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Nomen est omen: Als wir das Hotelboot »Rain Goddess« an unserem dritten Tag in Mittelamerika wieder verlassen, gießt es in Strömen. Wir wollen nach San Juan del Norte, das vergessene Ende Nicaraguas. Wir, das sind Immanuel, ein in Nicaragua verheirateter Deutscher, der Hamburger Fotograf Ralf und ich. Immanuel hat ein Pangaboot für uns gemietet, das übliche Transportmittel auf dem Río San Juan. Und zum Glück hat es ein Dach.
Der Río schlängelt sich größtenteils als Grenzfluss zum benachbarten Costa Rica über 200 Kilometer vom Nicaraguasee bis zur Ostseite des Landes. Endstation Karibik. Genau dorthin wollen wir. San Juan del Norte liegt im Mündungsgebiet des Río, ein 300-Seelen-Ort. Viel passiert hier nicht, Besuch ist eher selten. Neugierig blicken die Menschen uns an, faul liegen die Hunde vor den einfachen Holzhäusern, gackernd laufen ein paar Hühner umher.
Vor der Polizeistation grüßt der Beamte freundlich. »Was sucht ihr?« Eigentlich haben wir eine andere Stadt erwartet: das alte San Juan del Norte. Immanuel hat uns davon erzählt, und nun suchen wir es. Der Polizist zeigt uns die Richtung, weg von den Hütten. Der Regen hat inzwischen aufgehört und wir folgen den Anweisungen. Ein paar Kilometer weiter führt ein morscher Steg vom Fluss mitten in den Dschungel. Wir balancieren über die wackligen, kaputten Bretter.
Der Steg führt ins Nirgendwo. Doch mitten im Dickicht entdecken wir einen Weg, Steine, Spuren von Zivilisation: Das alte San Juan del Norte oder was davon übrig blieb: Kreuze und eine Kirchenglocke, Grabsteine und ein paar Grundmauern. Bei einem Angriff der Contras im Jahr 1983 wurde die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Vier Friedhöfe sind aus der Blütezeit im 19. Jahrhundert geblieben: Ein anglikanischer, ein Freimaurer‑, ein katholischer und der Friedhof für eine untergegangene nordamerikanische Fregatte geben Zeugnis von einer kosmopolitischen Kleinstadt.
Zu Zeiten des kalifornischen Goldrauschs boomte der Ort unter dem Namen »Greytown«. Grillen zirpen, wo der Dschungel noch immer ein Stück Geschichte preisgibt. Mitte des vorletzten Jahrhunderts ging der schnellste und sicherste Weg von der Ost- zur Westküste der Vereinigten Staaten durch Nicaragua. Wir lösen uns langsam von der Vergangenheit, so mitten im Nirgendwo.
Wir wollen zurück ins Hier und Jetzt. Immanuel kennt nämlich eine Hacienda in der Nähe. Geschäftiges Treiben zwischen dem Río Indio und der Karibik. Alles wirkt spartanisch, Wasser tropft durch ein Wellblechdach, schweigend verpacken die Arbeiter Kokosnüsse in Säcke. Edmundo verschnürt die Pakete. Er wurde in Greytown geboren, hat schon auf der Plantage gearbeitet, als die Stadt von den Contras angegriffen wurde.
Die Revolution, die Zeit der Sandinisten – das ist alles gestern gewesen. Doch die Nicaraguaner verdrängen die jüngste Geschichte am liebsten. Sie wollen Geld verdienen, besser leben. Viele nehmen es den Sandinisten übel, sich ebenfalls an der politischen „piñata« beteiligt zuhaben. Eigentlich ist die „piñata« ein Spiel, bei dem die Kinder eine Figur aus Pappmaché kaputt schlagen, ein Regen aus Süßigkeiten gießt dabei herab. In der Politik heißt das: Die Machthaber schieben sich Besitztümer und Ländereien zu.
Edmundo lebt jetzt auf der Hacienda. Im Akkord holen die Arbeiter die Früchte von den Bäumen; das Schälen von 1000 Kokosnüssen schafft einer in zwei Stunden – ich kann das kaum glauben. »Sie werden flussaufwärts nach Managua oder nach Costa Rica gebracht und dort zu Kosmetiköl weiter verarbeitet«, erklärt der schwarze Nicaraguaner. Wenn die Arbeiter ein paar Dollar am Tag verdienen, ist das viel.
Wir wollen weiter, flussaufwärts mit dem Pangaboot, und verabschieden uns von Edmundo. Ein Fest steht an. Am 15. September 1821 gelang es Mittelamerika sich von den spanischen Eroberern zu lösen. Den Tag der Unabhängigkeit werden wir in El Castillo am Río San Juan mitfeiern.
Danke an Martinair und Solentiname Tours, die diese Reise unterstützt haben.
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