Dein Warenkorb ist gerade leer!
Nord- und Südsee – zwei völlig verschiedene Regionen an entgegengesetzten Enden der Welt. Doch trotz unterschiedlicher Lebensbedingungen haben die Bewohner südpazifischer Inseln mit denen der deutschen Halligen viel gemeinsam: Der Klimawandel stellt sie durch Meeresspiegelanstieg, Küstenerosion und Extremwetterereignisse vor große Herausforderungen.
Text: Jana Steingässer, Fotos: Manolo Ty, Film: Alessandro Rovere
Von der Nordsee …
Freitag, der 7. Dezember 2018. Für den kommenden Tag erwartet die Hallig Langeneß »Land unter«. Die Nordsee wird die kleine Insel Stück für Stück einnehmen. Unser Team tauscht aufgeregt die Neuigkeiten aus. Wir fragen uns: Gibt es eine Möglichkeit, noch vor Beginn des »Land unter« nach Langeneß zu kommen? Wann wird der Betrieb der Fähre eingestellt? Hektisch prüfen wir unsere Möglichkeiten – und müssen letztendlich klein beigeben. Die Nordsee wartet nicht auf uns, die wir unbedingt filmen wollen, wie das Wasser dem Land auf den Leib rückt. Im Gegenteil: Sie macht uns schon vor unserer Ankunft auf Langeneß klar, wer hier wirklich das Sagen hat.
Verglichen mit den großen Weltmeeren ist die Nordsee nur ein kleiner Tümpel. Ein »Randmeer« des mächtigen Atlantiks zwischen den Britischen Inseln und dem europäischen Festland. Das Wattenmeer, der Teil der Nordsee, der unter dem starken Einfluss der Gezeiten steht und bei Niedrigwasser freiliegt, ist jedoch ein Ökosystem mit einer immensen biologischen Vielfalt. Säugetiere wie Schweinswale, Seehunde und Kegelrobben sind hier zu Hause. Millionen von Zugvögeln erreichen die artenreiche Landschaft jährlich. Fische, Muscheln und Krebstiere haben ihre Nischen in diesem einzigartigen Lebensraum gefunden.
Aber so plakativ es auch klingt: Das Wattenmeer droht zu ertrinken! Vom Kommen und Gehen des Wassers abhängig, bestimmen Ebbe und Flut hier alle Lebensprozesse. Steigt der Meeresspiegel weiter, werden die Wattflächen nicht mehr regelmäßig freigelegt. Der mittlere jährliche Meeresspiegelanstieg in der Nordsee beträgt inzwischen 4,1 Millimeter. Und das Eis in Arktis und Antarktis schmilzt weiter. Gleichzeitig dehnt sich das Wasser durch die Erwärmung des Meeres aus, was bis zum Ende des Jahrhunderts zu einem deutlich schnelleren Anstieg des Meeresspiegels führen wird. Bis zu ein Meter in den kommenden achtzig Jahren wäre ein durchaus realistisches Szenario. Das wären im Schnitt 1,25 Zentimeter pro Jahr.
Nicht nur Flora und Fauna, sondern auch Menschen haben sich an das Wechselspiel der See mit ihren Gezeiten angepasst und sich mit der Kraft abgefunden, die sich ab und an bei Sturmfluten gewaltvoll Bahn bricht – gerade auf den Halligen, jenen kleinen Flecken Land, entstanden in der »groten Mandränke«, der zerstörerischen Sturmflut von 1362, bei der die Nordsee zusammenhängendes Land in Fetzen riss, bis nur noch einzelne, verstreute Inseln und Halligen zurückblieben. Seit Generationen bauen Menschen hier immer höhere Schutzvorrichtungen – Deiche, Dämme, Warften, also künstlich aufgeworfene Wohnhügel – um menschliche Zivilisation inmitten der Nordsee möglich zu machen. Dreihundert Einwohner leben verteilt auf zehn Halligen, allerdings sind nicht alle das ganze Jahr über bewohnt.
Es ist schon dunkel, als uns die Fähre aus Schlüttsiel am Tag nach dem »Land unter« auf Langeneß ablädt. Langeneß ist mit zehn Quadratkilometern, 113 Einwohnern und achtzehn Warften die größte der Halligen. Noch immer steht vor allem am westlichen Ende der Hallig das Wasser so hoch, dass wir einen Lotsen brauchen, der vor uns her fährt. Wir erkennen ansonsten als Ortsfremde ganz einfach nicht, wo unter der Nordsee die Straße endet und Gräben und Wiesen beginnen. Arne und Axel kennen Langeneß schon von der vergangenen Klimahaus-Reise. Für Manolo, Alessandro und mich ist das Halligleben absolutes Neuland. Eiskalter Wind fegt uns in Böen entgegen. Völlig normal im Dezember, aber wir freuen uns schon alle auf den Pharisäer und die Tote Tante, die Arne angekündigt hat: heißer Kaffee und heiße Schokolade mit Rum und Sahne. Unterwegs begegnet uns eine junge Frau, die durch das Wasser läuft, das sich noch immer auf den Straßen hält. Axel fährt so nah an sie heran wie möglich, damit Alessandro, Manolo und Arne diese skurrile Situation filmen können. Oder vielleicht auch einfach nur, weil es ihn lockt, einmal auf so hoch überschwemmten Straßen zu fahren. Lisa ist eine der beiden Lehrerinnen auf der Hallig und trotz »Land unter« auf dem Weg zur Arbeit. Zehn Minuten später, auf dem Rückweg zu unseren Wohnungen auf der Neuwarft, hält uns ein junger Mann mit üppigem Vollbart an.
»Ihr liebt euer Auto ja nicht gerade!«, ruft er uns trocken zu. Salzwasser ist schließlich Gift für die Karosserie. Wir fahren weiter. Was bleibt uns auch anderes übrig.
Am anderen Ende der Hallig erwartet uns wenige Minuten später schon Fiede Nissen, der ehemalige Postschiffer von Langeneß, mit seinem unvergleichlichen Lachen, das unter dem grauen Vollbart zu sehen ist. Wir werden die kommenden fünf Tage bei Nissens auf der Neuwarft leben.
»Na, Axel, du magst dein Auto nicht, habe ich gehört!« Wie auch immer das so schnell möglich war: Der »Halligfunk« hat jedenfalls funktioniert. Fiede lacht herzhaft und begrüßt uns ebenso herzlich.
Viele der Menschen auf Langeneß sind wie Fiede »Halligurgesteine«. Hier geboren und großgeworden wollen sie die Hallig nicht mehr verlassen. Im Gegenteil – im Idealfall sollen auch noch ihre Kinder und Enkelkinder hier leben können. Bislang hat daran auch kaum jemand gezweifelt. Mittlerweile wird den Menschen auf ihrem kleinen Flecken Land in der Nordsee allerdings bewusst, dass der Meeresspiegel schneller steigt als angenommen. Gleichzeitig wächst die Hallig aber langsamer als erhofft durch Sedimentablagerungen in die Höhe. Ob starre Küstenschutzmaßnahmen oder neu ins Spiel gebrachte Halligstrukturen wirklich etwas bewirken, ob mehr Naturschutz oder mehr Küstenschutz den Weg in die Zukunft ebnen können und welche der lange praktizierten Maßnahmen auch in Zukunft noch Sinn machen, darüber scheiden sich die Geister. Aber in einem sind sich alle einig: ein Leben ohne Hallig und die Nordsee kommt für sie nicht in Frage.
… in die Südsee
Januar 2019: Meer, Meer, Meer. Und endlich, mittendrin, ein kleiner Klecks Land. Um uns der Südpazifik. Samoas tropische Inselwelt ist unser erstes Ziel im Blau. Ein paar wenige von tausenden Inseln, manche von Menschen bewohnt, im größten und tiefsten Meer der Erde. 181000000 Quadratkilometer »Ozean der Stille«, der sagenhafte 35 Prozent der Erde bedeckt. Seine Südhälfte jenseits des Äquators, die auch Südsee genannt wird, liegt zwischen den Philippinen und Indonesien auf der einen und dem südamerikanischen Festland auf der anderen Seite. Mikronesien, Melanesien und Polynesien, die drei Großbereiche, in die diese gigantische Wasserfläche eingeteilt wird, klingen schon nach Abenteuer. Zumindest für uns fünf, die wir so weit angereist sind.
Am Flughafen Faleolo auf Samoa begrüßt eine Live-Band die todmüden Passagiere, die sich wie flüssiges Wachs über das Rollfeld ergießen. Und so fühlen wir uns auch ein bisschen. Axel, Arne, Alessandro, Manolo und ich haben fünfzig Stunden Anreise hinter uns. Zugfahrten aus Hamburg, Bremerhaven und Berlin bis zum Flughafen in Frankfurt nicht miteingerechnet. Fünfzig Stunden, die uns aus dem deutschen Winter in die südpazifische Zyklon-Saison katapultieren, die offiziell in Samoa von Anfang November bis Ende April dauert.
Über der Insel vulkanischen Ursprungs hängt eine Hitzeglocke. Schwarze, vor Feuchtigkeit triefende Wolken schieben sich träge über den Himmel. Vor der dunklen Front leuchtet das Türkis des Wassers noch strahlender. Frauen in langen Kleidern wedeln sich mit Fächern aus gewebten Pandanusblättern Luft zu. Uns läuft trotz Klimaanlage der Schweiß. Wasser, das ist alles, woran ich denken kann. Blaues Gold zum Trinken und Reinspringen. Aber so schnell wird das nichts. Erst einmal werden wir von Jewel Tuitama, der Tochter unserer Gastgeberin Logo Toloa, die die anderen schon von ihrem Besuch vor zehn Jahren kennen, mit Blumenketten und herzlichem Lachen begrüßt. Jewel ist aber auch Mitarbeiterin im Bereich Katastrophenmanagement der Regierung von Tokelau und unsere offizielle Begleiterin.
Wir müssen noch das Mietauto abholen, samoanische SIM-Karten kaufen, Geld tauschen – aber alles ohne Stress! In diesem Klima, das steht fest, lässt sich nicht so durch den Alltag hetzen wie zu Hause.
Auf Faleasi’u, der Familienfarm unserer Gastfamilie Toloa, erwarten uns Logo, ihre Söhne Gideon und Vaniah und eine Meute kläffender Hunde. Der Welpe mit den spitzen Zähnen, der sich direkt im Saum meines Lieblingskleides festbeißt, heißt ausgerechnet Snowflake. Genau das Gegenteil dessen, was das Klima Samoas ausmacht. Hier wird ziemlich sicher nicht einmal der Gipfel des höchsten Berges jemals von einer Schneeflocke geküsst. Gideon holt eiskalte frische Kokosnüsse aus dem Kühlschrank. Er köpft sie mit einer Küchenmachete und legt so nicht nur ihr Kokoswasser frei, sondern auch das weiche, fast schon glibberige Fleisch, dass wir mit Löffeln aus der Schale kratzen. Logo hat landestypisches Essen vorbereitet: Taro, Brotfrucht und Oka, ein Gericht aus rohem Thunfisch in Kokosmilch.
»Und worauf habt ihr jetzt Lust?«, fragt Vaniah. Die Antwort ist leicht. Seit wir wissen, dass unsere Reise in die Südsee geht, steigt auch die Sehnsucht nach Postkarten-Traumstränden, von tropischem Grün umzingelt, in dem Wasserfälle zu Boden stürzen und sich in türkisfarbene Becken ergießen. Paradies-Klischees. Wir sind hundemüde und werden Tage brauchen, um den Jetlag zu verkraften, aber an Schlafen kann jetzt trotzdem keiner von uns denken. Also ab ins Auto.
Kaum bewegen wir uns von den schmalen, besiedelten Küstenstreifen weg, fühlt sich die Insel fast menschenleer an. Häuser sehen wir nur noch ab und an, dafür ein paar Rinder, die sich unter den turmhohen Palmen durch das wuchernde Grün fressen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen konzentriert sich die Besiedlung Samoas auf die Küstenregionen. Genau darin liegt eine der Herausforderungen, vor die der Klimawandel die Pazifische Region stellt. Der Anstieg des Meeresspiegels führt schon heute zu regelmäßigen Überschwemmungen in küstennahen Siedlungen. Straßen, Häuser, Schulen, Kirchen lassen sich aber nicht einfach umsiedeln. Schon gar nicht ohne die dafür benötigten finanziellen Ressourcen. Immerhin gibt es auf Samoa höher gelegene Landflächen, die genutzt werden könnten. Da sieht auf den Atollen des Pazifiks ganz anders aus. Ausweichen ist dort unmöglich.
Auch wenn wir Europäer die Inseln der Südsee in unserer Vorstellung gerne in einen Topf werfen – die Bandbreite im »Meer aus Inseln« ist enorm. Während sich Samoas bergige Landschaft deutlich aus dem Pazifik erhebt, zeichnen sich Atolle wie Tokelau, das etwa fünfhundert Kilometer nördlich von Samoa liegt und zu Neuseeland gehört, durch sehr kleine Landflächen aus, die nur geringfügig aus dem Meer herausragen. Dafür sind sie umgeben von ausgedehnten Riffen und Lagunensystemen, die Wellenenergie abfangen und Küstenerosion verringern können. Zumindest sofern es sich um intakte Riffe handelt. Da Weltmeere aber als große Kohlendioxid-Senke fungieren und etwa ein Viertel der klimaschädlichen Gase aufnehmen, findet in den Ozeanen eine chemische Reaktion mit schwerwiegenden Folgen statt. Kohlendioxid reagiert mit Wasser zu Kohlensäure, die Ozeane werden sauer. Für Lebewesen mit kalkhaltigen Skeletten wie Korallen ist diese Entwicklung in Kombination mit zunehmendem Wärmestress ein Todesurteil.
Aber auch für die Menschen vor Ort wird das Überleben durch die Auswirkungen des Klimawandels immer schwieriger. Denn ohne intakte Korallenriffe verringert sich auch die Vielfalt der maritimen Fauna, welche die Hauptnahrungsquelle für die Einheimischen darstellt. Denn gerade dort, wo inmitten des Ozeans nur sehr wenig Land zur Verfügung steht zum Anbau pflanzlicher Nahrungsquellen, stehen Ressourcen aus dem Meer zur Selbstversorgung im Mittelpunkt. Aber der Südpazifik ist mehr als eine Lebensgrundlage. Er ist Heimat und deshalb steht es für die Menschen selbst auf so stark vom Klimawandel betroffenen Inseln wie Tokelau außer Frage, dass sie diese kleinen Flecken Land im Stillen Ozean nicht verlassen werden. Doch anstatt sich in die Reihe der tatenlosen Nationen einzufügen, übernehmen sie Verantwortung, im Kleinen ebenso wie im Großen. Willkommen bei den Solarhelden, den Klimakriegern, den Schlüssellochgärtnern, den Mangroven-Ladies und Korallen-Pflanzern des Südpazifiks!
Über den Fotograf
Manolo Ty, geboren 1985, zählt zu den gefragtesten jungen Fotografen Deutschlands. Bereits während seines Wirtschaftsstudiums an der Fernuniversität Hagen arbeitete er als Fotograf und besuchte dabei über hundert Länder. Seine Arbeiten sollen interkulturelles Verständnis fördern und ein Bewusstsein für die Bedrohung von Umwelt und Traditionen schaffen. Ty war Berater des Entwicklungswerks der Vereinten Nationen und machte zuletzt mit seinem Bildband Pakistan Now sowie seinem Dokumentarfilm Gender X von sich reden. manoloty.com
Über den Filmemacher
Alessandro Rovere, geboren 1984 in Düsseldorf, arbeitet seit zehn Jahren als freischaffender Regisseur, Kameramann und Editor für internationale Auftraggeber. Er zog nach Berlin und besuchte die Freie Universität Berlin im Studiengang Filmwissenschaften und die Fotoklasse der bekannten Ostkreuzschule für Fotografie. In den letzten Jahren fokussierte er sich zunehmend auf das Genre des Dokumentarfilms. Seine Arbeiten wurden international ausgezeichnet und publiziert. Er lebt momentan mit seiner Familie in Berlin und hat eine Tochter. alessandro-rovere.de
Urlaub an Nordsee und Ostsee ist trotz Corona wieder möglich
Schreibe einen Kommentar