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Es ist kompliziert. Auf die Kraft meiner Augen ist kein Verlass. Wie weit kann ein Mensch gucken? Ich habe mal gehört, es sind 13 Meilen. Aber das kann nicht sein. Der Berg, den ich seit der Überquerung der letzten Kuppe vor mir sehe, nähert sich nun schon seit 25 Minuten und ist immer noch weit entfernt. Mein Blick findet einfach keinen Halt.
Ich durchquere die USA mit einem Wohnmobil. Von Ost nach West. Und die Landschaften vor meiner Windschutzscheibe ändern sich auf meiner Reise gewaltig. In Lincoln hatte ich einen Motorradpolizisten angehalten. Nicht er mich. Wir kamen ins Plaudern. Es war ihm schleierhaft warum eine deutsche Frau alleine mit einem Camper die USA durchqueren will.
„After Utah it will be very boring“, lässt er mich wissen, natürlich Kaugummi kauend.
„It will be just fields. Then the desert. Nothing much to see.“
Ich habe meine Zweifel. Auf meinen Reisen habe ich bisher viele Menschen kennengelernt, die die Schönheit ihres Landes einfach nicht mehr sehen.
„You gotta make sure to get enough rest during the night, otherwise you will fall asleep behind your wheel“.
Und dann erreiche ich die Felder. Ich weiß, dass hier vor allem Genmanipuliertes angebaut wird. Schön ist der Anblick trotzdem. Die Grashalme scheinen einer Choreografie zu folgen. Mal schneller, mal langsamer wiegen sie sich im Wind. Das ist beruhigend und einlullend, damit hat der Cop Recht gehabt.
Nach Salt Lake City brauche ich meine Sonnenbrille, obwohl mir die Sonne nicht im Gesicht steht. Die kilometerlangen Salzseen hinter der Stadt reflektieren das Licht einfach so stark. Aus meinem Fahrersitz sieht es aus wie Schnee. Wahnwitzige haben Worte und Symbole in das Salz am Straßenrand gemalt. Mit großen langgezogenen Zeichen, so dass man selbst bei 60 Meilen pro Stunde lesen kann, was da steht: Peace. I love you Susan. Jesus is alive.
Die Luft wird trockener und mit ihr meine Umgebung. Wüste. „Tumbleweeds“ rollen filmreif über die Interstate 80. Ich bin im Land der Cowboys und der Geisterstädte. Eine will ich mir anschauen.
Metropolis heißt ihr sagenumwobener Name. Und von meinem Highway nur 17 Meilen entfernt, habe ich recherchiert. 17 Meilen sind ja nicht viel, denke ich. Wie dumm. Ich brauche 45 Minuten, bis ich endlich da bin. Schon nach fünf Minuten Wegstrecke hört die Asphaltierung auf und wird durch Schotter ersetzt. Der letzte menschliche Außenposten ist eine Farm. Die Kühe auf der Weide schauen mich fragend an, als ich mit fünf Meilen an ihnen vorbei rolle. Was will die denn hier?
Die letzten zehn Meilen sehe ich nicht mal mehr Tiere. Die Ruinen tauchen vor mir auf. Es sind nicht mehr viele. Ein halbwegs großes Gebäudeteil erhebt sich einsam und verlassen vor mir. Wie ein Mahnmal. Ich steige aus, die Sonne knallt und ich höre: nichts.
Ich sehe einen metergroßen Stein, darauf eine Gedenktafel. Metropolis, steht da, sei eins dank Abzweigung eines Flusses in Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden. Man hatte große Pläne. Ein Hotel entstand, eine Schule, Geschäfte, ein Bahnhof und viele Häuser. Dann kam es zu einem Rechtstreit mit den Farmern des natürlichen Flusses, dessen Wasser für die Stadt gebraucht wurde. Nach etlichen Jahren gewannen sie. Das nötige Wasser für ihre Felder gehörte wieder ihnen. Metropolis lag damit trocken und wurde nach und nach zur Geisterstadt. In den 40er Jahren verließen die letzten Siedler die Stadt. Seit dem verfällt sie. Ich trage mich in das Gästebuch ein, das in einer Metallkiste neben der Tafel liegt. „Don’t forget Metropolis“ steht da. Wie könnte ich.
Nach einer Stunde rolle ich mit meinem Wohnmobil langsam wieder zurück auf die I‑80. Und vor mir tuen sich neue, mit bloßem Auge und selbst scharfen Verstand nicht fassbare Landschaften auf. Es müssen wirklich mehr als 13 Meilen sein, die das Auge fassen kann denke ich und gebe Gas.
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ein guter Bericht, macht Bock auf mehr…
Gruss aus KeniaHey Angelika,
ich finde es cool dass du dorthin fährst wo es vermeintlich nicht so aufregend ist. Mittlerer Westen, das weiß man ja, dort gibt es nur Maisfelder und karge Steppen. Aber ich persönlich finde das spannender als die 10. Erzählung vom Yosemite oder Yellowstone. Kenne nur die Nord-Ostküste in den USA. Ich hab den Artikel in unserem wöchentlichen Reisenewsrückblick verlinkt.http://blog.goeuro.de/unpacking_travel_de_11/
Oh wie schöööön! Ich möchte auch gerne mal im Wohnmobil durch die Welt (bzw. erst mal Europa) reisen… das sieht traumhaft aus da! Gute Reise weiterhin!
Schöner Text! Oh Mann, ich hatte gerade ein Déjà-vu beim Lesen. Ich war vergangenes Jahr in Namibia und bin von Keetmanshop nach Lüderitz gefahren. Statt Salzseen Sandhügel, statt Kühe Springböcke, statt Metropolis Kolmannskuppe – aber genau dasselbe Gefühl. Viel Spaß noch!
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