Superlative. Doch eher persönlicher Natur.

„Die höchs­te befahr­ba­re Stra­ße der Welt! Der zweit­käl­tes­te, bewohn­te Ort der Welt! Die schlech­tes­te Stra­ße der Welt!* Die höchs­te Bau­stel­le der Welt! Der zweit­höchs­te Pass der Welt! Die ver­rä­te­rischs­te Stra­ße der Welt! Der dritt­höchs­te Pass der Welt! Das höchs­te Dorf der Welt mit Zugangs­stra­ße und Strom­ver­sor­gung! … und das zweit­höchs­te und dritt­höchs­te Dorf gleich neben­an! Und natür­lich die höchs­te Tank­stel­le der Welt!“

… wahr­schein­lich lie­ße sich die­se Lis­te unend­lich wei­ter­füh­ren, doch hat­ten wir nur zwei Mona­te Zeit für Lad­akh, Spi­ti, Kinn­aur – und haben bei wei­tem nicht alles gese­hen von die­sem wirk­lich sehr beson­de­ren Teil unse­rer Welt. Die obi­gen Bewei­se für die „Groß­ar­tig­keit“ die­ser unglaub­li­chen Gegend durf­ten wir auf jeden Fall selbst „erFAH­REN“! Und dabei lie­gen die wah­re Schön­heit und unser ganz per­sön­li­ches Aben­teu­er gar nicht auf dem (angeb­lich) höchs­ten befahr­ba­ren Pass der Welt.

Es ist 6 Uhr mor­gens. Eigent­lich viel zu früh für die Bewoh­ner im Gla­arks­house – unse­rem Truck! Doch die Son­ne begrüßt uns mit einem sat­ten Lächeln. Es ist so weit. Heu­te bezwin­gen wir den Khar­dung La, den höchs­ten befahr­ba­ren Pass … der Welt. Mit unse­rem (fast) Old­ti­mer. Die Luft auf fünf­ein­halb­tau­send Meter wird dünn sein, die Stra­ße rup­pig. Und eng?! Wir wer­den es sehen. Wir wol­len auf jeden Fall zei­tig los. Unser fah­ren­des Zuhau­se war noch nie zuvor so hoch. Wir sind auf­ge­regt. Freu­en uns aber sehr auf das Nubra Val­ley, das hin­ter dem Pass auf uns war­ten soll.

Nach den vie­len Tagen in Leh wol­len wir das Stadt­le­ben gegen Natur, Abge­schie­den­heit, Ruhe und vor allem Off­road-Fah­ren tau­schen. „Only at the top, the road is a bit rough!“ ruft man uns hin­ter­her. Und so soll es sein: drei lan­ge Stun­den rocken wir über Stock und Stein, durch Bäche und unzäh­li­ge Keh­ren, am Abhang ent­lang und immer nur hin­auf – hin­auf auf 5.370 Meter mit unse­rem Truck.

Und die Luft wird wirk­lich dünn – noch etwa 50% des Sau­er­stoff­ge­halts auf Mee­res­hö­he. Man atmet mehr, ver­mei­det unnö­ti­ge und schnel­le Bewe­gun­gen. Nur unser Truck muss wei­ter­hin sei­nen Dienst tun. Und er tut dies mit der gewohn­ten Zuver­läs­sig­keit. Na gut, er ist nicht mehr ganz so „sprit­zig!“ Aber wie­der ein­mal stellt er sich als der bes­te Rei­se­ge­fähr­te der Welt her­aus – natür­lich auch auf dem ver­meint­lich höchs­ten befahr­ba­ren Pass der Welt! (was auch immer die Indi­sche Boar­der Road Orga­ni­sa­ti­on BRO genau gemes­sen haben will – unse­re bei­den GPS Gerä­te zei­gen 5.370 Höhen­me­ter an und nicht die gefor­der­ten 5.602 Meter)

Und dann ist es soweit: das höchs­te fah­ren­de (fast) Old­ti­mer-Zuhau­se mit einer beige-blau­en Lackie­rung und roten Reser­ve­ka­nis­tern … der Welt … ist ein­ge­parkt! Direkt neben dem Schild mit der fal­schen Höhen­an­ga­be! Wir trin­ken einen Tee und genie­ßen die­sen stol­zen Moment! Aller­dings mer­ken wir die Höhe. Die Luft ist wirk­lich dünn! Und daher geht es auch schon wie­der hin­un­ter. Wei­te­re zwei Stun­den über Stock und Stein …“only at the top, the road is a bit rough!“ Okay! Wir stei­gen mehr als 2.000 Meter hin­ab. Kur­zer Hand beschlie­ßen wir, zunächst in das rech­te Sei­ten­tal – das eigent­li­che Nubra Val­ley – zu fah­ren. Die Land­schaft ist atem­be­rau­bend: ein wei­tes Tal, meh­re­re rei­ßen­de Strö­me, die sich ihren Weg durch das brei­te Fluss­bett suchen, es ist grün, auf man­chen Gip­feln liegt noch (oder schon wie­der) Schnee, Wild­pfer­de und ein paar Kühe tei­len sich die satt­grü­nen Wei­den, dazwi­schen, sehr ver­ein­zelt ein paar Dör­fer mit freund­lich win­ken­den Lad­akhis. Ist das Mit­tel­er­de? Das Auen­land? Win­ter­fell?

Am Ende des Nubra Tals war­tet nur noch die Gren­ze zu Chi­na. Am letz­ten Check Post rei­ßen wir den ein­zi­gen Poli­zis­ten jäh aus dem Schlaf. Müh­sam erklärt er uns, dass wir hier nicht wei­ter­kom­men. End­sta­ti­on. Doch schnell fin­den wir den Stell­platz für die Nacht. Ein­mal durch den Bach und da ste­hen wir: nur noch weni­ge Kilo­me­ter vor dem Ende der indi­schen Welt!

Nach einer fried­li­chen Nacht dre­hen wir um und erkun­den das lin­ke Sei­ten­tal, das Shyok Val­ley. Die Land­schaft ist nicht viel anders. Immer noch atem­be­rau­bend. Der Shyok ist ein ziem­lich brei­ter Strom, nicht ganz so mäch­tig wie der Nubra. Abso­lut unbe­rührt. Natur pur. Zwi­schen die­sen gigan­ti­schen Berg­ket­ten zu ste­hen ist mehr als beein­dru­ckend. Wir sind so unbe­deu­tend, so klein … gefühlt wie die kleins­ten Erden­be­woh­ner … der Welt! Die­ses ein­zig­ar­ti­ge Stück Erde war schon lan­ge vor uns da und wird auch noch lan­ge nach uns hier sein. Tou­ris­ten gibt es hier so weni­ge, dass man sich grüßt.

Die fast 100 Kilo­me­ter nach Tur­tuk sind mehr als eine Fahrt, sie sind eine Zeit­rei­se zum letz­ten Dorf … der Welt. In Tur­tuk scheint die Zeit vor rund 100 Jah­ren zum Still­stand gekom­men zu sein. Und auch hier: End­sta­ti­on. Danach folgt nur noch Paki­stan – doch die Gren­ze ist dicht.

Wir genie­ßen die Tage in der Natur, nur gele­gent­lich hal­ten wir in einem Dorf um wie­der fri­sches Gemü­se zu kau­fen und dann geht es auch schon wie­der in die Prä­rie, einen die­ser schöns­ten Stell­plät­ze … der Welt suchen.

… wir müs­sen eigent­lich nur nach Leh zurück, um unser Inner Line Per­mit zu ver­län­gern. Nach sechs Tagen im Nubra Val­ley wol­len wir nun wei­ter zum Pan­gong See, dem blau­es­ten See … der Welt. Oder so ähn­lich.

Fast ein wenig lang­wei­lig, wir pas­sie­ren nur den dritt­höchs­ten Pass der Welt, den Chang La mit 5.289 Metern. Die Stra­ße ist ein gehö­ri­ges Stück müh­sa­mer als die auf den angeb­lich höchs­ten Pass der Welt. Aber was soll’s, wer zu die­sem See will, der muss eben rüber, über den Pass. Sehr erleich­tert und aber­mals stolz, dass wir die 5.289 Meter gemeis­tert haben, las­sen wir unse­ren Truck nach unten rol­len … ehe wir von einem merk­wür­di­gen Pfei­fen aus unse­rer klei­nen fahr­zeug­tech­ni­schen All­machts­phan­ta­sie geris­sen wer­den. Was folgt, gehört für uns zu einer kom­plett neu­en Erfah­rung: der ers­te und höchs­te LKW-Rei­fen­wech­sel der Welt! … na ja, zumin­dest eines (fast) Old­ti­mers aus Deutsch­land mit beige-blau­er Lackie­rung … Auf fast 5.000 Metern haben wir es tat­säch­lich geschafft, einen spit­zen Stein in die Lauf­flä­che zu boh­ren. Das Loch ist zu groß für eine schnel­le Repa­ra­tur mit dem Repa­ra­tur­set. Der Rei­fen muss run­ter. Ach so, die Luft auf 5.000 Meter ist übri­gens immer noch dünn. Und ein LKW-Rei­fen wird in der Höhe lei­der nicht leich­ter – eigent­lich ist unser Rei­fen in die­sem Augen­blick der schwers­te Rei­fen … der Welt!

Als wir gera­de dabei sind, die Rad­mut­tern wie­der fest zu zie­hen, hält jedoch ein indi­scher Armee-Truck. Die drei Sol­da­ten über­le­gen nur kurz und schon geht es los: Sie kom­ple­men­tie­ren uns auf die Zuschau­er­plät­ze, krem­peln die Ärmel hoch und begin­nen sofort mit der Arbeit. Wir bei­de sind ziem­lich aus der Pus­te und las­sen die drei Jungs ein­fach machen. Fünf Minu­ten spä­ter ist auch der ange­bohr­te Rei­fen in der Sei­ten­lu­ke ver­staut. Ziem­lich sprach­los von der Höhe aber noch mehr von der Hilfs­be­reit­schaft der drei Sol­da­ten ver­su­chen wir uns zu bedan­ken. Die Sol­da­ten grin­sen nur unbe­hol­fen, doch dann wer­den die Han­dys gezückt: es dau­ert ein biss­chen bis jeder min­des­tens ein Foto mit min­des­tens jedem ver­füg­ba­ren digi­ta­len End­ge­rät gemacht hat.

Erleich­tert und doch sehr vor­sich­tig fah­ren wir wei­ter zum Pan­gong See … an dem ich mal wie­der fest­stel­len muss, dass ich mit der „toughs­ten“ Frau … der gan­zen Welt ver­hei­ra­tet bin: als ich gera­de noch dabei bin, mei­nen gro­ßen Zeh in das grau­sam kal­te Was­ser des 4.250 Meter hohen Sees zu tau­chen, schwimmt mei­ne zum Nie­der­knien ver­rück­te Frau schon auf und davon – mit­ten in den See. Ich rufe noch, dass sie auf der ande­ren Sei­te ein chi­ne­si­sches Visum braucht und unse­res lei­der nicht mehr gül­tig ist, doch mei­ne Frau plantscht ein­fach wei­ter vor sich hin! Eini­ge Zeit spä­ter kommt sie dann doch wie­der ans Ufer und so ist es voll­bracht: das höchs­te Bade­er­leb­nis mei­ner deut­schen, braun­haa­ri­gen Frau in einem recht hohen See … der Welt!

 

Nach sie­ben Mona­ten in Indi­en weiß man lei­der, dass man nicht so ohne wei­te­res einen 14,5‑Zoll LKW-Rei­fen repa­riert bekommt. Und so brau­chen wir in Leh wie erwar­tet zwei Anläu­fe. Ja, man merkt das erst nach ein paar Kilo­me­tern, wenn ein Loch immer noch undicht ist! Aber gut. Der Rei­fen ist dicht! Wenn auch erst nach den zwei ner­vigs­ten Tage auf einem LKW-Work­shop-Hof in Leh … der Welt.

Mit fünf funk­tio­nie­ren­den Rei­fen bege­ben wir uns auf eine wei­te­re Etap­pe der Super­la­ti­ve: von Leh in Lad­akh nach Kaza im Spi­ti Val­ley! Rund 540 Kilo­me­ter. Davon höchs­tens 50 Kilo­me­ter auf Teer. Der Rest ist ein bun­tes Aller­lei. Aus Stein, Sand, Geröll, Was­ser! Dazwi­schen sind Löcher und Abhän­ge. Drei Päs­se über 5.000 Meter! Ein wei­te­rer mit über 4.500 Metern. Will­kom­men im höchs­ten Gebir­ge der Welt!

Als wir kopf­schüt­telnd, flu­chend und hys­te­risch lachend über die höchst grau­sa­men und extrem anspruchs­vol­len Pis­ten hol­pern, wis­sen wir aber noch nicht, dass das noch gar nicht unser per­sön­li­cher Super­la­tiv ist. Die wei­ter­füh­ren­de Etap­pe von Kaza nach Ram­pur wird alles bis­her Erleb­te kom­plett in den Schat­ten stel­len! Aber bis dahin muss­ten wir noch ein klei­nes Mal­heur – sagen wir – „aus­ba­den.“

Der Spi­ti ist ein respek­ta­bler Fluss, der an man­chen Stel­len ein sehr weit­läu­fi­ges Fluss­bett in Anspruch nimmt. Wir wol­len zum Über­nach­ten auf ein schö­nes Stück Wie­se auf der ande­ren Fluss­sei­te. Die nächs­te Brü­cke ist ein biss­chen weit zu fah­ren. Und wofür hat man einen Uni­mog! Genau! Um ihn in einer Unter­was­ser-Sand­bank zu ver­sen­ken! Alles Gra­ben, Zie­hen mit her­kömm­li­chen Gerät (Trak­tor), Beten funk­tio­niert nicht! Erst der her­bei­ge­fleh­te JCB – ein statt­li­cher Bag­ger – kann unser fah­ren­des Zuhau­se aus sei­nem tem­po­rä­ren und sehr mat­schi­gen Gefäng­nis befrei­en! Als wir um kurz vor Mit­ter­nacht in die eben­falls sehr erleich­ter­ten Gesich­ter der Bag­ger­fah­rer bli­cken, wis­sen wir, dass sie sich auch nicht sicher waren, ob sie unser Auto da wie­der hei­le her­aus bekom­men! Aber so kamen wir zur Ber­gungs­ak­ti­on wegen der größ­ten und bescheu­erts­ten und aller­dümms­ten Dumm­heit … der Welt! Mei­ner!

Ach so, und dies direkt unter den Augen des gesam­ten Dor­fes, in dem wir am fol­gen­den Tag unse­re Tätig­keit als Müll­be­auf­trag­te anfan­gen wer­den … ZUM ARTIKEL

Nun, die besag­te 300 km Etap­pe von Kaza nach Ram­pur ist eigent­lich nicht mit Wor­ten zu beschrei­ben. Zu schön ist die Land­schaft, zu authen­tisch die Berg­dör­fer und zu bru­tal ist die Stra­ße – sie sei eine der gefähr­lichs­ten Stra­ßen … der Welt – die täg­lich von klei­ne­ren oder grö­ße­ren Erd­rut­schen heim­ge­sucht wird. Wir selbst konn­ten gra­de noch über einen sich schnell auf­tür­men­den Hau­fen aus Geröll und Sand drü­ber „rob­ben“ ehe die Stra­ße unwi­der­ruf­lich blo­ckiert und wir ein­ge­schlos­sen gewe­sen wären. Ein Stein­schlag auf die Fah­rer­tür hin­ter­ließ bei uns zwar eine Del­le – doch in Anbe­tracht der Umstän­de (Gott sei Dank) die kleins­te Lapa­lie … der Welt.

Die all­ge­gen­wär­ti­ge, so unend­lich atem­be­rau­ben­de Schön­heit des Spi­ti Val­leys, der schier end­lo­se zwi­schen­mensch­li­che Respekt der vom Bud­dhis­mus sehr stark gepräg­ten Ein­woh­ner und die Beschwer­lich­keit die­ses ver­zau­ber­te Tal „hin­ter den sie­ben Ber­gen, bei den sie­ben Zwer­gen“ zu errei­chen – genau die­se Kom­bi­na­ti­on mach­te den Abste­cher ins Spi­ti Val­ley für uns zur span­nends­ten Rei­se inner­halb unse­rer Rei­se … und natür­lich … von der Welt!

Spi­ti, wir ver­mis­sen dich jetzt schon! Aber wir kom­men wie­der!

 

 

* dies haben uns Tou­ris­ten erzählt

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Antworten

  1. Avatar von Reiner Rode via Facebook
    Reiner Rode via Facebook

    Sehr genia­ler Bericht! (Y)

  2. Avatar von Sabrina

    Unglaub­lich schö­ne Bil­der. Ich bin ganz hin und weg!!

  3. Avatar von De Witte Dirk & Lieve

    Fan­ta­stic adven­tures and well writ­ten sto­ries! We won­der if we – the oldest (?) world­tra­ve­lers in their Toyo­ta FJ – will be able to do a part of your itin­era­ry…

    1. Avatar von Peter und Jennifer

      No pro­blem at all for a Toyo­ta!
      The height of our truck (3.35m) was some­ti­mes a chall­enge but actual­ly not a real issue!
      Have fun!

  4. Avatar von Francis

    Wow was für eine Tour! Hast du super schön beschrie­ben. Und die Bil­der sind auch Welt­klas­se! Wir sind gera­de im Süden Indi­ens.. da kann ich mir das alles noch gar nicht rich­tig vor­stel­len. Aber wir wer­den uns den Hima­la­ya auch bald anse­hen!
    Bes­te Grü­ße,
    Fran­cis

    1. Avatar von Peter und Jennifer

      Das wird euch sicher­lich gefal­len! Ist aber ein ganz ande­res Indi­en!
      Viel Spaß und gute Rei­se!

  5. Avatar von Alex

    Das sind ja wirk­lich ganz beein­dru­cken­de Bil­der. Wow!

    1. Avatar von Peter und Jennifer

      vie­len Dank, Alex!
      Bei der Land­schaft gibt es aber fast nur schö­ne Bil­der!

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