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Mashroof startet einen letzten Versuch: „Mein Schwager vermietet Zimmer in seinem Haus. Wollt ihr euch das mal anschauen?“ Was bliebe uns anderes übrig… Seit eineinhalb Stunden kurven wir mit ihm durch die Dunkelheit, doch alle in den höchsten Tönen gelobten Hotels am Rama See im Nordosten Pakistans sind wegen des nahenden Winters bereits geschlossen oder ausgebucht. Viele Alternativen bleiben uns in dem kleinen Ort nicht, mittlerweile geht es einfach nur noch darum, eine Bleibe für die Nacht zu finden.
Wazir öffnet uns lächelnd die Türe. Eigentlich ist auch seine kleine Pension bereits geschlossen, doch er macht eine Ausnahme für uns. „Ok, you can stay!“ Wir sind erleichtert. Dass er uns ein „heating system“ und „hot water“ verspricht, hören wir kaum noch, wir sind vor allem froh, diese kalte Nacht nicht im Zelt verbringen zu müssen. In all unseren letzten Unterkünften wurde es nachts empfindlich kalt und das, obwohl es auch in Pakistan erst Herbst ist. Der Winter kommt erst noch…
Nach wenigen Minuten klopft es an unserer Zimmertüre. Wazir trägt ein kleines Ungetüm hinein, welches sich als Gasheizung entpuppt. An eine große Gasflasche angeschlossen, produziert eine kleine Fläche eine enorme Wärme und erinnert mich vom Aussehen her an einen Toaster mit seinen glühenden Drähten. Schade nur, dass dieses System der Wärmeerzeugung wenig nachhaltig ist. Der Raum ist nicht gerade klein und zusätzlich an zwei Wänden großflächig verglast. Die Fenster sind einfache Glasscheiben, die nur von Nägeln am Rahmen gehalten werden. Zentimetergroße Abstände sind die Regel und wie mir auffällt, sind einige Scheiben zerbrochen und mit Pappe und Papier notdürftig ausgebessert. Obwohl die Vorhänge geschlossen sind, bewegen sie sich sachte in der Zugluft. Die ungedämmten Steinwände sind eiskalt.
Es ist Stromausfall und wir sitzen im Schummerlicht der Not-LED-Beleuchtung um unser „Lagerfeuer“, denn so kommt uns das Gasungetüm vor. Unsere Vorderseite ist angenehm warm, doch der Rücken bleibt eisig und wir legen uns unsere zweite Jacke um die Schultern. Bald verkriechen wir uns in unsere Schlafsäcke, denn überall sonst ist es einfach zu kalt und ungemütlich.
Am nächsten Morgen wachen wir gespannt auf. Wazir versprach uns gestern Abend „hot water“. Ob eine heiße Dusche heute tatsächlich klappen könnte? Nötig wäre sie… Ich gehe freudig ins Bad, um enttäuscht wieder rauszukommen. Es gibt überhaupt keine Dusche, nur ein Eimer steht unter einem Wasserhahn bereit. Zudem kommt aus der Leitung nach wie vor nur eiskaltes Wasser. Sebastian gibt nicht so schnell auf und kurze Zeit später rödelt er mit Wazir durchs Zimmer. Wasserhähne werden auf- und zugedreht, wir warten 10 Minuten, wir warten weitere 5 Minuten. Dann kommt Wazir strahlend wieder herein: „Water is ready!“. Voller Vorfreude öffnen wir den Wasserhahn, um den bereitstehenden großen Eimer zu füllen. Doch das Wasser kann meiner Meinung nach maximal als „warm“ durchgehen, von „heiß“ sind wir weit entfernt. Wieder mal eine kühle Eimerdusche in einem kalten Bad…
Den Tag verbringen wir draußen, die Sonne wärmt uns schnell auf. Doch bereits ab 16 Uhr beginnt sie zu sinken und die Temperaturen fallen merklich. Es wird Zeit, wieder zurück zum Guesthouse zu gehen. Dort angekommen ist erneut Stromausfall, unser Zimmer ist wieder nur mit den LED-Notlichtern beleuchtet und wir können weder unseren Kameraakku noch unsere Handys aufladen. Wobei das Handy nicht so schmerzt, denn Internet gibt es ohnehin kaum.
Zurück im Guesthouse dringt das Lachen der Familie an mein Ohr, sie haben sich im Nebenzimmer versammelt. Schade, dass hier Männer und Frauen so strikt voneinander getrennt sind, es wäre netter, gemeinsam bei ihnen zu sitzen als alleine in unserem Zimmer. Wazir stattet uns einen kurzen Besuch ab und erkundigt sich, wie unser Tag war. Wir zeigen ihm ein paar Bilder auf dem Display unserer Kamera, er ist begeistert. „Can I show these pictures to my family?“, fragt er uns. „Sure, why not”, antworten wir ihm, unsicher, was das nun heißen soll. Auch er scheint kurz zu zögern. Dann schaut er mich an: „Follow me!“
Gemeinsam betreten wir den Raum der Familie, in dem mein Erscheinen für helle Aufregung sorgt. Kopftücher werden zurechtgezogen, Haare nach hinten gestrichen. Dann müssen alle lachen. „Setz dich!“, bedeutet mir Wazirs Frau mit einer Handbewegung. Wazir reicht unsere Kamera seinem Sohn, dieser zeigt Mutter und Schwestern die Bilder. Irgendwann wird es mir doch zu viel, dass sich die Familie durch all unsere Fotos klickt und ich bitte um die Kamera. Gemeinsam schauen wir einige der vielen Bilder an, vor allem die Fotos aus dem Norden Pakistans sind für sie spannend.
Während ich im überraschend mollig warmen Raum der Familie sitze und überlege, wie viel Gas wohl benötigt wird, um einen schlecht isolierten Raum so aufzuheizen, leisten Wazir und seine anderen Söhne Sebastian in unserem deutlich kälteren Raum Gesellschaft, denn er durfte leider nicht mitkommen. Stromausfall herrscht immer noch, so beschäftigen sie sich bei schlechter Beleuchtung mit Sebastians Gitarre. Der älteste Sohn ist etwas traurig, so schnell wie erhofft lernt er doch kein vollständiges Lied.
Am kommenden Tag verabschieden wir uns von Wazir und seiner Familie. Wir ziehen weiter in den nächsten Ort, mit dem dringenden Wunsch, bald dorthin zu reisen, wo es wärmer ist.
Was uns hier im pakistanischen Herbst, mit wunderschönen Sonnentagen, doch bereits sehr kalten Nächten, immer wieder massiv auffällt: Was es doch bedeutet, in der Kälte in schlecht gedämmten und ungeheizten Häusern zu leben. Oft vergleichen uns unsere neuen Bekannten mit anderen Touristen. „They are from Thailand. For them it’s really cold! But you have also snow in Germany. So for you these temperatures are normal?!“ „That’s true. But at home we have heating systems“, versuchen wir zu erklären. Doch was das genau bedeutet, scheint nicht ganz klar zu sein.
Kann ich mich an eine Situation erinnern, in der ich in Deutschland im Haus mit all meinen Jacken, mit langer Unterhose, Mütze und mehreren Paar Socken saß und immer noch fror? Nein, das kann ich nicht. Wie angenehm das Leben im Winter doch zu Hause ist! Auch wenn das Wetter draußen eklig sein mag, ich kam nach Hause, wusch mir mit warmem Wasser die Hände, kochte mir mit dem Wasserkocher in wenigen Minuten einen heißen Tee, drehte die Heizung auf und setzte mich aufs Sofa.
Habe ich in diesen Momenten darüber nachgedacht, wie gut es mir doch geht? Nein, das habe ich nicht. Habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet, in einem ordentlich gedämmten Haus, mit mehrfachverglasten, gut eingebauten Fenstern zu leben, mit einer Heizung, auf die ich mich verlassen kann, mit Strom rund um die Uhr und vor allem mit warmem Wasser aus der Leitung auf Knopfdruck? Nein, das habe ich nicht. Es war normal und ich dachte nur daran, wenn mal etwas nicht funktionierte.
Dafür musste ich wohl auf Reisen gehen, um mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Denn hier in Pakistan denken wir fast täglich über scheinbar so Banales wie Heizung, Warmwasser und Strom nach. So auch gerade, als sich die von uns erfragte Hotelwaschmaschine als riesiges Becken an einem kleinen Bach entpuppte, in dem von Hand gewaschen wird…
Doch was es aber hier viel gibt: nette und aufgeschlossene Menschen, die mit einem breiten Lächeln im Gesicht offen und neugierig auf uns zukommen. Die uns, vollkommen Fremde, spontan auf einen Tee oder sogar ein Mittagessen zu sich nach Hause einladen. Häufig bekommen wir noch Tage später Nachrichten von unseren neuen Bekannten, die sich besorgt erkundigen, ob wir gut am nächsten Ort angekommen sind, ob wir eine Bleibe gefunden haben und ob sie uns bei irgendetwas helfen können. Diese bedingungslos erscheinende Gastfreundschaft, die haben wir zu Hause so nicht erlebt. Da sind wir zwar keine Fremden, aber ob ich selbst einem neuen Bekannten spontan so viel Zeit schenken würde, um ihm meine Stadt zu zeigen, meine Familie vorzustellen oder einen Ausflug zu den Sehenswürdigkeiten zu machen?
Unser Fazit
Das Leben ist hart hier im Norden Pakistans, härter als bei uns. Das liegt an mangelnder Infrastruktur, schlecht gedämmten Häusern, einem beschränkten Lebensmittelangebot und regelmäßigen Stromausfällen, soweit Strom überhaupt vorhanden ist. Die medizinische Versorgung ist vielerorts mangelhaft, es gibt keine Krankenversicherung, keine Sozialhilfe und auch kein Arbeitsamt.
Aber – oder vielleicht genau deshalb? Die Leute scheinen sich gegenseitig viel zu helfen. Zusammen mit unserem Freund Arshad hatten wir in Gilgit einen Platten und sofort gab es einen netten Mann, der geholfen und am Ende den Reifen für uns gewechselt hat. Im Anschluss an unsere Zeit in Astore stehen wir an der Straße und möchten nach Chillum trampen, ein junger Mann stoppt. Da er nicht bis zu unserem angepeilten Ziel fährt, lehnen wir dankend ab, doch eine halbe Stunde später steht Raees Nasir auf einmal wieder mit seinem Auto vor uns. Er habe einen Anruf von seinem Onkel bekommen, der heute noch nach Chillum fährt. Also könnte er uns zu seinem Onkel bringen und der würde uns dann dorthin mitnehmen.
Was wir damit sagen wollen? In materieller Hinsicht geht es uns einfach verdammt gut in Deutschland und häufig bemerken wir es nicht einmal! Das wird uns auf dieser Reise immer wieder bewusst. Hier vor Ort treffen wir viele Menschen, die niemals im Leben eine Reise wie die unsrige machen könnten. Das liegt an der Finanzierung, aber auch an der Herausforderung, mit ihrem Reisepass die nötigen Visa zu erhalten. Und dann ist da noch die Familie, die in vielen Ländern mehr Mitspracherecht bei der persönlichen Lebensgestaltung hat und ein solches Vorhaben oft schlicht für verrückt hält.
Doch finden wir hier auch etwas Tolles, was wir so von zu Hause nicht kennen: diese uneingeschränkte Offenheit und Neugierde, mit uns ins Gespräch zu kommen. Dabei geht es nicht darum, dass wir etwas kaufen sollen, ganz im Gegenteil. Häufig dürfen wir Dinge, die wir kaufen möchten, nicht mal bezahlen, sondern bekommen sie geschenkt. Warum? Weil wir Fremde sind, weil wir Gäste sind. Diese Haltung möchte ich mir aneignen und behalten, auch wenn wir wieder daheim in unserem Leben sind, in dem man gar nicht unbedingt auf andere Menschen angewiesen ist, weil wir dort alles haben.
Übrigens
Regelmäßige Stromausfälle, schlecht gedämmte Häuser oder einfach verglaste (wenn überhaupt) Fenster sind natürlich nichts Charakteristisches rein nur für Pakistan. Doch waren wir in anderen Ländern, in denen wir Ähnliches gesehen haben, während der Sommermonate und erlebten dort die Herausforderungen des Winters deshalb nicht.
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Antworten
»Während ich im überraschend mollig warmen Raum der Familie sitze und überlege, wie viel Gas wohl benötigt wird, um einen schlecht isolierten Raum so aufzuheizen«. Ja die einfachen Menschen in diesem Dorf haben halt nicht die finanziellen Möglichkeiten und manchmal auch nicht die Materialien um alles abzudichten. Aber die « Deutsche« Allwissenheit und Überheblichkeit kommt meiner Meinung nach schon ein bisschen rüber mit diesem Satz wieviel Gas wohl benötigt wird. Würden die Leute mit der gleichen Messlatte meßen, was diese Leute aus Deutschland mit ihrer Reise bzw. wieviel Geld und Gas /Energie doch benötigt wird. Die Freundlichkeit der Leute zu beschreiben ist sicher ehrlich gemeint. Aber sich bei der Rückkehr dann vielleicht sein Leben und das zugehen auf Menschen anders oder neu zu starten.….. Ist ja nicht notwendig, wird ja überall geheizt, jeder hat eine Krankenversicherung, was geht mich da der Andere an. Lieber weiter die Welt bereisen und als deutscher Besserwisser dann die Daheimgebliebenen zu unterrichten, wie alternativlos und perfekt Deutschland ist.…..
Lieber Auswanderer,
wir freuen uns, dass du versuchst, neue Kulturen zu verstehen. Unseren Bericht hingegen hast du leider überhaupt nicht verstanden. Macht aber nix, wir klären dich gerne auf.
Uns ist durchaus bewusst, dass die Menschen in vielen Gegenden der Erde nicht die gleichen Voraussetzungen und Möglichkeiten wie die meisten Einwohner Deutschlands haben. Gerade darüber schreiben wir ja in unserem Bericht: Wir finden es bewundernswert, dass die Menschen, die wir in Pakistan getroffen haben, uns so herzlich und gastfreundlich empfangen haben, obwohl ihre finanziellen Mittel vielleicht gerade so für ihr tägliches Leben, so z.B. zum Heizen der Wohnräume, ausreichen.
Unserer Meinung nach gibt es in Deutschland durchaus viele Möglichkeiten, anderen zu helfen. Wir denken da z.B. an Menschen, die neu in Deutschland sind und hier zeitweise oder dauerhaft leben möchten. Dass wir ihnen gegenüber noch offener, hilfsbereiter und gastfreundlicher sein wollen, haben wir uns fest vorgenommen.
Übrigens: Alternativlos und perfekt ist Deutschland sicherlich nicht, sonst wären wir wohl kaum seit über einem Jahr auf Reisen… 😉
Viele Grüße,
Leo & SebastianLiebe Leo, lieber Sebastian
Danke für eure Antwort. Ich wollte euch nicht irgendwie angehen.…. Sorry das könnte anders verstanden werden und ich habe wahrscheinlich auch etwas hineininterpretiert, was für euch so nicht stimmt.
Andere Kulturen verstehen, auf sie eingehen, zuhören, zuschauen, riechen, fühlen, begreifen wollen etc., ist meines Erachtens etwas vom schwierigsten was es gibt. Aber auch etwas spannendes und für die eigene Erfahrung von unschätzbarem Wert. Ich für meinen Teil bin einfach sehr vorsichtig in der Bewertung und Deutung. Das ist ein, wie ich meine, schwieriges Feld und darüber gäbe es viel zu reden oder zu schreiben. Wichtig ist sicher die Offenheit, das Interesse, die Dankbarkeit und die Gelassenheit auf andere Menschen und Ihre Kulturen einzugehen. Dabei zu reflektieren, zu »philosophieren« und dabei noch zutiefst menschliche Kontakte zu machen, das wünsche ich euch mit lieben Grüßen.Der Auswanderer
Lieber Auswanderer,
schön, dann hat sich das ja geklärt. Im Grunde haben wir anscheinend doch eine ganz ähnliche Vorstellung vom Reisen 🙂
Beste Grüße aus Nepal,
Leo & Sebastian
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