Weiß auf Blau

Him­mel. Nir­gend­wo hängt so viel Him­mel über der Erde. Man muss sich nur stre­cken und kann ihn berüh­ren. Tie­fen­schär­fe, kein Hori­zont, bloß End­lo­sig­keit. Weiß auf Blau. Als hät­te ein Maler all sei­ne Son­nen­far­ben auf die Lein­wand geschüt­tet und es so belas­sen.

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Wir leben unter Noma­den. Irgend­wo im mon­go­li­schen Gras­land, ein­ge­rahmt von grü­nen Hügeln. Björn sitzt vor der Jur­te und liest ein Buch. Ein Zick­lein schaut ihm dabei zu. Ich ver­las­se das Zelt­la­ger, streu­ne umher, star­re nach oben und fol­ge den Wol­ken. Hin­aus in die Ein­sam­keit.
Wohnt man in Groß­städ­ten, so hört man stets ein lei­ses Grund­rau­schen. Autos, Stra­ßen­bah­nen, Men­schen. Es ist nie­mals laut­los. Doch da drau­ßen im Gras­land erho­len sich die Ohren. Und die Augen. Und die Nase. Man hört Stil­le, sieht Wei­te und riecht Wie­se. Manch­mal wie­hern Pfer­de oder Yaks schnau­fen. Doch ansons­ten schweigt die Welt. Das ver­wirrt mich. Und beru­higt mich zugleich.

Ich lie­ge im Gras und glot­ze. In die Gren­zen­lo­sig­keit. Der Blick knallt an kei­ne Häu­ser­wand, wickelt sich nicht an einer Later­ne auf, muss kei­ner Auto­ko­lon­ne aus­wei­chen. Der Blick fließt dahin wie die Wol­ken, bleibt nicht haf­ten. Well­ness für die Augen.

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Zwei Tage zuvor stran­de­ten Björn und ich in der Haupt­stadt Ula­an­baa­tar. Ein Moloch, der nichts mit der Step­pe gemein zu haben scheint. Abge­se­hen vom Süch­baa­tar-Platz mit der impo­san­ten Dschin­gis-Khan-Sta­tue, ist die Stadt uner­träg­lich. Schon nach­mit­tags betran­ken wir uns.
Der Name »Ula­an­baa­tar« bedeu­tet über­setzt der »Rote Held«, doch hel­den­haft wirkt hier nur das aus­ge­stell­te Dino­sau­ri­er-Ske­lett auf dem Süch­baa­tar-Platz. Ein Tar­bo­sau­rus, gefun­den in der Wüs­te Gobi und ver­wandt mit dem Tyran­no­sau­rus Rex.
Knapp die Hälf­te der Mon­go­len hat sich in der Haupt­stadt nie­der­ge­las­sen. Ins­ge­samt leben nur drei Mil­lio­nen Men­schen in dem Land, das vier­ein­halb Mal so groß ist wie die Bun­des­re­pu­blik. Damit hat allein Ber­lin mehr Ein­woh­ner als die gesam­te Mon­go­lei.

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Gras­land. Am Nach­mit­tag kocht eine Noma­din Ham­mel­fleisch und über­reicht uns dazu eine Scha­le Airag. Ver­go­re­ne Stu­ten­milch, die wie eine Mischung aus Kefir und lau­war­men Bier schmeckt. Drei Pöt­te trin­ken wir und der Him­mel leuch­tet noch ein wenig blau­er. Wir sit­zen vor unse­rer Jur­te und kichern. Das Zick­lein kichert mit.

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An das Leben in der Jur­te, dem Rund­zelt mit dem alten Eisen­ofen in der Mit­te, gewöh­nen wir uns schnell. Man­che Jur­ten prot­zen sogar mit Solar­zel­len auf dem Dach.
Mein Han­dy hat­te schon vor eini­ger Zeit den Geist auf­ge­ge­ben, doch das stört mich nicht. Auch nicht das Erd­loch hin­ter dem Hügel, in dem man sein Geschäft ver­rich­tet und die Hin­ter­las­sen­schaft dann mit einer Schau­fel voll Sand bedeckt. Wäh­rend man dort hockt, schaut man auf den Fluss und eine Yak-Her­de zieht vor­bei. Der Aus­druck »Thron« mag hier stim­men, denn könig­li­cher kann man nicht schei­ßen.

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Ich ler­ne schon in die­ser kur­zen Zeit, mit viel weni­ger Luxus aus­zu­kom­men als ich dach­te. Brau­che ich all den west­li­chen Pomp? Ist er nicht nur Bal­last? Beschwert er nicht Heim und Herz?
Für wahr­haf­ti­ge Won­ne bedarf es nicht viel. Nur Wie­se, Him­mel und viel­leicht ein Pferd. Als der Noma­den­jun­ge mit mir durch die grü­ne Wei­te galop­piert, bin ich glück­lich.
Ja, es ist Glück. Flie­gen­de Haa­re. Wind auf der Haut. Viel näher war ich der Frei­heit bis­her noch nicht gekom­men. Natür­lich ver­klä­re ich alles um mich her­um. Mein Erleb­nis hat nichts mit der Rea­li­tät zu tun. Ich habe kei­ne Ahnung vom Leben im mon­go­li­schen Gras­land. Und doch kann ich nach­voll­zie­hen, war­um die ande­re Hälf­te der Mon­go­len lie­ber mit Zelt und Vieh durch die Step­pe zieht als in sti­cki­gen Metro­po­len zu hau­sen. Auch wenn die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen sie mehr und mehr dazu zwin­gen.

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Ein paar Kin­der spie­len mit den Foh­len und hüp­fen her­um. Wie die klei­ne Tüti, obwohl sie erst drei Jah­re alt ist. Fällt sie auf die Nase, weint sie nicht, son­dern rap­pelt sich sogleich auf und rennt dem Zick­lein hin­ter­her, um an den wehr­lo­sen Zie­gen-Ohren zu zup­fen. Tüti lächelt nie. Selbst dann nicht, wenn sie zusam­men mit ihrer Schwes­ter Bon­bons von uns schnorrt. Nur als zwei Pfer­de bocken und ihr gro­ßer Bru­der sie im Arm hält, lacht sie kurz auf.

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Was wird wohl aus die­sen Kin­dern wer­den? Gehen sie auch irgend­wann nach Ula­an­baa­tar? Arbei­tet Tüti dann etwa in einer Bank? Kön­nen sie in einer Groß­stadt glück­lich sein? Stirbt die Noma­den-Kul­tur?
Wahr­schein­lich über­rollt der Tou­ris­mus eines Tages das Land. Björn und ich sind Teil des Pro­blems. Das ist mir bewusst. Oder Chi­nas Plas­tik­in­dus­trie schwappt über die Gren­zen und ver­drängt Mythen und Scha­ma­nis­mus. Für die mon­go­li­schen Tra­di­tio­nen wäre dies der Todes­stoß. Schon seit Jahr­hun­der­ten zie­hen die Noma­den­stäm­me durch die Step­pe von Wei­de­land zu Wei­de­land. Die Frau­en mel­ken alle paar Stun­den die Stu­ten und küm­mern sich um Spröss­lin­ge und Jur­ten, wäh­rend die Män­ner Wild­pfer­den nach­ja­gen und sie zurei­ten. Die Schaf­her­den müs­sen gehü­tet wer­den und die Kasch­mir­zie­gen gekämmt. Bestim­mend ist kei­ne Uhr, son­dern der Tag­lauf und die Jah­res­zeit. Trotz der har­ten Bedin­gun­gen heißt es nicht umsonst in einem mon­go­li­schen Sprich­wort: »Die Step­pe gibt die Frei­heit, die Step­pe gibt das Glück.«
Das ahne ich. Und doch ver­än­dert sich der Lebens­stil der Noma­den. Die jun­gen Leu­te suchen Arbeit in der Haupt­stadt. Noch vor ein paar Jah­ren trie­ben die Män­ner ihre Her­den mit Pfer­den zusam­men. Heu­te knat­tern Motor­rä­der. Und auch Noma­den tele­fo­nie­ren mit Smart­phones. Natür­lich.

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Abschied. Schwe­ren Her­zens rei­sen wir zurück nach Ula­an­baa­tar. Und noch vie­le Jah­re danach, als wir schon längst daheim in Düs­sel­dorf sind, umman­telt vom grau­en Einer­lei, schwär­men wir von unse­rer klei­nen Jur­te. Viel­leicht weil wir als Gäs­te gela­den waren. Noma­den auf Zeit. Ohne Ver­pflich­tun­gen. Nach wie vor unwis­send. Uns betra­fen die täg­li­chen Unweg­sam­kei­ten nicht. Wir konn­ten glot­zen und stau­nen und uns über den Him­mel mit den Zucker­wat­te­wol­ken wun­dern. Weiß auf Blau.
All dies ver­klärt sich in der Erin­ne­rung zu einem beseel­ten Eiland. Und so blei­ben jene Tage im Nir­gend­wo für uns ein Stück Frie­den. Auch wenn der mon­go­li­sche All­tag viel­leicht ganz anders aus­se­hen mag. Aber wer weiß das schon.

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Antworten

  1. Avatar von Flo135

    Wirk­lich schö­ne Auf­nah­men in einer wun­der­schö­nen Land­schaft. Inspi­rie­ren­de Erfah­run­gen :). Bes­te Grü­ße aus dem Kal­te­rer See Hotel

    1. Avatar von Nadine Pungs

      Dan­ke. 🙂
      Lie­be Grü­ße
      Nadi­ne

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