigs­ten Male, dass ich eine Grup­pen­rei­se in den Oman gebucht habe. Die ers­te mei­nes Lebens. Und die letz­te.

Wüs­tensur­fen

Schon die Fahrt in die Wüs­te glich der Fahrt auf einer deut­schen Auto­bahn. Auf einer Stre­cke ohne Tem­po­li­mit. Wir waren zu spät dran. Weil ‚die Che­fin‘, wie alle in der Grup­pe die selbst­er­klär­te Wort­füh­re­rin der Grup­pe nen­nen, unter­wegs noch­mal extra Pipi muss­te. Extra Pipi war aber nicht ein­ge­plant in dem nach Minu­ten­takt auf­ge­setz­ten Stun­den­plan. Und dann fehl­te genau ein Jeep-Taxi in dem klei­nen Ort Min­trib, von wo es in die Wüs­te gehen soll­te. Mir war’s wurscht gewe­sen. Ich hät­te den Jeep-Fah­rern in ihren engels­wei­ßen Dish­da­shas und Tur­ba­nen stun­den­lang zuse­hen kön­nen. Einer ein bes­se­rer Unter­wä­sche-Model-Kan­di­dat als der nächs­te. Wie sie auf­ge­regt mit­ein­an­der auf Ara­bisch spra­chen, zwi­schen Wagen hin- und her­lie­fen, in Han­dys fauch­ten. Bis der feh­len­de Wagen her­an­braus­te.

Son­nen­un­ter­gang in der Wüs­te Ram­lat al-Wahi­ba stand auf dem Pro­gramm. Und wenn das auf dem Pro­gramm steht, hat das ver­dammt noch­mal auch so zu sein. Die ers­ten Tou­ris­ten neben mir im Jeep maul­ten etwas von „Geld zurück“, einer Frau wur­de schlecht. Mein Blick kleb­te abwech­selnd an den Reh­au­gen des Fah­rers im Rück­spie­gel und an der vor dem Fens­ter vor­bei­ra­sen­den Wüs­ten­land­schaft. Wie Wel­len bäum­ten sich Sand­dü­nen vor uns auf. Reh­au­ge trat das Gas­pe­dal durch und wir schos­sen rauf, dann gleich wie­der run­ter. Wur­den von rechts nach links und zurück geschleu­dert. Ich kam mir vor, als surf­te ich. Mit dem Auto. In der Wüs­te. Es war mein ers­tes Wüs­ten­mal. Ein ein­zi­ges Mal sah ich ein paar Kame­le vor­bei­schlur­fen, geführt von einem Tur­ban-Mann, dann tauch­te eine Her­de Zie­gen auf. Wir waren zu schnell, als dass ich sie mit den Augen scharf­stel­len konn­te.

Wir schos­sen einen Sand­gip­fel hoch. Reh­au­ge latsch­te auf die Brem­se, dass wir alle nach vor­ne flo­gen. Irgend­je­mand woll­te sein Geld nun ganz bestimmt zurück. Reh­au­ge ges­ti­ku­lier­te. Wir soll­ten aus­stei­gen. Auf dem Pro­gramm stand, dass hier jetzt die Son­ne unter­ge­hen muss­te. Aber sie war weg. Gera­de ver­schwun­den hin­ter einem Sand­hau­fen am Hori­zont. Ach du Schei­ße. Moham­med starr­te betre­ten auf sei­ne Füße, mur­mel­te eine Ent­schul­di­gung. Weg war sie, die ein­zi­ge Chan­ce, einen Son­nen­un­ter­gang in der Wüs­te zu sehen. Denn wir soll­ten hier nur eine Nacht blei­ben. Im 1000 Nights Camp. Am Fol­ge­tag muss­te die nächs­te Lis­te abge­ar­bei­tet wer­den. Und da stand erst mal nur aus der Wüs­te raus­fah­ren auf dem Pro­gramm.

Chall­enge accept­ed

Hät­te ich nicht schon an den Tagen zuvor kapiert, dass Grup­pen­rei­sen nichts für mich sind, wür­de der Geis­tes­blitz spä­tes­tens an die­sem Abend ein­ge­schla­gen. Die Fres­se­rei im Zelt wird beglei­tet von jau­len­den Gesän­gen, von unzäh­li­gen Ange­bo­ten, mei­ne Hän­de mit Hen­na bema­len zu las­sen und von den Nör­ge­lei­en mei­ner Mit­rei­sen­den. Ich wün­sche mir einen Fla­schen­geist, der das gesam­te Volk um mich her­um mal schnell weg­be­amt. Auf nichts habe ich mich so sehr gefreut wie auf die Wüs­te. Und jetzt das.

Ich fra­ge Moham­med, ob man die Dünen, die sich wie die Alpen rechts und links neben dem Lager düs­ter vor dem erleuch­te­ten Him­mel auf­tür­men, bestei­gen kann. Er schaut mich an, als sprä­chen wir plötz­lich nicht mehr die­sel­be Spra­che. „Das Lager ist ein­ge­zäunt“, grunzt er nur und taucht wie­der in sei­nem Tel­ler ab. „Ein­ge­zäunt“, mur­me­le ich, wäh­rend ich mich früh in mein Heim für die­se Nacht zurück­zie­he. Bis auf Duschen unterm Ster­nen­zelt habe ich die Wüs­te noch kei­nen Deut genos­sen. Doch sobald ich das Fress­ge­la­ge und Gejau­le hin­ter mir gelas­sen habe, schmie­de ich mei­nen Plan.

Zäu­ne sind dafür gemacht, sie zu über­klet­tern oder zu durch­bre­chen. Und eine Wüs­te dafür, Stil­le und Wei­te zu genie­ßen. Irgend­wo weit ab von Rei­se­grup­pen. Irgend­wo, wo ich dem Him­mel näher sein kann. Der Son­ne. Die müss­te gegen sechs Uhr auf­ge­hen. Ich stel­le mei­nen Wecker auf Vier­tel nach fünf.

Jen­seits des Gip­fels

Um Vier­tel nach fünf  ist es noch stock­dun­kel in mei­nem Zelt und im gesam­tem Lager. Das Camp liegt so ruhig und ver­las­sen da, als hät­te der Sand die Tou­ris­ten und das Buf­fet und den Gesang über Nacht begra­ben. Das elek­tri­sche Licht funk­tio­niert nicht mehr, und der Him­mel hat sogar sämt­li­che Ster­ne ver­schluckt. Auch das noch! Wie soll ich den Son­nen­auf­gang sehen, wenn fet­te Wol­ken über mir hän­gen? Mei­ne Hoff­nung fährt run­ter. Und jetzt? Ich bin müde, mein Magen knurrt und über­haupt kom­me ich mor­gens nie so rich­tig in die Puschen. Hin­ter mir steht das war­me Zelt mit dem gemüt­li­chen Bett.

Ich gehe wei­ter, zwi­schen Zel­ten hin­durch nach rechts, nur mit­hil­fe mei­nes schwa­chen Han­dy­lichts. Es dau­ert nicht lan­ge, bis ich vor ihm ste­he: dem Zaun. Zumin­dest damit hat­te Moham­med recht. Sta­chel­draht. War­um braucht ein Wüs­ten­la­ger Sta­chel­draht­zaun? Ich lau­fe ein Stück wei­ter run­ter, und die­ses Mal wer­de ich nicht ent­täuscht. An einer Stel­le ist der Zaun run­ter­ge­drückt, als hät­te er den Kampf mit einem toll­wü­ti­gen Kamel ver­lo­ren. Da pas­sen selbst mei­ne schlap­pen Bei­ne drü­ber.

Und dann ste­he ich vor einem dunk­len Unge­tüm aus Sand und ver­ste­he end­lich, war­um ich hier ganz allein bin. Jen­seits aller für Rei­se­grup­pen denk­ba­ren Pro­gram­me. Und genau die­ser Gedan­ke ist es, der mich die ers­ten bei­den Schrit­te vor­wärts treibt. Nur, dass ich sofort wie­der zurück­rut­sche. Ich tue noch zwei Schrit­te. Und einen zurück. Alpen­wan­dern ist dage­gen für Babys. Ich sehe nach oben, doch da sind nur eine Wand und Dun­kel­heit. Zum Glück war ich schon immer grot­ten­schlecht dar­in, Ent­fer­nun­gen genau zu schät­zen. Und dann ist da noch der Nebel­schlei­er, der irgend­wo über mir hängt. Wie­so tue ich das hier, wenn ich doch kei­nen Son­nen­auf­gang sehen wer­de? Noch zwei Schrit­te. Andert­halb zurück. Lang­sam erin­nert mich das Unter­fan­gen an das ver­damm­te Leben. Ich flu­che und schnau­fe und schwit­ze und habe nicht genug Was­ser dabei und kein Essen. Die feuch­te Mor­gen­luft legt sich wie eine Mas­ke über mein Gesicht.

Ich schaue nur auf mei­ne Füße. Bloß nicht auf­se­hen oder zurück. Wahr­schein­lich bin ich immer noch fünf Meter vom Aus­gangs­punkt ent­fernt. Es gibt nur eine Rich­tung, und die heißt Wei­ter. Zwei Schrit­te vor, einen zurück. Wie vie­le Kalo­rien ver­brennt man bei die­sem Früh­sport wohl? Am kom­men­den Abend soll­te auch ich mal ordent­lich bei einem Buf­fet zuschla­gen.

Lang­sam kommt von oben Licht. Und ich tue es. Schaue auf. Da! Der Gip­fel. Eigent­lich ganz nah. Nur nicht, wenn man auf Sand läuft. Mein Adre­na­lin pumpt, die Ent­schlos­sen­heit umklam­mert mich wie ein Ertrin­ken­der. Und irgend­wann ist er zu mei­nen Füßen. Der Gip­fel. Ich schreie vor Glück und fal­le mit dem Bauch zuerst auf die Spit­ze aus Sand. Zwi­schen mei­nen Zäh­nen knirscht es, ich habe unend­li­chen Durst. Sekun­den ver­ge­hen, viel­leicht Minu­ten. Ich lie­ge ein­fach da, auf dem kal­ten Sand. Und dann dre­he ich mich ganz lang­sam auf die Sei­te. Der Sand fällt von mei­nen Lip­pen ab, wäh­rend ich den Mund bis zum Anschlag öff­ne.

The sound of silence

Über mir wird der Him­mel immer kla­rer. Habe ich die Wol­ken bei mei­nem Auf­stieg etwa ver­schluckt? Ich sehe zurück. Auf die Wat­te­schicht unter mir. Über dem Tal, wo Moham­med, die Che­fin, die ‚Ich-will-mein-Geld-zurück-Frau‘ und alle ande­ren noch woh­lig schnar­chen. Ich bin unend­lich weit weg. Jen­seits der Wol­ken. Allein mit einem Meer aus Sand, wor­in der Wind in Form leich­ter Ker­ben sei­nen Fin­ger­ab­druck hin­ter­las­sen hat. Ich star­re auf die rot-brau­nen Dünen, die dem Hori­zont ent­ge­gen­rol­len. Das Gefühl packt mich, auf die­sen Hori­zont zuren­nen zu wol­len, ein­fach drauf­los, der Son­ne ent­ge­gen. Dabei ist sie noch gar nicht zu sehen. Ich bin zu früh.

In einer Welt und einem Leben, die einem stän­dig das Gefühl ver­mit­teln, für alles zu spät zu sein, habe ich ver­ges­sen, wie es ist, auch mal zu früh zu sein. Mir den Luxus des War­tens erlau­ben zu kön­nen, ohne unge­dul­dig zu wer­den. Ich füh­le mich so leicht, als wäre das alles gar nicht wahr, doch mei­ne ein­sa­men Fuß­spu­ren ver­ra­ten, dass es mich hier oben wirk­lich gibt. Über die Dünen lau­fe ich dem wei­ten, bläu­lich rosa­far­be­nen Hori­zont ent­ge­gen, bis ich das Tal längst nicht mehr sehe. Wie wäre es wohl, sich in einer Wüs­te zu ver­lau­fen? Allein ohne Pro­vi­ant. Wahr­schein­lich nicht so toll. Irgend­wann gebe ich die Wahn­vor­stel­lung, die Son­ne am Hori­zont begrü­ßen zu kön­nen, auf. Keh­re zurück zu mei­ner Dünen­spit­ze über dem nebe­li­gen Tal. Set­ze mich. Spü­re, wie der Schweiß unter mei­ner Jacke trock­net. Wie mir eine Bri­se durch die Haa­re streicht. Wie mei­ne Bein­mus­keln von der Anstren­gung lang­sa­mer zit­tern. Ich atme ein und aus und lau­sche. Muss an Simon & Gar­fun­kel den­ken. An den Sound of silence. Und kann die­sem Sound end­lich eine Erfah­rung zuord­nen.

Am Him­mel zieht irgend­wo jemand ganz sach­te den Vor­hang wei­ter auf. Nur für mich. Ich wen­de den Blick vom Tal, dre­he mich um. Der Him­mel nimmt rosa-oran­ge­ne Pas­tell­tö­ne an. Ich star­re dem Hori­zont ent­ge­gen. War­te auf die Schau. Jede Sekun­de muss es soweit sein. Die ers­te rote Run­dung späht über die wal­len­den Dünen. Ich hal­te den Atem an. Ein Ball, so feu­rig, wie ich ihn noch nie gese­hen habe, kriecht da hin­ten aus sei­nen Gefil­den. Ich las­se den Blick nicht von ihm, spü­re, wie sich mein Herz mit Licht füllt. Sau­ge jeden Strahl mit jedem Ein­at­men auf und schaue zu, wie die Son­ne die Sand­hü­gel mit mei­nen Fuß­spu­ren in war­mes Rot taucht. Hin­ter und weit unter mir hat der Nebel das Tal noch fest im Griff. Ich schie­ße tau­send men­ta­le Fotos, tüte die Wüs­ten­bri­se und den Sound of silence tief in mir ein. Für all die Momen­te, in denen die Alarm­leuch­te mal wie­der auf einen arg lee­ren Glückstank hin­weist.

Und wenn sie nicht gestor­ben ist … Äh … Wenn nicht das Früh­stück im Fress­la­ger gelockt hät­te und die nächs­te Check­lis­te, dann säße ich wahr­schein­lich noch heu­te dort.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Bernadette

    Dan­ke, Dani­el 🙂 Die Fahrt durch den Oman wird bestimmt super, ich war auch vor eini­gen Jah­ren dort und habe das Land geliebt. Viel Spaß!
    LG
    Ber­na­dette

  2. Avatar von Daniel
    Daniel

    net­te Geschich­te, bra­vo! Fah­ren zu sechst auf eige­ne Faust zwei gute Wochen ab den 19.2.2019 durch den Oman und sind schon sehr neu­gie­rig

    lg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert