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„Na, startbereit?“, frage ich Joel, als er mir die Haustüre öffnet. „Immer doch!“
Lange haben wir beide diesem Tag entgegen gefiebert. Wir haben grade das Abitur gemacht. Monate lang haben wir uns die große Freiheit ausgemalt, die uns jetzt erwartet. Gehen können, wohin wir wollen, so lange wir wollen. Entsprechend wollen wir keinen Tag länger warten, als nötig. Gestern war unser Abiball, heute geht es los.
Die Dauer der Reise? Nicht von Bedeutung. Die genaue Route? Unbekannt. Die Methode? Improvisation.
Immerhin ein Ziel haben wir: Das Nordkap! Seit eines 6‑wöchigen Roadtrips durch Norwegen, den meine Eltern mit mir als Kind gemacht haben, bin ich begeistert von der skandinavischen Landschaft: den grünen Wäldern, den Bergen, den Seen und Fjorden. Ich habe mir immer gesagt: Sobald ich mal mehr Zeit habe, als die paar Wochen Schulferien, werde ich zurückkehren, um Nordeuropa in Ruhe zu bereisen, richtig kennenzulernen und viel Zeit in der Natur zu verbringen.
Bei meiner Tramptour nach Süditalien im Vorjahr habe ich so viele Abenteuer erlebt und tolle Menschen kennengelernt, dass für mich feststeht: Diese Reise werde ich ebenfalls per Anhalter machen. Als ich meinem Kumpel Joel, der mit mir zusammen das Abi gemacht hat, von meinen Reiseplänen erzähle, ist er sofort begeistert. Getrampt ist er zwar noch nie, doch auch er träumt davon, die wilden Landschaften Skandinaviens zu erkunden.
Nun ist es soweit. Und da wir – jetzt nach dem Abi – alle Zeit der Welt haben, wollen wir auch unser Ziel nicht zu klein stecken. So weit, wie es geht, wollen wir Richtung Norden reisen und dabei so viele Länder, wie möglich erkunden. Statt der direkten Route über Dänemark, und Schweden, entscheiden wir uns für die Ost-Route. Mein bisher größtes Abenteuer möchte ich mit der Kamera begleiten, um daraus später eine Abenteuerdoku zu schneiden.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, als wir beide loslaufen, in Richtung Autobahn. Nicht wissen, wo wir in den nächsten Wochen und Monaten sein werden. Nicht wissen, wann wir zurückkehren werden. Wir wissen ja nicht einmal, wo wir heute Abend schlafen werden!
Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Tag, auch wenn es mir vorkommt, wie eine Erinnerung aus einem anderen Leben. Was ich „damals“ vor gut neun Monaten alles noch nicht wusste. Welche Erfahrungen ich noch machen würde.
7 Länder haben wir durchtrampt. Rund 4000 Kilometer haben wir per Anhalter zurückgelegt. Schlechtes Wetter, Krankheit… Nicht alles lief dabei glatt. Gleich unser erster Fahrer, ließ uns versehentlich auf einer Raststätte in die völlig falsche Richtung raus. Wir mussten quer durch die Stadt laufen und im Anschluss versuchen, wieder irgendwie auf die Autobahn zu kommen. Am Nachmittag des zweiten Tages – eine durchfrorene Nacht hinter der Raststätte und 16 Stunden am Straßenrand später sind wir unserem Ziel noch kaum näher gekommen und wir halten die erste Lagebesprechung ab.
Haben wir uns zu viel vorgenommen? Sollten wir vielleicht doch einfach in den Zug steigen und reisen, wie jeder normale Mensch?
Doch wir haben nicht aufgegeben und dafür wurden wir belohnt. Als wir rund drei Monate später am Nordkap angekommen sind, war das für mich das merkwürdigste Gefühl, dass ich je hatte. Wir haben dem Nordkap lange entgegengefiebert. Es war immer das große Ziel, doch als wir dort angekommen sind, konnten wir kaum glauben, dass unser Abenteuer nun vorbei sein sollte.
Wir haben herausgefunden, dass das Nordkap nur der nördlichste, mit dem Auto erreichbare Punkt ist. Auf der Nordkapinsel gibt es jedoch eine Klippe, die noch etwas weiter ins Meer ragt, auf der man noch weiter nach Norden kommt. Querfeldein sind wir dorthin gewandert und haben eine fantastische Nacht mitten im Nirgendwo an einem kleinen See verbracht. Weit und breit war kein Mensch in Sicht. Nur ein paar Rentiere haben uns Gesellschaft geleistet. Die Mitternachtssonne hat der Szenerie etwas Magisches gegeben. Wie ein stundenlanger Sonnenuntergang, hat sie alles in ein tief oranges Licht getaucht.
Das ist Hyperborea, wie ich es mir vorstelle. Ein wildes Land. Ein Traum von Freiheit.
Wirklich begriffen habe ich die Reise erst, als ich wieder zu Hause war und den Film geschnitten habe. Bis zu diesem Zeitpunkt kam mir die ganze Reise wie ein langer Traum vor. Als ich dann die Videos gesichtet habe, wurde mir bewusst: Wir haben es echt getan!
Die Reise hat mich verändert. Ich habe mich auf so viele neue Situationen einstellen müssen, habe so viel Neues kennengelernt. Ich habe meine eigenen Stärken besser kennengelernt, aber auch gelernt, wo meine Grenzen sind. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes selbstbewusst geworden.
Eins steht fest: Diese Reise war mit Sicherheit nicht meine letzte!
Ab März 2016 toure ich mit meinem Film »Hyperborea – Per Anhalter zum Nordkap« durch die deutschen Kinos. Mehr zum Film, alle Termine und Tickets findest du hier.
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