Sankt Peter Ording: Die Nordsee kann auch anders

Wie mei­ne Oma mir die Nord­see madig gemacht hat

„Fahr doch mal an die Nord­see, Kind“ Immer wenn mei­ne Oma die­sen Satz sag­te wuss­te ich, dass sie bei mir wahl­wei­se Unter­ernäh­rung, Erschöp­fung oder Lun­gen­ent­zün­dung befürch­te­te. Dabei war ich nur win­ter­blass, müde oder genervt. Nord­see, das war für Oma der Inbe­griff an Gesund­heit. Für sie galt: Nord­see= gesund.

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Für mich war Nord­see das Pseud­onym für Lan­ge­wei­le. Nord­see war die Hei­mat der däm­li­chen Sprü­che, die alle­samt mit dem Wet­ter zu tun hat­ten. Esgibtk­ein­schlech­tes Wet­tern­ur­schlech­te­Klei­dung, Spa­zie­ren­ge­hen­im­Re­gen­bringtGe­sund­heitund­Se­gen, Abhär­tun­gist­da­shalbe­Le­ben. Bla­bla­bla. Für mich galt: Nordsee=schlechtes Wetter+dumme Sprü­che dar­über+ alte und kran­ke Men­schen, die glau­ben, durch schlech­tes Wet­ter wie­der gesund zu wer­den. Nord­see konn­te mir gestoh­len blei­ben. Echt jetzt.

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 Der Krampf mit den Vor­ur­tei­len

Irgend­wann, an einem run­den Geburts­tag, habe ich ange­fan­gen, mei­ne Vor­ur­tei­le nach und nach auf den Prüf­stand zu stel­len. Heu­te dran: die Nord­see.

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Da ste­he ich nun in Sankt Peter Ording am Bahn­hof. Gera­de ange­kom­men. Regen­ja­cke, Müt­ze, Gum­mi­stie­fel. Und es reg­net nicht! Im Gegen­teil: die Son­ne scheint, der Him­mel ist blit­ze­blau und die Luft, die ich mir unter dem Schlag­wort „Reiz­kli­ma“ immer schnei­dend scharf und rau vor­ge­stellt hat­te, ist weich und sam­tig. Ich habe ein­mal in einer Regen­ton­ne geba­det. Das Was­ser war unvor­stell­bar weich. Es fühl­te sich an, als sei ich in Wat­te gepackt. Das Glei­che emp­fin­de ich jetzt mit der Nord­see­luft. Nur von innen. Ich bin von innen in Wat­te gepackt. Atme Wat­te ein, atme Wat­te aus. Ist viel­leicht nicht immer so, aber als ich ankam war es so.

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In mei­nem Reich der Vor­ur­tei­le hat­te ich neben dem Schlag­wort Nord­see-Wet­ter den But­ton Nord­see-Unter­kunft. Dort war abge­spei­chert: „Kur­haus zur Ther­me“ als Beton­sün­de der 60iger Jah­re, Gast­haus „Hein und Sig­rid“ oder „Pen­si­on Am Deich“, mit Klin­ker­fas­sa­den gut­bür­ger­lich, ver­gilb­ten Gar­di­nen an den Fens­tern, Känn­chen Kaf­fee auf der Früh­stücks­ter­ras­se, wo sich Gäs­te mit Gum­mi­stie­feln und Regen­ja­cke schon mor­gens auf den Spa­zier­gang durch Sturm und Grau­pel­schau­ern freu­en. Und Über­ra­schung: Stimmt. Aber kei­nes­falls alles und schon gar nicht über­all.

Die Nord­see wird jün­ger

In Sankt Peter Ording hei­ßen die Hotel­in­seln der Glück­se­lig­keit: Zwei­te Hei­mat, Kubatz­ki, Strand­gut und Beach Motel.

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Das Kubatz­ki, klei­nes Hotel unter schat­ti­gen Bäu­men, mit­ten in Sankt Peter Ording, moder­nes Design, tol­le Auf­ent­halts­räu­me, gutes Kon­zept. Zwei mal täg­lich Yoga. Mer­ke ich mir.

Im Beach­mo­tel, ein Strand­haus aus hell­grau­em Holz und wei­ßen Bal­kon­brüs­tun­gen, che­cke ich ein. Ich wer­de geduzt und ver­ges­se schnell, dass ich wahr­schein­lich die Ein­zi­ge bin, die mei­nem Kli­schee von Nord­see­gäs­ten alters­mä­ßig ent­spricht.

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Das Beach­mo­tel liegt direkt am Deich und in unmit­tel­ba­rer Nähe des Ordin­ger Stran­des, mit sei­nen traum­haf­ten Bedin­gun­gen für alle Trend­sport­ar­ten. Im Restau­rant hän­gen Surf­bret­ter und bunt ein­ge­rahm­ten Flip Flops an den Wän­den. Auf dem Park­platz gibt es für das klei­ne Bud­get Stell­plät­ze für Bul­lis mit Strom- und Was­ser­an­schluss und Dusch­ge­le­gen­heit im Haus.

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Eine Men­ge Leu­te scheint die­sen Stil ein­deu­tig der „Pen­si­on am Deich“ vor­zu­zie­hen. 98 % Aus­las­tung das gan­ze Jahr über, ver­rät Mar­co, der Direk­tor, den auch alle duzen.

Ein zwei­tes Haus wird jetzt in Hei­li­gen­ha­fen gebaut. Weil es so gut läuft. Die Gäs­te: jung, ent­spannt und völ­lig unauf­ge­regt.

Alt und jung – na und?

Aber nicht nur: Am Neben­tisch sit­zen drei Rent­ner aus dem Ruhr­pott mit ihrem erwach­se­nen Enkel. Eben ange­kom­men. Schät­ze, der Enkel hat die Loca­ti­on aus­ge­sucht. Als er kurz mit dem Hund ver­schwin­det kommt Bewe­gung in die schweig­sa­me Run­de:

Frau: schön die Zim­mer, wat Heinz-Ernst?

Mann: (grum­mel) Joah. Aber nich mal n Ses­sel!

Ande­re Frau: doch, da ist doch so ein Sack.

Mann: ?

Ande­re Frau: dat is ein Sitz­sack, Heinz-Ernst!

Mann: Joh. Aber kein Ses­sel.

Frau: dat is ja auch kein Hotel, dat is doch ein Motel.

Ande­re Frau: In mei­nem Zim­mer gibt’s kein Licht

Frau: da musst du den Schlüs­sel in den Schlitz ste­cken. Neben der Tür.

Ande­re Frau: Wie, da passt doch kein Schlüs­sel rein

Frau: Hedi, die Schlüs­sel­kar­te muss da rein.

Ande­re Frau: Ach so.

Ich find’s gut mit dem gemisch­ten Publi­kum, den Sport­lern, den Kid­dis, den Hip­pen und den Rent­nern drin­nen und drau­ßen.

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„Ich geh dann mal eben ans Meer “

.…den­ke ich, klet­te­re auf den Deich, und – statt Was­ser, end­lo­ser Sand am end­lo­sen Strand. Zwei Kilo­me­ter breit und zwölf Kilo­me­ter lang. Ich bin echt über­wäl­tigt, hat­te kei­ne Ahnung, dass es in Deutsch­land einen Ort gibt, der den Blick so weit und frei schwei­fen lässt. Unter­bro­chen wird er nur von 1200 Strand­kör­ben. Und 4000 Holz­pfäh­len. Nach­ge­zählt habe ich aber nicht.

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Acht Uhr mor­gens, Yoga am Strand. Atmen, atmen, atmen. Wow. Soviel Luft, soviel Blau, soviel Ener­gie! Spä­ter dann die bun­ten Segel der Kiter wie Farb­tup­fer im Him­mel und ab und zu ein Fischer­boot mit Vogel­schwarm am Hori­zont. Wenn das Was­ser ruhig ist tum­meln sich die SUP’s (Stand Up Paddling) auf den Prie­len, jenen „Seen“ die sich bil­den, wenn das Was­ser sich bei Ebbe zurück­zieht. War­um ste­hen die eigent­lich auf ihren Bret­tern beim pad­deln, fra­ge ich mich. Machen die das wegen der schö­nen Aus­sicht oder war­um set­zen die sich nicht? Das soll Sport sein? Hein von der Was­ser­sport­schu­le, ziem­lich durch­trai­niert, erzählt mir von sei­nen Mus­kel­ka­tern als er mit SUP ange­fan­gen hat.

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Das Ganz­kör­per­trai­ning for­dert näm­lich die Tie­fen­mus­ku­la­tur, weil beim Pad­deln das Gleich­ge­wicht gehal­ten wer­den muss. Sagt Hein. Ande­re machen so ein effek­ti­ves Trai­ning für teu­er Geld auf den Wackel­plat­ten der Sport­stu­di­os. Na dann doch lie­ber auf dem Was­ser unter blau­em Him­mel. Leuch­tet mir ein. Nach mäch­tig viel Spaß sieht Kite­bug­gy  und Strand­se­geln aus. Die Strand­seg­ler schaf­fen bei ordent­lich Wind 130 km/​h auf ihren drei Rädern. Ist mir aber zu schnell. Statt Helm hab ich lie­ber den Wind um die Ohren. Ich bin eher für atmen, schau­en und lau­fen.

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Und wäh­rend ich so am Strand ent­lang lau­fe ver­ste­he ich auch end­lich, war­um mei­ne Oma immer vom Reiz­kli­ma der Nord­see gespro­chen hat. Es reizt mich tat­säch­lich wie­der­zu­kom­men. Echt jetzt. Kein Scherz.

 


Antworten

  1. Avatar von André Rignanese

    Hal­lo Git­ti,

    Schö­ner Text und sehr gut beschrie­ben.
    Ich ken­ne die Gegend per­sön­lich da ich selbst aus Husum kom­me.
    Manch­mal nimmt man sein gewohn­tes Umfeld und die schö­ne Umge­bung ein­fach viel zu selbst­ver­ständ­lich wenn man sie täg­lich um sich her­um hat. Dann sieht man oft erst durch artikel,mit schö­nen Bil­dern wie deinen,wie schön es dort eigent­lich ist !!!
    Nun habe ich Lust mal wie­der nach St. Peter Ording zu fah­ren 🙂

    Lie­be Grü­ße,
    André Rigna­ne­se

  2. Avatar von Iris

    Ein tol­ler Bericht, der Lust auf »Meer« macht. Frü­her bin ich auch häu­fig an die Nord­see gefah­ren. Doch im Lau­fe der Jah­re wur­de es lei­der immer weni­ger – eigent­lich scha­de, denn es gibt so vie­les dort zu ent­de­cken und zu bestau­nen.

  3. Avatar von Ariane
    Ariane

    Wir kom­men im Som­mer auch nach SPO und wir freu­en uns schon voll. Lei­der war das Beach-Motel schon aus­ge­bucht. Viel­leicht klappt es ja ein ander Mal.

    1. Avatar von gitti

      Hal­lo Aria­ne,
      ja da müsst ihr früh buchen. Die haben eine Aus­las­tung von über 90% aufs gan­ze Jahr! Oder kurz­fris­tig ein­fach Glück haben (-:

  4. Avatar von Sonja Nachtigal
    Sonja Nachtigal

    Sehr schön geschrie­ben, wir waren auch gera­de zum 1. Mal im Beach Motel.… Ist ab sofort mein Wohn­zim­mer im Nor­den, so schön und unkom­pli­ziert. Und SPO ist sowie­so unschlag­bar.… Vor 15 Jah­ren dach­te ich das aber auch nicht 🙂 hab wohl die­sel­be Oma 😉

    1. Avatar von Gitti Müller

      .…dann sind wir ja qua­si Schwes­tern (-;
      dan­ke und grü­ße mir die beach mote­ler

  5. Avatar von Julika
    Julika

    Vie­len Dank! Der Text ist mir aus der See­le geschrieben.…SPO – das war für mich immer Kin­der­land­ver­schi­ckung-ein grau­en­haf­te Wort, oder? Und erst, nach­dem ich mun­ter in der gan­zen Welt rumort war und irgend­wann von mei­ner Mut­ter hör­te: « Wir ken­nen jetzt die gan­ze Welt, aber vor der eige­nen Haus­tür ken­nen wir nix«, fing ich an Deutsch­land zu berei­sen. Zunächst Schwarz­wald, All­gäu und Boden­see ‑auch unglaub­lich schön übri­gens – dann ging’s durch Zufall – nach Sankt-Peter Ording. …und ich war begeis­tert ! Beach Motel…klar, ein Ham­mer »pla­ne to be », aber auch »mein Lieb­lings « und das in die Jah­re gekom­me­ne Haus Schran­ken mit sei­nem knor­ri­gen Wirt.…Auch mich hat der Aus­blick auf den Strand atem­los inne­hal­ten lassen..und See­le und Lun­gen öff­ne­ten sich weit. In die­sem Jahr war ich jetzt auch erst­mals im Febru­ar da…ein Traum. Nächs­te Woche fahr ich wieder…mit Nich­te und Mutter…die mitt­ler­wei­le auch auf den sal­zi­gen Geschmack gekom­men sind. Vie­len Dank für die­sen wun­der­schö­nen Bericht !

    1. Avatar von gitti
      gitti

      Lie­be Julika, Kin­der­land­ver­schi­ckung ken­ne ich auch noch. Wir muss­ten immer zu Non­nen nach Nien­dorf an die Ost­see. Gru­sel gru­sel.
      Viel Spass im schö­nen SPO!

    2. Avatar von Ariane
      Ariane

      Kin­der­land­ver­schi­ckung hat man das bei uns nicht genannt, son­dern Erho­lung für (Nebel-) stra­pa­zier­te Bron­chi­en. 6 Wochen Amrum – allein ohne Eltern und Schwes­ter waren ein Hor­ror. Viel­leicht haben sich mei­ne Bron­chi­en erholt, der Rest vom Kind war prak­tisch stän­dig krank – vor lau­ter Heim­weh!

  6. Avatar von Michael
    Michael

    Man ver­gisst viel zu oft, welch schö­ne Rei­se­zie­le es vor der eige­nen Haus­tür gibt. Der Arti­kel macht Lust auf Me(e/h)r.

    1. Avatar von Gitti Müller

      das stimmt. und die­se wun­der­ba­ren inseln!

  7. Avatar von Claudia Kazner

    Wun­der­schö­ne Fotos – und ein Schreib­stil, der Lust auf mehr macht. Gefällt mir sehr gut!

  8. Avatar von Wolfgang Horn

    Dan­ke, Git­ti. Schö­ner Text, lau­nig und eigen. Sel­ten noch dürf­te SPO mit mehr Wär­me beob­ach­tet und beschrie­ben wor­den sein. Von einer Bon­ne­rin zumal. Mehr davon, bit­te.

    1. Avatar von Gitti Müller

      Schön zu hören. Dan­ke für dei­ne herz­li­chen Wor­te. Ja, wir Bon­ner lie­ben den Rhein aber manch­mal auch ande­re schö­ne Orte (-;

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