Mon­te­ne­gro – ein ver­schwin­dend klei­ner Fleck auf der Land­kar­te, irgend­wo an der Adria. Doch bekannt­lich soll­te man das Klei­ne nie unter­schät­zen. Schon gar nicht Mon­te­ne­gro, das mit Super­la­ti­ven nur so um sich schlägt: eins der kleins­ten und ältes­ten Län­der Euro­pas. Mit Kotor, einer der schöns­ten Buch­ten welt­weit und dem süd­lichs­ten Fjord. Mit Lake Ska­dar, dem größ­ten See des Bal­kans. Bio­grad­ska Gora, einem der letz­ten Urwäl­der Euro­pas. Und dem Tara-Can­yon, dem tiefs­ten Can­yon Euro­pas und angeb­lich zweit­tiefs­ten der Welt. Ich mag das Wil­de und das Schö­ne. Und wer­de um ein Haar von ihnen ent­führt.

Der schla­fen­de Gott

Nein, Mon­te­ne­gro besteht nicht nur aus ein paar Bade­or­ten an der Küs­te süd­lich von Dubrov­nik. Der größ­te Teil des Lan­des besteht vor allem aus Ber­gen – und aus fünf Natio­nal­parks. Wenn Mon­te­ne­gro das Land der Super­la­ti­ve ist, dann ist der Dur­mi­tor, über­setzt in etwa „wo Gott schläft“, der Alpha unter den Natio­nal­parks. Wenn Gott in Frank­reich lebt und in Mon­te­ne­gro schläft, dann hat er sich hoch oben im Nord­wes­ten des Lan­des tat­säch­lich ein gemüt­li­ches Plätz­chen aus­ge­sucht: umge­ben von 48 Gip­feln über 2.000 Meter – dar­un­ter der höchs­te Berg Mon­te­ne­gros, Bobo­tov Kuk, mit 2.522 Metern –, von der Tara-Schlucht, der tiefs­ten Euro­pas, und von 18 Glet­scher­seen, Berg­au­gen genannt.

Wäre ich Gott, wür­de ich mich direkt am größ­ten See nie­der­le­gen, am Crno Jeze­ro, in dem sich an kla­ren und wind­stil­len Tagen der Gip­fel des Ber­ges Međed mit­samt den umlie­gen­den Wäl­dern spie­gelt, denn Schön­heit dop­pelt zu sehen bleibt defi­ni­tiv län­ger auf der Lin­se. Und dop­pelt ist auch der Schutz, den der Dur­mi­tor-Natio­nal­park zuge­stan­den bekam: Zunächst wur­de nur der Tara-Can­yon unter Natur­schutz gestellt, und seit 1980 gehört der Park auch zum UNESCO-Welt­na­tur­er­be.

„Hier in den Natio­nal­parks von Mon­te­ne­gro ist alles noch in der Ent­wick­lung“, weiß Dr. Tho­mas Wöhr­stein, der seit vier Jah­ren in Mon­te­ne­gro als Tou­ris­mus­be­ra­ter für Schutz­ge­bie­te tätig ist. „Der Ein­tritt in den Dur­mi­tor-Natio­nal­park kos­tet gera­de mal drei Euro, denn der durch­schnitt­li­che Mon­te­ne­gri­ner ver­dient 450 Euro im Monat, und wir möch­ten noch mehr Ein­hei­mi­sche zum Her­kom­men bewe­gen.“ Auch wer im Hoch­som­mer im Dur­mi­tor-Natio­nal wan­dert, begeg­net meist stun­den­lang nie­man­dem. Wie­so, wenn er doch so schön und noch dazu güns­tig ist? Weil kaum jemand davon weiß, alles noch in der Ent­wick­lung steckt und es kei­ne gro­ßen Mar­ke­ting­kam­pa­gnen gibt, um Mas­sen­tou­ris­mus zu för­dern. Ich füh­le mich an den Koso­vo erin­nert, wo ich nie einem ande­ren aus­län­di­schen Tou­ris­ten über den Weg lief. Ein Land, das ich für Euro­pas letz­te Wild­nis hielt. Aber anschei­nend gibt es noch eine. „Da so weni­ge Leu­te kom­men, haben wir auch kein Pro­blem mit Natur­zer­stö­rung. Die Besu­cher sind erst­mal beschäf­tigt genug mit den 25 mar­kier­ten Berg­wan­der­we­gen, die es gibt, und Ero­si­ons­pro­ble­me haben wir auch nicht, denn im Karst ver­si­ckert das Was­ser schnell.“ Der Zukunft der mon­te­ne­gri­ni­schen Natio­nal­parks sieht Wöhr­stein hoff­nungs­voll ent­ge­gen. „Es bringt eh nichts, sich jetzt zu sor­gen – die Mon­te­ne­gri­ner küm­mern sich immer erst dann um ein Pro­blem, wenn es da ist.“ Wei­se Wor­te. Die ich bald in die Tat umset­zen soll, denn dort, wo ich es am wenigs­ten erwar­te, ste­he ich bald vor einem Pro­blem.

Frei­fahrt nach Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na

Wenn es Tou­ris­ten in den Dur­mi­tor-Natio­nal­park ver­schlägt, dann eher zum Raf­ting auf dem Tara-Fluss als zum Wan­dern. Eigent­lich wäre Can­yo­ning ange­sagt gewe­sen, wobei man in allen mög­li­chen For­men eine Schlucht begeht, von Fel­sen springt und sich immer wei­ter­kämpft, doch das ist wegen zu hohen Was­ser­stran­des Anfang Juni noch nicht mög­lich. Statt­des­sen ist Wild­was­ser­fah­ren an der Rei­he. Das habe ich schon­mal gemacht. 2002 in Cos­ta Rica, wobei ich als Ers­te über Bord ging und in einen Stru­del geriet, aus dem mich jemand mit einem Ruder im letz­ten Moment her­aus­fisch­te. Wil­de Flüs­se und ich, das war noch nie die gro­ße Lie­be. Eher eine unge­stü­me. Aber ich gebe dem Tara eine Chan­ce. Gui­de für die Wild­was­ser­tour ist Dani­lo von der Tou­ris­mus­be­hör­de. „Wir fah­ren heu­te den land­schaft­lich schö­ne­ren aber ruhi­gen Abschnitt“, erklärt er mit Bedau­ern. Am span­nends­ten sei der „Adre­na­lin-Teil“ zwi­schen Brš­ta­novica und Šće­pan Pol­je mit den meis­ten Strom­schnel­len – auf 18 Kilo­me­tern stößt man auf 15, 20 oder mehr soge­nann­te Buk, For­ma­tio­nen im Fluss­bett, wo die Strom­schnel­len ent­ste­hen. Das Auf­re­gen­de dabei: Ver­än­dert sich der Was­ser­spie­gel, erschei­nen plötz­lich völ­lig neue Buk, was die Fahr­ten unbe­re­chen­bar macht. Die Boo­te kön­nen dabei Geschwin­dig­kei­ten bis zu 30 Kilo­me­ter die Stun­de errei­chen.

Im Cat­su­it und mit Helm aus­ge­stat­tet geht es ins Gum­mi­boot und raus auf den rasen­den Fluss mit sei­nem kari­bisch tür­kis­far­be­nen Was­ser. Die Son­ne lacht, alle Boots­in­sas­sen auch, nur Dani­lo wünscht sich mehr Action, die Strom­schnel­len sind ihm zu lahm, dafür aber die bewach­se­nen, hohen Fels­wän­de umso atem­be­rau­ben­der.

In einer Bucht stei­gen wir aus, fol­gen dem Fluss zu einer von zahl­rei­chen Quel­len und trin­ken. Eis­kalt ist es, das Was­ser, und so klar und frisch, dass ich am liebs­ten eini­ge Fla­schen davon abfül­len und mit­neh­men wür­de. Aber ich habe kei­ne Fla­schen und auch kei­ne Zeit, der Fluss ruft uns zurück. Wenig spä­ter ver­steckt sich die Son­ne hin­ter dicken Wol­ken, ein paar Trop­fen fal­len, und auf ein­mal schim­mert der Fluss nicht mehr freund­lich klar. Dunst steigt auf, legt sich wie eine Nebel­schicht übers Was­ser, und wir fah­ren gera­de­wegs hin­ein in den Schlei­er, der uns mit sei­nen küh­len Nebel­fin­gern berührt.

Viel zu schnell ist die Tour vor­bei, doch Dani­lo ist noch nicht zufrie­den. „Ihr könnt eine Run­de im Fluss baden. Wir wer­fen uns hier ins Was­ser und las­sen uns mit den Schwimm­bes­ten bis um die Kur­ve trei­ben.“ Ich schaue auf das schäu­men­de Was­ser. Da ist nicht nur die Sache mit dem Wild­was­ser­fah­ren in Cos­ta Rica. Da ist auch noch eine Fluss­erfah­rung 2011 in Frank­reich. Als mich ein Fluss mit­riss und erst wie­der frei­gab, als ich mir schon an spit­zen Stei­nen den Bauch auf­ge­schlitzt hat­te. Aber Trau­ma­ta sind dazu da, sie zu über­win­den. Jetzt, im Tara-Fluss. Ich stür­ze mich hin­ein. Lie­ge auf dem Rücken auf dem Was­ser, die Bei­ne nach vor­ne gestreckt, und der Fluss trägt mich wie eine Ente. Das macht rich­tig Spaß. Wo soll­ten wir noch­mal raus­schwim­men? Als ich die ande­ren an Land sehe, ist es zu spät. Die­ser Moment, wo es leicht gewe­sen wäre, raus zu schwim­men, ist vor­bei. Die Strö­mung hat mich in ihren auf­ge­wühl­ten Klau­en. Next stop Bos­ni­en? Ach du Schei­ße! Ich den­ke an Frank­reich, an spit­ze Stei­ne. Zum Glück tra­ge ich noch den Cat­su­it. Und Gum­mi­lat­schen. Und Helm und Schwimm­wes­te. Ich stem­me die Füße gegen einen dicken Stein im Was­ser, klam­me­re mich an einem ande­ren fest. Irgend­wann spült Dani­lo mir nach. Ver­sucht, mich aus der Strö­mung zu zer­ren, doch mei­ne Bei­ne stre­ben wei­ter Rich­tung Bos­ni­en. Nach einer gefühl­ten Stun­de ist es geschafft. Wir ste­hen an Land. Erschöpft.

Die ande­ren star­ren mich an, die Mie­nen vol­ler Sor­ge. „Woll­test du etwa ohne Pass nach Bos­ni­en rei­sen?“, lau­tet der Scherz. Und ich habe einen guten Grund, mir schon zur Mit­tags­zeit zwei Rakia – Schnaps und für die Mon­te­ne­gri­ner Flüs­sig­nah­rung wie Bier für Deut­sche – in den Rachen zu kip­pen. Als wir wenig spä­ter auf der 150 Meter hohen und 350 Meter lan­gen Đurđe­vića-Tara-Brü­cke ste­hen und von kurz dane­ben über den Fluss zipli­nen, scheint der Schre­ckens­mo­ment schon ein fer­ner Alb­traum. Die Son­ne blitzt wie­der her­vor, die wüten­den Was­ser­mas­sen sind zu weit ent­fernt, um mir noch etwas antun zu kön­nen. Nein, mit mir und Flüs­sen, das wird wohl nichts mehr. Was mit Rakia schon ganz anders aus­sieht.

Über­ra­schungs­fahrt Dur­mi­tor-Ring

Rund um den Dur­mi­tor-Natio­nal­park führt der Dur­mi­tor-Ring, eine cir­ca 80 Kilo­me­ter lan­ge Traum­stra­ße. Die Stra­ße ist in etwa so, wie man es von einer Berg­stra­ße erwar­tet – meist steil und direkt am Abhang schwe­bend. Wer im Uhr­zei­ger­sinn fährt, kommt zunächst an Zabljak vor­bei, einem belieb­ten Urlaubs­ort der Mon­te­ne­gri­ner, über den Sed­lo-Pass und vor­bei am höchs­ten Berg Bobo­tov Kuk. Die Berg­land­schaft und rol­len­den Wie­sen erin­nern mich teils an die Alpen, doch die spit­zen und steil abfal­len­den Dächer sind anders als bei Alpen­häu­sern. Sie haben die Drei­ecks­form, damit der Schnee im Win­ter leicht run­ter­rut­schen kann, denn der Dur­mi­tor-Ring ist meist erst ab Mai schnee­frei. Außer den Drei­ecks­häus­chen gibt es nicht viel. Sie wir­ken mit ihren roten oder hel­len Dächern wie ver­kle­cker­te Far­be auf einer Land­schafts­ma­le­rei.

Manch­mal geht es vor­bei an klei­nen Höfen, wo Gemü­se­bee­te auf abge­tra­ge­nen Fel­sen ange­legt wur­den. Dann durch eins der höchst gele­ge­nen Bal­kan­dör­fer, Mala Crna Gora. Nach einem Snack mit Schin­ken, Käse und Brot und zurück auf der Stra­ße wan­delt sich die Land­schaft lang­sam, es wird kar­ger, rau­er, als wür­den dem Maler die sanf­ten Far­ben aus­ge­hen. Und dann thront er mit­ten im Karst­ge­stein genau vor uns: der Sed­lo Berg mit 2.227 Metern Höhe, über­setzt „Sat­tel“. Und wie ein Sat­tel sieht er mit sei­nen zwei Höckern auch aus. Unzäh­li­ge Scha­fe punk­ten die grü­nen Wie­sen, dann wie­der Hüt­ten aus dunk­lem Holz – soge­nann­te Katun, Schutz­hüt­ten für Schä­fer.

Im Dschun­gel

Es dau­ert nur ein paar Stun­den Fahrt und man ist von der schrof­fen Berg­welt auf ein­mal im Dschun­gel – im ältes­ten Natio­nal­park, dem Bio­grad­ska Gora wei­ter öst­lich, zwi­schen den Flüs­sen Tara und Lim. Ja, tat­säch­lich: Hier gibt es noch einen ech­ten Urwald von 1.600 Hekt­ar, teils undurch­dring­lich, mit 16 ver­schie­de­nen Wald- und über 220 Pflan­zen­ar­ten, dar­un­ter 86 Arten von Bäu­men. Eini­ge sind an die 60 Meter hoch, man­che über 400 Jah­re alt. Mit­ten im Natio­nal­park ruht der Glet­scher­see Bio­grad­sko Jeze­ro. Wie schnap­pen uns eins der zu mie­ten­den Pad­del­boo­te und rudern weit hin­aus. Im tief­grü­nen Was­ser spie­gelt sich der Urwald, und das Was­ser ist so still, dass man sich dafür ent­schul­di­gen möch­te, es mit dem Pad­del auf­zu­wüh­len. In der Fer­ne rum­melt es, doch selbst das Unwet­ter traut sich nicht so recht, die Idyl­le zu zer­stö­ren.

Zum Mit­tag­essen um 17.30 Uhr im Restau­rant Lovački Dom in Tre­bal­je­vo gibt es nach Rakia als Vor­spei­se – die­ses Mal Šljiva, einen spe­zi­el­len Trau­ben­schnaps aus dem Dorf Tre­bal­je­vo – auch die Crè­me de la Crè­me der mon­te­ne­gri­ni­schen Berg­spe­zia­li­tä­ten: Kača­mak, mon­te­ne­gri­ni­sche Polen­ta aus Mais- oder Wei­zen­mehl und einem spe­zi­el­len Käse, das lan­ge Zeit ein Essen für arme Leu­te war. Arm oder reich, nach einer Por­ti­on sind alle gleich, denn kei­ner kann sich mehr bewe­gen. Habe ich bis­her zu fast jeder Mahl­zeit ćeva­pi, Hack­fleisch­röll­chen, oder sons­ti­ge Art von eher tro­cke­nem Rind­fleisch geges­sen, gibt es nun Wild vom Feins­ten. Neben einem Nikšić­ko pivo, dem Haupt­bier Mon­te­ne­gros aus der Braue­rei im Berg­dorf Nikšić, kommt zusätz­lich Kise­lo Mli­je­ko auf den Tisch, ein köst­li­cher Jogurt­drink – na dann mal „živ­je­li!“ Prost!

Um in dem Restau­rant für 40€ mit vier rie­si­gen Por­tio­nen Kača­mak ver­sorgt zu wer­den, ruft man etwa eine Stun­de vor­her an und bestellt den Dick­ma­cher, der eini­ge Zube­rei­tungs­zeit braucht. Und wenn man nicht Mon­te­ne­gri­nisch spricht? Dani­lo lacht: „Dann rufst du mich an und ich bestel­le für dich.“ Ein Täss­chen domaća kafa, tür­ki­scher Kaf­fee, bei dem wie immer am Boden noch reich­lich Kaf­fee­satz übrig­bleibt, aus dem man lesen kann, soll die Ver­dau­ung in Schwung brin­gen. Was nur bedingt klappt, aber bes­ser wäss­ri­ger Kaf­fee als noch ein Rakia – denn wer danach an der Auto­bahn noch beim Aus­sichts­punkt über dem Mrt­vica-Can­yon anhält, soll­te bes­ser nicht schwan­ken.

Der Gro­ße

Ohne See kein Natio­nal­park, könn­te man in Mon­te­ne­gro mei­nen, und tat­säch­lich ist der Ska­dar­see nicht nur der größ­te des Bal­kans – zu zwei Drit­teln auf mon­te­ne­gri­ni­schem Staats­ge­biet, zu einem Drit­tel auf alba­ni­schem – son­dern der Ska­dar­see-Natio­nal­park auch der größ­te des Lan­des. Das Beson­de­re dar­an: Der See­grund befin­det sich teils unterm Mee­res­spie­gel. Hier ste­hen nicht Ber­ge, son­dern ganz ein­fach der See im Fokus allen Inter­es­ses, und was lässt sich dar­auf schö­ner unter­neh­men als ein Boots­aus­flug? Ab Vir­pa­zar geht es vor­bei am sump­fi­gen Ufer mit über­wie­gend brei­tem Schilf­gür­tel, aber auch mit vie­len klei­nen Buch­ten, Halb­in­seln und Land­zun­gen. Ver­schie­de­ne Vögel stel­len sich zur Schau, doch die hier unter ande­rem ansäs­si­gen Peli­ka­ne und Kor­mo­ra­ne wol­len sich nicht zei­gen.

„Am Ska­dar­see wur­de Mon­te­ne­gro gegrün­det“, erzählt Gui­de Andri von der mon­te­ne­gri­ni­schen Tou­ris­mus­be­hör­de auf dem Boot, das in Rich­tung des male­ri­schen Dor­fes Rije­ka Crno­je­vica mit Stein­brü­cke und schmu­cken Häu­sern mit roten Zie­gel­dä­chern schip­pert. „Die Fami­li­en Crno­je­vic und Petro­vic sind die bei­den Fami­li­en, die Mon­te­ne­gro um 1490 gegrün­det haben“, weiß Andri. „Die Crno­je­vic blie­ben nicht lan­ge an der Macht, wäh­rend die Petro­vic sich über 220 Jah­re hiel­ten und auch geist­li­che Ober­haup­te stell­ten.“ Auch damals habe das Land schon Crna Gora gehei­ßen – Schwar­zer Berg. Alles sei schwarz gewe­sen – die Ber­ge, Seen und sogar die Wei­ne. „Lan­ge Zeit nann­te man Rot­wein sogar schwar­zen Wein, cir­no vino. Es waren die Ita­lie­ner, die unse­rem Land den Namen Mon­te­ne­gro gaben – sie kamen von der Küs­te und sahen schwar­ze Ber­ge.“

Wem es auf dem Boot zu lang­wei­lig wird, der kann schnell mal in ein Kajak sprin­gen und selbst rudern. Oder in den war­men See und sich best­mög­lich abküh­len. Wobei man klei­ne Fische unter sich her­um­schwim­men sieht, von denen manch einer spä­ter auf dem Tel­ler lan­det – vor allem Karp­fen oder Aal, die es im See reich­lich gibt. Nach dem def­ti­gen Ber­ges­sen mit viel Fleisch und Kača­mak flutscht der Fisch wie Diät­kost die Keh­le hin­un­ter. Was für eine Wohl­tat! Und was für ein Luxus, die Viel­sei­tig­keit Mon­te­ne­gros nicht nur zu sehen, son­dern auch zu schme­cken.

Ab nach Süden     

Ein Groß­teil von Mon­te­ne­gros Küs­te ist mitt­ler­wei­le über­lau­fen. Bud­va mit sei­nem gro­ßen Unter­hal­tungs­an­ge­bot. Auch Kotor mit sei­ner Traum­bucht, hin­ter der man mit dem gebüh­ren­den Traum­blick in den umge­ben­den Ber­gen wan­dern kann, wird von unzäh­li­gen Kreuz­fahrt­schif­fen ange­lau­fen, die ihre Ladung stän­dig über das Städt­chen aus­kip­pen. Das ist in Ulcinj anders. Ganz im Süden, dort, wo Alba­ni­en schon in der Luft liegt und sich Moscheen mit Kir­chen abwech­seln. „Die Son­nen­sei­te der Welt“ prei­sen Bro­schü­ren das Städt­chen an, das bereits zwei­ein­halb­tau­send Jah­re auf dem Buckel hat – und das sich sei­nen Alters­sitz mit jeder Men­ge Son­nen­schein ver­süßt. Genau wie Kor­si­ka kann sich Ulcinj damit rüh­men, oft erobert aber nie­mals unter­wor­fen wor­den zu sein.

Was ich auch für mich behaup­ten kann, als ich mit mei­nem Miet­wa­gen von Pod­go­ri­ca nach Ulcinj brau­se. Die Ver­kehrs­re­geln vor Ort habe ich schnell raus: Im Kreis­ver­kehr gilt „der Schwächs­te bremst zuerst“, Blin­ker sind über­be­wer­tet und man hilft dem Hin­ter­mann beim Trai­ning sei­ner Refle­xe, indem man beim Abbie­gen ohne Blin­ken eine Voll­brem­sung ein­legt. Im Dorf ange­kom­men, presst man sich in die engs­te Gas­se, schürft knapp an den Sou­ve­nir­stän­den vor­bei und freut sich, wenn her­aus­kommt, dass die Stra­ße doch kei­ne Ein­bahn­stra­ße ist, son­dern auch noch Gegen­ver­kehr anrückt. Ent­lang des Ska­dar­sees pas­sie­re ich vie­le Tische, wo Frau­en Karp­fen zum Ver­kauf hoch­hal­ten, doch mir steht der Sinn nicht nach Karp­fen. Statt­des­sen hal­te ich an einem Flach­bau, der wie eine Bäcke­rei aus­sieht, und decke mich mit aller­lei Fett­ge­ba­cke­nem fürs Strand­pick­nick ein. Die etwa sieb­zig­jäh­ri­ge Ver­käu­fe­rin lacht über mei­ne paar Bro­cken Mon­te­ne­gri­nisch. Egal, jetzt brau­che ich nur noch einen küh­len Drink. Sie lacht wie­der, zeigt auf einen Kühl­schrank, der voll­ge­stopft ist mit Packun­gen von Trink­jo­gurt. „Drink Jogurt!“

Die Alt­stadt von Ulcinj thront hoch auf einem Hügel neben der Neu­stadt. Genau hier woh­ne ich. Im Haus Vil­la Mari­ne­ro der Fami­lie von Selim, sei­ner Frau und sei­ner Mut­ter Fera, deren Mut­ter­spra­che nicht mehr Mon­te­ne­gri­nisch, son­dern Alba­nisch ist. „Hier in der Alt­stadt woh­nen an die 40 Fami­li­en“, erzählt mir Selim, und dass sei­ne Vor­fah­ren schon vor 600 Jah­ren dort ansäs­sig waren. Ähn­li­ches höre ich von Rex­hep, einem Koso­va­ren, der mir zuvor den schwe­ren Kof­fer die Trep­pe hoch in die Alt­stadt geschleppt hat und unbe­dingt mit mir Fisch essen will. Er habe lan­ge Zeit im Immo­bi­li­en­busi­ness gear­bei­tet, schal­te aber mitt­ler­wei­le einen Gang zurück und habe sich ein Türm­chen in der Alt­stadt von Ulcinj gekauft und restau­riert. Wir schau­en von der Restau­rant­ter­ras­se über die hell erleuch­te­te Neu­stadt. „Fin­dest du, der Blick ist schön? Dann irrst du dich! Den aller­bes­ten Mee­res­blick habe ich!“

Was ich mir auch den­ke, als ich am nächs­ten Mor­gen split­ter­nackt am FKK-Strand von Ada Boja­na lie­ge, jener fast drei­ecki­gen Insel im Süden Mon­te­ne­gros, die für freie Kör­per bekannt ist. Dane­ben liegt schon Alba­ni­en. Ada Boja­na ist ein Natur­pa­ra­dies und nicht nur bei Nacked­ei­en beliebt, son­dern auch bei begeis­ter­ten Fisch­essern. Mit dem Meer vor der Nase und dem Fluss Boja­na neben­an ist die Aus­wahl an Mee­res­be­woh­nern auf den Tel­lern groß und frisch. Bei­de Fluss­sei­ten wer­den gesäumt von Restau­rants, deren Ter­ras­sen direkt überm Was­ser schwe­ben und mich an die Fluss­re­stau­rants am Mekong in Laos erin­nern. Auf den Spei­se­kar­ten steht Fisch ers­ter und zwei­ter Klas­se – wer wel­cher ist, ver­ste­he ich noch immer nicht. Eins gibt es in jedem Fall viel: jegul­ja – Aal. All die Häus­chen, die kei­ne Restau­rants sind, wer­den als Feri­en­häu­ser haupt­säch­lich von Ein­hei­mi­schen gemie­tet. Ich schaue auf die gemüt­li­chen Holz­hüt­ten, auf deren Ter­ras­sen Hän­ge­mat­ten in der Bri­se schau­keln und stel­le mir vor, ich wür­de dort eine Woche ver­brin­gen. Ob ich eines Tages zurück­keh­ren und genau das tun wer­de?

Spät am Abend, ich will gera­de schla­fen gehen, klopft es an die Tür mei­nes Apart­ments. Selim. „Steht dein Auto noch auf dem Park­platz unten am Was­ser? Es kommt eine Sturm­flut, alles wird über­schwemmt!“ Er fuch­telt auf­ge­regt mit den Armen. Natür­lich steht mein Auto dort, ich woll­te ihm ja einen Ers­ter-Rei­he-Mee­res­blick gön­nen. Selim bie­tet sich an, es für mich in Sicher­heit zu brin­gen. Gute Ent­schei­dung – am nächs­ten Mor­gen feh­len vie­len Autos, die am Was­ser ste­hen­ge­blie­ben sind, eini­ge Ein­zel­tei­le, die wohl gera­de auf dem Weg nach Ita­li­en sind. Dabei sind Sturm­flu­ten nicht die ein­zi­gen, die in Ulcinj Unheil anrich­ten. „1979 hat­ten wir ein schlim­mes Erd­be­ben, das einen Groß­teil der Alt­stadt zer­stör­te“, erzählt mir Selims Mut­ter Fera, wäh­rend sie das Früh­stück auf­tischt. „Wir dür­fen hier oben nur aus Stein bau­en, Beton ist tabu, und die Stei­ne von unten hoch­zu­brin­gen ist auf­wen­dig und teu­er.“ Frü­her sei­en dafür Esel benutzt wor­den. „Unser Bür­ger­meis­ter will, dass die Alt­stadt ins UNESCO-Welt­kul­tur­er­be auf­ge­nom­men wird, aber das ist schwie­rig, weil nach dem Erd­be­ben nicht alles wie­der per­fekt auf­ge­baut wur­de.“

Per­fekt auf­ge­baut oder nicht – ich füh­le mich in den klei­nen Gas­sen mit ihren Stein­häu­sern pudel­wohl. Am aller­meis­ten jedoch auf dem klei­nen Bal­kon mei­nes Apart­ments bei Selim, mit unver­bau­tem Weit­blick über die sanf­ten Wel­len der Adria, wo ich mich füh­le die die Kai­se­rin von Mon­te­ne­gro.

Der Abschied fällt schwer. Von Haris Fisch­re­stau­rant ein paar Gas­sen wei­ter schaue ich am letz­ten Abend gemein­sam mit einer Kat­ze zu, wie sich die Nacht übers Was­ser legt. Der unver­gleich­li­che Geruch nach Som­mer­meer liegt in der Luft, dar­un­ter mischt sich der Duft nach frisch gegrill­tem Fisch, den Haris Frau in der Küche zube­rei­tet – Fischen ist Auf­ga­be der Män­ner, den Fang kochen Job der Frau­en, habe ich gelernt. Der Haus­wein steigt mir zu Kopf, und mit ihm die Nost­al­gie. Manch­mal pas­siert es, dass ich mich schon zurück­seh­ne nach einem Ort, an dem ich noch bin. Doch das ist gut. Denn das pas­siert nur auf den aller­schöns­ten Rei­sen.

 

Der ers­te Teil der Rei­se (zu den Natio­nal­parks) wur­de unter­stützt von der Natio­na­len Tou­ris­mus­or­ga­ni­sa­ti­on von Mon­te­ne­gro.

Infos:

Natio­nal­parks:

http://nparkovi.me/sajt/np-durmitor/cijene

http://nparkovi.me/sajt/np-skadarsko-jezero/cijene

http://nparkovi.me/sajt/np-biogradska-gora/cijene

Akti­vi­tä­ten:

Raf­ting & Zipli­ning: http://www.explorer.co.me/

Emp­feh­lens­wer­te Unter­künf­te:

Hotel City, Pod­go­ri­ca: https://www.cityhotelmn.com/de-de

Hotel Lovac, Zabljak

Vil­la Mari­ne­ro, Ulcinj: http://villa-marinero.ulcinj.hotels-me.net/de/

 

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Antworten

  1. Avatar von Breena

    Vie­len Dank für die­sen tol­len Bei­trag, lie­be Ber­na­dette! Super inter­es­sant geschrie­ben und ich habe sofort Lust mei­nen Ruck­sack zu packen und Mon­te­ne­gro zu erkun­den. Das hört sich fast zu schön an, um wahr zu sein!

  2. Avatar von Bernadette Olderdissen

    Ich dan­ke dir für dei­nen net­ten Kom­men­tar, lie­be Bree­na. Sofort dei­nen Ruck­sack zu packen und los­zu­zie­hen ist eine super Idee, denn in Mon­te­ne­gro ist es wirk­lich so schön. Ich hof­fe, du kannst bald hin 🙂

  3. Avatar von Moritz Hofmann
    Moritz Hofmann

    Das hört sich echt super an! Weißt du zufäl­lig etwas über Fahr­rad­tou­ris­mus und Cam­ping in Mon­te­ne­gro?
    Vie­len Dank, Moritz

    1. Avatar von Bernadette Olderdissen

      Tut mir leid, Moritz, das habe ich bei­des lei­der nicht gemacht, könn­te es also im Moment auch nur goo­geln. Ich drü­cke dir die Dau­men, dass du etwas fin­dest.
      LG
      Ber­na­dette

  4. Avatar von Ljiljana Rummel
    Ljiljana Rummel

    Dan­ke fūr beson­de­re geschich­te über mein Land.Bernadette has du sehr gut beschri­ben über unse­re klei­ne Land.Danke noch mall von gan­ze ❤

  5. Avatar von Bernadette Olderdissen

    Vie­len Dank, lie­be Ljil­ja­na, dein klei­nes Land gefällt mir wirk­lich sehr gut und ver­dient es, dass mehr Leu­te davon erfah­ren 🙂

  6. Avatar von Montenegro Experte Michael

    Lie­be Ber­na­dette, ein wirk­lich schö­ner Bericht mit tol­len Fotos. Beim nächs­ten Besuch in Mon­te­ne­gro soll­test du dir auch mal Sta­ri Bar, das alte Bar anse­hen. Die Alt­stadt ist ein­zig­ar­tig und nicht ver­gleich­bar mit den im Som­mer voll­kom­men über­lau­fe­nen Alt­städ­ten von Bud­va oder Kotor. Viel­leicht kann ich dir dabei hel­fen? Bes­te Grüs­se aus Mon­te­ne­gro!

  7. Avatar von Bernadette

    Dan­ke dir, Micha­el. Ich mel­de mich ger­ne, wenn ich das nächs­te Mal Mon­te­ne­gro besu­che und dann auch mal nach Sta­ri Bar fah­re 🙂 Lie­be Grü­ße

  8. Avatar von Anna Neumann

    Mon­te­ne­gro ist wirk­lich ein Traum – schön es auf dei­nen Fotos mal bei Son­nen­schein zu sehen.
    Ich war im Okto­ber letz­ten Jah­res mit dem eige­nen Auto dort ein paar Tage unter­wegs. Lei­der bei Regen und Nebel. Irgend­wann muss ich unbe­dingt wie­der dahin fah­ren.

    1. Avatar von Bernadette

      Hal­lo Anna, ja, es lohnt sich auf jeden Fall, Mon­te­ne­gro auch mal bei Son­nen­schein zu erle­ben 🙂 Viel Glück für den nächs­ten Besuch.

  9. Avatar von Marcel Rübesam

    ohhh ist das schön wie­der über Mon­te­ne­gro zu lesen. Die Rei­se ist so lan­ge her und die Bil­der erin­nern mich wie­der an so vie­le schö­ne Momen­te. Dan­ke dafür, hab den Rei­se­be­richt mit Genuss gele­sen. Lei­der hat­ten wir kei­ne Schlauch­boot-Tour, aber vie­le ande­re Sachen stan­den auch auf unse­rem Pro­gramm. Die Men­schen sind so freund­lich und es war ein unver­gess­li­cher Urlaub. Grü­ße Mar­cel von https://meine-reisen.net/

    1. Avatar von Bernadette

      Dan­ke dir. Hof­fen wir mal, dass wir alle bald wie­der wun­der­schö­ne Orte wie Mon­te­ne­gro besu­chen kön­nen. Bis dahin wün­sche ich dir schö­ne Rei­se­träu­me und eif­ri­ges Schmie­den von Rei­se­plä­nen für nach der Kri­se 🙂

  10. […] Mon­te­ne­gro! von rei­se­de­pe­schen […]

  11. Avatar von Terrassenüberdachung
    Terrassenüberdachung

    Ich bin so dank­bar auf die­se Web­sei­te gesto­ßen zu sein. Dan­ke für die wun­der­ba­ren Ein­bli­cke.

    Grü­ße Til­da

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