Mit dem Fahrrad durch Vietnam

Eine neue Tagesroutine

Vom Him­mel brennt die Son­ne auf uns nie­der, kein ein­zi­ges Plätz­chen Schat­ten ist zu ent­de­cken. Selbst der Wind, der uns sonst immer kühlt, macht gera­de eine Pau­se. Mein T‑Shirt klebt nass an mei­nem Rücken. Seit vier Tagen fah­ren wir bereits mit dem Fahr­rad durch Viet­nam, immer ent­lang der Küs­te. Jeden Tag ist es heiß. Doch manch­mal erwischt uns der nach­mit­täg­li­che Mon­sun­schau­er und schenkt uns eine Abküh­lung.

Trotz der Hit­ze macht es Spaß, mit dem Fahr­rad durch Viet­nam zu fah­ren. Die Unab­hän­gig­keit, eigen­be­stimmt die Rou­te und unse­re Stopps zu wäh­len, genau das haben wir gebraucht. Es ist befrei­end, Dank unse­rer Vor­be­rei­tun­gen jetzt mit mini­ma­lem Gepäck unter­wegs zu sein und uns um wenig küm­mern zu müs­sen. Unse­re Haupt­fra­gen des Tages sind: Haben wir genug Trink­was­ser? Was wer­den wir essen? Und: Wo wer­den wir heu­te Nacht schla­fen?

Mitt­ler­wei­le haben wir eine neue Tages­rou­ti­ne ent­wi­ckelt. Der Wecker klin­gelt um 6 Uhr. Wir ste­hen auf, zie­hen uns an und packen zusam­men. In den ers­ten zwei Tagen hat­ten wir noch etwas Brot im Gepäck. Mitt­ler­wei­le sind wir fürs Früh­stück auf die über­all erhält­li­che Phơ, Viet­nams berühm­te Nudel­sup­pe, umge­stie­gen. Wenn wir gut in der Zeit sind, begin­nen wir um 7.30 Uhr mit dem Fahr­rad­fah­ren. Wenn wir es ruhi­ger ange­hen las­sen, erst um 9 Uhr.

Gegen 11 Uhr stop­pen wir für eine zwei­te Phơ, fah­ren noch zwei Stun­den wei­ter und suchen uns einen Platz fürs Mit­tag­essen. Hier ruhen wir uns bis min­des­tens 15 Uhr aus, danach ist die größ­te Mit­tags­hit­ze vor­über. Dann geht’s zum End­spurt und wir ver­su­chen, bis spä­tes­tens 17 Uhr unser Tages­ziel zu errei­chen.

Nach­dem wir eine Unter­kunft gefun­den haben, sprin­gen wir unter die Dusche, waschen unse­re Fahr­rad­kla­mot­ten, hän­gen sie zum Trock­nen auf, gehen Abend­essen und kom­men gegen 19 Uhr zurück ins Zim­mer. Meist haben wir dann Zeit, die Erleb­nis­se des Tages auf­zu­schrei­ben, mit der Fami­lie zu chat­ten oder zu lesen. Wenn wir lan­ge durch­hal­ten, machen wir um 21 Uhr tod­mü­de das Licht aus, manch­mal aber auch schon frü­her.

Leo isst eine Pho in einem kleinen Restaurant in Vietnam.Sebastian schiebt sein Fahrrad in Vietnam über eine mit Schlamm bedeckte Straße. Sebastian schläft in einer Hängematte.

Drachenfrüchte

„Die­ses Gehu­pe, nerv­tö­tend!“ Sebas­ti­an fährt neben mir her. Dem kann ich nur zustim­men. Die Last­wa­gen auf Viet­nams Stra­ßen fas­zi­nie­ren uns von Anfang an, nie zuvor haben wir solch rie­si­ge Zug­ma­schi­nen gese­hen. Was uns aber über­haupt nicht gefällt, ist die eigent­lich net­te gemein­te Ges­te ihrer Fah­rer, genau neben uns ohren­be­täu­bend zum Gruß zu hupen. Ich erschre­cke mich dabei regel­mä­ßig zu Tode und bin im Anschluss halb taub auf dem lin­ken Ohr.

Schon kurz hin­ter Viet­nams größ­ter Stadt Ho-Chi-Minh-City ändert sich das Stra­ßen­bild. Die Last­wa­gen blei­ben auf der Haupt­stra­ße, wir bie­gen Rich­tung Küs­te ab. Muss­ten wir uns zuvor die Stra­ßen mit Last­wa­gen, Bus­sen, Autos und vie­len Motor­rol­lern tei­len, ist nun weni­ger los. Dafür sind die Stra­ßen aber auch nicht mehr in einem so guten Zustand. Doch uns ist es trotz­dem lie­ber so.

„Was ist denn das da hin­ten?“ Ich zei­ge auf kak­teen­ähn­li­che Gewäch­se. Auf einer Wie­se ste­hen etwa ein­ein­halb Meter hohe Beton­pflö­cke in ordent­li­chen Rei­hen, klei­ne Pflan­zen ran­ken sich an ihnen hoch. „Das sind doch Dra­chen­früch­te, oder nicht?“ Lei­der sind wir zu weit weg, um auf dem ein­ge­zäun­ten Gelän­de die Pflan­zen gut erken­nen zu kön­nen. Wir fah­ren wei­ter.

Doch bald schon hal­ten wir erneut, denn nun ste­hen die Pflan­zen genau neben der Stra­ße. Tat­säch­lich, so also wach­sen Dra­chen­früch­te! Ich habe sie in Deutsch­land als hübsch, aber geschmack­los ken­nen­ge­lernt. Ob sie hier bes­ser schme­cken?

Als wir eine Stun­de spä­ter in unse­ren Über­nach­tungs­ort Văn Kê ein­fah­ren, bemer­ken wir einen Dra­chen­frucht­stand am Stra­ßen­rand und hal­ten an. Von der Ver­käu­fe­rin ler­nen wir, dass die Dra­chen­früch­te von außen fast gleich aus­se­hen, dass sie innen aber wei­ßes oder vio­let­tes Frucht­fleisch haben kön­nen. »Wel­ches schmeckt bes­ser?« Sie ant­wor­tet ohne zu zögern: »Das pin­ke Frucht­fleisch!« Des­halb sind die­se Dra­chen­früch­te auch etwas teu­rer. Wir kau­fen jeweils eine und machen abends den Test. Uns schme­cken bei­de Vari­an­ten gleich gut. Wir sind vor allem ver­blüfft, dass sie über­haupt so inten­siv und fruch­tig schme­cken kön­nen.

Eine Drachenfrucht-Plantage in Vietnam.

Seafood dinner

In Văn Kê gestal­tet sich die Unter­kunfts­su­che als schwie­rig. Es ist Sams­tag und der viet­na­me­si­sche Natio­nal­fei­er­tag steht vor der Türe. Wir sind nicht die Ein­zi­gen, die an die­sen Tagen durchs Land rei­sen. Bei unse­rer ers­ten Wahl sind alle regu­lä­ren Zim­mer bereits ver­ge­ben. Im Hof drän­gen sich sechs wind­schie­fe und löch­ri­ge Iglu­zel­te. Eines ist noch frei. Da sich der Him­mel schon durch die her­an­na­hen­den Mon­sun­wol­ken ver­dun­kelt, leh­nen wir jedoch ab und schwin­gen uns wie­der auf den Sat­tel. Unse­re zwei­te Wahl ist ganz in der Nähe.

Mitt­ler­wei­le ist der Him­mel pech­schwarz. Bei der zwei­ten Unter­kunft gibt es zum Glück noch Kapa­zi­tä­ten. Uns wird ein umge­bau­ter Schiffs­con­tai­ner vor­ge­schla­gen, der auf der Längs­sei­te zum Meer hin ver­glast ist. Super, den neh­men wir! Es ist per­fek­tes Timing, denn gera­de, als wir uns für den Wohn­con­tai­ner ent­schie­den haben, beginnt es aus Kübeln zu schüt­ten und das Licht geht aus. Strom­aus­fall. Da sind wir ja gera­de recht­zei­tig ange­kom­men. Nach­dem wir unser Abend­pro­gramm – Duschen und Fahr­rad­kla­mot­ten waschen – bei schwin­den­dem Tages­licht been­det haben, mel­den sich unse­re Mägen. Abend­essens­zeit!

Wir has­ten durch den Regen unter das zen­tra­le Vor­dach und fra­gen nach einem Restau­rant. Die anwe­sen­den Per­so­nen schau­en uns rat­los an. Unse­re Unter­kunft ist aus­ser­halb des Orts gele­gen, hier gibt es kein Restau­rant und noch immer reg­net es in Strö­men. „Plea­se, sit down!“ Eine Frau deu­tet auf zwei Stüh­le am Tisch, auf dem bereits diver­se damp­fen­de Scha­len ste­hen. „We are fri­ends of the owners. Plea­se, eat with us!“

Über­ra­schend kom­men wir damit in den Genuss eines etwas ande­ren Abend­essens: Heu­te gibt es Mee­res­früch­te und das heißt: aus­schließ­lich Mee­res­früch­te! Rohe Gar­ne­len ste­hen neben Fischen, gro­ße Muscheln neben klei­nen Muscheln neben lan­gen Muscheln. Extrem tin­ti­ge Tin­ten­fi­sche gibt es auch. Was soll ich hier nur essen? Sebas­ti­an freut sich über das Ange­bot, aber ich bin nicht so die Mee­res­früch­te-Lieb­ha­be­rin. Immer­hin ent­de­cke ich gebra­te­ne Gar­ne­len und auf dem Bei­stell­tisch eine Fisch-Reis-Sup­pe. Damit wer­de auch ich satt. Die Tin­ten­fi­sche, Muscheln und Schne­cken über­las­se ich den ande­ren.

Gewitterwolken an der Küste Vietnams.Leo sitzt mit Vietnamesen am Abendessenstisch.Sebastian zeigt seine vom Tintenfisch schwarz gefärbte Zunge.

Dem Pausentag entgegen

Am nächs­ten Mor­gen klin­gelt unser Wecker um 6 Uhr. Bevor wir auf­bre­chen, sprin­gen wir heu­te erst ein­mal ins Meer. Wir haben mehr Zeit als an den vor­he­ri­gen Tagen, denn es lie­gen heu­te nur 47 Kilo­me­ter vor uns. Gar nicht so viel. Zudem haben wir einen zwei­ten Anreiz für die­se Tages­etap­pe, denn wir fah­ren nach Mui Ne und machen mor­gen einen Tag Pau­se! Die ers­te nach fünf Tagen non­stop Rad­fah­ren.

Moti­viert schwin­gen wir uns nach unse­rer Früh­stücks-Phơ in den Sat­tel. Es ist viel los auf den Stra­ßen, denn heu­te ist der viet­na­me­si­sche Natio­nal­fei­er­tag. Fünf­köp­fi­ge Fami­li­en samt Gepäck tei­len sich einen Motor­rol­ler, ande­re sind ver­gleichs­wei­se unbe­la­den mit nur zwei Per­so­nen und einer Kat­ze. Auch die darf schein­bar mit­kom­men in den Urlaub. Die Stim­mung ist gelöst, wir fah­ren an pick­ni­cken­den Fami­li­en vor­bei, win­ken, wer­den um gemein­sa­me Fotos gebe­ten und fah­ren nach einem Schwätz­chen wei­ter.

Trotz einer Tem­pe­ra­tur von 30 °C macht das Rad­fah­ren Spaß und wir kom­men gut vor­an. Bis auf ein­mal ein Anstieg vor uns erscheint. Jetzt spü­re ich wie­der die Hit­ze des Asphalts, die unbarm­her­zig mei­ne Bei­ne zum Glü­hen bringt und die Son­ne, die mir von oben auf den Rücken brennt. Waren wir bis­lang auf abso­lut fla­chen Stra­ßen unter­wegs, treibt mir jetzt eine Erhe­bung von 10 auf 85 Meter Höhe die Röte ins Gesicht und den Puls nach oben.

Als mich nach einer beschwing­ten Abfahrt der zwei­te Hügel des Tages von 5 auf 65 Meter hoch­zwingt, nähert sich mei­ne Gesichts­far­be immer mehr mei­nem pin­ken T‑Shirt an. Wir machen eine Trink­pau­se. Doch dann fah­ren wir wei­ter. Egal, wenn es jetzt noch ein­mal anstren­gend wird – wir sind auf dem Weg nach Mui Ne und das heißt: Pau­sen­tag, wir kom­men!

Leo steht mit ihrem Fahrrad auf einer Brücke in Ho-Chi-Minh-Stadt.Leo hält ein Mädchen auf dem Arm und wird von Vietnamesen fotografiert. Sebastian steht mit seinem Fahrrad am Rand einer Küstenstraße in Vietnam. Fischerboote am Strand von Vietnam.

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Antwort

  1. Avatar von A Still
    A Still

    wow, es ist doch sehr toll!

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