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»Allahu Akbar, Allahu Akbar…« Der Muezzin ruft zum Abendgebet, als wir uns rücklings ins 27°C warme Wasser plumpsen lassen. Eine Plastikflasche schaukelt vor meiner Nase in den Wellen, bevor ich in die Finsternis abtauche. Der Lichtstrahl meiner Unterwasserlampe fällt auf den schlammigen Boden des sanft abfallenden Hangs in etwa 5 m Tiefe. Nichts. Ein paar veralgte Bootsleinen, eine zerschlissene Sandale im Sand – mehr kann ich nicht erkennen. Keine bunten Korallen, keine Fische. Und das inmitten des Korallendreiecks vor der indonesischen Insel Ambon in der Bandasee. Na, das wird ja ein spannender Nachttauchgang! Langsam lassen wir uns bis dicht über den Untergrund sinken und suchen den Schlamm ab. Plötzlich huscht ein boxförmiger, neongelber Kuhkofferfisch mit lustigen Hörnern an der Stirn und schnabelförmiger Schnute durch mein Licht. Wie kleine Propeller wirbeln seine Brustflossen im Wasser. Kurz darauf klopft unser Tauchguide an seine Luftflasche und zeigt auf den Grund. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich ein braunes Seepferdchen, das sich mit dem Schwanz am Hals einer Flasche festklammert. Nach ein paar Minuten löst es sich ab und schwebt wie ein Geist in Zeitlupe davon. Nur einige Meter weiter glotzt uns ein Augenpaar von unten an. Den gesamten Körper des rötlichen Teufelsfischs mit gruseligem Maul bedecken Schlammpartikel, so dass sich das Tier mit seinen hochgiftigen Rückenstacheln kaum von der Umgebung abhebt – beinahe hätte ich es mit den Knien gestreift.
Nur wenige Meter weiter entdecke ich zwei farbige Punkte im einheitlichen Grau-Braun des Sandbodens: ein roter und ein gelber Anglerfisch (Painted Frogfish) in trauter Zweisamkeit aneinander gekuschelt. Die rundlichen Fische, die ein bisschen aussehen wie possierliche Quietschenten, kleben mit ihren fingerartigen Brustflossen an einem Stein. Direkt hinter dem roten Anglerfisch liegt ein zerbeulter Plastikbecher. Mein Tauchbuddy Simon kickt den lästigen Müll weg. Die Reaktion des Anglerfisches lässt mich beinahe Wasser schlucken, als ich lachend in den Atemregler pruste. Der sonst völlig bewegungslose Frogfish dreht sich erschrocken um: »Wo ist mein Haus?!«. Die anderen Taucher sind längst weiter gepaddelt, als ich noch einmal das lustige Pärchen suche. Der gelbe Anglerfisch sitzt immer noch regungslos an derselben Stelle – und der Rote drei Meter weiter wieder neben seinem Becher. Müll als Biotop für seltene Arten.
Allmählich beginne ich zu verstehen, worum es beim sogenannten »Muck Diving« geht: nicht um kunterbunte Korallen und riesige Fischschwärme im türkisblauen Ozean, wie man es von so vielen Tauchsites in Indonesien kennt. Beim Tauchen in Ambon geht es um die Entdeckung skurriler Kreaturen – sogenannter »Critters« – im Schlamm und Müll. Hier heißt es genau hinsehen und den Grund Zentimeter für Zentimeter absuchen. Als Belohnung finden wir teilweise winzige Wesen, die einer anderen Welt zu entspringen scheinen. Wir tauchen bewusst direkt vor der Fischersiedlung Laha in der Ambon Bay, an deren gesamter Küstenlinie sich der Plastikmüll sammelt. Die meisten Korallen in der Bucht sind längst zerstört – an einzelnen, übrig gebliebenen Stöcken und an versenkten Betonpfeilern tummeln sich dafür umso mehr Lebewesen.
Neben zahllosen Einsiedlerkrebsen, die über den Sand huschen und ihr Gehäuse mit lustigen Accessoires wie Blättern und Muschelteilen dekorieren, finde ich ein paar löchrige Schuhe, eine Spielzeugpistole und ausrangierte Fahrradreifen. Die Roten Diademseeigel mit ihren neonpink fluoreszierenden Streifen und leuchtend blauen Punkten wirken wie gestrandete Ufos. An einem einzelnen Korallenblock zeigt unser Tauchguide auf ein braunes Seegrasblatt. Bei genauerer Betrachtung erkennen wir einen Geisterpfeifenfisch mit bizarren, fetzenförmigen Hautauswüchsen. Regungslos schwebt er kopfüber im Wasser – mit unseren ungeübten Augen hätten wir ihn unmöglich enttarnt. Etwas später hebe ich eine einzelne Konservendose vom Sandboden auf. Aus dem Inneren blinzelt mir ein Coconut Octopus entgegen, die Krakenarme fest um den Körper geschlungen, die Saugnäpfe an der Innenseite der Dose festgeklebt.
Inzwischen sind wir über eine Stunde im Wasser und keine Minute war langweilig. Direkt über uns schaukeln große Fischkutter, auf dem Grund liegen grässliche Fischköpfe und ‑kadaver. Jetzt packt mich doch ein bisschen der Ekel. Als wir an der Oberfläche auftauchen beugen sich ein paar Fischer überrascht nach unten und winken uns lachend zu: »Selamat Malam!«. Über unseren Köpfen spannt sich eine Kuppel aus Myriaden Sternen, als der Muezzin erneut zum Gebet ruft.
Zurück im Maluku Divers Resort dreht sich beim Tischgespräch alles um die Must Sees der Tauchszene. An mehr als 60 Tauchsites in und um die Ambon Bay lässt sich so ziemlich alles entdecken, was das Taucherherz begehrt. Im direkten Umkreis des Resorts liegen rund 20 Sites wie Middle Point, Rhino City, Twilight Zone und Bubble Point. Dort entdecke ich innerhalb von wenigen Tauchgängen einige der begehrtesten Aliens der Unterwelt: einen winzigen Flamboyant Cuttlefish (Prachtsepia), den violetten Paddle Flap Rhinopias (Fransen-Drachenkopf) und mehrere der zierlichen, gestreiften und extrem giftigen Kraken Wunderpus photogenicus. Taucher aus aller Welt kommen hierher, nur um eines dieser seltsamen Wesen zu fotografieren. Die Krönung für jeden ambitionierten Taucher wäre ein Psychedelic Frogfish. Er wurde erst 2009 in Ambon entdeckt und macht mit seinem bizarren Streifenmuster seinem Namen alle Ehre. Die Beobachtung dieses bizarren Anglerfisches scheint das erklärte Lebensziel einer älteren Japanerin zu sein, die sämtlichen Mitarbeitern im Maluku Divers Resort einbläut, sie umgehend zu informieren, wenn er irgendwo gesichtet wird: »Dann springe ich sofort ins nächste Flugzeug und bin hier!«.
Die komfortablen Bungalows des Maluku Divers Resort liegen im Schatten riesiger Mangobäume direkt am Meer. Etwas nach hinten versetzt gibt es günstigere Zimmer am Rande eines Kokospalmenhains. Die beiden jungen Briten Emily und Joe Daniels führen die Taucherunterkunft in unmittelbarer Nähe des kleinen Flughafens mit viel Engagement. Anfang 2013 zogen sie an dieses Ende der Welt, nachdem sie sich vorher drei Jahre lang für den Korallen- und Walhaischutz auf den Seychellen engagierten.
Noch verirren sich wenige Individualtouristen nach Ambon, das nicht so ganz dem Klischee einer paradiesischen Insel im Pazifik entspricht. Den Kiesstrand vor dem Hotel begrenzt eine Betonmauer, nur wenige Meter jenseits des Resorts sammeln sich hunderte Plastikflaschen am Strand – angespült vom Markt in Ambon City, der mit rund 280.000 Einwohnern größten Stadt der Molukken. Müll ist in Indonesien mangels einer funktionierenden Abfallwirtschaft allgegenwärtig, doch hier scheint das Plastikproblem unlösbar. Im 19. Jahrhundert betrieben die holländischen Kolonialherren in Ambon lukrativen Handel mit Gewürznelken. Damals verdienten die Molukken ihren Ruf als die »Gewürzinseln«. Würden Seefahrer heute die Insel Ambon entdecken, würden sie sie wahrscheinlich die »Plastikinsel« taufen. Zumindest die Unterwasserwelt scheint nicht darunter zu leiden, im Gegenteil: Ausgerechnet hier findet man einige der seltensten Arten, die im und mit dem Abfall leben.
Blendet man das Müllproblem aus, lässt sich auch in Ambon ländliche Inselidylle finden. Bei einem Spaziergang durch das Fischerdorf Laha folgt mir eine schreiende Horde Kinder »Hello Mister, how are you?« Hühner, Ziegen und Katzen streifen durch die Gassen zwischen den aus Wellblech und Spanplatten zusammen gezimmerten und knallbunt gestrichenen Hütten. Ein paar Jungs spielen Gitarre unter einem Jackfruchtbaum. Im seichten Wasser am Strand paddelt ein Kind auf einer zum Floss umfunktionierten Styroporverpackung. Im Schatten eines Bambushains reihen sich verwilderte muslimische Gräber aneinander, nur wenige hundert Meter weiter beginnt der christliche Ortsteil mit »Happy Christmas«-Bemalung an den Wänden. Kaum vorstellbar, dass es in dieser friedlichen Umgebung 1999 zu blutigen Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen kam. In der schwülen Tropenhitze scheint die Zeit langsamer zu laufen, keine Spur von Hektik oder Stress. Die Menschen begegnen mir immer freundlich und lachen, wenn ich meine wenigen Sätze Bahasa Indonesia mit ihnen ausprobiere.
In etwa einer Stunde kurviger Busfahrt durch Chaosverkehr erreiche ich den weißen Sandstrand von Natsepa am nördlichen Ende der Ambon Bay. An der Straße reihen sich Stände mit frischen Fruchtsäften und der lokalen Spezialität »Rujak Natsepa« aneinander. Diese Mischung aus handgemahlenen Erdnüssen, braunem Zucker, der Tamarindpaste Asam Jawa sowie Gurken‑, Mango‑, Papaya- und Ananasstücken schmeckt überraschend lecker. Im nahe gelegenen Dorf Waai tummeln sich dicke Aale in einem glasklaren Naturbecken – die als heilig verehrten Tiere sind zahm wie Haustiere und lassen sich mit einem rohen Ei anlocken, das sie mit einem Knall knacken. Auch hier heißen mich die Dorfbewohner willkommen, wir trinken aus einer geköpften Kokosnuss und ich übe Englisch mit den Kindern. Ambon – kein Paradies, aber definitiv eine Reise wert!
Unterwasser-Bilder: Joe Daniels
Danke für die Unterstützung: Maluku Divers Resort!
Antworten
Hi,
wow, wow wow, tolle Bilder, tolle Geschichte, hab wieder richtig Lust bekommen loszutauchen!!
Ich hoffe selbst bald all dies mit eigenen Augen sehen zu können..LG, Maik
Hi,
tolle Tauchbilder, ich war selbst letzte Jahr in Sulawesi und das wäre ja nur ein kurzer Flug zu den Molukken gewesen, verdammt schade das verpasst zu haben, aber was nicht ist kann ja noch werden.Weißt du den was Joe für eine Kamera benutzt ? Die Bilder vor allem für Nachttauchgänge sind extrem gut, ich hab meistens Probleme mit dem Fokus bei zuviel Dunkelheit.
Viele Grüße
Matthias
Hallo Matthias,
Sorry, ich habe Deinen Kommentar jetzt erst gesehen! Ich war die letzten Monate im südlichen Afrika unterwegs. Joe verwendet eine Canon EOS 7D. Unterwasser-Bilder sind ziemlich kompliziert, daher habe ich bisher die Finger davon gelassen…
Viele Grüße,
Astrid
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