South Australia, das Gaumenparadies

Eins kann man South Aus­tra­lia schon vor­wer­fen – es macht ganz schnell dick. In Ade­lai­de, der Haupt­stadt des Staa­tes, fängt es an, und dann schlemmt es sich wei­ter vom Meer bis in die Hügel. Immer begos­sen von einem der edlen Trop­fen, die rund um Ade­lai­de unzäh­li­ge Fäs­ser und Fla­schen fül­len. Bis ich nach Ade­lai­de kam, hat­te ich Aus­tra­li­en nicht mit Hau­te Cui­sine und fei­nem Wein ver­bun­den. Doch ich wer­de eines Bes­se­ren belehrt.

Tasting Aus­tra­lia

Jedes Jahr im April oder Mai ist es soweit: Auf Ade­lai­des Town Squa­re rei­hen sich zehn Tage lang mehr als ein Dut­zend Essens- und Geträn­ke­stän­de anein­an­der, wo man sich laut Chris Tay­lor kos­ten­frei an South Aus­tra­li­an Cui­sine sat­tes­sen kann und das Gan­ze mit einer Aus­wahl erle­se­ner Wei­ne run­ter­spü­len. Ja, ich glau­be auch, mich ver­hört zu haben, als mir der jun­ge Mann von Gelis­ta, haus­ge­mach­tem und teils über Feu­er gebra­te­nem Eis, ver­si­chert, der Ein­tritt zum Fress­ge­la­ge Delu­xe sei tat­säch­lich für jeder­mann gra­tis. Doch selbst die Home­page des Events lässt kei­nen ande­ren Schluss zu. Von Fleisch­spie­ßen über Piz­za, Käse und Par­ma­schin­ken bis zu gan­zen Wach­teln ist alles dabei, was die Mägen von Gour­mets und Gour­mands dehn­ba­rer wer­den lässt. Es kocht und gart an allen Ecken und so ver­füh­re­ri­sche Düf­te stei­gen auf, dass selbst Gott im Him­mel das Was­ser im Mund zusam­men­lau­fen muss. Dazu wum­mert die Mucke und der Alko­hol fließt wie das Was­ser der Nia­ga­ra­fäl­le.

Die aus­tra­li­sche Pro­bier-Sau­se mit vie­len Star­kö­chen, Wein­pro­du­zen­ten und Restau­rant­be­trei­bern fin­det natür­lich nicht zufäl­lig in Ade­lai­de statt, das sich bereits seit den 80ern als Metro­po­le der Food-Sze­ne sieht. Die Stadt zog immer mehr Top-Chefs an, und die übten sich in kuli­na­ri­scher Inno­va­ti­on. Dabei köcheln in Ade­lai­des Töp­fen nicht nur Kän­gu­rus, Emus und wei­te­res Busch­essen, son­dern auch afgha­ni­sche Gewür­ze und ita­lie­ni­sche, neu auf­ge­leg­te Klas­si­ker. Was in man­chen Restau­rants in bis zu umhau­en­den 20 Gän­gen auf den Tisch kommt. Mir rei­chen bereits fünf im hoch­ge­prie­se­nen Bota­nic Gar­dens Restau­rant, wo fri­sche Zuta­ten aus dem Gar­ten Geschmack brin­gen sol­len. So ganz scheint das nicht bei jeder Spei­se zu gelin­gen, schme­cken doch man­che wie mei­ne per­sön­li­chen Res­te­ver­wurs­tungs­ver­su­che daheim. Dafür ist das Ambi­en­te in einem auf­ge­bre­zel­ten Gar­ten­pa­vil­lon unschlag­bar, den man nach kur­zem Spa­zier­gang durch eine magi­sche, von mäch­ti­gen Bäu­men bestan­de­ne Allee des Bota­ni­schen Gar­tens erreicht.

Der Wür­fel im Wein­feld

Noch nie habe ich etwas Der­ar­ti­ges gese­hen: einen glä­ser­nen und fünf­stö­cki­gen, nicht ganz zusam­men­ge­scho­be­nen Wür­fel inmit­ten von Wein­fel­dern. Die archi­tek­to­ni­sche Extra­va­gan­za d’A­ren­berg Cube befin­det sich etwa 40 Kilo­me­ter süd­lich von Ade­lai­de im McLa­ren Vale, einer der zahl­rei­chen Wein­re­gio­nen der Gegend.

Kopf hin­ter der heu­ti­gen Legen­de, die Bar, Restau­rant, Wein­pro­ben und vie­les mehr ver­eint, ist Ches­ter Osbor­ne, des­sen Fami­lie sich seit 1912 um die Wein­fel­der küm­mer­te und den 2003 die Muse küss­te: Ein wür­fel­för­mi­ges Gebäu­de soll­te her, das in gewis­ser Wei­se die Kom­ple­xi­tät des Wein­an­baus wider­spie­gelt. Je nach Son­nen­stand spie­geln sich nun in der teils glä­ser­nen Front Him­mel und Wein­fel­der, und auch das Inne­re is all about wine. Hier sind die Sin­ne gefragt. Die ers­ten Schrit­te füh­ren ins soge­nann­te ‚wine sen­so­ry room‘, wo ver­schie­de­ne Glas­fla­schen Bestand­tei­le von Wei­nen ent­hal­ten, die sich mit­hil­fe von klei­nen Pum­pen und einer Art Mini-Gram­mo­fon erschnup­pern las­sen. Ob vir­tu­el­ler Gär­be­be­häl­ter, 360 Grad Video­zim­mer oder Fotos zur Wein­her­stel­lung – hier ent­deckt selbst der größ­te Wein­ba­nau­se schnell sei­ne öno­lo­gi­sche Ader.

Doch die strengs­ten Kri­ti­ker sind beim Wein noch immer die Geschmacks­ner­ven, und die wer­den in den nächs­ten Stünd­chen her­aus­ge­for­dert, wäh­rend für mich so aben­teu­er­li­che Namen wie NV Pol­ly­an­na Spar­k­ling Wein, The Wit­ches Ber­ry Char­don­nay und The Money Spi­der Rou­san­ne mein Glas fül­len. Läs­sig mit einem Glas in der Hand, schlen­de­re ich durch den voll­kom­men glä­ser­nen Flur vol­ler Bil­der, die aus­se­hen wie Comics ent­schnit­ten, wäh­rend in jedem Stock­werk ande­re köst­li­che Häpp­chen war­ten. Aus­tern en mas­se, Käse, der selbst fran­zö­si­sche Fein­schme­cker ins Schwär­men bringt und so viel Schin­ken, als wären Par­mas Vor­rats­kel­ler soeben geplün­dert wor­den. Dazu gibt es durch die Fens­ter­front Weit­blick über das McLa­ren Vale. Kun­ter­bun­te Stüh­le und Ses­sel holen den exo­ti­schen Look des Äuße­ren ins Inne­re, doch mein per­sön­li­ches High­light sind die Her­ren­toi­let­ten, die ein männ­li­cher Kol­le­ge vol­ler Begeis­te­rung den Damen vor­führt. Rie­si­ge Lach­mün­der die­nen als Pis­soirs, wer­den sicher so manch emp­find­li­chen Her­ren zwei Mal über­le­gen las­sen, bevor er den über­di­men­sio­na­len Figu­ren sein bes­tes Stück anver­traut.

Save the best for last

Selbst­ver­ständ­lich wäre es eine Sün­de, in Ade­lai­de zu sein und nicht dem bekann­tes­ten Wein­an­bau­ge­biet Aus­tra­li­ens, das 10.000 Hekt­ar nur dem Wein wid­met, einen Besuch abzu­stat­ten: dem Baros­sa Val­ley. Nun kann man die­ses mit dem eige­nen Miet­wa­gen erkun­den, im Rah­men einer Sar­di­nen-Bus­tour, wo an die 24 Tou­ris­ten zusam­men­ge­quetscht sind, oder aber in einem 1962er Daim­ler mit John Bald­win. Des­sen fami­li­en­ge­führ­tes Busi­ness ist genau­so ein­zig­ar­tig im Baros­sa-Tal wie sein grau­bär­ti­ger Look plus Rie­sen­schnau­zer. In der Acht­sit­zer-Limou­si­ne, die zuvor eher für könig­li­che als für tou­ris­ti­sche Hin­ter bestimmt war, kut­schiert er Besu­cher zu jedem gewünsch­ten Wein­an­bau­er und weiß dazu Geschich­ten über alles und jeden.

Gol­de­ne Wein­fel­der flie­gen im herbst­li­chen April­re­gen vor dem Fens­ter vor­bei, Regen, der die rol­len­den Hügel an die­sem Tag fast ganz ver­schluckt. Etwa eine Stun­de nörd­lich von Ade­lai­de errei­chen wir St Hugo, eines der ers­ten Anwe­sen der Regi­on von 1849. „Die Hugo Fami­lie war eine der ers­ten, die in Baros­sa über­haupt Wein her­stell­te“, weiß John. Die gro­ße Lounge mit gemüt­li­cher Sitz­ecke vor einer hohen Kamin­wand ist genau der Ort, den man sich bei kühl-reg­ne­ri­schem Wet­ter wünscht. Und einen guten Wein dazu. Oder gleich meh­re­re. Sechs Fla­schen stellt uns Wein­füh­re­rin Loui­se vor, von einem 2015 Baros­sa Shiraz zu Coo­na­war­ra Caber­net Sau­vi­gnon von 2009. Die Trop­fen schme­cken köst­lich.

Noch mehr aller­dings zieht mich eine fest ver­schlos­se­ne Tür an, eine soge­nann­te Zeit­kap­sel, hin­ter der sich wohl behü­tet etwas befin­det – natür­lich eine Wein­fla­sche. Sie wur­de am 23.10.2016 zur Eröff­nung des neu­en St Hugo Hau­ses ein­ge­mau­ert, und zwar von Colin Gramp, Sohn von Hugo Gramp, der ab den 1920ern den Rubel der Wein­kel­le­rei ins Rol­len brach­te. Die kost­ba­re Fla­sche soll erst 2045 geöff­net wer­den, wenn Hugo 150 Jah­re alt gewor­den wäre. „Man kann auch sein eige­nes Wein­feld bei uns kau­fen und ihm sei­nen Namen geben“, preist Loui­se ein ganz beson­de­res Ange­bot an. Ich sehe schon den feins­ten Ber­na­dette Older­dis­sen-Wein auf schnee­wei­ßen Tisch­de­cken lan­den und zar­te Lip­pen an ihm nip­pen. „Es gibt Fel­der für 10.000, 50.000 oder 100.000 AUS.“ Puff, die Fla­sche zer­springt. Viel­leicht im nächs­ten Leben.

Je älter, des­to bes­ser

Nicht alle haben ihre Kostpröb­chen brav aus­ge­spuckt, die Grup­pe wird lang­sam fröh­li­cher – pünkt­lich zum nächs­ten Stopp, Sep­pelts­field Wines. Die­ses Anwe­sen steht fast so lan­ge, wie es Euro­pä­er in Aus­tra­li­ens Süden gibt. Die schle­si­schen Ein­wan­de­rer Joseph und Johan­na Sep­pelt grün­de­ten das Gut nur 15 Jah­re nach der euro­päi­schen Erst­be­sied­lung South Aus­tra­li­as und gaben damit der anfäng­li­chen aus­tra­li­schen Wein­tra­di­ti­on einen wich­ti­gen Anstoß. Dabei stand dem guten Joseph der Sinn damals nach Tabak, nicht Wein, den erst nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen ver­mehrt auf den Fel­dern anbau­ten. 1850 ging es los, 1878 wur­de der ers­te Wein ein­ge­flascht und soll­te erst 100 Jah­re spä­ter wie­der geöff­net wer­den. Dies war der Beginn einer Tra­di­ti­on.

„Hier könnt ihr im Cen­ten­ni­al Cel­lar auch euer Geburts­jahr in Wein trin­ken“, ver­kün­det John stolz. Auf ein­mal wol­len alle 1878 gebo­ren wor­den sein – denn der wert­vol­le Trop­fen lagert noch immer und läuft nun kei­ne Gefahr mehr, von Besu­chern mit die­sem Geburts­jahr aus­ge­trun­ken zu wer­den. Zum ers­ten Mal wer­den die Jung­spurts aus den 1990ern nicht benei­det, die rei­fe­ren Herr­schaf­ten aus den 50ern und 60ern jedoch schon. Der Trop­fen kommt direkt aus dem Fass, mei­ner schmeckt süß, etwas kleb­rig. Die Wein­ken­ner krit­zeln gewis­sen­haft in ihre Hef­te, ich kip­pe mir den Rest des Weins in den Hals. Köst­lich! Gegen­über ste­hen Fäs­ser aus den Geburts­jah­ren der eng­li­schen Prin­zen Wil­liam und Har­ry und der Kids von Wil­liam, wie auch immer sie hei­ßen. Good old Eng­land lässt grü­ßen.

Doch in Sep­perts­field lässt es sich nicht nur herr­lich Wein ver­kos­ten, son­dern auch schlem­men. Es ist im Restau­rant Fino, dass ich das leckers­te Essen auf aus­tra­li­schem Boden genie­ße. Sogar Lamm, was ich nor­ma­ler­wei­se ver­ab­scheue, doch zube­rei­tet mit Fei­gen, Radic­chio, Man­deln, Jogurt und Fla­den­brot wird es zu etwas, das selbst einem Lamm-Banau­sen rich­tig gut run­ter­geht. Ganz zu schwei­gen von der Scho­ko­la­den-Him­beer­tor­te zur Krö­nung.

Im Baros­sa-Tal rühmt sich jede Wein­kel­le­rei mit etwas ande­rem. Yal­um­ba nennt sich „die his­to­rischs­te Wein­kel­le­rei in Fami­li­en­be­trieb“. Hier soll der Wein­an­bau seit Mit­te der 90er beson­ders nach­hal­tig sein – die Kel­le­rei fabri­ziert mitt­ler­wei­le sogar ihre eige­nen Fäs­ser. „Die Wei­ne sind seit 2011 für Vege­ta­ri­er und Vega­ner geeig­net“, hat uns John zuvor erzählt. Als welt­weit ers­ter Wein­her­stel­ler hat Yal­um­ba 2007 den Cli­ma­te Pro­tec­tion Award von der US-Agen­tur für Kli­ma­schutz erhal­ten. Schon seit 1966 gibt es den Klas­si­ker der Kel­le­rei, Signa­tu­re Wine genannt, eine Caber­net Sau­vi­gnon & Shiraz Mischung.

Und Yal­um­ba hat Loui­sa Rose, die als Rock­star unter den Wein­her­stel­lern gilt. Ihr Leben dreht sich um den Wein und die nicht stän­di­ge Ver­bes­se­rung bei Anbau und Pro­duk­ti­on. Kein Wun­der, dass ein Schwer­punkt da auch auf der Aus­bil­dung neu­er Wein­ken­ner liegt. Aus die­sem Grund ver­birgt sich auf dem Anwe­sen eine Gruft vol­ler ‚ver­ges­se­ner Fla­schen‘ – teils uralte, aber lei­der nicht mehr genieß­ba­re Bud­deln aus aller Welt, an denen sich noch gut Stu­di­en vor­neh­men las­sen.

Ich bin weder Auto­lieb­ha­ber noch Foo­die oder Wein­ken­ner, doch die­ser Tag im Baros­sa-Tal gefällt mir. Der Wein krib­belt in Kopf und Kör­per und John plau­dert durch sei­nen Bart, was, ver­ste­he ich schon lan­ge nicht mehr. Es ist egal. Er lacht viel, selbst ohne zu trin­ken. Auch alle ande­ren sind fröh­lich und satt. Und das ist eine Kom­bi­na­ti­on, die es nicht jeden Tag gibt. Nicht mal auf Rei­sen.

 

Die Rei­se wur­de unter­stützt von Tou­rism Aus­tra­lia.

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