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Déja vù
Ich stehe vor der historischen Kulisse des ehemaligen Bahnhofs in La Paz um in eines der modernsten und jüngsten Verkehrsmittel zu steigen: dem Teleferico. Da habe ich ein Dejà vù: Bin ich nicht genau hier 1980 zum ersten Mal angekommen, habe meinen Rucksack abgeschnallt und mich Hals über Kopf in dieses Land verliebt? Ja, das war hier. Als 24 jährige. Damals kam ich mit dem Zug aus Potosi. Der fuhr über die bolivianische Hochebene. Im „El Alto“, der oberen Stadt von La Paz, angekommen, tuckelte die Bahn den Berg hinunter nach La Paz. Ein Stunde dauerte die Fahrt. Weil die Schienen keine Kurven hatten fuhr der Zug vor und zurück, vor und zurück. Im Zickzack.
Der alte Bahnhof. Dahinter befindet sich nun die Seilbahnstation
Später wurde der Zug eingestellt und die einzige Autobahn Boliviens gebaut: vom Flughafen El Alto runter in die Stadt, etwa 13 Kilometer. Ende der Autobahn. Das Verkehrschaos vorprogrammiert.
Warten auf den Teleferico
Und jetzt? Jetzt soll genau hier das größte städtische Seilbahnprojekt der Welt Fahrt aufnehmen. Und die Menschen stehen Schlange um eine Probefahrt zu machen. Geduldig hintereinander aufgereiht warten Bauern in ihren traditionellen Ponchos, Anwälte in Anzügen und Krawatten, Hausfrauen mit großen Sonnenbrillen und hochhackigen Schuhen neben den indigenen „Cholitas“ mit ihren bauschigen Röcken und melonenartigen Hüten. Die Sonne brennt vom tiefblauen Andenhimmel auf meinen hutlosen Kopf. Ich reihe mich geduldig ein in die bunte Schlange.
Ein alter, gehbehinderter Mann mit Poncho hat sich hinter mir aufgestellt. Er kommt vom Land und wollte ein paar Sachen im „El Alto“ einkaufen. Da hat er von der Seilbahn gehört und will es unbedingt ausprobieren. „Haben Sie keine Angst?“ frage ich ihn auf Aymara, der Sprache der Ureinwohner. Er lacht: „Warum soll ich Angst haben“, sagt er und zeigt auf die schneebedeckten Gipfel der Anden, „siehst du die Tatas nicht, die Götter, die auf den Bergen wohnen? Die werden mich beschützen.“ Nicht nur die Götter stehen dem alten Mann bei, auch ein Polizist nimmt sich seiner an. „Kommen Sie mit mir, ich bringe sie gleich zum Gondeleinstieg,“, sagt er und der Alte zwinkert mir zu. Selbst wenn die Götter da nachgeholfen haben sollten: aus der Facebookkampagne weiss ich, dass Alte, Schwangere, Frauen mit kleinen Kindern und Behinderte nicht warten müssen. Sie dürfen die Aufzüge nutzen und haben direkten Zugang zu den Gondeln.
Das ist der Slogan, der in diesen Tagen La Paz auf allen Kanälen, Facebook und Twitter beherrscht. Soll heißen: unsere Welten verbindend. Die neue Seilbahn verbindet die „obere“ Stadt El Alto mit der „unteren“ Stadt La Paz. In beiden Stadtteilen leben je rund eine Millionen Menschen. Dazwischen liegen nicht nur 1200 Höhenmeter sondern eben auch Welten. Die der Armen und der Reichen, die der Unternehmer und der Arbeiter, die der Weissen und der Indigenen.
El Alto und La Paz. Dazwischen: Welten
El Alto liegt 4000 Meter über dem Meerespiegel. Über 90% seiner Einwohner sind Aymara und Quechua, also indianischer Herkunft. Die Stadt wächst mit atemberaubender Geschwindigkeit. Die reichere, weil klimatisch attraktivere Stadt La Paz mit Regierungssitz, kommerziellen Zentrum und den Wohnvierteln der Mittel-und Oberschicht befindet sich darunter liegend in einem zerklüfteten Kessel mit schwindelerregenden Schluchten und zahlreichen Nebentälern. Ein Topografie, die den Bau von Strassenbahnen oder Metro praktisch unmöglich macht. Aber wie prädestiniert ist für ein Seilbahnsystem. Evo Morales Ayma, Präsident von Bolivien und selbst Aymara aus einfachsten Verhältnissen will diese Welten zusammenfügen. Mit einem Seilbahnsystem, das er zur Chefsache erklärt hat und mit dem er bei der Bevölkerung punkten kann.
Schweben über La Paz
Endlich ist es soweit: zusammen mit sieben anderen Passagieren besteige ich die Gondel. Als Skifahrerin ist das Gondelfahren nicht neu für mich aber alle anderen Mitreisenden fahren zum ersten Mal. Francis, ein Cholita, hat ihren traditionellen bunten Awayu, mit dem die Aymarafrauen Lasten auf dem Rücken tragen, auf dem Schoss deponiert und klammert sich an ihn. Die Gondel schwebt aus der Station und unter uns tut sich ein Meer an Häusern und verwinkelten Strassen auf. Francis ruft noch schnell die Götter an und bittet um ihren Schutz „Ay tata Illimani, Pachamama cuidennos en este viaje“ betet sie. Als die Gondel dann ruhig und gleichmäßig mit 18 kmh dem Himmel entgegenschwebt entspannen sich ihre Gesichtszüge.
Fotos werden gemacht, die Namen der überschwebten Stadtviertel aufgezählt, Strassennamen geraten. Auch ich erkenne einige Viertel aus früheren Besuchen wieder. Wie oft habe ich mich in den Neuniziger Jahren zu Fuß hoch gequält wenn die Chauffeure der Kleinbusse und Taxen streikten. Fast drei Stunden war ich für den Weg bergauf unterwegs. Jetzt liegen die steilen Strassen, die ich damals keuchend erklommen habe, unter mir. Es tost der Verkehr, Stossstange an Stosstange reihen sich russende Kleinbusse und schrottreife Kollektivtaxen, die noch nie einen TÜV gesehen haben. Alle sind in privaten Händen. Öffentlicher Nahverkehr: Fehlanzeige.
Leise dringt das Konzert von Hupen und Motoren zu uns hoch. Ich schaue zurück und blicke auf das gigantische Häusermeer mit dem schneebedeckten Illimani im Hintergrund. Es gefällt mir, es ist wie eine Auszeit, dieses Schweben über dem Verkehrschaos. Auch meine Mitfahrerin Francis ist inzwischen ganz entspannt. Sie lacht und scherzt, wie lange die Seile wohl halten werden und wie es wohl wäre wenn man bei Stromausfall genau über dem Friedhof anhalte und dort übernachten müsse. Ob dann wohl die Seelen der Verstorbenen nicht auch in der Seilbahn Platz nehmen wollten?
Das mit den Seelen kann ich ihr nicht beantworten. Aber das mit dem Stromausfall. Dafür gibt es Dieselgeneratoren, die das System unabhängig zweieinhalb Stunden lang mit Strom versorgen können. Zeit genug also, die Passagiere sicher zur Station zu bringen. Und überhaupt: Die, die die Seilbahn bauen sind Österreicher und haben’s voll drauf. Doppelmayr baut nicht nur die Kabinen sondern ist für das gesamte System zuständig…inklusive Wartung. Francis ist endgültig beruhigt und als unsere Gondel nach 10 Minuten Fahrt wohlbehalten in die Station „El Alto“ einfährt lacht sie und sagt: „Das war toll, das will ich öfter machen, danke Evo!“
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Antwort
wunderschön =)
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