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Tag 6: Badespaß im Südpolarmeer – der Vulkankrater von Deception Island

Antarktis, Deception Island, copyrigth www.pushandreset.comAntarktis_Deception_Island_Strand_pushreset

Kras­se Kon­tras­te: Bedeckt von Schnee und Eis ist Decep­ti­on Island, eine Vul­kan-Insel am Ran­de der Ant­ark­tis. Ihr hei­ßer Strand bringt das kal­te Meer­was­ser zum damp­fen 

Wie­so über­kom­men einen selt­sam-mul­mi­ge Gefüh­le, wenn man sich im Kra­ter eines Vul­kans auf­hält? War­um beru­higt die Anga­be nicht, dass es hier seit rund 50 Jah­ren nicht mehr zu einer Erup­ti­on gekom­men ist? Wes­halb ste­hen wir jetzt auf der rund 100 Meter hohen Kup­pe eines von Schnee flan­kier­ten Ber­ges, der nur aus Geröll zu bestehen scheint, und haben den Ein­druck, nicht nur in die Fer­ne sehen zu kön­nen – son­dern auch in die Zeit?

Pin­gui­ne strei­cheln? Bloß nicht!

Wir haben uns einen Recher­che-Traum erfüllt – eine Rei­se in die Ant­ark­tis. In Mon­te­vi­deo sind wir an Bord der »MS Bre­men« gegan­gen. Das Kreuz­fahrt­schiff von Hapag Lloyd Kreuz­fahr­ten ist nur 111 Meter lang, hat knapp 100 Besat­zungs­mit­glie­der und Platz für rund 160 Pas­sa­gie­re. Es ver­fügt über die für Kreuz­fahrt­schif­fe höchs­te Eis­klas­se. Und weil in der Ant­ark­tis nir­gends mehr als 100 Besu­cher zur glei­chen Zeit an Land sein dür­fen, muss ein Gast der Bre­men gar nicht sooo lan­ge war­ten, bis er Pin­gui­ne strei­cheln darf. Äh, ach ja, stimmt, man darf die gar nicht strei­cheln, man darf sich ihnen nur bis maxi­mal fünf Meter nähern.

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Ver­las­se­ner Fort­schritts­glau­be: 1928 star­te­te der Aus­tra­li­er Hubert Wil­kins von Decep­ti­on Island zu Erkun­dungs­flü­gen über die Ant­ark­tis. Die Han­gar stammt aus den 1960er-Jah­ren

Als mit­rei­sen­de Jour­na­lis­ten muss­ten wir unser Vor­ha­ben, über die­se Rei­se zu berich­ten, beim Umwelt­bun­des­amt anmel­den. Die Behör­de ist dafür ver­ant­wort­lich, dass sich deut­sche Staats­bür­ger an den Ant­ark­tis-Ver­trag hal­ten. In Medi­en­be­rich­ten dür­fen wir kei­ne Fotos zei­gen, die den Ein­druck ver­mit­teln, man dür­fe den Tie­ren ganz nah sein. Meh­re­re Mona­te wur­de unser Antrag geprüft, schließ­lich erhiel­ten wir – mit dem Hin­weis, dass man einen Nach­be­richt ver­lan­ge – die Geneh­mi­gung. Yeah.

Der 6. Kon­ti­nent? Land in Sicht!

Jetzt sind wir schon mehr als eine Woche unter­wegs – über die Rei­se selbst in nächs­ter Zeit mehr – und nähern uns dem eigent­li­chen Ziel die­ser Fahrt: der Ant­ark­tis. Decep­ti­on-Island liegt ganz nah dran, und den­noch wer­den wir den Sub­kon­ti­nent nur strei­fen. Im Novem­ber, dem Beginn des ant­ark­ti­schen Hoch­som­mers, ist das Pack­eis noch so mäch­tig, dass kaum die Mög­lich­keit besteht, das Fest­land zu errei­chen.

Antarktis_Deception_Island_Gebäude_Tür_pushresetAntarktis, Deception Island, copyrigth www.pushandreset.comAntarktis, Deception Island, copyrigth www.pushandreset.com

Tand, Tand ist das Gebil­de von Men­schen­hand: Bis zur Decke mit Schnee gefüllt ist der Han­gar, bis zum Lenk­rad im Sand ver­sun­ken der Trak­tor.  Auf Decep­ti­on Island haben die Pin­gui­ne das Sagen

Nir­gends auf der Welt ist es so ein­sam wie in der Ant­ark­tis. Die Land­mas­se von der Grö­ße Euro­pas hat kei­ne Urein­woh­ner. 40 For­schungs­sta­tio­nen wur­den errich­tet, die meis­ten sind nur im Som­mer besetzt, oft lie­gen eini­ge hun­dert Kilo­me­ter zwi­schen ihnen. Im Win­ter, wenn die Son­ne nie auf­geht, zeigt sich die Welt am Süd­pol so unwirt­lich wie ein frem­der Pla­net – mit Tem­pe­ra­tu­ren von −30 bis −60 Grad und Stür­men, die mit 300 Kilo­me­tern pro Stun­de über das von einer kilo­me­ter­di­cken Schnee­schicht bedeck­te Land rasen.

Insel der Täu­schung? Vul­kan on the rocks.

Decep­ti­on Island wur­de zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts ent­deckt und bis ins 20. Jahr­hun­dert von Wal­fän­gern als Basis genutzt. Noch „vor kur­zem“ (erd­ge­schicht­lich gespro­chen) hat es hier vul­ka­ni­sche Akti­vi­tät gege­ben. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jah­re kam es zu hef­ti­gen Erup­tio­nen, bei denen eini­ge der hier errich­te­ten For­schungs­sta­tio­nen zer­stört wur­den. Vor knapp 20 Jah­ren hat man ein Erd­be­ben gemes­sen. Und noch immer kocht die Erde. Aus dem Sand am Strand dampft es. Wer da mit nack­ten Füßen läuft, so heißt es, ver­brennt sich die Soh­len. Eine ver­rück­te Vor­stel­lung, denn im Was­ser, das gegen das seich­te Ufer und den wei­ßen Schiffs­rumpf plät­schert, treibt Eis.

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Ansichts­sa­che: Längst ver­las­sen ist die Wal­fang­sta­ti­on, der die „Whaler’s Bay“ ihren Namen ver­dankt, die­ser 101 Meter hohe Hügel bie­tet bes­te Bli­cke auf die Cal­de­ra

Decep­ti­on Island ist eine in jeg­li­cher Hin­sicht beson­de­re Insel, ein erlo­sche­ner Vul­kan, des­sen inzwi­schen mit Was­ser gefüll­te Cal­de­ra einen Durch­mes­ser von 13 Kilo­me­tern hat. Eine rund 300 Meter brei­te Meer­enge ver­bin­det die­sen natür­li­chen Hafen mit dem Meer. Die Fahrt durch den Sund, der wegen sei­ner star­ken Strö­mung von See­leu­ten „Neptun’s Bel­lows“ –  Bla­se­balg – genannt wur­de, scheint ein­fach. Und birgt doch Gefah­ren: Die Strö­mung kann ein Schiff gegen die schrof­fen, bis 50 Meter steil auf­ra­gen­den Fels­wän­de drü­cken. Zudem liegt nur zwei­ein­halb Meter unter der Was­ser­ober­flä­che der „Raven Rock“, er schlitz­te 2007 das Hur­tig­ru­ten-Schiff „Nord­kapp“ auf. Alle Pas­sa­gie­re muss­ten eva­ku­iert wer­den.

Antarktis, Deception Island, copyrigth www.pushandreset.comAntarktis_Deception_Island_Blick_pushreset

Rück­blick und Aus­blick: Das obe­re Bild zeigt einen Vul­kan­kra­ter in der Cal­de­ra, links „Neptun’s Bel­lows“, das unte­re Bild den noch unter einer geschlos­se­nen Eis­de­cke lie­gen­de rück­wär­ti­gen Teil

Kapi­tän Mark Beh­rend hat­te uns zur Fahrt durch den Bla­se­balg auf die Brü­cke ein­ge­la­den. Die Stim­mung war hoch kon­zen­triert, knap­pe Kom­man­dos rie­fen die Offi­zie­re ein­an­der zu, kon­trol­lier­ten Abstän­de, prüf­ten Was­ser­tie­fe und Wind­ge­schwin­dig­keit. Nach weni­gen Minu­ten hat das Schiff die schma­le Durch­fahrt zwi­schen den schwar­zen Fel­sen gemeis­tert und bewegt sich nun mit gerin­gem Tem­po auf „Whaler’s Bay“ zu. Und dann rauscht der Anker in die Tie­fe. Fast 80 Meter Ket­te rat­tern hin­ter­her. Rost­brau­ner Staub steht in der Luft.

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Ein Bade­strand in der Ant­ark­tis: Mit Ste­fan Drev­lak, dem Hotel­di­rek­tor der Bre­men, wagen wir das Bad im Eis­meer. Und, ja, es ist kalt. Ver­dammt kalt

Wer lebt hier? Heu­te wir!

Für ein paar Stun­den sind wir die ein­zi­gen Ein­woh­ner auf Decep­ti­on Island. Wir spa­zie­ren zwi­schen ros­ten­den Tanks und zer­fal­le­nen Häu­sern, zwi­schen ver­wit­tern­den Grä­bern und erstarr­ten Maschi­nen, vor­bei an einem mit Schnee gefüll­ten Flug­zeug­han­gar auf einen 101 Meter hohen Hügel. Weit geht der Blick über die zum Teil noch von Eis bedeck­te Was­ser­flä­che der Cal­de­ra. Was ein Ort! Wir war­ten bis alle ande­ren Pas­sa­gie­re, die die Stra­pa­ze hier hin­auf zu wan­dern auf sich genom­men haben, wie­der unten sind, und wir die Stil­le hier oben genie­ßen kön­nen, die Weit, die Zeit und das Gefühl einer Ein­sam­keit, die über alles hin­aus­reicht, was wir bis­her je emp­fun­den haben.

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Kreuz­fahrt­schiff als Eis­bre­cher: Mit Eis­klas­se 4 kann die Bre­men bis zu ein Meter dicke Schol­len kna­cken. Das »Pfann­ku­chen­eis« stellt für das Schiff kein Hin­der­nis dar, Rob­be und Vogel schei­nen kaum beun­ru­higt. Dann schiebt sich der Schat­ten des Bugs über die geschlos­se­ne Eis­flä­che

Bevor uns ein Schlauch­boot zurück bringt zur Bre­men, zie­hen wir uns aus. Frü­her war Decep­ti­on Island ein belieb­ter Bade­ort. Man schau­fel­te bade­wan­nen­gro­ße Löcher in den hei­ßen Sand, das sich dar­in sam­meln­de Was­ser erwärm­te sich, man nahm ein eini­ger­ma­ßen mol­li­ges Bad im Eis. Inzwi­schen ist das aus Natur­schutz­grün­den nicht mehr erlaubt. Aber die Tra­di­ti­on, hier ein Ant­ark­tis-Bad zu neh­men, ist unge­bro­chen. Wir las­sen uns nicht zwei­mal bit­ten und ren­nen bei Son­nen­schein und Tem­pe­ra­tu­ren um Null Grad schrei­end in das eis­kal­te Meer, in dem Eis­schol­len glit­zern. Und sit­zen spä­ter mit knall­ro­ter Haut in der Sau­na des Schif­fes, zusam­men mit den fünf ande­ren Pas­sa­gie­ren, die sich auf die­se bru­talst­mög­li­che Wei­se abge­kühlt haben.

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Ste­cken­ge­blie­ben: Nach ein paar Metern Fest­eis ist Schluss. Die Bre­men kommt nicht wei­ter. Dabei hat sie ordent­lich But­ter bei die Fische gege­ben, sogar etwas vom Anstrich blieb im Eis

Die Schön­heit des Eises? Und sei­ne Macht.

Am Abend ver­las­sen wir Decep­ti­on Island. Dick ein­ge­packt in Fleece-Pul­lis, lan­ge Unter­wä­sche, meh­re­re Strümp­fe und einen dicken Parka ste­hen wir auf dem Vor­deck und erle­ben wie das Schiff kra­chend in das die Cal­de­ra bede­cken­de Eis rammt. Bis die Kraft der ins­ge­samt 6.600 PS leis­ten­den Maschi­nen nicht mehr aus­rei­chen. Die Bre­men bleibt ste­cken. Setzt zurück. Und hin­ter­lässt einen v‑förmigen Ein­schnitt im Eis, ein Win­kel der Ver­geb­lich­keit. Und spä­tes­tens jetzt emp­fin­det jeder Pas­sa­gier, der das Manö­ver vom aus­nahms­wei­se geöff­ne­ten Crew­deck über dem Bug beob­ach­tet hat, Respekt vor der Macht des Eises und der Kraft die­ses Kon­ti­nents.

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Schock­schwe­re­not: Das Ramm-Manö­ver hat einen Pin­gu­in aus dem Schlaf geris­sen, erschro­cken rennt das Tier über sei­ne Schol­le, erst in die eine, dann in die ande­re Rich­tung, bleibt kurz ste­hen und sprin­tet ins Was­ser. Es blei­ben die Fuß­ab­drü­cke einer unnö­ti­gen Flucht. Sor­ry, Klei­ner, aber die Zei­ten des Pin­gui­ne-Abschlach­ten sind vor­bei. Wir kom­men nicht mehr als Jäger son­dern als Foto­gra­fen. Wir haben Respekt für die Schön­heit die­ser kras­sen Natur 

Die Son­ne will noch lan­ge nicht unter­ge­hen – je wei­ter süd­li­cher wir kom­men, des­to län­ger bleibt es hell –, und wir sit­zen beim Abend­essen. Sprach­los, völ­lig über­wäl­tigt von all den Ein­drü­cken. So geht es uns oft auf die­ser Rei­se mit dem Ziel Ant­ark­tis. Bis wir dann begin­nen, die Fotos zu sich­ten, unse­re Erleb­nis­se und Emp­fin­dun­gen auf­schrei­ben. In den nächs­ten Wochen wol­len wir euch davon erzäh­len: Wie wir in Mon­te­vi­deo an Bord gehen und in den ers­ten Tagen auf dem Heli-Deck vor allem die Son­ne genie­ßen. Wie wir auf den Falk­land Inseln unse­re ers­ten Pin­gui­ne sehen und auf den Süd­ge­or­gi­schen Inseln hun­dert­tau­sen­de davon. Wie wir einem bösen Sturm aus­wei­chen und in einen ziem­lich schlim­men gera­ten. Und wie wir im Lemai­re-Kanal eine gol­de­ne Nacht erle­ben, die all den Zau­ber birgt, den die­ser Kon­ti­nent zu bie­ten hat.

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See­krank­heit und Über­mut: Bis zu acht Meter hoch waren die Wel­len in der Dra­ke Pas­sa­ge, und vie­le Pas­sa­gie­re blie­ben im Bett. Susan­ne wäre auch am liebs­ten gestor­ben. Kaum beru­higt sich die See, kehrt der Lebens­mut zurück. Als wir am Abend Decep­ti­on Island ver­las­sen, scheint noch die Son­ne

Unse­re drei­wö­chi­ge Tour mit der MS Bre­men in die Ant­ark­tis war im Novem­ber 2012 Teil unse­rer Welt­rei­se. Wir dan­ken Hapag Lloyd Kreuz­fahr­ten.

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In 14 Texten um die Welt!

Tag 1: Im Bal­kan
Tag 2: Damas­kus, Syri­en
Tag 3: Petra, Jor­da­ni­en
Tag 4: Sier­ra Leo­ne
Tag 5: Kap­stadt, Süd­afri­ka
Tag 6: Decep­ti­on Island, Ant­ark­tis
Tag 7: La Paz, Boli­vi­en
Tag 8: Havan­na, Cuba
Tag 9: Tijua­na, Mexi­ko
Tag 10: Mel­bourne, Aus­tra­li­en
Tag 11: Sula­we­si, Indo­ne­si­en
Tag 12: Hanoi, Viet­nam
Tag 13: Don Det, Laos
Tag 14: Bhu­tan

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Antwort

  1. Avatar von mh

    RESPEKT, für das Eis­bad.. Da ver­kriecht sich ja schon beim angu­cken alles. Tol­le Tour!

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