Olympia in Paris – A perfect Match

Eiffelturm mit Olympische Ringe

Men­schen­trau­ben in blau-weiß-rot blo­ckie­ren die schma­len Geh­stei­ge des 15. Arron­dis­se­ments. Die Tri Colo­re weht in der kaum vor­han­de­nen Bri­se des hei­ßen Pari­ser Olym­pia Som­mers 2024. In den unzäh­li­gen Bis­tros und Kaf­fees haben die Kell­ner ihre Arbeit ein­ge­stellt. Ver­har­ren reg­los mit dem Tablett in der Hand. Die Poli­zis­ten auf den Stra­ßen regeln nicht mehr den Ver­kehr. Der Grund? Judo. Frank­reich kämpft gegen Japan. Alle haben nur noch Augen für die all­ge­gen­wär­ti­gen Bild­schir­me in den Gast­stät­ten oder in ihrer Hand. Schaut der Durch­schnitts Pari­ser in der Regel Judo? Eher nicht.

Aber es ist Olym­pia. Das Event der Events ist nach genau hun­dert Jah­ren zurück in Paris. Und Paris hat sich eini­ges vor­ge­nom­men. Die gan­ze Stadt soll in olym­pi­schem Glanz erstrah­len. Noch hel­ler und schö­ner als es die Gran­de Dame, die Muse so vie­ler Künst­ler ohne­hin schon tut. Das Grand Palais wird zur wohl schöns­ten Sport­stät­te der Welt, die Ave­nue des Champs Ély­sées wird zur Fuß­gän­ger­zo­ne, unter dem Eif­fel­turm wird Beach­vol­ley­ball gespielt, Ver­sailles wird zum Palast des Reit­sports und über allem erhebt sich mit Anbruch der Dun­kel­heit das Olym­pi­sche Feu­er. Paris atmet Olym­pia.

Den Eif­fel­turm kann man eigent­lich nicht um genug foto­gra­fie­ren. Man hät­te ver­mut­lich kei­nen bes­se­ren Ort für die Olym­pi­schen Rin­ge in der Stadt fin­den kön­nen.

Auch die Pari­ser neh­men es wört­lich. Wie umge­krem­pelt erschei­nen sie. Las­sen die ele­gan­ten, für den ein oder ande­ren als hoch­mü­tig anmu­ten­den, Hül­len fal­len. Las­sen sich auf das Niveau derer, denen es nicht ver­gönnt ist, in der schöns­ten Stadt der Welt zu leben hin­ab – nein falsch, sie erhe­ben uns auf ihre Stu­fe, las­sen uns teil­ha­ben. Sogar eng­lisch spre­chen sie auf ein­mal, emp­feh­len uns ihren Lieb­lings­bä­cker. Die gestren­ge Poli­zei posiert für Fotos, die Motor­rad­staf­fel sorgt für Stim­mung.

„Allez les Bleus!“ – Madame Paris fei­ert Olym­pia

Auf den Bild­schir­men im 15. Arron­dis­se­ment geht es unter­des­sen heiß her: Beflü­gelt vom hei­mi­schen Publi­kum siegt die fran­zö­si­sche Judo-Mann­schaft im Fina­le. „Allez les Bleus!“, schallt es die Stra­ßen ent­lang. Nicht nur aus fran­zö­si­schen Keh­len. Stars and Stripes, Uni­on Jack, Oran­je, Die Rote Fah­ne Chi­nas, ja selbst die Fans aus dem Land der auf­ge­hen­den Son­ne jubeln begeis­tert mit. Alle unter ihrer Flag­ge und doch geeint. Geeint durch den Sport, durch den olym­pi­schen Geist. Frei­heit-Ein­heit-Brü­der­lich­keit ist das Mot­to die­ser Spie­le, das Mot­to Frank­reichs. Die­ses eine mal stimmt es. Selbst Team Nord­ko­rea bekam einen Hauch davon zu spü­ren, als es sich plötz­lich mit Süd­ko­rea auf dem Podi­um wie­der­fand. Ein Sel­fie, das um die Welt geht. Möge es etwas bewir­ken!

Sechs Tage glei­ten wir wie im Rausch, schwit­zend, mit Son­nen­brand und wun­den Füßen durch Paris. Das ist egal. Es ist Olym­pia. Und Olym­pia ist über­all. Ange­fan­gen am Flug­ha­fen Paris-Orly. Das ers­te Foto vor olym­pi­schen Rin­gen. Durch das ver­wir­ren­de Ver­kehrs­netz der fran­zö­si­schen Haupt­stadt lei­ten Frei­wil­li­ge mit gro­ßen Pfei­len und bun­ten Hüten. Ver­lo­ren gehen ist unmög­lich. Die Metro ist von über­zeu­gen­der Pünkt­lich­keit und Sau­ber­keit, als Deut­scher ein unge­wohn­tes Erleb­nis. Und dann, als wir die Bahn gemein­sam mit Pend­lern, Sport­fans, Pres­se­leu­ten und Foto­gra­fen ver­las­sen, die letz­ten Stu­fen der Metro Sta­ti­on Vau­girard erklim­men: „Aaach Paris!“, ent­fährt uns der Seuf­zer, den schon so vie­le vor uns geseufzt haben. 

anz Paris atmet Olym­pia. Die gan­ze Welt kommt zusam­men. Was muss das für ein Gefühl sein als Ath­let oder Ath­le­tin durch die­se Mas­sen zu fah­ren? Das Ren­nen um eine olym­pi­sche Medail­le in der schöns­ten Stadt der Welt. Hier errei­chen den Rad­fah­rer gleich den Jar­din du Luxem­bourg.

Es ist noch früh an die­sem Diens­tag­mor­gen, doch die Luft steht bereits heiß zwi­schen fünf­stö­cki­gen, creme­far­be­nen Häu­sern mit den fran­zö­si­schen Bal­ko­nen und den ver­schnör­kel­ten Fas­sa­den. Bei vie­len die­ser Zeit­zeu­gen löst sich die hel­le Far­be von den höl­zer­nen Fens­ter­rah­men, bei ande­ren leuch­ten rote Gera­ni­en von den Sim­sen. Gemein­sam haben sie die rost­ro­ten Schorn­stein­fa­mi­li­en, die sich so cha­rak­te­ris­tisch in den Him­mel recken.

Die Are­nen Paris Sud sind nicht weit und die bun­ten Mas­sen aus Fans, Frei­wil­li­gen und Offi­zi­el­len strö­men schon. Unbe­ein­druckt davon schlür­fen die älte­ren Damen und Her­ren Pari­ser mit Hut und Son­nen­bril­le ihren Espres­so an den viel zu klei­nen, run­den Tischen unter roten Mar­ki­sen der Bis­tros. Eini­ge von ihnen ver­fol­gen das olym­pi­sche Gesche­hen auf ihren Han­dys. 

Eupho­ri­siert schlän­geln wir uns über die Geh­stei­ge. Der Geruch von fri­schen Back­wa­ren, von But­ter liegt in der Luft. Immer der Nase nach zum Arti­san Bou­lan­ger. In unse­rem win­zi­gen Ibis-Zim­mer in der Rue Euge­ne Gibez ver­spei­sen wir das bes­te, das fluf­figs­te Baguette aller Zei­ten. Zum Nach­tisch ein Pain au Cho­co­lat. Und dann geht es los. Ich kann es nicht abwar­ten. Die Son­ne knallt, es hat 40 Grad und trotz­dem ab in die Stadt. Zu Fuß. Wir wol­len alles auf­sau­gen. Alles sehen. Direkt am ers­ten Tag. Ein typi­scher Anfän­ger­feh­ler.

„Viel­leicht sehen wir ja Tom Crui­se!“, mei­ne ich scherz­haft, als wir über die leer­ge­feg­ten Stra­ßen vor dem Inva­li­den­dom lau­fen. Dank der Hit­ze und Olym­pia ist hier nichts los. Am Tag zuvor hat­ten wir den cools­ten aller Action Stars im Fern­se­hen gese­hen, wie er beherzt die groß­ar­ti­ge Simo­ne Biles anfeu­er­te. Wir durch­que­ren den Inva­li­den­kom­plex, doch für Napo­le­on und die Geschich­te der Armee ist heu­te  nicht der Moment. Denn der Jubel aus dem Sta­di­on der Bogen­schüt­zen ist bereits deut­lich zu hören. Tai­wan gegen Spa­ni­en. Nur weni­ge Meter hin­ter Napo­le­ons letz­ter Ruhe­stät­te kämp­fen gera­de die bes­ten Schüt­zen der Welt um eine olym­pi­sche Medail­le.

Die Pont Alex­and­re erstrahlt im Olym­pia Look. Dahin­ter das Grand Palais, die wohl ele­gan­tes­te Sport­stät­te der Welt.

Vor­bei an Unmen­gen von Poli­zis­ten errei­chen wir die Pont Alex­and­re III. und die Sei­ne. Der Schau­platz der wohl denk­wür­digs­ten Eröff­nungs­fei­er und das Herz des olym­pi­schen Paris. Die Flag­gen der teil­neh­men­den Natio­nen wehen ein­träch­tig in der leich­ten Som­mer­bri­se. Alle tra­gen ihre Lan­des­far­ben – auch wir haben natür­lich ein Fähn­chen in schwarz, rot, gold dabei – oder Olym­pia T‑Shirts. „Wo gibt es denn die­se Shirts?“, kla­ge ich nach einer Wei­le. Ich möch­te auch zur Olym­pia-Mas­se gehö­ren, so anste­ckend ist die Stim­mung.

Doch die Hit­ze macht selbst den eupho­rischs­ten Fans zu schaf­fen. Neben dem Petit Palais, gegen­über des Grand Palais, mit sei­nem cha­rak­te­ris­ti­schen Glas­dach tum­meln wir uns um einen Spring­brun­nen, um ein paar Sprit­zer des küh­len Nass abzu­be­kom­men. Doch der nächs­te Gän­se­haut­mo­ment wird nicht etwa durch das Was­ser ver­ur­sacht: Aus dem Grand Palais, das zur Fecht­a­re­na – wie pas­send für den noblen Sport – umfunk­tio­niert wur­de, erschallt aus meh­re­ren zehn­tau­send Keh­len die Mar­seil­lai­se. Die heroischs­te aller Natio­nal­hym­nen. Die­je­ni­gen in den fran­zö­si­schen Far­ben um uns her­um stim­men mit ein. Seit dem fran­zö­si­schen Film „Mon­sieur Clau­de und sei­ne Töch­ter“ habe ich eine ein­deu­ti­ge Schwä­che für die­ses Lied ent­wi­ckelt.

Unter­stüt­zung aus aller Welt gibt es auch am frü­hen Mor­gen schon für die Tri­ath­le­ten, die hier das Sei­ne-Ufer pas­sie­ren.

Ein Fest der Emotionen im Stade de France

Die Stim­mung vor dem Grand Palais soll­te nur noch durch jene im Sta­de de France in Saint Deni­se über­trof­fen wer­den. Am Frei­tag­mor­gen düsen wir zusam­men mit tau­sen­den Gleich­ge­sinn­ten in Rich­tung dem Beginn der olym­pi­schen Leicht­ath­le­tik. Leo Neu­ge­bau­er, Gina Lückenk­em­per, Jakob Inge­b­rigt­sen, Yaros­la­va Mahu­chikh, Shel­ly-Ann Fraser-Pryce – sie alle wer­den heu­te Mor­gen an den Start gehen. Ich bin schreck­lich auf­ge­regt die Stars, die ich seit mei­ner Kind­heit ver­fol­ge, end­lich live bei der Arbeit zu sehen. Nun eben­falls im Olym­pia-Shirt klam­me­re ich mich an mei­ner Deutsch­land­fah­ne fest und kann es kaum erwar­ten das rie­si­ge Sta­di­on mit der lila Bahn zu betre­ten. Einer Taschen­kon­trol­le folgt die nächs­te, die Lauf­rich­tung ist streng gere­gelt. Die Sicher­heits­vor­keh­run­gen sind so hoch, das selbst die Ath­le­ten und ihre Trai­ner Pro­ble­me haben in und aus dem Sta­di­on zu kom­men, wie wir spä­ter mit­be­kom­men soll­ten.

End­lich geschafft – wir neh­men unse­re Plät­ze im mitt­le­ren Rang auf der Höhe der Weit­sprung­an­la­ge ein. Von hier aus kön­nen wir das gan­ze Sta­di­on über­bli­cken. Um uns her­um USA, Spa­ni­en, Frank­reich – alle glei­cher­ma­ßen gespannt. Die ers­te Ath­le­ten, die Zehn­kämp­fer, die Hel­den unter den Leicht­ath­le­ten, betre­ten das Sta­di­on. Unter ihnen auch ein jun­ger Fran­zo­se. Das Sta­di­on kocht. Spä­tes­tens als die Zehn­kämp­fer sich direkt vor uns dem Weit­sprung wid­men, hält es auch mich nicht mehr auf dem ohne­hin viel zu unbe­que­men Plas­tik­sitz. Fah­ne schwen­kend feue­re ich an. Dass Leo Neu­ge­bau­er 28 Jah­re nach Frank Buse­mann wie­der eine olym­pi­sche Medail­le im Zehn­kampf nach Deutsch­land holen wür­de, zeich­ne­te sich bereits an die­sem ers­ten Wett­kampf­tag ab.

100 Meter Vor­lauf der Damen im Hexen­kes­sel Sta­de de France mit Gina Lückenk­em­per und Shel­ly-Ann Fraser-Pryce.

Par­al­lel lau­fen die Qua­li­fi­ka­tio­nen für den Hoch­sprung und die 100 Meter der Damen. In den Zuschau­er­rän­gen jagt eine Lao­la-Wel­le die nächs­te. Als dann noch die 1500 m Läu­fer unter der beein­dru­cken­den Füh­rung von Jakob Inge­b­rigt­sen durch das Sta­di­on don­nern, die Ham­mer­wer­fer ihr Urschreie in den Him­mel brül­len, ist das Cha­os kom­plett. Ich weiß gar nicht mehr wo ich hin­schau­en soll. Es ist das reins­te Leicht­ath­le­tik­spek­ta­kel, dabei geht es noch gar nicht um die Medail­len! „Das ist Olym­pia!“, brül­le ich mit Freu­den­trä­nen in den Augen immer wie­der mei­nem Freund Yan­nik ent­ge­gen. 

Olym­pia ist anschei­nend auch, dass Ath­le­ten und Trai­ner nach dem Wett­kampf durch die Zuschau­er irren und den rich­ti­gen Aus­gang suchen. Eine auf­ge­brach­te Imke Onnen wird von der über­eif­ri­gen Secu­ri­ty auch gar nicht mehr aufs Sta­di­on­ge­län­de gelas­sen. Wir ergat­tern noch das ein oder ande­re Sel­fie, bewun­dern die Waden des kroa­ti­schen Ham­mer­wer­fers und machen uns dann auf den Weg zur Sacre Coer. 

„Imagine all the People…“

Die gewohnt über­füll­ten Trep­pen­stu­fen vor der iko­ni­schen Basi­li­ka Sacre Coer de Mont­mart­re – dem Hei­ligs­ten Her­zens Mont­mar­tres – leuch­ten bereits im sanft-gol­de­nen Abend­licht. Ein Pär­chen liegt sich in den Armen. Sie in die bra­si­lia­ni­sche Flag­ge gehüllt, er in die ser­bi­sche. Nicht weit von hier steht die Lie­bes­mau­er. Auf ihr ist die Lie­be in allen Spra­chen ver­ewigt.

Der Aus­blick von der Kup­pel der Basi­li­ka Sacre Ceur in Mont­mart­re ist einer der schöns­ten in ganz Paris. Unser Tipp: Etwa eine Stun­de vor Schließ­zeit auf­stei­gen, um das gol­de­ne Abend­licht genie­ßen zu kön­nen.

Noch immer über­wäl­tigt von dem Sta­di­on­be­such flüch­ten wir uns ins küh­le Inne­re der Kir­che, das trotz Got­tes­dienst geöff­net ist. Das Son­nen­licht bricht sich in den bun­ten Fens­tern, wirft sanf­te Schat­ten auf den Mar­mor­bo­den. Der Pas­tor, ganz in weiß gewan­det, pre­digt auf Fran­zö­sisch. Wir lau­fen andäch­tig um das Kir­chen­schiff. Wäh­rend­des­sen stimmt zu den sanft, gedämpf­ten Klän­gen der Orgel eine Non­ne das Kyrie Elei­son an. Hin­ter dem Altar, abge­schirmt von den Beten­den, in einer Nische hängt eine gro­ße Sta­tue des Gekreu­zig­ten. Davor ein jun­ger Mann mit Ruck­sack, Kame­ra, Käp­pi. Er macht nicht etwa ein Foto, nein, er steht nur da und lauscht und weint. Es ist kein Fran­zö­sisch nötig, um die Pre­digt zu ver­ste­hen. Alle die an Gott glau­ben, kön­nen zur Zeit nur eine Bit­te haben.

Eine ande­re Sze­ne, die sich vor eini­gen Wochen des nachts vor dem Ber­li­ner Dom zuge­tra­gen hat, kommt mir in den Sinn. Wir waren auf dem nach Hau­se Weg, als uns Gesang und Gitar­re anlock­ten. Vor dem Sän­ger hat­te sich bereits eine klei­ne Men­schen­grup­pe gebil­det. Eine Fami­lie sprach ukrai­nisch. Der Mann spiel­te „Ima­gi­ne“. Die sich frem­den Umste­hen­den lächel­ten sich an. Trä­nen fun­kel­ten in den Nacht­him­mel.
Am 26. Juli fuhr im Rah­men der Eröff­nungs­fei­er der Olym­pi­schen Spie­le 2024 ein Boot in Form einer stei­ner­nen Insel mit bren­nen­dem Kla­vier dar­auf über die Sei­ne. Erneut erklang „Ima­gi­ne“ von John Len­non. Und wie­der rich­te­ten sich feuch­te Augen gen Him­mel. Dies­mal waren es Mil­lio­nen. Auf der gan­zen Welt. Das ist Olym­pia.

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Antwort

  1. Avatar von Bernhard Glanzner
    Bernhard Glanzner

    Lie­be Caro­lin, das ist so toll geschrie­ben, dass man denkt das wäre live. Obwohl die Spie­le lei­der vor­bei sind.
    Auch emo­tio­nal hast du mich mit dei­ner Dar­stel­lung erreicht. Mach wei­ter so!! Ganz toll 😊

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