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“Und, wie hat es nun geschmeckt?” Ich schaue zu Lars, dann schweift mein Blick wieder von der Aussichtsplattform über den grünen Teppich unter uns. Unter dem dichten Blätterwerk wimmelt es nur so. Doch nichts von dieser Emsigkeit lässt sich von hier oben erfassen. Irgendwo da drin liegen Leben und Tod sehr nah beieinander. Der Mensch ist der Feind der Natur, die Natur ist des Menschen Feind. Das ist der Urwald, das ist der Dschungel. Nur ein dicker schlammiger Wurm findet hier noch seinen Weg und beißt sich durch dieses Bollwerk an Grün. Wir sind am Amazonas, fernab jeglicher Infrastruktur. Mein Brustkorb bebt noch immer als ich zum dritten Mal ansetze und dem neugierigen Polen schließlich erwidere: „Ich weiß es nicht.“. Ich drehe mich um, und steige wortlos die steile Treppe der Aussichtsplattform hinab. Dabei denke ich mir, dass ich es auch gar nicht wissen will.
Es ist Regenzeit, kein Tag, der ohne einen typischen platzartigen Urwaldschauer verstreicht. Der ganze Wald steht unter Wasser, als wir den Rio Loretoyacu, einen Nebenarm des Amazonas, ein Stück flussaufwärts fahren. Es fühlt sich an, als seien wir inmitten von Mangroven. Wo wir zum Pissen mal an Land gehen könnten, fragt Lars Pedro, unseren Bootsmann. Doch hier gibt es kein Land. Denn alles, was Land sein könnte, steht noch bis Mai unter Wasser. Und noch immer ist der Zenit nicht erreicht. Zwei Meter fehlen noch. Pedro zeigt mit der Hand nach hinten. Und so hangelt Lars schwankend ans Bootsende und macht es auf die Seemannsart.
Behutsam gleitet unser Boot durch das Geäst, wir lauschen dem Gesang der Vögel und dem Plätschern der Paddel. Vor uns liegt ein Teppich der berühmten Victoria Amazonica oder auch Wasserlilie genannt. Und dann ist er plötzlich da – ein rosaroter Delfin bzw. ein Boto, um den sich viele Mythen drehen. Bevor ich zur Kamera greifen kann, taucht er wieder ab. Die einzigartigen rosaroten Delfine, die sich nur in der Amazonasgegend aufhalten, sind gelenkiger als ihre grauen Artgenossen. So können sie in das dichte Geäst der Nebenarme und Sümpfe zur Nahrungssuche schwimmen und meiden die großen Flüsse. Unser Boto macht sich schnell aus dem Staub und auch wir drehen ab in Richtung Tarapoto See.
Nur eine einzige Siedlung hat in dieser Gegend am Tarapoto See in der Regenzeit festen Boden unter den Hütten und diese suchen wir auf.
Pedro winkt uns zum Haus des Häuptlings rüber und wir trotten brav hinterher und ziehen auf der steilen Treppe unsere Schuhe aus. Der Hausherr steht im Türrahmen und begrüßt uns mit einem Lachen, dann reckt er uns gleich einen winzigen Affen entgegen. Verstört mit einer Wunde am Kopf schaut uns der Affe aus seinen großen dunklen Kulleraugen an. Natürlich finden wir ihn süß, aber sein Zustand ist bemitleidenswert. Wir fragen Pedro, was dieser kleine Affe hier suche und erfahren, dass die Mutter dieses ein Monat alten Babys von den Nachbarn getötet wurde. Affen werden hier noch gern gegessen – nicht häufig, aber zwei‑, dreimal im Monat als Delikatesse auf jeden Fall. Und dies sei hier auch erlaubt, während es im restlichen Kolumbien strikt verboten ist.
Der Häuptling schnappt sich den Affen wieder, um ihn auf unsere Köpfe zu setzen. Das kleine Wesen krallt sich fest in meine Haare. Ich spüre das Zittern auf meinem Kopf und erschaudere selbst. Ich will nur fort, will nicht das sehen, was ich zu Gesicht bekam. Und gerade als ich mich auf die Treppe setze, um meine Schuhe anzuziehen, höre ich ein Kreischen aus dem Nebenraum, in dem Pedro den kleinen Affen abgesetzt hatte. Er rennt und kriecht Pedro wild hinterher, um schließlich vor unseren Füßen zu halten. Das kleine Äffchen schreit in den eindringlichsten Tonlagen, will immer wieder hochgenommen werden. So ganz begreifen wir es nicht. Erst als der Häuptling persönlich mit dem Affen in der Hand im Nachbarraum verschwindet und Pedro mit Lars bereits die Treppe herabgestiegen ist, verstehe ich. Das handgroße Äffchen beginnt erneut jämmerlich zu kreischen. Der Häuptling hebt ein Brett an, packt den Affen in den kleinen Hohlraum und verschließt diesen wieder.
Eilig steuere ich unser Boot an, doch Pedro ruft uns zum nächsten Haus auf Stelzen. Vor der Hütte dieses Nachbarn wartet bereits ein kleiner Indianerjunge auf uns und zieht uns ungeduldig in sein Haus. Erst zeigt er uns sein etwas verwahrlostes Hündchen, dann zerrt er uns an den Armen in Richtung Küche. Am Herd angekommen fällt unser Blick auf die dort liegende Pfote oder Hand neben dem Kochtopf. Vielleicht Hund? Hinter mir höre ich ein Lachen. Ich hatte nicht bemerkt, dass eine ältere Frau an der Wand lehnt, die uns nun interessiert mustert und sich zugleich amüsiert. Wieder diese Touristen! Unverkennbar gehörte diese Hand einst zu einem Affen. Nun liegt sie geschmort einfach auf dem Herd. Daneben befindet sich ein großer Topf. Ein Blitz durchfährt meinen Körper. Wir sind tatsächlich bei „dem“ Nachbarn! Lars hebt den Deckel. Ein gut erkennbarer Affe glotzt aus dem Topf. Schädel, Gliedmaßen – alles menschengleich. Die Affenmama zu dem gequälten Affenbaby von nebenan. Die Indiofamilie belustigt sich etwas, als sie bemerkt, dass mir der Anblick ihrer Suppe nicht wirklich schmeckt. Pedro isst noch genüsslich seinen Maiskolben auf, bevor wir uns von der Familie verabschieden. „Und nun schauen wir uns noch mehr schöne Delfine an! ¡Vámonos!“
Über die Schönheit der einzigartigen Natur legt sich ein Schleier, als wir über den Tarapoto See fahren. Dunkle Wolken ziehen auf und verhängen das Szenario. Bald ist Santa Clara nur ein kleiner Punkt inmitten der Urwaldriesen und des schier endlosen Labyrinths an Dschungelpflanzen. Noch einmal springen die Delfine – grau und pink vermischen sich. Sie sammeln sich, kehren zurück aus dem Geäst des überfluteten Dschungels. So wie sich auch die Papageien und Sittiche in den Bäumen Puerto Nariños sammeln, als wir den Hafen erreichen. Der nächste Regenschauer braut sich bereits über uns zusammen.
Am Hafen von Puerto Nariño begegnen wir unserem Hostelbesitzer, der ein Zwergseidenäffchen in seiner Hand hält – das kleinste Äffchen der Welt. Und plötzlich sind da wieder diese Bilder und ist da dieser Geschmack…
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Erinnerungen werden bei mir wach… Ich höre förmlich die Geräusche, und die Gerüche des Urwaldes steigen in meine Nase, wenn ich diesen Bericht lese. Glücklicherweise blieb mir der Anblick dieser Delikatesse bisher erspart. Als Vegetarierin wahrhaft ein Anblick des Grauens. Ich möchte dann doch lieber die Tiere im Urwald lebend erleben. Das Amazonasgebiet – der beste Fleck auf Erden für mich!
Hmmm, ja, das mit den Affen schmeckt mir nicht wirklich… 🙁
Viele Völker essen noch Busch-Meat…Au Ha, spannende Reisedepesche! Über die Schönheit legt sich ein Schleier des Grauens, würde ich sagen…nachdem ich in den Kochtopf geguckt habe. Das ist ja schrecklich. Der Kleine wollte von Euch gerettet werden! Eine traurige Geschichte.
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