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Während der letzten 3 Jahre, habe ich ein Leben gelebt, das oft als »Digitales Nomadentum« bezeichnet wird:
- • Jedes Jahr durch mehrere Länder reisen.
- • Nirgendwo länger als 3 Monate bleiben.
- • Den Großteil meiner Arbeit online verrichten.
Es gibt mehrere Artikel mit Bildern von Laptops und Bier am Strand. Sie versprechen, dass man schnell reich werden kann, während man seinen Traum lebt.
Es gibt sicher Menschen, die diese überdrehte Fantasie erreichen. Aber so wie bei allem anderen auch, hängen die Leben von Dauerreisenden von den Menschen ab, die sie leben. Meins unterscheidet sich etwas von dem Klischee.
Hängematte am Strand (Ko Kong, Kambodscha)
Das soll nicht heißen, dass ich nicht manchmal mit Freude ein Bild auf Instagram stelle, das meine Füße auf einer Hängematte am Strand zeigt, um möglichst viel Neid von den Menschen im Berufsleben daheim zu ernten.
Aber in der Realität, ist das nicht die Regel sondern eine Ausnahme:
- • Niemand mag Sand im Laptop.
- • Wo gibt es die Steckdose zwischen Palmen?
- • Versuche erst gar nicht Wifi auf einer Insel zu finden.
Außerdem, wie Florian, mein pragmatischer deutscher Lebensabschnittspartner sagt:
»Was soll denn das Theater mit den Stränden? Alle tun so, als wären Strände etwas Besonderes. Aber dort gibt es nichts zu sehen.
Es ist nur Wüste mit Wasser.«
Scooter-Tage sind mir eh lieber als Strandtage (Chiang Mai, Thailand)
Ich habe darüber nachgedacht, was mir der Reise-Lifestyle eigentlich bringt, nachdem Florian in einem Artikel über reisende Paare interviewt wurde. Sie wollten wissen, wie wir es schaffen 24/7 zusammen zu sein, ohne uns gegenseitig oder unsere Beziehung umzubringen.
Beim Beschreiben unserer »Arbeitsteilung«, meinte Florian, der Unterschied zwischen uns sei, dass ich keine Sehenswürdigkeiten mag. Als ich das las, fühlte ich mich wie ein totaler Idiot, wie ein Reisemuffel.
Wenn ich böse werde, weil Florian etwas wenig Schmeichelhaftes sagt – typisch deutsch – hat er leider normalerweise recht. Einmal beschwerte ich mich, dass seine Sprache so schwer zu lernen ist und ich damit aufhören will, weil ich so schlecht darin bin. Seine Art der Ermunterung war:
»Du bist in den meisten Sachen, die Du machst schlecht.
Mach es trotzdem.«
Vagabundieren auf Java (Surakarta, Indonesien)
Nach meinem ersten Jahr des romantisierten Vagabundierens, betrachte ich einen Großteil der Welt als »same same, but different« und bin nicht mehr unendlich interessiert an den vielen Ausprägungen des Menschseins.
Ich bin ein dermaßener Reisemuffel, dass ich muffelig werde, wenn begeisterte Backpacker bei einem Couchsurfing Treffen »reisen« als aktives Verb verwenden. Ich finde, dass die passive Form passender wäre.
»Ich habe ein Ticket gekauft, saß in einem Stuhl, der sich bewegte und wurde von A nach B zugestellt«
wäre zutreffender als
»Ja Mann, ich bin gerade durch Kambodscha gereist, es war krass, mit den Leuten abzuhängen. So viel Kultur.
Dann bin ich durch Myanmar gereist, dann bin ich durch Thailand gereist …«
Wasserschlacht zu Songkran (Bangkok, Thailand)
Ich bin ein dermaßener Reisemuffel, ich glaube, dass Thailands Wasserschlacht Songkran der nervigste Feiertag der Welt ist, und ich spreche aus Erfahrung.
»Nein danke, Du musst nicht meine Sünden für das neue Jahr wegwaschen. Meine Sünden sind genau richtig, so schmutzig, wie sie sind. Wie wäre es, wenn Du mich stattdessen einen Papaya Salat holen lässt und einen Eiskaffee, ohne klatschnaß zu werden?
Nein, zu viel verlangt? Jeder will den Farang nass machen? (Thai für »Fremder«) Großartig.«
Thailand ist normalerweise auf der ganzen Welt Flos und mein Lieblingsort, aber von jetzt an versuchen wir zu Songkran irgendwo anders zu sein.
Nachdem ich also akzeptiert habe, dass ich tatsächlich der Grinch bin, der immer noch reist, was bringt mir der Lifestyle eines digitalen Nomaden?
Dauerreisen hat es mir ermöglich mein Leben auf die Grundlagen zu reduzieren, die ich brauche, um glücklich zu sein und alles andere loszulassen.
Mit dem Fahrrad am Titicaca See (Isla del Sol, Bolivien)
Als ich vor fünf Jahren die USA verlassen habe, dachte ich, ich bin nach 3 Monaten wieder zurück. Ich habe all meinen Besitz in Umzugskartons verpackt, in der Garage einer Freundin eingelagert und bis bald gesagt.
Aber sehr bald, habe ich gemerkt, dass ich mein neues Leben viel besser finde. Ich habe nur etwa $300 im Monat verdient, aber meine Ausgaben waren noch geringer und ich war glücklich.
Im folgenden Jahr, habe ich also eine weitere Stelle in einem anderen Land angetreten, diesmal mit einer 30% Gehaltserhöhung auf ganze $400 im Monat.
Ich war immer noch glücklich und habe so viel mehr Geld verdient, als ich ausgeben konnte, dass ich Ersparnisse für eine 3‑monatige Reise mit dem Fahrrad durch Bolivien zurücklegen konnte. Das war die erste größere Reise von Flo und mir und der offizielle Start in mein nomadisches Leben.
Kurz danach, fing ich damit an, kurz in den USA zu arbeiten und den Rest des Jahres langsam meine Zeit und mein Geld im Ausland zu lassen. Ich schrieb mich in ein Fernstudium bei einer Universität nahe meiner Heimatstadt ein, um eine Zertifizierung zu machen.
Zusätzlich, habe ich in meiner Freizeit ein Buch recherchiert und geschrieben und im zweiten Jahr die Programmier-Grundlagen gelernt und eine Webseite erstellt.
Jetzt, im dritten Jahr als Nomade, bin ich dabei meine Level 1 Lehrerlizenz abzuschließen und versuche meine Anfänger Kenntnisse als Programmierer und Web Designer zu erweitern.
Auf der Maya-Pyramide Coba (Yucatán, Mexiko)
Ich hätte für nichts davon Zeit gehabt, wenn ich daheim geblieben wäre und weiter im Hamsterrad gestrampelt hätte.
Das soll nicht heißen, dass jeder Moment eine Art #liveauthentic Traum war:
- • Ich habe den Zyklus von anfänglicher Abscheu zu gleichgültiger Akzeptanz von Squat-Toiletten durchlaufen.
- • Ich weiß, wie gekochte Arschlöcher mit Hühnerfüßen schmecken.
- • Ich finde, dass Klimaanlagen etwas für reiche Menschen sind.
- • Wenn Flo und ich in einem Guesthouse übernachten, das uns Handtücher stellt, rufen wir freudestrahlend »Womit haben wir das verdient?!?«.
Unser Reise-Budget kann man nur an verschwenderischen Tagen als minimal bezeichnen. So habe ich gelernt, wie viel weniger ich brauche um glücklich zu sein, als ich ursprünglich gedacht hätte.
Es hat mir auch gezeigt, wo meine Grenzen liegen und welchen Komfort ich brauche, wenn ich nicht an meinem Geisteszustand zweifeln will.
»Que bienvenido, Papa Francisco!« (Manila, Philippinen)
Im Januar 2015, war ich am Changi Flughafen in Singapur – mein Lieblings-Flughafen und Sieger des goldenen Kopfkissens für bald 2 Jahrzehnte. Ich habe eine Email bekommen, dass mein Flug nach Manila storniert wurde: nicht verspätet, nicht verschoben; storniert.
Es gab keinen Ersatzflug. Ich war gestrandet an einem fremden Flughafen – ok, mein Lieblings-Flughafen – ohne Visum oder Weiterflug.
Fuck. Warum? Fuck.
Nach mehr als einer Stunde am Telefon mit der Airline, erzählte man mir, dass der Grund für die Stornierung der Besuch von Papst Fransziskus war.
Der Flughafen wurde als Sicherheitsmaßnahme für den Großteil des Tages geschlossen. Der Papst würde an diesem Tag in Manila ankommen, als Teil seiner Asienreise.
Ich habe uns schließlich einen anderen Flug besorgt, einer der letzten, der in Manila landete. Das bescherte Flo und mir eines der einzigartigsten Ereignisse in Manila, in Jahrzehnten.
Die Hauptstrassen waren geschlossen, Kinder liefen überall und hüpften auf alten Matratzen auf der Strasse. Es wurde allerlei Papst-Krimskrams verkauft (Flo und ich holten uns beide ein Papst-Shirt).
Papst-Shirt (Manila, Philippinen)
Gigantische Fernsehschirme standen an allen Strassenecken, um seine Ankunft zu übertragen und die Strassen waren viele Kilometer vom Flughafen in die Stadt mit philippinischen Frauen gesäumt, die auf Schildern ihre Zuneigung verkündeten. Sie wirkten wie überraschend faltige Teenager, bei einem Boy-Band Auftritt. Es war ein großartiger Tag, um in Manila herumzulaufen.
Leider war es kein großartiger Tag, um Unterkünfte in Manila zu finden. Nach gefühlten Stunden, fanden Flo und ich endlich ein lokales Guesthouse, mit freien Zimmern. Es war um einiges teurer und drastisch heruntergekommener, als die Bruchbuden, die wir gewohnt waren. Aber was soll man machen am Papst-Tag? Wir haben ein Zimmer genommen.
Papst Live Viewing (Manila, Philippinen)
Später am Abend, nach de nur um 1 Strassenblock und 5 Minuten verpassten Gelegenheit, dem Papst zu winken, kamen wir zurück. Was im Tageslicht nur enttäuschend aussah, sah paradoxerweise nun geradezu abstoßend aus. Der Gang, der in das Gemeinschaftsbad führte hat sich von dunkel zu stockfinster gewandelt, ohne jedes Licht.
Das Schlimmste an dem Blick in den dunklen Gang auf das Badezimmer war: Ich musste es benutzen. Widerwillig ging ich zurück in unser Zimmer, nahm meine Taschenlampe und schlich den Gang hinunter.
Als ich das Bad fand, stand ich in der Tür, um den mit Scheisse bedeckten Toilettensitz zu betrachten. Das beschäftigte mich lange genug, um ein felliges kleines Monster aus dem Innern der Schüssel zu locken, um zu sehen, was da los war.
Um ganz ehrlich zu sein, ist es vielleicht etwas übertrieben zu sagen, dass eine riesige Ratte aus einer vollgeschissenen Toilette kroch, um mich den Gang entlang zu jagen. Immerhin weiß ich nicht, ob die Ratte mich wirklich gejagt hat, kenne ihre Absichten nicht. Um das ganz klarzustellen, die unbestreitbaren Tatsachen sind:
- 1. Der Toilettensitz war voll mit Scheisse.
- 2. Eine große Ratte kam aus der Toilette.
- 3. Ich drehte herum und rannte den Gang zurück.
- 4. Die Ratte rannte denselben Gang hinter mir her.
- 5. Es war ziemlich widerlich.
- 6. Ich habe über mein Leben sinniert.
Erklettern des »Sticky Waterfall« (Chiang Mai, Thailand)
Die meiste Zeit, fühlt es sich so an, als ob mein minimalistischer, nomadischer Lifestyle die richtige Wahl für mich ist. Aber was da passierte, war der absolute Tiefpunkt. Ich war in einer Position, die kein vernünftiger Mensch freiwillig wählen würde und sie keine anderweitigen Vorteile aufwiegen kann.
Nur ein paar Kleidungsstücke und keinen Kram zu besitzen, um dadurch nur das Nötigste von meiner Zeit verkaufen zu müssen, ist ein fairer Tausch für mich. Aber wenn mein Lebensstandard nur noch Umstände wie diese erlaubt: Das ist keine Freiheit, sondern nur eine andere Art von Sklaverei.
Das ist aus Sicht von privilegierten Menschen (zu denen ich gehöre) das ganz andere Ende des Spektrums. Menschen, die alle möglichen Jobs machen um so viel zu kaufen, wie sie können, ohne große Ahnung, was sie überhaupt in ihrem Leben wollen oder brauchen, um ihr Glück zu optimieren.
Ich kann nicht behaupten, dass meine Erfahrung eine Art Voraussetzung für ein verwirklichtes Leben ist. Aber auf meinen weiteren Reisen, war mir bewusst, dass letzten Endes meine Ansprüche nur ein wenig über einem sicheren Ort zum Schlafen und einer rattenfreien Toilette liegen. Das zu akzeptieren, lässt andere Überraschungen im Leben nicht so schlimm erscheinen.
Ich schreibe dies aus meinem Heimatland, wo ich die bisher längste Zeit seit 5 Jahren verbringe (bereits 4 Monate). Ich arbeite mit großartigen Menschen, die ich gerne zu meinen Kollegen zählen würde – zumindest wenn ich auf so etwas stehen würde. Ich kann mich nicht einer gewissen Bewunderung entziehen für Klimaanlagen und Sitztoiletten, frei von Ungeziefern.
Aber ich mag nicht, wie das Verharren an einem Ort dazu führt, dass Trivialitäten wichtig werden. Oder dass ich Besitztümer ansammeln muss, um die innere Leere zu füllen – ich rede von meiner leeren Wohnung, aber nimm das ruhig metaphorisch, wenn Du auf Hippie Bullshit stehst.
Ich reise lieber.
Frühstück auf der Terrasse im Dschungel (Coroico, Bolivien)
Gastbeitrag meiner Partnerin Michela – Zuerst erschienen in englischer Sprache auf Medium: When My Travel Lifestyle Hit Rock Bottom.
Michela hat doch kein Deutsch gelernt, war ihr zu schwer 😉
Was war der Tiefpunkt Deines Reise-Lebens?
Reist Du so wie wir oder ganz anders? Mach mit bei der Blogparade: Deine Reise ist nicht meine Reise.
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Antworten
Hmmmm, die Ratte wollte wohl ihr Paradies für sich alleine 🙂 🙂 🙂
Insgesamt ein sehr netter Artikel, der das moderne »Nomadenleben« gut nachvollziehen läßt.Großartiger und witziger Artikel! Ich kann die »Reisemuffelei« total nachvollziehen, ab und an geht es mir genauso. Dann muss ich einfach ein paar Tage inne halten, um dann wieder Lust auf neue Abenteuer zu bekommen. 🙂
Ja, nach der Ratte haben wir erstmal 2 Monate inne gehalten 😉
Wow, das war ja mal ein Beitrag der anderen Art. Sehr interessant auch mal etwas über die kleineren Hindernisse des Reisens zu lesen. Da werde ich mich beim nächsten Mal, wenn bei mir auf einem Trip etwas schief läuft, dran erinnern und gleich besser fühlen, weil ich weiß, dass ich nicht alleine bin. Danke dafür 😉
Ich arbeite ja seit 1999 ausschliesslich online. Und ich musste feststellen, dass arbeiten von zuhause aus eigentlich am besten klappt. Und dann monateweise herumreisen ohne zu arbeiten. Oder nur das allernotwendigste.
Manchmal denke ich, viele der sogenannten „Digitales Nomaden“ tun nur so, als ob sie arbeiten. In Wirklichkeit klimpern sie nur in ihren Compi herum und vergeuden ihre Zeit mit Unsinn. Und verdienen dabei auch kaum einen Hilfsarbeiterlohn.
liebe Grüsse vom Muger
Es gibt solche und solche digitale Nomaden.
Ich bin persönlich sehr zufrieden mit dem Hilfsarbeiterlohn, so lange er es mir ermöglicht weiter zu reisen. (und das tut er)
Andere digitale Nomaden reisen kaum und definieren den Begriff eher mit Winterflucht in Südostasien oder mal arbeiten vom Starbucks ums Eck.
Wieder andere digitale Nomaden sind Workaholics und verdienen richtig fett Kohle.
Wieder andere digitale Nomaden…
… kann man echt nicht verallgemeinern.
Stellenweise musste ich schmunzeln. Erfahrungen und Gefühle, die sicherlich viele Reisende teilen können. Auf jeden Fall ein sehr ehrlicher und damit für mich auch ein sehr schöner und lesenwerter Artikel. Bitte weiter schreiben (in welcher Sprache auch immer). 😉
Ich richt es an Michela aus – in Englisch 😉
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