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Tägliche 8‑Stunden Märsche in menschenfeindlichen Höhen. Bitterkalte Nächte in regendurchlässigen Zelten. Keine Möglichkeit sich zu waschen. Da sind sie wieder. Umstände, die man naturgemäß eher zu vermeiden versucht. Trotzdem brechen wir aus Huaráz zum Santa Cruz Trek auf. Denn klar ist auch: Nachher wird man sich mit einer Pizza belohnen, einen Pisco Sour trinken und denken: Gut, dass ich’s gemacht hab!
In Huaráz dreht sich alles um das Trekken und Bergsteigen. Touristen stapfen hier mit schweren Wanderstiefeln durch die Stadt. In den Cafés hängen Gesuche von Wanderern, die Gleichgesinnte oder Ausrüstung suchen. Wenn man aufblickt, sieht man bereits die mächtigen Gletscher der berühmten Cordillera Blanca. Man muss schon ein ausgesprochener Outdoormuffel sein, wenn das kein Kribbeln, keinen Drang ebenfalls aufzubrechen, auslöst.
Das Anbieten von Touren und Expeditionen ist hier selbstverständlich ein lukratives, und vor allem mit harten Bandagen, geführtes Geschäft. Einen Tag versuchen wir uns daran, seriöse Anbieter von selbsternannten »Guides« zu unterscheiden. Letztlich folgen wir einem Mix aus Intuition und Trekkingforum-Bewertungen und buchen die 4‑tägige Tour in einer kleinen Agentur, in der ein alter Mann immer vor der Tür sitzt (ohne dass er eine erkennbare Funktion hat). Das finden wir sympathisch. Auf unserer Quittung steht, welche Leistungen wir erworben haben: Food, Equipment, Tent, Guide, Donkey & Donkey Driver. Das sollte ausreichen.
Der Trek beginnt mit dem Eintritt in den Parque Nacional Huascarán. An einem kleinen Häuschen entrichten wir die Parkgebühr. Aylin entdeckt eher zufällig das Ortsschild »Cashapampa«. Moment mal, hier sollte doch unsere Tour enden. Offensichtlich wurde kurzerhand entschieden, in die andere Richtung zu gehen. Na ja, auch egal, jetzt laufen wir halt mal los.
»Das Wichtigste ist, dass die Gruppe zusammenbleibt«
Die Parole unseres Guides entpuppt sich nur Minuten später als blanke Ironie, denn gleich zu Beginn des Treks ist er erstmal verschwunden. Auch in unserer 11-köpfigen Trekking-Gruppe schlägt jeder sein individuelles Tempo an, so dass Aylin und ich den ersten Abschnitt erstmal zweisam angehen. Die Gefahr, sich zu verlaufen, besteht ohnehin nicht, es gibt eben einen Weg und den laufen wir entlang. Schon auf den ersten Kilometern, und das ist jetzt höchst erfreulich, breitet sich die Natur auf beeindruckende Weise vor uns aus. Die großen flachen Felsen inmitten des rauschenden Flusses suggerieren pure Wildnisromantik. Hier müsste man jetzt sein Zelt aufschlagen, denke ich.
Müsste man so einen Ausflug in die Wildnis nicht eigentlich ganz alleine machen? Viel von der Faszination daran geht ja von der Abwesenheit der Dinge aus: mal keine Elektrizität, keine Häuser, kein Internet und, na ja, keine Menschen. Wir haben uns dennoch aus praktischen Gründen dagegen entschieden: mit Verpflegung, Zelt und Ausrüstung wären unsere Rucksäcke zu schwer geworden, als dass wir noch Genuss aus der Wanderung gezogen hätten.
Nach 5 Stunden Trekking versammelt sich die Gruppe am Campingplatz. In der Dämmerung finden wir uns im Gemeinschaftszelt ein. Da sitzen dann die verschiedensten Charaktere beieinander, müde und hungrig, und versuchen eine halbwegs gelungene Konversation am laufen zu halten: Unter anderem zwei 19-jährige Norwegerinnen mit Dread Locks und jugendlichem Tatendrang. Ein Paar, das sich über die Bereitschaft zur Einnahme von bewusstseinserweiternden Drogen hervortut und eine etwas ältere Engländerin: eine Nihilistin, die den Sinn von Freundschaften und (Reise)Fotografien negiert.
Beim Verlassen des Zelts klappen dann reihenweise Kinnladen herunter – der Sternenhimmel ist unglaublich schön! Allerdings: unsere Versuche das fotografisch festzuhalten könnten kläglicher nicht scheitern.
Die erste Nacht im Zelt ist, gelinde ausgedrückt, ungemütlich. Der Regen prasselt schubweise sehr heftig auf das Zelt und das Wasser findet an den Rändern seinen Weg in das Innere. In dem ohnehin sehr kleinen Zelt eine Schlafposition zu finden, bei der wir trocken bleiben, gestaltet sich akrobatisch anspruchsvoll. Die bittere Kälte lässt kaum Schlaf zu. Aylins Vorschlag, gemeinsam in einen Schlafsack zu gehen, muss ich, aufgrund meiner ohnehin ausgeprägten Klaustrophobie, eine eiskalte Absage erteilen. Dazu kommt selbstverständlich noch der Camping-Klassiker: Ich muss die ganze Nacht aufs Klo, will aber nicht raus in den Regen.
Vespern mit Blick auf die Laguna Arhuaycocha
Die Cordillera Blanca hier in den nördlichen Anden ist nicht irgendeine Gebirgskette. Es gibt auf dem gesamten amerikanischen Kontinent keine Größere. Landschaften sind auch Symbole für den Blick auf das Leben. Der Blick auf das Meer steht für mich für das Kontemplative, eher Zurückblickende. Auf mich haben Berge derzeit eine magische Anziehungskraft. Im Gebirge weicht die Geborgenheit der Täler alternierend der Herausforderung der Berge. Berge lassen mich auch immer spüren, dass der Weg das Ziel ist. Oft erscheinen sie so nah und sind dennoch unerreichbar.
Das Gelände ist nicht anspruchsvoll, jedoch zäh und weitläufig. Und es geht viel bergauf. Aylin und ich ziehen um 10:15 Uhr das Lunchpaket aus dem Rucksack, weil wir glauben es sei Zeit für, nun ja, Lunch. Unser Guide verspricht baldige Blicke auf den 5947m hohen Alpamayo, betont dabei, dass es sich um den »schönsten Berg der Welt handelt«. Meine Frage: Ist eine solche Einschätzung nicht subjektiv? Nein, man könne es doch als Fakt im Internet nachlesen. Recht hat er, googelt man »schönster Berg der Welt« erhält man zumindest außergewöhnlich viele Verweise auf den Alpamayo.
Es könnte keinen besseren Rastplatz geben als das Ufer der Lagune Arhuaycocha. Eine Wanne türkisen Wassers umringt von Gletschern liegt ruhig vor uns. Plötzlich ertönt ein Donnergrollen! Ein mächtiges Geräusch für eine vergleichsweise kleine Lawine. Wir essen Brote, Obst, Nüsse und Schokoriegel. Nur der stechend kalte Wind auf diesen 4500m Höhe bewegt uns schließlich dazu weiterzugehen.
Es sagt etwas über die Intensität des Tages aus, dass wir uns um 17:00 Uhr zum Abendessen im Zelt einfinden und kurz darauf den Zapfenstreich einläuten. Es ist bitterkalt, nochmal kälter als in der Nacht zuvor. Unser Lager befindet sich auf rund 4300 Höhenmetern. Fleecepulli, Daunenweste, Mütze – sämtliche Kleidungsstücke ziehen wir übereinander. Es reicht alles nicht aus, ich wache ständig auf vor Kälte.
Grottenschlechte Laune am Punta Union Pass (4760m)
An Tag 3 kulminiert die Tour in vielerlei Hinsicht. Unser Lager liegt an diesem Morgen trübe und grau in einer dicken Regenwolke. Heute soll ein großer Tag werden, den Punta Union Pass auf 4760 Metern gilt es zu überqueren. Hektik wird verbreitet. Wir rollen irgendwie unsere Schlafsäcke zusammen, essen noch schnell ein trockenes Brötchen und stülpen den Regenschutz über den Rucksack. Als wir aufbrechen, sind uns die anderen Teilnehmer bereits wieder enteilt.
Der anhaltende Regen, die Schlaflosigkeit und die damit einhergehende Enttäuschung: Aylin ist schlecht gelaunt. Dazu im Kontrast: Meine hohen Erwartungen an den Tag. Meine fehlende Bereitschaft, hier in den nördlichen Anden, alles Andere als euphorische Aufbruchstimmung zuzulassen. Wir laufen erstmal konstant 10 Meter voneinander entfernt.
Die Stimmung ist erstmal, das muss man jetzt auch nicht schönreden, grottenschlecht.
Erst die widrigen Bedingungen schweißen uns wieder zusammen. Nach 3 Stunden steilen Anstiegs verwandelt sich der Regen in Schnee. Wir laufen auf extrem rutschigen Felsen weiter hoch, ständig fließt uns Wasser entgegen. Es ist, als laufe man einen eiskalten Springbrunnen bergauf. Die Füße sind trotz Goretex rasch feucht. Die Hände rot und von der Kälte aufgeplatzt. Aylin stößt an ihre Grenzen. Die Höhe setzt ihr zusehends immer mehr zu. Sie wirkt kraftlos, sammelt sich vor jedem großen Schritt. Unser Guide begleitet uns, gemeinsam rufen wir »Si, se puede!« in das dumpfe Schneetreiben. Ja, es geht! Aylin kämpft sich hoch. Am Gipfel reicht es nur für ein schnelles Zielfoto, auf welchem wir (überraschend) ziemlich zufrieden aussehen.
Dann der Abstieg: Es bleibt dramatisch. Die Sicht ist weiterhin eingeschränkt, an den Rändern des Weges geht es senkrecht in die Tiefe. Ich sehe wie Aylin heimlich eine Träne wegdrückt. Zur körperlichen Erschöpfung gesellt sich jetzt auch noch Höhenangst. Wenn nur die Felsen nicht so spiegelglatt und nass wären! Und wenn es nicht ununterbrochen schneien würde. Manchmal schlittern wir für einen Moment unkontrolliert, was das Unbehagen natürlich nur noch verstärkt. Eine Touristin fällt neben uns fies. Ein toter Esel liegt am Wegesrand. Gefallen, Beine gebrochen, zum Sterben liegen gelassen. Wir gehen langsam, manchmal leicht seitlich, um einen besseren Halt zu bekommen.
Große Erleichterung, als wir im Tale rasten. 1000 Höhenmeter sind wir gerade abgestiegen, irre! Wir ziehen stolz das Lunchpaket aus der Tasche. Erst jetzt merken wir, dass der Hunger inzwischen enorm ist. Mit jedem Biss ins Avocadobrot geht unsere Anspannung zurück. Es ist wie im Theater: Passend zu unserer persönlichen Trekking-Dramaturgie scheint im Tale die Sonne. Die 4 Stunden zu unserem Nachtlager laufen wir beschwingt, getragen von dem guten Gefühl, die Herausforderung gemeistert zu haben.
Gemüsenudeln im Bett
Der Höhepunkt der Tour liegt hinter uns. Dieser Wahnsinnstag gestern! Eine verhältnismäßig kurze Wanderung führt uns in das kleine Dorf Vaqueria, wo der Rücktransport nach Huaráz auf uns wartet. Ich schreite den Weg pflichtbewusst ab, doch der Wunsch nach einer Dusche und etwas Privatsphäre drängt sich jetzt spürbar auf.
Ich bin der Meinung, dass man große Erlebnisse auch gebührend feiern sollte. Das Erreichte nochmal sacken lassen, einen offiziellen Haken daran machen. Daran scheitern wir an diesem Abend. Wir benutzen die zwei Herdplatten auf dem windigen Dach unseres Gasthauses, um uns in Rekordzeit Nudeln mit Gemüse zu kochen, nur um diese am Bettenrand sitzend zu verschlingen. Das mit der Pizza und dem Pisco Sour müssen wir nachholen. Unbedingt!
Antworten
Diese Bilder… in jedem Artikel den man über den Trail findet werden die Fotos und aussichten schöner und schöner. Danke! 😉
Wir haben den SantaCruz Track in unsere Liste der »Schönsten Wandertouren und Trails der Welt« mit aufgenommen! Könnt ihr aus euren Reisen noch weitere Trails empfehlen die in diese Liste gehören?
VG
PatricMoin Patric,
der Trek gehört unbedingt in die Liste
Schau mal auf todaywetravel.de – da haben wir eigentlich über alle Treks berichtet, die wir gemacht haben. Vor allem in Südamerika und Nepal.
Liebe Grüße!
Ein toller Bericht wie immer von euch Beiden ! Ich kann das gut nachvollziehen mit der eisigen Kälte, würde nur ungern mit euch tauschen wollen in diesem Moment.
Die Bilder vom Ab- und Aufstieg sind ja der Hammer, muss eine unglaubliche Landschaft sein, kommt man vom Träumen garnicht mehr los.Viele Grüße
Matthias
Hey Matthias,
vielen Dank für das Lob! Es war wie so oft beim Reisen: an diese unangenehmen, anstrengenden Momente denkt man im Nachhinein immer am liebsten zurück.
Liebe Grüße!
Sehr schöner Artikel der das Trekkingfieber wieder in mir aufkommen lässt. Ich kann es kaum erwarten, endlich nach Huaraz zu kommen. Allerdings hoffe ich, dass es bei uns nicht so kalt und regnerisch sein wird wie bei euch. Großartige Leistung! Und meist ist nach nen paar Minuten im Bus zurück zur Unterkunft sowieso alles Schlechte schon längst vergessen und man fragt sich nur immer wieder: Was zum Teufel hab ich gerade erlebt? Wahnsinn!
Hey Robin,
genauso ist es: in der Erinnerung bleibt immer überwiegend das Positive haften – zum Glück 😉
Viel Spaß dir in Huaraz! Es ist ja echt Wahnsinn, was man von dort aus alles starten kann.
Liebe Grüße!
Schöner Bericht!
Ich kann mich auch noch gut an meine Tour vor ein paar Jahren erinnern. Gleichgesinnte in Huaraz suchen, von einem zur nächsten Anbieter gehen, um sich dann schlussendlich nach dem Bauchgefühl für einen der Anbieter zu entscheiden. Zum Glück haben wir vorher recht lang mit denen diskutiert, alles genau ausgemacht (Essen, Zelte, usw usw) und hatten so wunderbare 4 Tage in den Bergen. Einzig am Punta Union war das Wetter mal schlecht, sonst nur Sonnenschein.
Unsere Gruppe war dann auch ein wilder Haufen, wobei sich zum Glück alle gut miteinander verstanden haben.
Der Sternenhimmel war wirklich ein einmaliges Erlebnis!
Ich glaube, wir sind damals auch von Cashapampa los, und dsa machen auch die meisten TOuren glaube ich. So hat man die Berge und schönen Landschaften eigentlich immer vor sich und muss sich nicht dauernd umdrehen 😉Grüße aus Wien!
Hey Jakob,
da decken sich ja unsere Erfahrungen! Stimmt: Hat sich letztlich als positiv herausgestellt in Cashapampa zu starten. Ich habe die Wanderung echt fast durchweg mit heruntergeklappter Kinnlade gemacht, so schön ist die Natur gewesen!
Ich habe Fotos von anderen gesehen, da war am Punta Union Pass perfekter Sonnenhimmel. Die erleben den Aufstieg sicher ganz anders.
Danke für den Beitrag!
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