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Es war dann also auf Sri Lanka hinausgelaufen. Warum Sri Lanka?
Eigentlich egal, es ging mehr um dieses Rauskommen, Fortkommen, Weg-Sein von allem anderen, damit da ein Abstand entsteht zu den Dingen, der vorher nicht möglich war, als könnte man so eine Grenze des Empfindens überschreiten und die Wahrnehmung öffnen, und es setzt sich dann ein neues Bild der Dinge zusammen.
Die ganz praktischen Gründe: Da waren nur zwei Wochen Zeit, ein knallhartes firmenbürokratisches Argument, anders ging es nicht.
Hätte man den Kontrast zum Bekannten, zum Vorstellbaren, zu dem, was schon drin ist im Kopf, maximieren wollen, dann wäre es wahrscheinlich Uganda geworden, das war schon länger eine lose Phantasie, die im Kopf existierte und irgendwie eine große Faszination auslöste.
Nun aber Sri Lanka, weil: die Einfachheit des Reisens dort, die weißen Strände – solche Art von Stränden, die in den Tourismuskatalogen Traumstrände heißen – und die maximale Reduzierung, nichts erwarten an einem Ort, den die Menschen als Paradies bezeichnen; es sollte die Suche nach dem Nullpunkt sein, wo ein Zyklus endet und ein neuer Kreis der Ereignisse losgehen kann.
In Europa ist diese Erfahrung nur noch schwer zu machen, in der Ferne wird es auch seltener, seit den Billigflügen und später den Billigfernreisen, alles verschiebt sich an die Grenzen, an den Rand der Vereinnahmung, an Orte, die einen selbst ganz einnehmen und dann, wenn möglich, ganz und gar offenlegen, nur wird das eben immer schwieriger.
Es ging also um ein ganz wesentliches Motiv des Reisens, das war vorher nicht so klar abzusehen gewesen.
Klar, wir wollten Traumstrände. Was heißt das?
Ich habe – da bin ich mir fast sicher – noch nie von einem Strand geträumt, aber diese Magazinbilder, auf denen eine gephotoshopte Blondine zahnpastalächelnd einen Cocktail trinkt, ihr Becken schieflegt und ironiefrei suggeriert, das Leben sei ein leichtes, ewig dahingleitendes Fest, oder diese seltsam allgegenwärtige Projektion des verträumten, sonnengesunden Surferdudes, der vor dem Lagerfeuer am Strand gedankenverloren die Saiten seiner Gitarre zupft und dazu – mehr schlecht, als recht – ein melancholisches, aber im Grundsatz natürlich vollkommen lebensbejahendes Liedchen in den Sonnenuntergang intoniert – diese Bilder kann man nicht mehr ganz rauskriegen, wenn man nicht lange weit fortgeht und sich bestimmte Einsichten wirklich setzen, dafür ist man zu durchgespült von der Produktwerbung, zu sehr sozialisiert von bestimmten Schablonen des Glücks.
Der Widerspruch: Es sind sehr abgenutzte Bilder, es sind immer noch sehr starke Bilder.
Zunächst gab es jedoch keine Traumstrände.
Wir hatten den Zug genommen von der Hauptstadt Colombo über die ehemalige Kaiserstadt Kandy, wo wir eine Nacht verbrachten, bis zur Provinzstadt Hatton, und von dort begann im besten Sinne eine echte Bummelfahrt mit dem Bus über außerordentlich schlechte Straßen, Geruckel und Geschaukel, geschätzte Durchschnittsgeschwindigkeit: zwanzig Stundenkilometer.
Unser Ziel war der Adam’s Peak, der heilige Berg Sri Pada, auf dessen Spitze ein Kloster liegt, in dem sich angeblich der Fußabdruck des großen Buddha Siddhartha Gautama befindet.
Darüber hinaus aber – und das ist der eigentliche Grund, warum so viele Touristen auf diesen Berg steigen – kann man vom Gipfel weit über das Land schauen und morgens, nachdem man mit den einheimischen Pilgern aufgestiegen ist, die feuerrote Sonnenscheibe über den fernen, schwarzen Bergen aufgehen sehen.
Es ist interessant, was die Anziehungskraft solcher Orte bedingt, an denen in relativ großer Höhe die Sonne über dem Land aufgeht.
Ist das ein rein ästhetisches Motiv? Ist das der innere Wunsch nach einem Neubeginn, das mal deutlich zu sehen, wie sich eine Kugel im Universum im Verhältnis zu einer anderen in den Raum hineindreht und die Dunkelheit vertreibt? Die Sehnsucht danach, das ewig Wiederkehrende wahrzunehmen, also letztlich Beständigkeit visuell greifbar zu bekommen?
Ich konnte das nicht beantworten und hatte mir diese Fragen auch nicht gestellt, ehrlich gesagt, das sind wieder diese intellektuellen Reflexionen, die man später draufsetzt auf das Erleben: Die direkte Erfahrung wird sinnstiftend überhöht, im Rückblick hilft das natürlich oft, aber es macht unmittelbar auch vieles ungenießbar und blockiert, wenn man das nicht ausschalten kann.
Deshalb: erst einmal stupide hinreisen zu diesem Berg und schauen, wie das dann ist, da hochzusteigen und über das weite Land zu blicken, während die Sonne aufgeht, das war so der Modus, in dem wir in Dalhousie ankamen, bei dieser kleinen Ansammlung von Hüttchen und Häuschen am Fuß des heiligen Bergs.
Der Zug von Kandy aus war erstaunlicherweise auf die Minute pünktlich gewesen und gar nicht überfüllt, damit rechnet man ja auch erst einmal nicht. Auf der Fahrt durch das Hochland und die Teeplantagen konnte man die Füße aus der offenen Tür baumeln lassen, das war immer leicht aufregend, wenn der Waggon über eine Brücke ratterte.
Rückblick auf Kandy, wo im Prinzip nicht viel passierte, obwohl die Bilder durch die Augen in den Kopf hineinfluteten: Den Zahntempel besuchten wir, den botanischen Garten nicht, zu weit weg; in dem sumpfgrünen See nagten zwei Schildkröten an einem toten Fisch, es war selbstverständlich schwül und heiß in der Mittagshitze, und an einer Straße – und das ist jetzt eigentlich ziemlich ernst – hätte mich beinahe ein Bus überfahren.
In diesem ziemlich verschlafenen Kandy gingen wir abends in eine billig möblierte Ramschkneipe, eine richtig ordentliche Saufschenke, weil im Queen’s Hotel wirklich nur unsmarte Langweiler-Europäer saßen, es war dann sozusagen aus Frust gleich das genaue Kontrastprogramm geworden.
Das Lion’s Beer wurde in der absolut nachvollziehbaren Flaschengröße von 0,66 Litern serviert, ein Tamile namens John und sein offensichtlich leicht schwachsinniger Freund luden uns gleich an ihren Tisch ein. Am Nebentisch kippte ein Singhalese, der vielleicht noch drei oder vier Zähne im Mund hatte, Whisky aus einem schmierigen Wasserglas herunter, die Flasche war schon bis auf ein Viertel ausgetrunken. John redete und schaute uns an, und wenn er Pause machte, dann sah es so aus, als wollte er gleich auf uns losgehen, aber er sagte dann doch wieder etwas überaus Einladendes und zeigte uns zum Beispiel ein Foto von seiner Frau und strahlte plötzlich: Er würde bald Vater werden.
Der zwielichtige Typ am Nebentisch raunte einige Male herüber, John sagte dann nichts mehr, dabei war immer noch nicht ganz ausgemacht, wer hier undurchschaubarer war, in jedem Fall erschien es plausibel, wenn der Tamile aufgesprungen wäre und wutentbrannt ein Messer in den Tisch gerammt hätte.
Stickige Luft füllte den Raum, die Tische waren verschmiert und die Gläser schlierig, eine eigentlich angenehme Zwei-Bier-Angetrunkenheit war das jetzt, dann die Frage: »You are interested in Sinhalese women?«
Die Antwort: »No thanks«, Stühle wurden umständlich gerückt, wir gingen.
Schnell geht das beim Schreiben: Man ist weg von der eigentlichen Geschichte.
Man kann im Prinzip immer die kleinen Begebenheiten aufschreiben, die amüsanten Details, Randbeobachtungen, Alltägliches, aber die Frage ist, inwieweit man die persönliche Auseinandersetzung verdichtet, zu Schrift und Text macht, denn um die geht es ja beim Reisen, das keinen höheren Zweck verfolgt und sich selbst genug ist.
Ich war nicht nach Sri Lanka gekommen, um Reportagen zu schreiben, auch wenn hinterher ein oder zwei möglich wären, ich wollte mich dem aussetzen, dem Land, den Orten, alles ziemlich unscharf, ich hatte kein Bild vor Augen und wollte einfach schauen, was kommt.
Leider ist das eine Erfahrung des Älterwerdens, dass es mit den Quintessenzen immer schwieriger wird, vielleicht irgendwann auch gar nicht mehr, da ist das Am-Strand-Spazieren sich selbst genug, aber da war ich ja noch lange nicht angekommen.
Also zurück nach Dalhousie, zurück zum Sri Pada.
Dalhousie, das waren wirklich nur ein paar Häuschen, Hütten und Bretterbuden, es war natürlich ein absolut touristischer Ort, aber die Pilger gab es eben auch, beides vermischte sich am Fuß des Adam’s Peak: die Menschen, die aus religiösem Eifer hinaufstiegen in den Himmel und diejenigen, die den anderen dabei zuguckten.
Wir verhandelten im Green House den Preis für Übernachtung, Frühstück und Abendessen, ein blinder Greis addierte die Rupien auf und zog sie wieder ab, sofern er einen unserer Einwände akzeptierte; es war das alte Spiel, und der Alte war ein Meister seiner Disziplin, im besten Sinne ein Schlitzohr.
Wir tranken Tee auf der Terrasse mit dem Franzosen Fréderic, der manchmal sehr weiblich gestikulierte und dann wieder albern wie ein Kind auflachte, ganz und gar nicht unangenehm. Er habe, so sagte er, ein paar Jahre eine bestimmte Form des Vajrayana-Buddhismus praktiziert und eine Zeit in Indien gelebt, und ja, er habe sogar einmal den 14. Dalai Lama in Lhasa getroffen, der unlängst erklärt hatte, er wolle nun lediglich wieder ein einfacher Mönch sein.
Wir saßen also da und redeten und tranken Tee: immer richtig, immer eine gute Beschäftigung in den Subtropen.
Zu dem Zeitpunkt, drei Tage nach unserer Ankunft in Colombo, war für mich alles so, als wäre ich, sagen wir, mit der Regionalbahn von Köln nach Bielefeld gefahren, da war noch alles zu, als sei man herausgenommen aus der bekannten Umgebung und in eine völlig neue Kulisse hineingestellt, aber da ist dann einfach keine Verbindung zwischen dem Innen und Außen, die Kopfwelt ist total in sich abgeschlossen und lässt nichts rein. Es war am Anfang dieser Reise so, als schaute ich mir Bilder an, aber als wäre ich selbst gar nicht da, als würde ich nicht durch das Land reisen, sondern alles nur in der Theorie durchspielen.
Im Nachhinein wird das ganz deutlich: Bis zum vierten Tag konnte ich nichts aufschreiben, keinen Satz, das Papier blieb leer, ich war stumpf, auch oder vor allem mir selbst gegenüber.
Es ist so, dass man manche Texte nur in bestimmten Situationen schreiben kann, das ist dann wie ein Zeitfenster, man darf den richtigen Moment nicht verpassen; andere Texte bleiben lange unmöglich, und irgendwann löst es sich dann, alles wird ganz klar, die Zeilen finden zueinander.
Ich hatte den Notizblock liegen gelassen, als wir am Nachmittag beschlossen, auf den Sri Pada zu steigen, es brachte ja doch nichts, also: diesem Urdrang nach oben folgen, Treppenstufe um Treppenstufe, vorbei an Affen und Stupas und vorbei an den Winnie-Puuh-Stofftieren, die hier tatsächlich entlang des Weges verkauft wurden.
Der Rücken war nass und die Felsbrocken waren unregelmäßig hoch, wir folgten dem Weg durch das Grün, und der Berg lag still da im wechselnden Licht des heraufziehenden Abends.
Was will man dann dort oben?
Auf der Spitze türmten sich die Wolken über dem Kloster auf, es ging hier nicht mehr höher, aber das Verlangen, noch weiter zu gehen, noch viel weiter gehen zu müssen, damit endlich etwas klar werden konnte – dieser innere Widerhall verstummte nicht.
Es blieb alles unbefriedigend: Ich vernahm in den zugigen Gassen so etwas wie eine stumme Anklage gegen mich selbst, den Reisenden, der so weit alles in Kauf genommen hatte und sich nun etwas erhoffte von dem Weg, den er eingeschlagen hatte, aber der Weg war jetzt und hier zu Ende, nur in einem selbst, da war noch überhaupt nichts losgegangen.
Ich hatte ja, wie gesagt, auch noch keine Zeile schreiben können, es blieb alles ein unverständliches, sprachloses Rätsel: Die Reise, mein Zustand zu dieser Zeit, was ich dort oben nun tat zwischen den betenden Mönchen, an diesem vorläufigen Ende der Dinge.
Es blieb folgerichtig nur die Möglichkeit, sich dem Ganzen am nächsten Tag ein zweites Mal auszusetzen, etwa gegen halb drei am Morgen aufzubrechen und in der Dunkelheit hinaufzusteigen. Fréderic, ein irisches Pärchen, mein Bruder und ich liefen zwischen Kindern und Greisen, Hunden und Katzen, Großfamilien und Gamblern, Gläubigen und Geschäftemachern.
Manchmal war es möglich, die Mantras aus den Lautsprechern ohne diesen kitschigen Beigeschmack von ausgehöhlter Spiritualität auf sich wirken zu lassen, und dann schien es so, als würde der Berg selbst in unverständlichen Lauten in diese allumfassende Dunkelheit singen, die nur von der erleuchteten Treppe unterbrochen wurde, die sich gleichsam einer schimmernden Schlange durch das Schwarz der Nacht in die Höhe wandte.
Als wir das Kloster auf dem Gipfel des Bergs erreichten, war es noch finster, die letzte, kalte Stunde vor Morgengrauen war angebrochen, rund hundert Menschen hockten und kauerten in den Gemäuern, manche wärmten sich ihre Hände an Kokosnusschalen, die in einem Ofen brannten.
Das Land lag schwarz da.
Als die Handys und Videokameras gezückt wurden, war das ein Signal: Gleich geht es los, gleich geht die Sonne auf.
Da war erst ein rotes Glühen über den Bergen und den tief liegenden Wolken, ein immer breiterer Streifen, der Himmel im Osten färbte sich düsterblau, dann wurde er heller, und schließlich, als die Nachtkälte die Füße schon komplett durchgefroren hatte, tauchte der obere Teil des Sonnenkörpers begleitet von der ewigen Repetition der Mantraverse wie ein glühender Eisenspan am Horizont auf und warf sein Licht über die aschfahlen Gratlinien des zentralen Hochlands von Sri Lanka.
Sucht man nun große Worte oder befindet man ganz banal, dass Sprachlosigkeit letztlich die höchste Auszeichnung eines jeden Augenblicks ist?
Ich blickte in den östlichen Morgenhimmel und tat oder sagte gar nichts, ich machte ein paar Fotos, die Sonne spiegelte sich in den Pupillen der Menschen.
Was heißt das nun: Schreiben über das Reisen?
Wenn es stimmt, dass die immer subjektive, immer schwierige Wirklichkeit erst durch Sprache fassbar wird und das Reisen seinem Wesen nach Suche ist, dann hieße es, überhaupt erst einmal zu einer Sprache zu finden, bevor man sich selbst irgendwo finden kann. Man würde das noch sehen, wie das gelingt, später auf dieser Reise.
Wir stiegen ab in einen neuen Tag.
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Moin,
wir sind grad in Nuwara Eliya und zufälligerweise auf den Blog hier gestoßen! haben heut des erste mal uns Tee aus dem Hochlan reingezogen und Lions Bier getrunken! granddios!
ürhaupt, ist alles weitere so zu unterschreiben; klasse beericht!Sehr schöne erzählt. Dankeschön
Ich danke!
Sri Lanka hat bei mir vor sieben Jahren nachhaltige Eindrücke hinterlassen. Ich trinke noch heute den Tee aus Nuwara Eliya … 🙂
Der Tee aus dem Hochland ist halt auch IRRE gut.
wie wunderbar! ich warte auch. auf jerusalem, dass war vor einem jahr…
Wie meinst du das?
naja, die sprache fassen zu koennen, die es braucht, um den besuch in jerusalem zu verstehen.
Okay, ich verstehe was du meinst. Kannst du generell direkt nach einer Reise einen zufriedenstellenden präzisen Text darüber schreiben, der dem nahekommt, was du erlebt hast?
nein, dass geht nicht. im kopf, ja. irgendwo ganz hinten. aber, bis es in sprache gepresst ist, dass dauert. manchmal eben ein jahr. oft loest viel spaeter eine ganz andere situation oder eine begegnung etwas aus, dass dich verstehen laesst, was da los war und was es mit dir gemacht hat. es fliesst dann.
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