Über das Unterwegs-Sein

Gera­de das Unter­wegs-Sein ist ein her­vor­ra­gen­der Zustand, um sich mal ein biss­chen bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. 4 per­sön­li­che Erkennt­nis­se.

Bang­kok, Thai­land

Lang­sam setzt sich der Zug in Bewe­gung. Der Schaff­ner in sei­ner maß­ge­schnei­der­ten Uni­form pas­siert uns und ab jetzt ver­fal­le ich in einen Dös­zu­stand. Bang­kok zieht sich noch lan­ge dahin, vor­bei an Wohn­blocks, die mich an den Sozi­al­bau erin­nern, in dem ich auf­ge­wach­sen bin, vor­bei an Bara­cken und dre­cki­gen Kanä­len, in denen sich so viel Leben abspielt. Irgend­wann tun sich wei­te Fel­der auf und mit ihnen fri­sche Gedan­ken. Es ist der ers­te Orts­wech­sel auf unse­rer gro­ßen Rei­se. Ein erha­be­nes Gefühl kommt in mir auf. Und ein wenig Stolz. Denn wir haben es getan: Der Ger­man Angst die Tür vor der Nase zuge­schla­gen. Dem Bom­bar­de­ment der Panik­ma­cher über Euro­kri­se, Ren­ten­kri­se, Arbeits­lo­sig­keit und Hartz 4, über­haupt ‑allen Kri­sen die­ser Welt- haben wir stand­ge­hal­ten.

Der Tag, an dem ich mei­ne Kün­di­gung ein­reich­te, war ein Tri­umph über mei­nen größ­ten inne­ren Feind: der Zukunfts­angst.

Einfach machen

Pare Pare, Sula­we­si, Indo­ne­si­en

Seit Stun­den sit­zen wir mit den Mit­ar­bei­tern des Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums, wie sie sich sel­ber beti­teln, am ver­wais­ten Bus­bahn­hof von Pare Pare. Bis­lang hat sich kein ein­zi­ger Bus gezeigt, einen Fahr­plan gibt es nicht, genau­so wie es kei­ne Bus­ge­sell­schaf­ten, Ticket­ver­käu­fer oder sons­ti­ge Läden gibt. Anschei­nend sind wir die ein­zi­gen Pas­sa­gie­re und so küm­mert sich die gesam­te Schar an Mit­ar­bei­tern in per­fekt sit­zen­den Uni­for­men um uns. In einer Küche setzt eine Dame Kaf­fee oder Tee für die Mit­ar­bei­ter auf, frit­tiert uns Bana­nen und brut­zelt neben­bei noch ihr Mit­tag­essen. In einem Neben­raum lüm­meln ein paar Kin­der auf einem Plas­tik­la­ken vor der Glot­ze. Wir sol­len auf einen Bus aus Makas­sar war­ten, der gegen 14 Uhr vor­bei kom­men soll. Irgend­wann hält mir die Dame ihr Han­dy ans Ohr, am Tele­fon ein Mann, der sogar Eng­lisch spricht: »Wait at the bus sta­ti­on. The bus will come at 2 o´clock«. Ich neh­me an, dies sei der Bus­fah­rer, bin schon viel ent­spann­ter und geneh­mi­ge mir gleich noch einen Kaf­fee. Was die Mit­ar­bei­ter eigent­lich machen, ist mir ein Rät­sel. Dut­zen­de Uni­for­mier­te lau­fen ein und aus, trin­ken Kaf­fee, spie­len an ihrem Han­dy rum und freu­en sich über unse­re Gesell­schaft, die eine will­kom­me­ne Abwechs­lung ist. Um 14.30 Uhr beru­higt mich der ein­zi­ge Eng­lisch spre­chen­de Mit­ar­bei­ter Tau­fuk, dass der Bus sicher Ver­spä­tung hät­te. Ein Uni­for­mier­ter hat einen Lap­top mit Inter­net­ver­bin­dung und beginnt sich mit Ste­fan über Goog­le Trans­la­te zu unter­hal­ten. Mein Magen grum­melt von zu wenig Essen und zu viel Kaf­fee. Um 16 Uhr sprin­gen alle Mit­ar­bei­ter auf, der Chef läuft ein. Es wird stramm gestan­den, salu­tiert- ein Arbeits­tag geht zu Ende. Von unse­rem Bus lei­der kei­ne Spur. Ich fra­ge Tau­fuk, ob er noch mal den Bus­fah­rer anru­fen kön­ne, wor­auf er ent­geg­net, dass er kei­ne Num­mer von einem Bus­fah­rer habe. Als ich auf die Dame zei­ge, sagt er lachend: »Oh- thats my mother. She cal­led me to come to see you!« Ich weiß nicht, ob ich lachen oder wei­nen soll. Als die Dun­kel­heit ein­bricht, zie­hen wir uns mit Sack und Pack zurück in ein Hotel, des­sen from­mer mus­li­mi­scher Besit­zer uns arg­wöh­nisch ein Zim­mer gibt.

Am kom­men­den Mor­gen ändern wir unse­re Stra­te­gie. Wir sit­zen nun am Stra­ßen­rand der ein­zi­gen Haupt­stra­ße, die von Makas­sar über Pare Pare nach Ran­tepao hoch­führt. Nach einer Stun­de füh­le ich mich wie ein Grill­hähn­chen und zum Lachen ist mir auch nicht mehr zumu­te. Nach wie vor erfreu­en sich die Mit­ar­bei­ter des Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums über unse­re Gesell­schaft. Es wer­den eine Men­ge Fotos geschos­sen, Ver­wand­te schau­en vor­bei, mehr Fotos wer­den gemacht. Ich zwin­ge mir ein Lächeln ins Gesicht, aber Ste­fan erkennt, dass mir nicht mehr zum Lachen zumu­te ist. Wie lan­ge sol­len wir hier sit­zen? War­um ist denn alles so inef­fi­zi­ent? Dut­zen­de Mit­ar­bei­ter des VER­KEHRS­mi­nis­te­ri­ums, und es gibt nicht mal einen Bus­plan? Kei­ne Ver­bin­dung zu den Bus­un­ter­neh­men in Makas­sar? Ein Jeep hält an, der Fah­rer- ein Typ mit roten Augen, fle­cki­gem Lum­pen­shirt und Kip­pe im Mund- ver­langt eine exor­bi­tant hohe Sum­me, um uns nach Ran­tepao zu fah­ren. Tau­fuk rät zu Geduld und abwar­ten, am liebs­ten wür­de ich ihn anschrei­en. Die­ses War­ten, die­ses Gefühl von Aus­ge­lie­fert-sein, macht mich wütend. Ste­fan ver­steht mei­ne (Über)Reaktion nicht, er ist ziem­lich relaxt. Das macht mich noch rasen­der. Just in dem Moment, in dem ich bockig und trot­zig for­dern will, die Rou­te zu ändern, zeich­net sich in der Fer­ne ein Bus ab. Als ich im Bus sit­ze, drü­cke ich ein paar Trä­nen weg, die ich erst am Abend in mei­nem Bett zulas­se.

Rei­sen führt mich an mei­ne emo­tio­na­len Gren­zen.

Schiff

Lom­bok, Indo­ne­si­en

Die öffent­li­che Fäh­re von Lom­bok nach Bali ist ein schwe­rer Eisen­damp­fer, fas­zi­nie­rend, dass er über Was­ser bleibt. Im Lonely Pla­net stand nur der Kom­men­tar: “the ser­vice is often unre­lia­ble – boats have caught on fire and run aground.” Also neh­me ich auf dem Ober­deck neben einem Ret­tungs­ring Platz und schaue zu, wie Lom­bok immer klei­ner wird. Im Was­ser treibt eine tote, fet­te Rie­sen-Python. Der Motor röhrt ange­nehm mono­ton vor sich hin, der Fahrt­wind bläst sal­zig in mein Gesicht und ich bin zufrie­den mit mir und der Welt. So eine Schiffs­fahrt hat etwas ange­nehm Nost­al­gi­sches. Wie das Rei­sen wohl war, als man Mona­te auf hoher See ver­brin­gen muss­te, um nach Indo­ne­si­en zu gelan­gen? Der auf Gili Air in Per­fek­ti­on zele­brier­te Müßig­gang der ver­gan­ge­nen Tage rückt in die Ver­gan­gen­heit, Taten­drang und süße Neu­gier­de auf das nächs­te Ziel rücken an sei­ne Stel­le.

Die Neu­gier­de auf den nächs­ten Hafen macht mich glück­lich. 

Meerblick

Chan­gi Air­port, Sin­ga­pur

»Wel­co­me to Chan­gi Air­port. Have a plea­sant stay!« Der güns­tigs­te Weg von Sula­we­si nach Kam­bo­dscha führt uns über Sin­ga­pur. Aller­dings müs­sen wir auf unse­re Anschluss­ma­schi­ne 37 Stun­den war­ten. Wir beschlie­ßen die­se Fügung zu nut­zen, um 2 Tage a la Edward Snow­den am Flug­ha­fen zu woh­nen, denn der Chan­gi Air­port soll der Bes­te der Welt sein. Bedacht haben wir nicht, dass unser Gepäck hin­ter der Pass­kon­trol­le auf uns war­tet und der Ein­lass in den Tran­sit­be­reich erst 3 Stun­den vor dem nächs­ten Flug mög­lich ist. Wir fra­gen einen Secu­ri­ty um Rat, der uns warnt: »If you stay too long, the poli­ce will cha­se you out with their dogs.« Da ist die lächeln­de Dame am Info­schal­ter schon hilfs­be­rei­ter: »you have to lea­ve the air­port after 24 hours and coll­ect your bag­ga­ge tomor­row at the lost & found office.« Eine Made-in-Chi­na- Decke für die Nacht gibt es oben­drauf für lau.

Airport

Flug­hä­fen haben mich immer fas­zi­niert. Mei­ne ers­te Repor­ta­ge in der 7. Klas­se schrieb ich über den mir damals noch unge­heu­er unüber­sicht­lich vor­kom­men­den Bre­mer Flug­ha­fen. Die roman­ti­sche Idee eines Ortes, an dem Men­schen aus aller Welt zusam­men­kom­men, mit tau­sen­den Geschich­ten im Gepäck, hat­te etwas.

Am Chan­gi Air­port kann man vor allem Eines: Geld aus­ge­ben. Kon­su­mie­ren. Eigent­lich ist der Air­port eine rie­si­ge Shop­ping-Mall samt Swim­ming­pool, Kino und Gar­ten­an­la­gen. Eine Uhr kos­tet unser Rei­se-Jah­res­bud­get, und das ist nicht mal die Teu­ers­te. Die aktu­el­le Akti­on »kau­fe für 300 US Dol­lar ein, und erhal­te ein Spon­geb­ob-Kuschel­tier für nur 2 US Dol­lar dazu« dröhnt per­ma­nent aus Laut­spre­chern. Ich fra­ge mich, ob das Chan­gi Air­port Mar­ke­ting die Leu­te für Blöd ver­kau­fen will. Aber, Tat­sa­che, vor dem Spon­geb­ob-Schal­ter steht eine Schlan­ge Tüten­trä­ger und kauft sich gleich meh­re­re gel­be Schwäm­me. Im Food­court sitzt neben uns eine asia­ti­sche Fami­lie und isst schweig­sam. Das Kind, kein Jahr alt, sitzt im Hoch­stuhl vor einem I Pad und schaut Car­toons. Über­haupt, die­ses Inter­net! Dank Free-Wifi ist der Flug­ha­fen ein ruhi­ger Ort, jeder schaut auf sein I‑Irgendwas, statt sich zu unter­hal­ten. Wir wan­dern von Ter­mi­nal 1 zu Ter­mi­nal 2 zu Ter­mi­nal 3, aber über­all die glei­chen Bil­der. Men­schen, die mit dem Tele­fon am Ohr ziel­stre­big den Flug­ha­fen durch­que­ren, Tüten­trä­ger, I‑Ir­gend­was- Fixier­te. Als ich in mei­nem Snoo­ze-Chair ins »Bett« gehe, beschlie­ße ich, mich nie vom Mate­ria­lis­mus ein­lul­len zu las­sen.

Die­se Rei­se ist auch mei­ne per­sön­li­che klei­ne Revol­te gegen Höher-Schnel­ler-Wei­ter-Mehr, gegen das Dog­ma des Mate­ria­lis­mus.

Tizia­no Ter­za­ni hat es per­fekt for­mu­liert: life should be: first and fore­most, an oppor­tu­ni­ty to be hap­py.

Und das bin ich vor allem mit einem Ruck­sack auf dem Rücken.

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Antworten

  1. Avatar von Niklas

    Hey Aylin,
    fand euren Arti­kel sehr schön und gera­de die Idee die Leh­ren und Erkennt­nis­se an kur­ze Anek­do­ten zu kop­pel scheint mir ein gut funk­tio­nie­ren­der Ansatz zu sein.
    Hab euch im Unpack­ing Tra­vel ver­linkt. Schaut doch mal rein 🙂
    http://blog.goeuro.de/unpacking-travel_de_17/

    Viel Spaß bei der Wei­ter­rei­se!

    MfG
    Niklas

    1. Avatar von Aylin

      Hey Niklas, vie­len Dank für das Kom­pli­ment & die Ver­lin­kung! Schö­nes For­mat hast Du da geschaf­fen, gefällt mir 🙂

      LG Aylin

  2. Avatar von Claudia

    hal­lo Aylin!

    Ich bin Clau­dia und habe gera­de mei­nen Job geschmis­sen, ich wuss­te ein­fach nicht mehr wo mir mein Kopf stand! Daher habe ich gekün­digt, die nötigs­ten Sachen ein­ge­packt, mich bei mei­nen Eltern und Freun­den abge­mel­det und mich erst­ein­mal abge­setzt. Nun bin ich in Süd­ti­rol, obwohl es cir­ca 400 Kilo­me­ter von mei­ner Hei­mat liegt, war ich noch nie hier, wirk­lich trau­rig! Nach dem ich mei­ne Finan­zen gecheckt habe, ent­schied ich mich durch ganz Euro­pa zu fah­ren und über­all auch wenn nur kurz einen Stopp ein­zu­le­gen! Ich freue mich dar­auf und viel­leicht für mich ja der Weg auch auf ande­re Kon­ti­nen­te!

    Ich wün­sche dir und Ste­fan noch viel Spaß auf eurem Weg! man liest sich!
    Clau­dia

    1. Avatar von Aylin & Stefan

      Lie­be Clau­dia,

      oft ist der ers­te Schritt zu einer Ver­än­de­rung der Schwie­rigs­te, und den hast Du bereits gemacht 🙂 Ich glau­be ganz fest dar­an, dass es immer bes­ser ist, eine Ent­schei­dung FÜR eine Ver­än­de­rung zu tref­fen, wenn man nicht (mehr) glück­lich in einer Situa­ti­on ist, als ein­fach nur abzu­war­ten. Vie­len Dank für Dein Feed­back 🙂 und vie­le tol­le Erleb­nis­se auf Dei­ner Rei­se 🙂

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