Meine Reise zum heiligen Berg

Seit mei­ner ers­ten Asi­en­rei­se vor über zehn Jah­ren, auf der ich, Dank eines Geträn­kes mit »loka­len« Eis­wür­feln, tat­säch­lich mal zwei Tage flach­lag, besit­ze ich einen Sau­ma­gen, wie man in der Hei­mat sagen wür­de. Kein Street­food­stand zwi­schen Kua­la Lum­pur und Man­da­lay konn­te mir in den letz­ten Jah­ren etwas anha­ben, aber am Vor­abend mei­nes ers­ten gro­ßen Treks, holt mich das Schick­sal dann doch noch ein. Aktu­ell möch­te ich die Spinat-Käse-Momo’s der letz­ten Nacht am liebs­ten ein­fach nur ver­ges­sen und kon­zen­trie­re mich Stu­fe um Stu­fe aufs Vor­an­kom­men. Die im Zenith ste­hen­de Son­ne und der Fakt, dass ich den Inhalt mei­nes Magens, der ohne­hin nur noch aus Was­ser und Gal­le besteht, alle paar Minu­ten in irgend­ei­nem nepa­le­si­schen Gebüsch ent­lee­re, machen mir dies alles ande­re als leicht. »Thik Cha, Dhai!«. Mein krampf­haft bemüh­tes Lächeln scheint Rhameshs Zwei­fel nicht aus der Welt zu schaf­fen und er deu­tet mir mit einer Hand­be­we­gung an, mich in den Schat­ten zu set­zen. “Fivem­i­nit, Bhai, fivem­i­nit«, und schon hüpft er wie eine Gazel­le den schma­len Trep­pen­steig, den wir uns seit zwei Stun­den hoch­ge­kämpft haben, wie­der hin­un­ter. Rhamesh, ein orts­an­säs­si­ger Nepa­le­se, war mir von einem guten Freund als Gui­de emp­foh­len wor­den. Wie vie­le Nepa­le­sen, in und um die Trek­king­ge­bie­te Kath­man­dus und Pokha­ras, freut der schma­le, Mit­te Drei­ßig Jäh­ri­ge Man sich über jeden Kun­den, der ihm pri­vat ver­mit­telt wird, da ein Groß­teil der zwan­zig bis drei­ßig Dol­lar, die er pro Tag ver­dient, sonst bei einer der zahl­rei­chen Ver­mitt­lungs­agen­tu­ren hän­gen­blei­ben wür­de. Über Face­book hat­ten wir uns am gest­ri­gen Mit­tag zum Lunch ver­ab­re­det und mein etwas ver­le­gen, aber gleich­zei­tig schel­misch lächeln­der Gegen­über war mir sofort sym­pa­thisch. Dass ich fit sei und mit der Höhe sicher kein Pro­blem haben wer­de, habe ich ihm in einer Mischung aus mei­nen qua­si nicht vor­han­de­nen Nepa­le­sisch-Kennt­nis­sen und simp­lem Eng­lisch noch mit auf dem Weg gege­ben. »Thik Cha, Bhai, seey­ou­to­mor­row, eigh­to­clock«. Das war ges­tern und vor mei­ner Momo-Ver­gif­tung. Nur mei­ner bescheu­er­ten Stur­heit habe ich es zu ver­dan­ken, dass ich jetzt hier kot­zend und dem Zusam­men­bruch nahe auf einem Stein sit­ze, denn Rhamesh hat­te mir bereits am Mor­gen, wohl etwas geschockt von mei­nem Anblick, davon abge­ra­ten, den Trek heu­te zu star­ten. Bevor ich genug Zeit habe, mich selbst für mei­ne Blöd­heit zu ver­flu­chen, steht die Gazel­le plötz­lich schon wie­der vor mir, in der Hand ein Pul­ver, das aus­sieht wie fei­ner Salz. »You­t­a­ke, hyd­rad­te«, und ich fol­ge sei­ner Anwei­sung. Tat­säch­lich mer­ke ich, wie der gefühl­te Wir­bel­sturm in mei­nem Bauch sich etwa fünf­zehn Minu­ten spä­ter zu legen beginnt. »Thik Cha, Bhai?«. »Thik Cha, Dhai!«, ent­geg­ne ich, nun auch selbst etwas enthu­si­as­ti­scher. »Yam, yam, let­go, Tea-House one­hour, Bhai«.

Das »Bhai-Dhai-Spiel« habe ich nach mei­ner Ankunft in Nepal, vor etwa einem Monat, recht schnell durch­schaut. »Bhai« ist der klei­ne, »Dhai« der gro­ße Bru­der und da die Nepa­le­sen wie ich glau­be, oft selbst kei­ne Ahnung haben, ob ihr Gegen­über Ganesh oder Pur­na heißt, ist es sehr ver­brei­tet. »Thik Cha« ist das Equi­va­lent zu unse­rem »Alles klar« und kann sowohl als Fra­ge, wie auch als Ant­wort ver­wen­det wer­den. Allein die­se bei­den Flos­keln kön­nen einem im Kon­takt mit Locals schon etli­che Türen öff­nen und so hat­te ich Rhamesh gebe­ten, mir im Ver­lauf unse­rer sechs­tä­gi­gen Wan­de­rung, doch bit­te etwas nepa­le­sisch bei­zu­brin­gen. Dass er freu­de­strah­lend zustimm­te, brau­che ich wohl kaum zu erwäh­nen, denn sei­ne Eng­lisch­kennt­nis­se stam­men wohl eher aus auf­ge­schnapp­ten Wor­ten von Tou­ris­ten, als von jah­re­lan­gem Unter­richt. Das Land, in dem ich mich befin­de, zählt immer­noch zu den fünf ärms­ten der Welt (außer­halb Afri­kas) und Schul­bil­dung ist hier alles ande­re als eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Wäh­rend mein Ruck­sack und ich, Stu­fe um Stu­fe, die in Stein gehaue­nen Trep­pen hin­auf­stei­gen, mer­ke ich, wie lang­sam etwas Kraft in mei­ne Bei­ne zurück­kehrt und tat­säch­lich errei­chen wir etwa eine Stun­de spä­ter das ver­hei­ße­ne Tea-House. Ab einer gewis­sen Höhe, gibt es in den Ber­gen nur noch ver­ein­zel­te die­ser Stu­ben, die als ein­fa­ches Restau­rant mit ange­schlos­se­nen Über­nach­tungs­mög­lich­kei­ten fun­gie­ren, Rhameshs Auf­ga­be ist es mich zu die­sen zu gui­den und mir einen Schlaf­platz zu ver­schaf­fen. Da wir außer­halb der Trek­king-Sai­son unter­wegs sind, soll­te dies für ihn kein all zu gro­ßes Pro­blem dar­stel­len und in dem ers­ten Tea-House sind wir zumin­dest schon­mal die ein­zi­gen Gäs­te. »Dhalbat, Bhai? Will­gi­vey­ou­power, Bhai!«, und auch wenn ich mich nicht wirk­lich nach dem Ver­zehr einer Mahl­zeit füh­le, mit dem Natio­nal­ge­richt der Nepa­lis kann man eigent­lich nie etwas falsch machen. Zu erschöpft, habe ich mich bei Ankunft ein­fach auf einen der zahl­rei­chen Plas­ik­stüh­le im Schat­ten fal­len las­sen und bemer­ke erst jetzt, dass Rhamesh mir andeu­tet, mal den Kopf zu dre­hen. Mich trifft fast der Schlag, als ich der Bewe­gung sei­ner Hand fol­ge, denn hin­ter uns erstreckt sich bereits ein Teil des Anna­pur­na-Mas­sivs, das wäh­rend des schlucht­ar­ti­gen Auf­stiegs auf cir­ca zwei­tau­send-zwei­hun­dert Meter, noch ver­bor­gen war. Noch nie habe ich sol­che Berg­for­ma­tio­nen aus solch einer Nähe gese­hen und auch wäh­rend der, aus Reis, ver­schien­de­nen Lin­sen­cur­ries, Kar­tof­feln und Gemü­se bestehen­den Mahl­zeit, schaf­fe ich es kaum, mei­ne Augen abzu­wen­den.

Zwei Masa­la-Tees mit fri­scher Büf­fel­milch spä­ter, geht es mir bereits wie­der so gut, dass ich auf Rhameshs Fra­ge: »Stay­he­r­e­for­the­night, Bhai?«, ent­geg­ne, dass wir es doch bestimmt auch zur nächs­ten Tee­stu­be, unse­rem geplan­ten Tages­ziel, schaf­fen wer­den. Und so setzt sich unse­re klei­ne Zwei-Mann-Kara­va­ne wie­der in Bewe­gung. Ziel ist das Mar­di Himal Base­camp, gele­gen auf knapp vier­tau­send-sechs­hun­dert Metern, von denen wir nun gute Vier­hun­dert unter uns zurück­ge­las­sen haben. Gestar­tet auf ein­tau­send-acht­hun­dert Metern in einem klei­nen Dorf namens Khan­de, das wir von Pokha­ra aus per Local-Bus gegen halb Zehn erreich­ten, lie­gen also noch gute zwei­tau­send-vier­hun­dert Höhen­me­ter vor uns. Der tan­nen­ar­ti­ge Wald, durch den sich unser klei­ner Pfad jetzt etwas gemäch­li­cher den Berg hin­auf­schlän­gelt, gibt hin und wie­der eine kur­ze Vor­schau, auf das was uns erwar­tet, wenn wir die Baum­gren­ze über­schrei­ten. Ich atme glas­kla­re Luft und die Tem­pe­ra­tur liegt etwa bei Zwan­zig Grad, her­vor­ra­gen­de Wan­der­be­din­gun­gen also. Manch­mal bleibt Rhamesh für eine Lek­ti­on in Pflan­zen­kun­de ste­hen, genau­ge­nom­men zeigt er nur kurz auf eine der zahl­rei­chen bun­ten und in jeg­li­chen For­men vor­kom­men­den Blu­men und Pflan­zen am Weges­rand und sagt etwas auf nepa­le­sisch, schät­zungs­wei­se den Namen des Gewäch­ses. Rie­si­ge Orchi­deen und Rho­do­den­dron, die Natio­nal­pflan­ze des Nepa­le­sen, aus der tra­di­tio­nel­le Krän­ze für Fei­er­lich­kei­ten gefloch­ten wer­den, beglei­ten unse­ren Auf­stieg. »Ram­ro Cha!«. Das ist schön.

Gegen fünf­ze­hen Uhr errei­chen wir das »For­rest Camp« und Rhamesh klopft mir aner­ken­nend auf die Schul­ter, weil er nach dem heu­ti­gen Start wohl das Schlimms­te befürch­tet hat und nun eben­falls sehr erfreut ist, dass es mir deut­lich bes­ser geht und wir gut vor­an­ge­kom­men sind. Bis jetzt sind kei­ne ande­ren Wan­de­rer im Camp und so setz­ten wir uns zu der Fami­lie, die das Tea-House betreibt und die Rhamesh wohl schon lan­ge kennt. Jeden­falls wird viel gescherzt und ich lache ein­fach mit, als wür­de ich Wit­ze und Anek­do­den aus mei­ner Kind­heit hören. Nach kur­zer Zeit packt der Ältes­te der Run­de ein Holz­brett aus, auf das ein Müh­le-ähn­li­ches Spiel­feld auf­ge­malt ist und for­dert mei­nen Gui­de zum Duell. »Bagh Chal, Bhai, Bagh Chal«, erklärt mir Rhamesh, wäh­rend er klei­ne Stei­ne und Stö­cke, die als Spiel­fi­gu­ren die­nen, vom Boden auf­liest. Vier Stö­cke kämp­fen gegen Zwan­zig Stei­ne, mehr kann ich aus dem hek­ti­schen Spiel­ver­lauf nicht schlie­ßen, das Gan­ze sieht jeden­falls nach einem span­nen­den Stra­te­gie­spiel aus und der Alte gewinnt, wor­auf­hin ihm Rhamesh eine Ziga­ret­te gibt. Komisch, bis jetzt habe ich ihn nicht rau­chen sehen, aller­dings über­kommt mich nun selbst die Lust auf einen Glimm­stän­gel und ich kra­me eine halb­vol­le Packung »Surya« (zu Deutsch: Son­ne) aus mei­nen Ruck­sack. Die ihm ange­bo­te­ne Kip­pe lehnt Rhamesh ab und so ist nur der Alte mein Part­ner in Crime. Nach und nach errei­chen ein paar ande­re Wan­de­rer das Camp, unter ande­rem eine sechs­köp­fi­ge, chi­ne­si­sche Grup­pe mit Gui­des und Sher­pas, ein Pär­chen aus Kana­da, plus Gui­de, eine Bel­gie­rin, eben­falls mit Gui­de und zwei Ame­ri­ka­ner, die allei­ne unter­wegs sind. Gemein­sam schau­en wir uns den spek­ta­ku­lä­ren Unter­gang der Son­ne, die hin­ter einem der Gip­fel des Anna­pur­na-Mas­sivs ver­sinkt, an und alle schwei­gen bedäch­tig.

Nur Sekun­den nach die­sem wun­der­vol­len Schau­spiel wird es kalt. Und zwar nicht kalt, im Sin­ne eines kur­zen Wind­zu­ges, son­dern wirk­lich kalt. Alle ren­nen sofort in die win­zi­gen Stein­hüt­ten, die als Unter­kunft die­nen und Shorts und T‑Shirt wer­den gegen lan­ge Unter­ho­se, Ther­mo­ho­se, Fleece-Long­s­lee­ve und Dau­nen­ja­cke getauscht. Vor­al­lem die Grup­pe der chi­ne­si­schen Wan­de­rer sieht aus, als wäre sie soeben einem Jack Wolfs­kin Kata­log ent­sprun­gen, neben ihren, wahr­schein­lich im vier­stel­li­gen Euro­be­reich lie­gen­den Out­fits, kom­me ich mir mit mei­ner alten Jog­ging­ho­se und den zer­schlis­se­nen Nike Free’s fast etwas fehl am Platz vor. Die Lodge, das Haupt­haus des Camps, das auch als Restau­rant dient, wird mit einem uralten Holz­ofen geheizt und da es drau­ßen mitt­ler­wei­le nur noch fünf Grad hat, sind alle Anwe­sen­den froh über die gemüt­li­che Wär­me. Neben ein einer Hand voll lan­des­ty­pi­schen Gerich­ten, ent­hält die Spei­se­kar­te auch ein paar Über­raa­schun­gen wie (Tief­kühl-) Piz­za, oder Pan­ca­kes und auch das Ange­bot an alko­ho­li­schen Geträn­ken ist erstaun­lich groß.

Nach dem Essen bestel­le ich eine Run­de des güns­ti­gen, da vor Ort pro­du­zier­ten Raskis für die Sher­pas, die im Neben­raum spei­sen und gesel­le mich zu ihnen. Der aus Hir­se und wei­te­ren Zuta­ten selbst­ge­brann­te Schnaps, ist bereits ein bewähr­tes Mit­tel um das Eis zu bre­chen. Die teil­wei­se nicht mal voll­jäh­ri­gen Män­ner, deren Auf­ga­be sich auf das Schlep­pen des Gepäcks (bis zu zwan­zig Kilo­gram) beschränkt, wir­ken erst etwas ver­stört und schüch­tern, tau­en dann aber recht schnell auf, als ich mei­ne, den Tag über erlern­ten Nepa­le­sisch-Kennt­nis­se zum Bes­ten gebe. »Khu­shi lagyo«, “glück­lich füh­len”, ist neu in mei­nem Repor­toire und spie­gelt mei­ne­nen aktu­el­len Gemüts­zu­stand sehr gut wie­der.

Nächs­ter Mor­gen, halb sechs. Geweckt von einem zag­haf­ten Klop­fen und lei­sen »Bhai«-Rufen, stre­cke ich mei­nen Kopf aus der Tür der klei­nen Hüt­te und erbli­cke Rhameshs brei­tes Grin­sen. »Surya, Bhai, Surya«, flüs­tert er und deu­tet mir an, ihm zu fol­gen. Etwa zehn Minu­ten spä­ter errei­chen wir einen klei­nen Fels­vor­sprung, noch ein­mal zehn Minu­ten spä­ter erle­be ich einen der spek­taklärs­ten Son­nen­auf­gän­ge mei­nes Lebens. Wir früh­stü­cken eine hei­ße Brü­he mit Nudeln und trin­ken Milch­tee, es wird kei­ne Zeit ver­lo­ren, denn heu­te haben wir eine grö­ße­re Etap­pe vor uns als ges­tern, wie Rhamesh mir erklärt. Ich habe fast zehn Stun­den geschla­fen, füh­le mich aus­ge­ruht und fit und als ich den Ruck­sack mit mei­nen Hab­see­lig­kei­ten auf­schnal­le, mer­ke ich, dass es mir deut­lich leich­ter fällt als am Vor­tag. Wir ver­ab­schie­den uns von den Gast­ge­bern, las­sen ein paar hun­dert Rupies für Kost und Logie da und schon fol­gen wir wie­der einem der zahl­rei­chen klei­nen Pfa­de, die uns näher an den Machapucha­re, den hei­li­gen Berg brin­gen.

In den nächs­ten drei Tagen wie­der­holt sich die­ses Spiel. Mein Gui­de, der immer mehr zu einem »Sathi«, einem Freund wird, weckt mich früh, nach dem Son­nen­auf­gang lau­fen wir los und kom­men meist am frü­hen Nach­mit­tag im nächs­ten Camp an. Der »Mar­di Himal-Trek« ist noch rela­tiv neu unter sei­nen gro­ßen Geschwis­tern, wie dem »Anna­pur­na Base­camp«, oder »Poon Hill« und da wir uns außer­halb der Haupt­sais­si­on befin­den, tref­fen wir tags­über, abge­se­hen von ein paar Yak-Hütern, auf kei­ne Men­schen­see­le. Wenn Rhamesh mir nicht gera­de neu­es Voka­bu­lar bei­bringt, oder Flo­ra und Fau­na erklärt, höre ich nepa­le­si­sche Klas­si­ker, die ich mir in einer Spo­ti­fy-Play­list zusam­men­ge­stellt habe, oder genie­ße ein­fach den Fluß mei­ner Gedan­ken. Wenn die ein­zi­gen bei­den Bedürf­nis­se ein Schlaf­platz und Nah­rung sind, bleibt viel Frei­raum für ande­res im Kopf, wie ich fest­ge­stellt habe. Ich füh­le mich aus­ge­gli­chen, den­ke über Din­ge nach, die mein Unter­be­wußt­sein lan­ge aus­ge­scho­ben hat und ertap­pe mich oft mit einem Dau­er­grin­sen auf den Lip­pen. Die Vege­ta­ti­on um uns ver­än­dert sich stünd­lich und spä­tes­tens als wir die Baum­gren­ze über­schrit­ten haben, lässt sich die Schön­heit der vor uns lie­gen­den Berg­land­schaft eigent­lich nicht mehr in Wor­te fas­sen. Die Aben­de in der Lodge sind aus­ge­las­sen und der Raski hilft gegen die Eises­käl­te bei Nacht. Durch mei­ne Gesprä­che mit Rhamesh und die Aben­de mit den ande­ren Gui­des und Sher­pas ver­bes­sert sich mein nepa­le­sisch ste­tig. Wenn wohl auch nicht gram­ma­ti­ka­lisch kor­rekt, kann ich mitt­ler­wei­le vie­le Gefühls­zu­stän­de zwi­schen hung­rig (»bhok lagyo«) und betrun­ken (»rak­si lagyo«) aus­drü­cken, sowie mit hei­mi­schen Weis­hei­ten a la »rato mato, chip­lo bato« (Eine rote Stra­ße ist immer rut­schig), für Geläch­ter sor­gen. Pfan­zen­kun­de und Geschich­te ste­hen täg­lich auf dem Plan, unter ande­rem erfah­re ich, dass der Gip­fel des Machapucha­re bis heu­te noch nie bestie­gen wur­de, da auf sei­ner Spit­ze Shi­va, einer der gro­ßen hin­du­is­ti­schen Gott­hei­ten sitzt und die Nepa­le­sen beob­ach­tet. Angeb­lich raucht er dabei viel Haschisch, wie mir Rhamesh erklärt. Bis jetzt haben mir weder Käl­te noch Höhe groß­ar­ti­ge Pro­ble­me berei­tet und ich genie­ße mein Trek­king-Aben­teu­er in vol­len Zügen.

Am Nach­mit­tag des fünf­ten Tages errei­chen wir, wie­der mal lan­ge vor den ande­ren Grup­pen, das “High Camp”, auf etwa drei­tau­send-sechs­hun­dert Metern. Die strah­len­de Son­ne fühlt sich zum Grei­fen nah an und ich bau­me­le in einer Hän­ge­mat­te mit Pan­ora­ma­blick, als Rhameshs Grin­sen vor mir auf­taucht. »Yous­mo­ke, Bhai?«. Da er mich bereits die ein, oder ande­re Ziga­ret­te rau­chen hat sehen, ver­wun­dert mich die­se Fra­ge zuerst, sein schel­mi­scher Gesichts­aus­druck lässt mich dann aber recht schnell erah­nen, wor­auf er hin­aus will. Noch etwas über­rascht, fol­ge ich ihm zu sei­nen Kol­le­gen, die es sich hin­ter dem Haus in der Son­ne auf Plas­tik­stüh­len gemüt­lich gemacht haben. Nach­dem alle Bhais und Dhais begrüßt wor­den sind, bekom­me ich unver­mit­telt einen Tisch­ten­nis­ball-gro­ßen Klum­pen Haschisch in die Hand gedrückt und wer­de auf­ge­for­dert, eine Tüte zu rol­len. Wie bereits vor­her beob­ach­tet, ent­lee­ren die Nepa­le­sen meist ein­fach den Tabak einer Ziga­ret­te, mischen ihn mit fein­ge­brö­sel­tem Haschisch und fül­len die Mischung dann wie­der vor­sich­tig in die lee­re Hül­se. Da ich nicht zum ers­ten Mal vor einer sol­chen Auf­ga­be ste­he und mir augen­blick­lich ein­fällt, dass ich noch eine Packung Long­pa­pers in mei­nem Ruck­sack habe, deu­te ich mei­nen Brü­dern an, kurz zu war­ten. Mit gro­ßen Augen und sicht­lich beein­druckt, sehen mir etwa zehn nepa­le­si­sche Augen­paa­re dabei zu, wie ich einen Joint dre­he, nach Voll­endung mei­nes Wer­kes wird begeis­tert applau­diert. Spä­tes­tens ab die­sem Moment sind die letz­ten klei­nen Eis­schol­len gebro­chen, es wird noch aus­ge­las­se­ner gelacht als sonst, was höchst­wahr­schein­lich auch mit dem Kon­sum des star­ken, nepa­le­si­schen Haschischs zu tun hat.

Da heu­te der letz­te gemein­sa­me Abend vor Errei­chen des Base Camps und des dar­auf­hin fol­gen­den Abstiegs ist, wird jetzt gefei­ert, erklärt mir Ayush, ein älte­rer Dhai. Wie auf Knopf­druck packt er eine klei­ne Uku­le­le aus, einer der Jungs taucht nur Sekun­den spä­ter mit einer tra­di­tio­nel­len Holz­flö­te auf und schon ist die Par­ty in vol­lem Gan­ge. Es bil­det sich ein Kreis aus klat­schen­den Män­nern und natür­lich wer­de ich auf­ge­for­dert in der Mit­te zu tan­zen. Ich ver­su­che unge­fähr alles, was ich in diver­sen Bol­ly­wood-Fil­men auf­ge­schnappt habe in einem Tanz zu ver­ei­nen und ern­te dafür reich­lich Geläch­ter und Schul­ter­klop­fen. Ange­lockt von dem Spek­ta­kel, gesel­len sich auch die ande­ren Wan­ders­leut zu uns und wir begin­nen uns gemein­sam zu den frem­den Klän­gen zu bewe­gen. Meh­re­re Tän­ze und Raks­is spä­ter, wer­de ich dann auch noch laut­stark dazu auf­ge­for­dert, einen »Ger­man Song« dar­zu­bie­ten und zwi­schen »Alle mei­ne Ent­chen« und »Atem­los«, fällt mei­ne Wahl auf ein Lied, an das ich schon lan­ge nicht mehr gedacht habe, das mir gleich­zei­tig aber mehr als pas­send erscheint. »Die Gedan­ken sind frei, wer kann sie erra­ten«, beglei­tet vom rhyt­mi­schen Klat­schen nepa­le­si­cher, bel­gi­scher, chi­ne­si­scher, kana­di­scher und ame­ri­ka­ni­scher Hän­de.

Obwohl Rhamesh mich vor­ge­warnt hat­te, dass wir früh los müs­sen, da das Vor­an­kom­men auf einer Höhe von über vier­tau­send Metern deut­lich anstren­gen­der sein wird, fühlt sich sein mor­gen­tli­ches Klop­fen dies­mal nicht zart, son­dern eher wie ein Vor­schlag­ham­mer an. Schlag­ar­tig wird mir bewusst, dass ich am gest­ri­gen Abend, lan­ge nach­dem mei­ne Wan­der­kum­pa­nen schon in ihren Stein­hüt­ten ver­schwun­den waren, noch mit einer hand­voll Sher­pas, einer krei­sen­den Fla­sche Raski und diver­sen Haschisch­zi­ga­ret­ten um das tückisch wär­men­de Feu­er saß. Jeden­falls geht es mir selbst nach dem Milch­tee und einem Pan­ca­ke mit Honig, nicht wirk­lich gut, trotz­dem bre­chen wir noch in der Dun­kel­heit, bewaff­net mit Taschen­lam­pen auf, um (auf mei­nen Wunsch hin) die Ers­ten am Base Camp zu sein. Mir ist eis­kalt, doch unter mei­nem Wind­brea­k­er und der Fleece­ja­cke läuft mir der Schweiß in Strö­men am Kör­per hin­un­ter. Da ich mir etwas blöd vor­kom­me, Rhameshs Rat nicht befolgt zu haben, ver­su­che ich mir davon aller­dings mög­lichst wenig anmer­ken zu las­sen und kämp­fe mich tap­fer hin­ter mei­nem Gui­de über immer stei­ler wer­den­de Fels­pfa­de den Berg hin­auf. Zwi­schen High- und Base Camp lie­gen noch fast tau­send Höhen­me­ter, die es zu über­win­den gilt. Wie­der ein­mal ver­flu­che ich mich für mei­ne Blöd­heit und mei­nen Leicht­sinn, denn wie Rhamesh pro­phe­zeit hat, wird die Luft von Meter zu Meter spür­bar dün­ner und das ruhi­ge Atmen fällt mir immer schwe­rer. Meh­re­re Male muss ich mich set­zen, ver­nei­ne die Fra­ge, ob wir nicht lie­ber umkeh­ren sol­len, aber jedes Mal. Die Son­ne steht bereits fast im Zenith, als Rhamesh mein, dem Zusam­men­bruch nahes Ich, ein letz­tes Mal moti­viert: »Yam, yam, Bhai, base­camp­very­ne­ar«. Und tat­säch­lich, nur weni­ge hun­dert Meter vor uns, las­sen sich die im Wind tan­zen­den Pray­er­flags, für Nepal typi­sche bun­te Gebets­fah­nen, erah­nen. Ich mobi­li­sie­re die letz­ten Kraft­re­ser­ven in mei­nen bren­nen­den Bei­nen und Schritt für Schritt nähern wir uns dem höchs­ten Punkt unse­rer Wan­de­rung, auf fast vier­tau­send-sechs­hun­dert Metern. »Mar­di Himal Base Camp«. Die bun­te Schrift auf dem Holz­brett, spie­gelt sich dezent im knö­chel­ho­hen Schnee. Nach­dem ich Rhamesh in die Arme gefal­len bin und wir ein obli­ga­to­ri­sches Sel­fie zusam­men gemacht haben, las­se ich mich erschöpft, aber über­glück­lich auf einer klei­nen Holz­bank nie­der. Der hei­li­ge Berg liegt gefühlt nur weni­ge hun­dert Meter ent­fernt und ich stel­le mir vor, wie Shi­va von oben auf mich her­un­ter­sieht und mit einem ver­schmitz­ten Lächeln lei­se sagt: “Thik Cha, Bhai”.

Kushi lagyo

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Antworten

  1. Avatar von Salina
    Salina

    Sehr cool, wür­de ger­ne mehr Geschich­ten vom Autor lesen

  2. Avatar von Andi
    Andi

    Schön geschrie­ben

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