Beobachtungen aus New York City

Erst 10 Mona­te Asi­en, dann 10 Tage New York. Was macht das aus einem? Wie nimmt man die Wahn­sinns­me­tro­po­le wahr. 5 Epi­so­den aus dem gro­ßen Apfel.

Wo bleibt Morgan Freeman?

»You guys going to Määään­hääät­tän?«, sagt die hilfs­be­rei­te Dame am Fahr­kar­ten­au­to­mat der Metro am Flug­ha­fen JFK. »Yes!«, erwi­de­re ich, »ver­rückt«, den­ke ich mir. Jetzt sind wir in New York und die Dame tut so, als wäre das das Nor­mals­te der Welt. Als wäre es gar nicht wahn­sin­nig, dass ich, Ste­fan Krie­ger, von 10 Mona­ten Asi­en kom­mend, gera­de ein Ticket nach Man­hat­tan lösen möch­te.

Subway New York

Wie­der ein Orts­wech­sel. Und was für einer: Von Kath­man­du nach New York. Da könn­te man jetzt die ganz gro­ßen Fäs­ser auf­ma­chen: Den Clash der Kul­tu­ren abfei­ern. Von Sher­pas und Voll­bart-Hip­stern. Von Gebets­müh­len und Wall Street. Von Gane­sha und Cap­tain Ame­ri­ca. In der Tat, das wird schnell klar, ist New York beson­ders inten­siv, wenn man sich vor­her 10 Mona­te in Asi­en auf­hält.

Wir sit­zen also am nicht mehr ganz so frü­hen Mor­gen tod­mü­de im mit­tel­mä­ßig gefüll­ten E‑Train Rich­tung Man­hat­tan. Vor 36 Stun­den hat­te uns noch unse­re nepa­le­si­sche Gast­mut­ter einen Tik­ka auf die Stirn gedrückt. Aylin schläft fast ein, mei­ne Kon­zen­tra­ti­on erschöpft sich dar­an, dar­auf zu ach­ten, den rich­ti­gen Aus­stieg nicht zu ver­pas­sen. Es ist offen­sicht­lich: auf­nah­me­fä­hig sind wir bei­de sehr begrenzt. Dann die­ser lus­ti­ge Gedan­ke: eigent­lich müss­te jetzt Mor­gan Free­man im wei­ßen Anzug ein­stei­gen und zu uns sagen: »Ihr seit nun in New York, was ihr hier erlebt, wird sich stark von euren Erfah­run­gen in Asi­en unter­schei­den…« Irgend­wer muss uns doch auf New York vor­be­rei­ten, uns hel­fen den Kul­tur­schock erträg­lich zu gestal­ten! Die ande­ren Pas­sa­gie­re ver­mö­gen mei­nem Wunsch nicht nach­zu­kom­men: Sie bli­cken auf ihre Smart­phones, hören Musik, durch­le­ben ihren All­tag. Neben uns rappt ein Künst­ler laut­stark sei­ne Ver­se. Dafür inter­es­siert sich auch kei­ner.

Fähre_NYC

Hoboken, New Jersey: Joggen im Neonoutfit

West­lich des Hud­son Rivers, in Hobo­ken, New Jer­sey, kom­men wir bei mei­nem Kum­pel Tho­mas an. Ent­ge­gen des ursprüng­li­chen Wun­sches ein­fach nur zu schla­fen, bre­chen wir, unter Zuhil­fe­nah­me von Kof­fe­in, zu einer Erkun­dungs­tour auf. Die ers­te Erkennt­nis: Autos hal­ten an, sobald wir uns nur der Stra­ße nähern. Die Gegend wirkt mehr als auf­ge­räumt, fast schon kli­nisch sau­ber. Men­schen jog­gen in modi­schen Neon­out­fits an uns vor­bei, ande­re fla­nie­ren mit rie­si­gen To-Go-Bechern die Washing­ton Street ent­lang. Der Trend hier geht zu Bio, zum Grü­nen und zum Bewuss­ten. Wir pas­sie­ren Bio-Läden, die üppi­ges Gemü­se geschmack­voll dra­piert haben. Vie­le Cafés wer­ben mit Glu­ten-Free Spei­sen. Damit beschäf­ti­gen sich ten­den­zi­ell eher die Pri­vi­le­gier­ten. Das sind The­men von Men­schen, deren Leben grund­sätz­lich gere­gelt ist und genug Raum bie­tet, sich mit Glu­ten und Neon­out­fits zu beschäf­ti­gen. Nichts­des­to­trotz fügt sich das Gan­ze zu einem extrem har­mo­ni­schen Gesamt­bild zusam­men, einem ja schier uto­pi­schen Sze­na­rio einer Mus­ter­ge­mein­de. Tho­mas erzählt uns, er muss­te ein­mal vor Gericht erschei­nen und ein Buß­geld bezah­len, weil er die Rest­müll­ton­ne am fal­schen Tag raus­ge­stellt hat.

New Jersey_Skyline

Das aus­ge­rech­net heu­te das Eröff­nungs­spiel der Fuß­ball-WM statt­fin­det, emp­fin­den wir als äußerst glück­li­chen Umstand. Als wir die bes­ten Plät­ze vor dem gro­ßen Bild­schirm ein­neh­men wird klar: manch­mal sagt auch eine dürf­tig besuch­te Sports­bar etwas über eine Kul­tur aus. Zumin­dest heu­te, über die zwar durch­aus vor­han­de­ne, aber, aus einem euro­päi­schen Selbst­ver­ständ­nis her­aus, den­noch aus­bau­fä­hi­ge Fuß­ball­kul­tur in den USA. Wir öff­nen die Spei­se­kar­ten, die Kell­ne­rin befin­det: »Today is a Chi­cken Wings kin­da day.« Oh ja, sie wird Recht behal­ten.

Flatbush Avenue, Brooklyn: »Ya disrespecting my ass?«

Wer sich eine Kar­te von New York zulegt, läuft Gefahr, Distan­zen leicht­sin­ni­ger­wei­se zu unter­schät­zen. Die­se prak­ti­schen Falt­kar­ten erwe­cken bei mir den trü­ge­ri­schen Opti­mis­mus, man kön­ne sich Vie­les mal eben an einem Tag erlau­fen. Weit gefehlt.

Fun Fact: Allein Brook­lyn deckt eine respek­ta­ble Flä­che von 251 km² ab, und ist bei­spiels­wei­se deut­lich grö­ßer als Stutt­gart (207 km²). Bei Queens reden wir schon über 462 km².

Latin American Diner

Man kann einen Tag wun­der­bar damit zubrin­gen, die Flat­bush Ave­nue süd­lich des Pro­s­pect Parks hin­un­ter­zu­lau­fen. Eine Stra­ße, die gesäumt ist von Restau­rants und Geschäf­ten kari­bi­scher Ein­wan­de­rer. In einem Fri­seur­ge­schäft unter­hält ein Sän­ger nicht nur die Kund­schaft, son­dern ins­be­son­de­re die tan­zen­den Men­schen vor dem Laden. Auf dem Bür­ger­steig wer­den Bar­be­cues zele­briert. Par­ken­de Autos, mit opti­mier­ten Musik­an­la­gen lie­fern die Beats. Wir kau­fen uns einen Eis­tee und lau­fen immer gera­de­aus wei­ter. Men­schen wei­ßer Haut­far­be kom­men uns kei­ne mehr ent­ge­gen, was uns zumin­dest die Dis­kus­si­ons­grund­la­ge lie­fert, war­um sich die New Yor­ker im Jah­re 2014 in den Stadt­tei­len haut­far­ben­tech­nisch nicht etwas mehr ver­mi­schen.

Die Dia­lo­ge, die wir im Vor­bei­ge­hen auf­schnap­pen, zeu­gen auch von sprach­li­cher Abgren­zung. Ein Dia­lekt, der ganz bewusst gewählt wird, um die Zuge­hö­rig­keit zu einer sozio­kul­tu­rel­len Grup­pe zu mani­fes­tie­ren. Für mich als Außen­ste­hen­den wirkt er ziem­lich über­spitzt. Als wol­le man, unter Zuhil­fe­nah­me raum­grei­fen­der Ges­ten, den eige­nen Lin­go per­si­flie­ren. Das zu den­ken ist, streng genom­men, ziem­lich dumm von mir, denn Dia­lekt ist auch hier vor allem ein Iden­ti­täts­merk­mal.

• »Whe­re y’all goin‹?«
• »We ain’t going nowhe­re ya fuck­in‹ dum­bass!«
• »Ya dis­re­spec­ting my ass?«

Die Leu­te hier spre­chen laut, tra­gen ihren Dia­lekt mit Stolz vor. Als sei er ihre sprach­li­che Visi­ten­kar­te. Der Teil ihrer Iden­ti­tät, der ihnen schall­ge­wor­den vor­aus­eilt. Der Stolz ist nicht ganz unbe­grün­det: Bus­ta Rhy­mes, Talib Kwe­li oder auch Foxy Brown kom­men eben aus Flat­bush, haben die­sen Lin­go mas­sen­taug­lich gemacht und als Rap­per ein Mil­lio­nen­pu­bli­kum erreicht.

Manhattan: Immer extrem

Die Brook­lyn Bridge im som­mer­li­chen Abend­rot zu über­que­ren ist wohl der emp­find­sams­te Weg sich Man­hat­tan zu nähern. Die glei­ßen­de dun­kel­gel­be Son­ne spie­gelt sich dann auf den Wol­ken­krat­zern. Man­hat­tan, auf­ge­la­den mit unzäh­li­gen Asso­zia­tio­nen, liegt vor uns und wir lau­fen gera­de­wegs hin­ein, in den Schlund kon­ven­tio­nel­ler west­li­cher Ideo­lo­gie. Es kommt uns ein Mann ent­ge­gen, der eine gel­be Rie­sen­py­thon mit einer Selbst­ver­ständ­lich­keit um den Hals trägt, als füh­re er sei­nen Hund aus. Only in Ame­ri­ca: Sna­kes on a bridge.

Brooklyn Bridge

Unter uns fah­ren Autos, Schif­fe kreu­zen den East River, Heli­ko­pter krei­sen über die Halb­in­sel. Das Gan­ze deu­tet schon an, wel­che Dyna­mik uns in Man­hat­tan erwar­tet.

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Als wir erst­mal durch die Stra­ßen­schluch­ten lau­fen, wird die Dyna­mik spür­bar und ich kom­me mir ver­gleichs­wei­se pro­vin­zi­ell vor, als ich den schnel­len, modi­schen und häu­fig tele­fo­nie­ren­den New Yor­kern aus­wei­che. Die New Yor­ker wir­ken getrie­ben, immer beschäf­tigt mit dem Pur­su­it of Hap­pi­ness. Man nimmt sei­ne Rol­le an, ist immer bereit, für die­sen einen Moment, für die eine schick­sal­haf­te Begeg­nung, die das Leben ver­än­dert. An einer Kreu­zung drischt ein per­fekt durch­trai­nier­ter Boxer unent­wegt auf einen Box­sack ein. Er hat ein Papp­schild auf­ge­stellt auf dem steht: Pun­ching sin­ce 7 am.

NYC_Cab

Die Annah­me, dass jeder Mensch aus eige­nem Antrieb jeg­li­ches Ziel ver­wirk­li­chen kann, scheint tief im Den­ken vie­ler New Yor­ker ver­wur­zelt. Spek­ta­ku­lä­re Bei­spie­le dafür fin­den sich immer wie­der: Rock­stars, die In der Sub­way ent­deckt wur­den. Mädels, die direkt von der 5th Ave­nue als Models weg­ge­cas­tet wur­den. Klingt super, sind aber Ein­zel­fäl­le. Men­schen, die es nicht schaf­fen, denen der­a­me­ri­ka­ni­sche Traum ver­wehrt bleibt, bewe­gen sich wohl täg­lich durch die Schluch­ten Man­hat­tans. Wir sehen einen gepfleg­ten Mann in Anzug­ho­se und Hemd. Er läuft den Broad­way ent­lang und sieht bei jedem Pay­pho­ne unauf­fäl­lig im Schacht nach, ob nicht ein paar Mün­zen ver­ges­sen wur­den. Dar­in liegt viel Sym­bo­lik, sagt Aylin. Ich den­ke an den Song Big Town von OMD:

There’s alot of things

For you to do

There’s alot of dreams

That won’t come true

Coney Island: Am Strand von Brooklyn

Coney Island ist gar kei­ne Insel und liegt am süd­lichs­ten Zip­fel von Brook­lyn. Die Mög­lich­keit, sich unweit der Hek­tik New Yorks an einen Strand legen zu kön­nen, lockt offen­bar vie­le Ein­woh­ner: Auf dem hei­ßen Sand ist kaum noch Platz.

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An der Surf Ave­nue unmit­tel­bar vor der Strand­pro­me­na­de steht Nathan’s Famous. Der Fast-Food Laden genießt einen exzel­len­ten Ruf. Wir erfah­ren, es gebe hier die bes­ten Hot-Dogs Ame­ri­kas. Und da sind sie dann plötz­lich: die Ame­ri­ka­ner, vor denen man in Deutsch­land immer gewarnt wird. Sie drän­geln ihre bizarr-dicken Kör­per durch den Kas­sen­be­reich, balan­cie­ren Plas­tik­ta­bletts vol­ler Hot-Dogs, Cheese-Fries und Bur­gern.

Die Amerikaner beim Futtern

Im Nathan’s fin­det jedes Jahr ein Hot-Dog Wett­es­sen statt. Der Wett­be­werb ist in den USA sehr beliebt und fin­det gro­ße media­le Auf­merk­sam­keit.

Wer sich ansatz­wei­se für pro­fes­sio­nel­les Wett­es­sen inter­es­siert, kommt an einem Mann nicht vor­bei: Joey Chest­nut. Joey hält den Welt­re­kord im Hot Dog Essen (69 Stück in 10 Minu­ten) und trägt den­Mus­tard-Belt dem­nach nicht ganz unver­dient. In einem legen­dä­ren Wett­kampf hol­te er den Gür­tel 2007 mit einem Tri­umph über sei­nen ewi­gen Kon­kur­ren­ten Take­ru Koba­ya­shi zurück in die USA. Koba­ya­shi führ­te die Nie­der­la­ge sei­ner­zeit auf eine Kie­fer­ge­lenks­ar­thri­tis und einen kurz zuvor gezo­ge­nen Weis­heits­zahn zurück.

Hot Dogs im Nathans

In der Som­mer­hit­ze hal­ten wir es am Strand nicht lan­ge aus. Natur­ge­mäß holen wir uns daher erst­mal ein Eis. Wir genie­ßen für einen Moment die Ent­fer­nung zur Groß­stadt und wun­dern uns nach­her, dass New York nur eine über­schau­ba­re Sub­way-Fahrt ent­fernt ist.

Musclebeach

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