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Von Thame (3900 m) nach Kongde (4250 m), Gehzeit: 9 (!) Stunden, Aufstieg: 1000m, Abstieg: 800 m
Die Sonne lacht, zum Frühaufsteher-Frühstück um 6.00 Uhr gibt es deftiges Trekkerfood (Porridge und Omelette). Voller Tatendrang schnüre ich meine Wanderstiefel. Heute muss alles sitzen, denn wer sich von Thame (3900 m) auf den Weg nach Kongde (4250m) macht, der MUSS diese Etappe schaffen. Frau Merkel würde sagen: Das Ziel zu erreichen ist alternativlos.
Zähneputzen vor grandioser Kulisse in Thame (3900m)
Auf dem Weg gibt es keine Lodges oder Restaurants, Helikopterevakuationen sind aufgrund des steilen Geländes unmöglich. Selbst Esel laufen auf dieser Strecke keine. Wer in Thame mit dem Ziel Kongde losläuft, der muss einfach durchhalten. Zugegebenermaßen, dieser „leichte“ Druck macht mich Wanderneuling etwas nervös. Reicht meine Kondition? Und wie steil ist steil eigentlich? Wir beschließen, dass Stefan heute alle Fotos macht, damit ich nicht vor jeder zweiten Blume stehenbleibe. Schließlich wollen wir unser Ziel vor Einbruch der Dunkelheit erreichen.
Wir verlassen Thame, dieses beinahe mystisch anmutende, einsame Bergdorf, frohen Mutes. Es geht bergab, bergauf, bergab, bergauf. Super Wadentraining. Dank Zwiebellook können wir uns stets der Anstrengung anpassen: mal schwitzen wir im T‑Shirt, dann wieder müssen Jacke und Daunenweste her. Immer wieder ermahnt uns Nayandra, viel zu trinken- Wasser ist die beste Höhenkrankheitsprophylaxe. Leider hat das viele Trinken den Nachteil, dass ich ständig pinkeln muss. Zum Glück gibt’s Sträucher an jeder Ecke.
Wir durchqueren Waldstücke, in denen pinke, violette und rote Rhododendrenblüten strahlen, es duftet nach Nadelwald und Frühlingsfrische. Sogar Primeln blühen am Wegesrand. Außer ein paar Moschusrehen und Bergziegen begegnen wir auf diesem Weg niemandem. Alleine mit der Natur, der Aussicht und meinen Gedanken erklimme ich Höhenmeter für Höhenmeter.
Nach 6 Stunden erreichen wir einen Hang, aber den weiteren Weg vermag ich nicht zu erkennen. Ratlos schaue ich Nayandra an. Er zeigt auf den Berg auf der anderen Seite der tiefen Schlucht, mit den Worten: „Der Weg ist das Ziel“. Scherzkeks. Von nun an folgen wir einem schmalen Weg, der sich an die Bergwand quetscht, als wolle er nicht den Abhang herunterrutschen. Stattdessen rutscht mir mein Herz in die Hose.
»Der Weg ist das Ziel«, sagt unser Guide.
Irritierenderweise geht es erst einmal steil bergab, das beruhigt mich nicht, denn ich weiß, jeden Höhenmeter müssen wir wieder unter doppelter Anstrengung hinauf. Wegen meiner latenten Höhenangst blicke ich konzentriert zur Bergseite. Wir arbeiten uns langsam bis ans Ende des Pfades vor, der Übergang zum nächsten Berg wird von einem reißenden Wasserfall markiert. Schnee und Eis schmiegen sich eng an die steil abfallenden Hänge. Bei diesem Anblick wird mir angst und bange, mein Herz pocht wie verrückt, mir läuft es heiß und kalt den Rücken herunter. Natürlich will ich tapfer und kein Weichei sein, die Gruppe nicht aufhalten. Nach und nach ziehen die Anderen an mir vorbei. Möglichst unauffällig tue ich so, als müsse ich irgendwas zurechtrücken. Ich ertappe mich dabei, nach einem geschützten Nachtlager zu suchen (das ist rückblickend natürlich irrationaler Blödsinn, denn unsere Guides würden mich hier nie zurücklassen). „Tapfer sein! Du schaffst das!“ spreche ich mir mantraartig zu. Aber es ist zu spät, die Angst hat mich voll erfasst, ich merke, wie sich eine Träne in meinem Auge bildet. Beschämt reibe ich mein Auge, da passiert es: meine Kontaktlinse flutscht heraus! Hitze steigt mir ins Gesicht, wo ist bloß Stefan? Ich sehe mich schon unter dem Felsen schlafen, eingerollt mit ein paar Überlebens-Müsliriegeln. Just bevor ich mich vollkommen in Panik auflöse, eilt Stefan herbei. Er dirigiert meinen Zeigefinger zur Kontaktlinse, die wie durch ein Wunder an meiner Wange klebt. Als ich die Augen öffne und wieder in High Definition sehe, löst sich der Angstknoten urplötzlich. Es kann weitergehen.
Eis und Schnee auf dem Weg nach Kongde (4250m)
Wir müssen den Wasserfall überqueren, und Gott sei Dank legen unsere Guides mit Felsbrocken einen Weg durch das Wasser- und Schneefeld. Unserem erfahrenen Sherpa-Guide kann ich nichts vormachen. Passang sieht mir die Furcht an und greift meine Hand fest. Gemeinsam überqueren wir sicher mehrere Schneefelder und erklimmen den Rest des steilen Weges, der jetzt nur noch bergauf führt.
Und plötzlich stehe ich oben! Vor mir eine Mondlandschaft, weites Feld, braun, grau, dunkelgrün. Ein Wasserfall plätschert eisig vor sich hin. Mystisch legen sich die Wolken auf den Berg nieder. In der Ferne erblicke ich unsere Lodge, aus dem Schornstein dampft es einladend. Mir fällt ein Stein vom Herzen, nein, ein Riesen-Felsbrocken! Wer trekken geht, möchte Wahnsinnsnatur sehen, den Körper fordern. Ich zumindest möchte auch meine Grenzen testen, sie ausreizen, etwas schaffen. Und wenn es „nur“ der Sieg über die eigene Furcht ist.
Kurz vor dem Kongde Hotel halte ich Stefan zurück: „Zeit für einen Freudentanz!“. Und so nehmen wir uns in die Arme, hüpfen wie kleine Kinder im Kreis und ich jubel, diesmal mit Freudentränen in den Augen, vor Glück und Stolz.
Vielen Dank an Wikinger Reisen für die Einladung auf ihre Trekkingtour »Panoramablicke am Annapurna & Everest«.
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