Naoshima: Die Kunst-Insel in der Seto-Inlandsee

Naoshima Kürbis mit Publikum

Wie ein gel­ber, über­gro­ßer Kür­bis am Meer zum Wahr­zei­chen von Nao­shi­ma wer­den konn­te. Er fügt sich sur­re­al in die Sze­ne­rie ein, ohne die Land­schaft zu stö­ren. Der Kür­bis ist wie Nao­shi­ma – ein klei­ner, unge­wöhn­li­cher Fleck im Meer.

Fla­che Wel­len strei­cheln die able­gen­de Fäh­re. Vom Deck bli­cke ich auf die Seto-Inland­see, das Bin­nen­meer zwi­schen den drei japa­ni­schen Haupt­in­seln. Ich bin ger­ne hier, die Regi­on gilt als »Land des guten Wet­ters«, weil es das gan­ze Jahr mild ist. Das Meer ist reich an Fischen, klei­ne Inseln deko­rie­ren das Was­ser wie grü­ne Farb­kleck­se. Ein idyl­li­sches Stück Japan.

Heu­te rei­se ich nach Nao­shi­ma, zur Kunst-Insel in der Prä­fek­tur Kaga­wa, die bekannt ist für ihre vie­len Muse­en und frei begeh­ba­ren Instal­la­tio­nen. Auf dem Schiff fällt mir auf, wie vie­le aus­län­di­sche Tou­ris­ten sich eben­falls für Nao­shi­ma inter­es­sie­ren. Die Fahrt vom Fest­land dau­ert 20 Minu­ten, die Kunst­wer­ke sehe ich schon, bevor wir anle­gen. Men­schen ste­hen vor ihnen und machen Sel­fies.

Zwei Bus­se war­ten am Hafen – einer fährt nur für Ein­hei­mi­sche, der ande­re nur für Tou­ris­ten. Ich höre Korea­nisch, Chi­ne­sisch, Eng­lisch mit neu­see­län­di­schem Akzent und Fran­zö­sisch. Fahr­rä­der zum Aus­lei­hen gibt es auch. Die Insel ist 14 Qua­drat­ki­lo­me­ter groß, drei Stra­ßen ver­bin­den den Osten mit dem Wes­ten und tei­len das Eiland in drei Tei­le. Im Zen­trum stei­ge ich aus. Ich weiß nicht genau, wo das Rat­haus liegt, weil ich kein Schild sehen kann, also gehe ich in das größ­te Gebäu­de. Unter der turm­ho­hen Decke befin­det sich ein offe­nes Groß­raum­bü­ro, typisch für ein Amt in Japan. 

Der Beam­te Moto­ha­shi war­tet schon auf mich, ich hat­te ihm zuvor eine E‑Mail geschrie­ben. Wir set­zen uns rechts vom Ein­gang der Hal­le in eine Ecke mit schwar­zen Sofas und einem Glas­tisch. Auf Nao­shi­ma leben 3.100 Men­schen und jedes Jahr kom­men eine hal­be Mil­li­on Tou­ris­ten. Wie kann das gut gehen?

»Die Men­schen von Nao­shi­ma haben kein Pro­blem damit«, stellt Moto­ha­shi sach­lich fest. Pro Tag sol­len im Durch­schnitt 1.500 Besu­chen­de ankom­men. Wegen der Fäh­re kön­nen sie regu­lie­ren, dass es nicht zu vie­le wer­den. Auf Eng­lisch ver­sucht er zu erra­ten, wor­auf mei­ne Fra­ge abzielt, und sagt lächelnd: »Over­tou­rism? So schlimm wie in Kyō­to kann es hier nicht wer­den.« 

Japans ehe­ma­li­ger Pre­mier­mi­nis­ter Abe Shin­zō äußer­te 2013 den Wunsch, die Anzahl Tou­ris­ten möge bis 2020 auf 20 Mil­lio­nen stei­gen. Schon 2018 war das über­trof­fen: 27 Mil­lio­nen Tou­ris­ten reis­ten nach Japan. Das Land erlebt einen Tou­ris­mus-Boom – inner­halb von 20 Jah­ren hat sich die Zahl der inter­na­tio­na­len Besu­chen­den ver­zehn­facht. Der Jah­res­um­satz beträgt 40 Mil­li­ar­den Euro, aber die Infra­struk­tur kommt nicht hin­ter­her. 50 Mil­lio­nen Men­schen besu­chen jedes Jahr Kyō­to, der Groß­teil von ihnen kommt aus dem eige­nen Land. Die alte Kai­ser­stadt lei­det unter der Beliebt­heit: 1,5 Mil­lio­nen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner müs­sen Bus­se, U‑Bahnen und Märk­te mit Mil­lio­nen ande­rer Leu­te tei­len. Wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie blieb Japan geschlos­sen, erst im Okto­ber 2022 war die freie Ein­rei­se wie­der mög­lich. Ein Jahr spä­ter kamen mehr Besu­che­rin­nen und Besu­cher als vor der Pan­de­mie.

Herr Moto­ha­shi reicht mir eine Bro­schü­re mit der aus­führ­li­chen Geschich­te von Nao­shi­ma. Fak­ten und Legen­den mischen sich. Man­che Epo­chen wer­den nicht erwähnt, etwa die Zeit, als Nao­shi­ma eine Hei­mat für Pira­ten in der Seto-See war. 

1917 bau­te Mitsu­bi­shi auf Nao­shi­ma eine Fabrik zur Metall­ver­ar­bei­tung. Damals wur­den eini­ge Werk­stät­ten auf Inseln ver­la­gert, um die Umwelt­ver­schmut­zung auf dem Fest­land gering zu hal­ten. Auf der Nach­bar­insel Tes­hi­ma zum Bei­spiel wur­den eine hal­be Mil­li­on Ton­nen Indus­trie­müll abge­la­den. Und auf dem nahen Inu­ji­ma war zehn Jah­re lang eine Kup­fer­raf­fi­ne­rie in Betrieb. 

Mit der Fabrik kamen die Arbei­ter und ihre Fami­li­en: 1955 leb­ten 7.501 Men­schen auf Nao­shi­ma, die Hälf­te arbei­te­te für Mitsu­bi­shi. Was genau wur­de hier pro­du­ziert? »Gold«, sagt Herr Moto­ha­shi. Ich bin über­rascht. »Ich zeig’s Ihnen.« Er steht auf und geht mit mir zu einer gro­ßen Vitri­ne an der Wand. Ver­schie­de­ne Mine­ra­li­en sind in koni­schen Glas­zy­lin­dern auf­ge­stellt, dane­ben lie­gen Gold­bar­ren. Die Fabrik ver­ar­bei­te­te Sil­ber, Kup­fer, Zink und Lithi­um, sie recy­cel­te und schmolz Metal­le. Bis heu­te hält Nao­shi­ma den Rekord für den größ­ten Gold­bar­ren der Welt. Das 250 Kilo schwe­re Stück Edel­me­tall liegt im Toi-Gold­mu­se­um in Shi­zu­oka.

In den 1960er Jah­ren änder­te sich das Schick­sal von Nao­shi­ma. Bür­ger­meis­ter Miya­ke Chi­kat­su­gu erklär­te sei­ne Absicht, die Insel zusätz­lich zu einem Ort für Bil­dung, Kul­tur und Natur zu machen. Anschlie­ßend begann ein Rei­se­un­ter­neh­men, ein Hotel im Süden der Insel für 200 Per­so­nen zu bau­en, auch einen Cam­ping­platz und eine Aus­sichts­platt­form. Das Pro­jekt strau­chel­te auf­grund von Wirt­schafts­kri­sen. Ende der 1970er Jah­re starb der Chef des Unter­neh­mens und das Gelän­de ging zurück an die Insel.

Im Jahr 1985 traf Bür­ger­meis­ter Miya­ke dann den Ver­le­ger Fuku­ta­ke Tetsu­hi­ko. Der Prä­si­dent des Fuku­ta­ke-Ver­lags­hau­ses aus dem nahen Oka­ya­ma hat­te den Traum, ein »Para­dies für Kin­der« in der Seto-See zu errich­ten. Er kauf­te 165 Hekt­ar Land im Süden der Insel, ein Sechs­tel von Nao­shi­ma. Ein Jahr spä­ter starb er an Herz­ver­sa­gen wäh­rend der Arbeit, und sein Sohn Fuku­ta­ke Sōi­chirō über­nahm die Fir­ma. Er hat­te ande­re Plä­ne für Nao­shi­ma. Statt eines Kin­der­pa­ra­die­ses soll­te die Insel zu einem Para­dies für die Kunst wer­den. 

Das Inter­na­tio­na­le Nao­shi­ma Kul­tur­camp wur­de 1989 von Andō Tadao gebaut, einem der bekann­tes­ten Archi­tek­ten Japans. Drei Jah­re spä­ter nann­te sich das Ver­lags­haus Fuku­ta­ke in Ben­es­se Hol­dings um und bau­te das Ben­es­se House auf Nao­shi­ma, eben­falls ent­wor­fen von Archi­tekt Andō. Es war das ers­te Hotel auf der Insel und gleich­zei­tig ein Muse­um. Ben­es­se gehö­ren 99 Pro­zent aller Kunst­wer­ke auf Nao­shi­ma, der Prä­si­dent ist einer der reichs­ten Men­schen in Japan.

In regel­mä­ßi­gen Abstän­den wur­den neue Kunst­wer­ke auf der Insel instal­liert oder bekann­te Archi­tek­ten ein­ge­la­den. 1998 frag­te das Rat­haus die Fir­ma Ben­es­se, ob sie etwas mit den leer­ste­hen­den Häu­sern im Zen­trum machen könn­ten. Die Bevöl­ke­rung Nao­shi­mas schrumpf­te, die Gebäu­de ver­fie­len. Für das »Art House Pro­ject« wur­den die­se Häu­ser reno­viert und zu Gale­rien umge­baut. Ben­es­se bau­te sogar Muse­en auf den benach­bar­ten Inseln Inu­ji­ma (Bevöl­ke­rung: 54) und Tes­hi­ma (Bevöl­ke­rung: 1.018). Miya­ke blieb 36 Jah­re lang Bür­ger­meis­ter von Nao­shi­ma. Sein Grund­satz lau­te­te: Wirt­schaft muss Kul­tur unter­stüt­zen. Vier Jah­re nach Ende sei­ner Amts­zeit starb er im Alter von 91 Jah­ren. Die ers­te Setou­chi Tri­en­na­le, ein Kunst­fes­ti­val, das fort­an alle drei Jah­re statt­fin­det, wur­de 2010 ver­an­stal­tet. 75 Künst­le­rin­nen und Künst­ler aus 18 Län­dern stell­ten ihre Wer­ke aus, mehr als 900.000 Men­schen schau­ten sie sich an. Neun Jah­re spä­ter sind es 230 Kunst­schaf­fen­de aus 32 Län­dern und mehr als eine Mil­li­on Gäs­te.

Ich bedan­ke mich für die vie­len Infor­ma­tio­nen zur Geschich­te – jetzt möch­te ich mir jedoch selbst die Kunst anse­hen.

Als ich das Rat­haus ver­las­se und durch das Zen­trum lau­fe, sehe ich alle paar Meter ein Schild, eine Pla­ket­te oder den Ein­gang zu einem Ort der Kunst. Die Kar­te, die man mir im Rat­haus gege­ben hat, las­se ich in mei­ner Tasche. Auf Nao­shi­ma kann man sich trei­ben las­sen und ent­de­cken. Es gibt das Andō Tadao Muse­um, das Lee Ufan Muse­um und dut­zen­de Skulp­tu­ren im Frei­en. In dem James-Bond-Roman »The Man with the Red Tat­too« ver­steckt sich ein Atten­tä­ter auf Nao­shi­ma in einem Kunst­werk. Er will töd­li­che Mos­ki­tos beim nahen G8-Gip­fel frei­las­sen, doch Bond kann das natür­lich ver­hin­dern. Fans lie­ßen 2005 ein James-Bond-Muse­um auf Nao­shi­ma bau­en, mit wenig Bud­get. Sie sam­mel­ten 84.000 Unter­schrif­ten in Japan, um das Film­stu­dio Metro-Gold­wyn-May­er zu über­zeu­gen, den Roman zu ver­fil­men und in Nao­shi­ma zu dre­hen. Der Vize-Gou­ver­neur der Prä­fek­tur Kaga­wa besuch­te dafür die Zen­tra­le von Sony Pic­tures Enter­tain­ment in den USA, um das Unter­neh­men von Nao­shi­ma als Kulis­se zu über­zeu­gen. Doch es reich­te nicht. Das Muse­um muss­te 2017 schlie­ßen. Und Bond gehört heu­te Ama­zon.

Ich ent­de­cke einen Pfad, der einen Hügel hin­auf führt, mit einem gro­ßen torii aus Stein. Oben gibt es einen Schrein, vor dem fein säu­ber­lich plat­zier­te wei­ße Stei­ne lie­gen. Trep­pen­stu­fen aus Glas füh­ren zur Kam­mer, in der die Gott­heit ruht. Rechts der Instal­la­ti­on führt ein Pfad Rich­tung Meer, neben dem ein alter Mann unter einem klei­nen Dach steht und Taschen­lam­pen ver­teilt.

Der Pfad hin­un­ter macht eine Kur­ve, und ich ste­he unter­halb eines Abhangs. Rechts von mir sehe ich das Meer, das tief unten gegen die Küs­te bran­det. Über dem Abhang sehe ich das Dach des Schreins. Ein schma­ler Gang aus Beton öff­net sich vor mir. Er ist viel­leicht einen hal­ben Meter breit. Die Wän­de sind dun­kel und glatt, als füh­re der Weg in einen Bun­ker in der Erde. Mit der Taschen­lam­pe gehe ich hin­ein. Plötz­lich ste­he ich direkt unter dem Schrein, in fünf Metern Tie­fe – hier beginnt die Glas­trep­pe, die ich oben gese­hen habe. Durch ein Loch in der Decke fällt Licht auf die Stu­fen, die jetzt an Eis­blö­cke erin­nern, an glän­zen­de Kris­tal­le, an rie­si­ge Quar­ze. 

Der Go’o-Schrein des Foto­gra­fen Sug­i­mo­to Hiro­shi ent­stand 2002 aus einem alten, ver­las­se­nen Schrein, der seit 500 Jah­ren hier auf Nao­shi­ma steht. Die Kom­bi­na­ti­on von Alt und Neu, der Ein­satz von natür­li­chem Licht und die unter­ir­di­sche Begeh­bar­keit machen es wirk­lich zu etwas Beson­de­rem. Ich lau­fe zurück zu dem schma­len Gang. Wenn man ihn das ers­te Mal betritt, sieht man nur Dun­kel­heit. Jetzt sehe ich das Meer und den Him­mel.

Ich las­se mich wei­ter über die Insel trei­ben. Plötz­lich lau­fe ich vor­bei an rie­si­gen Bla­sen, die aus dem Boden wach­sen. Sie sehen aus wie ein begeh­ba­res Bün­del Wein­trau­ben. Drin­nen ste­hen Fahr­rä­der und Schil­der, die das Abstel­len von Fahr­rä­dern ver­bie­ten. Es ist ein War­te­häus­chen für die Fäh­re, die hier wäh­rend der Tri­en­na­le regel­mä­ßig anlegt – eben­falls ein Kunst­ob­jekt. Dahin­ter sind klei­ne Boo­te ver­täut. Ein Okto­pus hängt auf­ge­knüpft an einer Lei­ne und trock­net in der Son­ne, alle Arme von sich gestreckt. 

Die Häu­ser auf Nao­shi­ma sind in einem bes­se­ren Zustand als die in vie­len ande­ren Dör­fern in Japan, die eben­falls mit einer schrump­fen­den Bevöl­ke­rung und Indus­trie kämp­fen. Hier im Wohn­ge­biet der Insel ver­mie­ten Pri­vat­leu­te ihre Zim­mer. Eini­ge Gebäu­de sind bunt ange­malt, ande­re wer­ben mit einer beson­de­ren Archi­tek­tur. Die Über­nach­tungs­plät­ze sind bewusst begrenzt, es gibt nur ein Hotel. Den­noch ist es unmög­lich, inner­halb von einem Tag alles zu sehen.

So lang­sam ver­lie­re ich das Gefühl dafür, was Kunst ist und was nicht. Vor mir steht ein wei­te­res torii aus Stein, dahin­ter spie­gelt sich die Nach­mit­tags­son­ne im Meer. Es lie­gen klei­ne Stei­ne auf dem geschwun­ge­nen Bogen des Tors, und ich kann nicht sagen, ob die­se von Tou­ris­ten oder Kunst­schaf­fen­den stam­men.

Ich errei­che den Süden der Insel. Am Strand ragt ein Steg aus Beton vier Meter ins Meer. Dar­auf ste­hen Tou­ris­ten, die vor einem gel­ben Kür­bis mit schwar­zen Punk­ten sprin­gen und posie­ren. Es ist das Wahr­zei­chen von Nao­shi­ma, der Yel­low Pump­kin von Pop-Art-Künst­le­rin Kusa­ma Yayoi. Das Punkt­mus­ter fin­det sich in all ihren Arbei­ten, sie füllt gan­ze Aus­stel­lungs­räu­me damit. Ihr Kür­bis ist etwas grö­ßer als die Men­schen, die sich vor ihm foto­gra­fie­ren. Er sieht aus wie ein Hefe­teig, der nach dem Auf­ge­hen in sich zusam­men­ge­sackt ist. Mehr breit als hoch, sein Stiel neigt sich nach unten, die Punk­te auf sei­ner Haut ver­lau­fen in gera­den Lini­en nach oben und vari­ie­ren in der Grö­ße. Sonst steht nichts auf dem Steg: kei­ne Info­ta­fel, kein State­ment der Künst­le­rin, kei­ne Begren­zung. Es ist ein­fach ein Kür­bis am Meer. Und er ist groß­ar­tig.

Der Him­mel wird grau, Wind zieht auf. Es sieht nach Regen aus. Die ande­ren Tou­ris­ten ver­las­sen den Steg, ich und die Skulp­tur sind allein. Ich ver­ste­he, wie ein gel­ber, über­gro­ßer Kür­bis am Meer zum Wahr­zei­chen von Nao­shi­ma wer­den konn­te. Er fügt sich sur­re­al in die Sze­ne­rie ein, ohne die Land­schaft zu stö­ren. Der Kür­bis ist wie Nao­shi­ma – ein klei­ner, unge­wöhn­li­cher Fleck im Meer.

Die Bank of Japan schätzt, dass die letz­te Setou­chi Tri­en­na­le vor Coro­na 150 Mil­lio­nen Euro ein­ge­bracht hat. In einer anschlie­ßen­den Umfra­ge gaben 57 Pro­zent der Men­schen in der Regi­on an, kei­ne oder wenig Kon­takt zu Kunst­schaf­fen­den und Tou­ris­ten zu haben. An zwei Drit­teln der Men­schen geht die Tri­en­na­le kom­plett vor­bei. 

Stu­die­ren­de der Uni­ver­si­tä­ten in Lin­nae­us, Hok­kai­dō und Hiro­shi­ma haben 2021 ins­ge­samt 18 Men­schen auf Nao­shi­ma aus­führ­lich zu ihrem Leben auf der Insel inter­viewt. Die Befrag­ten klag­ten über einen Iden­ti­täts­ver­lust, sie wis­sen nicht mehr, wofür Nao­shi­ma steht. Ben­es­se mache zu wenig, um Frus­tra­ti­on vor­zu­beu­gen, sagen sie. Tou­ris­ten fül­len die Gas­sen, sie sind laut, und eini­ge wür­den Pri­vat­woh­nun­gen und Gär­ten betre­ten, weil sie den Unter­schied zu öffent­li­chen Kunst­wer­ken nicht erken­nen. Auf Nao­shi­ma ver­schwim­men die Gren­zen. Die Wirt­schaft der Insel hän­ge wei­ter­hin von der Fabrik von Mitsu­bi­shi ab, weil Ben­es­se kei­ne Men­schen von Nao­shi­ma ein­stel­le. Die For­schen­den kom­men zu dem Schluss: Wer nicht im Tou­ris­mus arbei­tet, pro­fi­tiert nicht von der Kunst. 

Für mich ist der Besuch von Nao­shi­ma ein teu­rer Spaß. Zwar gibt es Sam­mel­ti­ckets für alle Attrak­tio­nen. Plant man aber, nur ein paar zu sehen, kos­tet jede ein­zeln Ein­tritt. Eine Tou­ris­ten­fal­le ist die Insel trotz­dem nicht. Nao­shi­ma ist ein­zig­ar­tig. Vie­le der archi­tek­to­ni­schen Expe­ri­men­te sind im Ein­klang mit der Insel und der Natur ent­stan­den, kein Kunst­werk wirkt belie­big. 

Auf der Insel gibt es nur zwei Wer­ke, die nicht Ben­es­se gehö­ren. Der Nao­shi­ma Pavil­lon von Fuji­mo­to Sōsuke ist ein begeh­ba­res Draht­haus in der Form eines klei­nen Hügels. Und dann gibt es noch einen zwei­ten, roten Kür­bis von Kusa­ma, nahe dem Hafen. Er ist zehn­mal so groß wie sein gel­ber Bru­der am ande­ren Ende der Insel, und man kann hin­ein gehen. Sei­ne Punk­te wir­ken zufäl­lig, eini­ge von ihnen sind tat­säch­lich Löcher. Ich schaue hin­durch und sehe, wie die Son­ne über dem Seto-Meer unter­geht.

Als ich auf der Fäh­re bin, ist der Regen schon wei­ter­ge­zo­gen. Schlech­tes Wet­ter bleibt hier nie lan­ge. Ich set­ze mich ans Heck vor ein Fens­ter mit Blick auf die Insel. Nao­shi­ma wird immer klei­ner. Hin­ter den Hügeln, den Muse­en und den Häu­sern ragt ein Regen­bo­gen aus dem Meer. 

Der Rauch aus den Mitsu­bi­shi-Schorn­stei­nen trübt die Far­ben nicht.

  • Japan, wer bist du?


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