Schließ die Augen!

Argen­ti­ni­en, April 2006.
Das mit dem argen­ti­ni­schen Tan­go ist eine Sache für sich. Natür­lich will man die­sen Tanz ein­mal pro­biert haben, wenn man vie­le Mona­te in Argen­ti­ni­en ver­bringt. Im Inter­net suche ich also nach Tan­go-Kur­sen, wer­de fün­dig, mel­de mich an, freue mich dar­auf, in die­se mir neue Welt ein­tau­chen zu dür­fen. Die Ent­täu­schung ist groß, als ich die ers­te Tanz­stun­de hin­ter mir habe: Den Kurs besu­chen fast aus­schließ­lich Tou­ris­ten. Sie kom­men ein- oder zwei­mal wäh­rend ihres Urlau­bes vor­bei, dann wer­den sie durch neue Tou­ris­ten ersetzt. Ich habe grund­sätz­lich nichts gegen Tou­ris­ten, oder viel­leicht doch, ich weiß es nicht so genau. Um Tan­go zu ler­nen, sind sie auf jeden Fall nicht die bes­ten Tanz­part­ner. Ich bin schnell davon über­zeugt, dass es beim Tan­go unglaub­lich wich­tig ist, dass der Mann füh­ren kön­nen muss, dass er wis­sen muss, wie die­ser Tanz funk­tio­niert, dass er die­sen füh­len muss. Doch die­se Tou­ris­ten – so glau­be ich – haben kei­ne Ahnung. Ein paar Mal besu­che ich den Kurs noch, ler­ne die Grund­schrit­te. Dann beschlie­ße ich, nicht mehr hin­zu­ge­hen, zu groß ist die Enttäuschung.Einige Tage spä­ter fah­re ich ins Stadt­zen­trum, um ein Foto­buch dru­cken zu las­sen. Ich betre­te eine klei­ne Dru­cke­rei, etwas her­un­ter­ge­kom­men sieht sie aus. Drin­nen aber stau­ne ich, als ich die uralten Druck­ma­schi­nen sehe. Ein alter Mann steht irgend­wo im hin­te­ren Eck und schnei­det fri­sche Dru­cke zurecht. Sein jün­ge­rer Kol­le­ge kommt zu mir her und fragt nach mei­nen Wün­schen. Ich erklä­re ihm, was ich brau­che, er macht sich an die Arbeit. Wäh­rend mei­ne Fotos aus dem Dru­cker rat­tern, kommt der Mann wie­der zu mir her und wir begin­nen über Gott und die Welt zu plau­dern. Irgend­wann erzäh­le ich ihm dann auch von mei­ner Ent­täu­schung im Tan­go-Kurs. Da begin­nen sei­ne Augen zu leuch­ten. Er erzählt mir, dass er Tan­go-Sän­ger wäre und am Wochen­en­de ein Kon­zert in einer klei­nen Bar gebe. Er lädt mich ein, vor­bei­zu­schau­en und ich ver­spre­che, zu kom­men.

Als ich in die Bar kom­me, ist nie­mand da. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich in der Zeit geirrt habe, ste­he rat­los zwi­schen den lee­ren Tischen. Als ich beschlie­ße, die Bar wie­der zu ver­las­sen und etwas spä­ter zurück­zu­kom­men, steht plötz­lich der Tan­go-Sän­ger aus der Dru­cke­rei vor mir. Er nimmt mei­ne Hand in die sei­ne, legt die ande­re auf mei­nen Rücken. Ein Tan­go erklingt im Raum. Er sagt, ich sol­le die Augen schlie­ßen und machen, was er mir mit der Hand im Rücken deu­te. Ich gehor­che, schlie­ße die Augen.

Und tat­säch­lich: Der Mann aus der Dru­cke­rei zeigt mir mit der Hand am Rücken, in wel­che Rich­tung ich mich zu dre­hen habe, wann ich mich schnel­ler, wann lang­sa­mer bewe­gen muss, wann einen Schritt nach vor­ne, wann einen nach hin­ten machen soll. Ich bin über­wäl­tigt: Ich tan­ze Tan­go! In einer klei­nen Tan­go-Bar mit einem Tan­go-Sän­ger, der nicht nur weiß, wie man den argen­ti­ni­schen Tan­go singt, son­dern auch, wie man ihn tanzt.

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Antworten

  1. Avatar von Mathilde

    Und, tanzt Du jetzt öfter? Oder war das ein ein­ma­li­ger Aus­flug?

    1. Avatar von 100 Sterne und der Mond

      Tan­go habe ich seit­dem nicht mehr wirk­lich getanzt, weil ich zwei oder drei Wochen nach die­sem Erleb­nis nach Euro­pa zurück bin und seit­dem nur noch ein­mal kurz in Argen­ti­ni­en war. 2014 bin ich nach 7 Jah­ren wie­der dort, ich wer­de das – den­ke ich – schon noch­mals pro­bie­ren 🙂

  2. Avatar von Hol Rin via Facebook
    Hol Rin via Facebook

    toll! 🙂
    Wie ger­ne wür­de ich Tan­go ler­nen in Argen­ti­na…
    (Ob ich dann auch ein doo­fer Tou­rist wäre? irgend­wie…)

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