Nachts im Schlafsaal

Es ist vier nach drei, als das letz­te Nacht­licht aus­ge­schal­tet wird. Trotz­dem scheint noch Licht durch dün­ne Vor­hän­ge und Lärm dröhnt vom Gemein­schafts­raum nach oben.

Ein Bett ist noch leer. Wir wer­den spä­ter also noch mal geweckt durch Wackel- und Quietsch­ge­räu­sche, ver­ur­sacht von einem wei­te­ren Frem­den, der in sein Stock­bett klet­tert; hof­fent­lich allein, wahr­schein­lich aber nicht. Am Bes­ten jetzt schla­fen, solan­ge es noch rela­tiv ruhig ist.

Schnar­cher tönen an unse­re Ohren, dumpf durch die Stöp­sel. Wir sind zu acht. Drei von uns sind Freun­de seit der Schul­zeit, die rest­li­chen Fün­fe ein­an­der völ­lig fremd – und den drei Schul­freun­den auch.

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Wir haben nicht gespro­chen. Noch nicht. Wer­den wir aber. Das ist unaus­weich­lich.

„Hey, ich bin Chelsea/​ Melissa/​ Ryan. Wie heißt du? Woher kommst du? Wie lan­ge bist du schon unter­wegs? Wohin geht’s als nächs­tes? Was machst du zu Hau­se?”

Die­se Fra­gen wer­den immer kom­men von den Chel­se­as, Melis­sas oder Ryans die­ser Welt. Beru­hi­gend ist das für sol­che am Rand einer Rei­se. Rei­send bist du nie allein, wenn du nicht allein sein willst. Schließ­lich ist Reden mit Frem­den unter­wegs so viel ein­fa­cher als zu Hau­se. Wir sind im sel­ben Boot. Wir sind auf der Suche. Wir sind ver­eint in unse­rer Rast­lo­sig­keit.

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Aber jetzt, im Dun­keln, sind wir allein. So allein wie wir sein kön­nen in einem Schlaf­saal mit sie­ben auf einen Streich. Wir müs­sen jetzt nicht reden.  Wir müs­sen kei­ne schlau­en Sachen sagen, um uns inter­es­sant zu machen. Wir müs­sen jetzt nicht mutig sein. Jetzt müs­sen wir nur Schlaf fin­den, müs­sen nicht auf­ge­regt sein ob der Aus­sicht auf neue Aben­teu­er am Mor­gen, müs­sen nur das Heben und Sen­ken von sie­ben Brust­kör­ben igno­rie­ren.

Und im Stil­len hof­fen wir:

Viel­leicht geht es den ande­ren genau­so. Viel­leicht füh­len sie sich genau­so ver­lo­ren, auf­ge­regt,  ner­vös, merk­wür­dig, aben­teu­er­lich, glück­lich, trau­rig wie wir. Ja, viel­leicht liegt da eine neue Freund­schaft in der sti­cki­gen Luft.

Und im Stil­len wis­sen wir:

Nichts von alle­dem klingt beson­ders ver­lo­ckend: Ein Zim­mer tei­len mit sie­ben Frem­den; die wie­der­keh­ren­de Sor­ge, aus­ge­raubt, krank oder plei­te zu sein gemischt mit den Gedan­ken an zu Hau­se, die Zukunft oder die»echte Welt«.

Und im Stil­len fra­gen wir:

War­um noch­mal machen wir es dann?

Und im Stil­len fal­len wir in einen leich­ten Schlaf. Und durch den ass­ar­ti­gen Geruch von Schweiß und Stin­ke­fuß dringt noch etwas ande­res. Etwas, das es dann doch wert ist:
Der süße Duft der Frei­heit.
… Der und ein fri­scher Luft­zug.

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Antworten

  1. Avatar von Cici
    Cici

    Für wahr, für wahr.…

  2. Avatar von Marc Wiegelmann

    Sehr geil geschrie­ben 🙂 Und ja es ist ziem­lich genau SO!!!

  3. Avatar von Chris Kaiser
    Chris Kaiser

    Ich fin­de Mehr­bett­zim­mer gar nicht so schlimm. Es ist eigent­lich immer ein guter Weg Leu­te ken­nen zu ler­nen und sich über Rei­sen aus­zu­tau­schen.
    »Wo wart ihr schon, da will ich auch hin, erzähl mal«

    Aber auf Dau­er ist es echt ner­vig. Ich hab mal in Ade­lai­de 2 Wochen so ver­bracht, bis ich dann ein WG-Zim­mer gefun­den hat­te.

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