Eini­ge haben schon mal das Syd­ney Ope­ra House gese­hen, aber noch nicht auf des­sen Büh­ne gestan­den. Vie­le knip­sen die Har­bour Bridge, die meis­ten klet­tern aber nicht drauf. Etli­che träu­men von einer Nacht im Park Hyatt mit Hafen­blick, aber für die meis­ten bleibt es ein Traum. Vie­le haben von Syd­neys Rot­licht­vier­tel gehört, ahnen aber nichts von Mord und Tot­schlag dort. Ich will mehr wis­sen und erle­ben, schaue mir Syd­ney mal von unten und oben, von hin­ten und vor­ne an.

Syd­ney von unten

„Never let the truth get in the way of a good sto­ry“, lau­tet Kath­ryn Bend­alls Mot­to – die Wahr­heit soll­te einer guten Geschich­te nie­mals im Wege ste­hen. Und recht hat sie, vor allem, wenn es um den berüch­tig­ten Stadt­teil Kings Cross geht. Kath­ryn Bend­all, eigent­lich Rent­ne­rin, wirkt mit ihrem pep­pi­gen Kurz­haar­schnitt und dem lip­pen­stift­ro­ten Lächeln so schräg wie der Stadt­teil, durch den sie Besu­cher für Urban Adven­tures führt. „Im Grun­de ist Syd­ney die Stadt der Kri­mi­nel­len“, klärt Kath­ryn jeden auf, der noch nie die Nase ins aus­tra­li­sche Geschichts­buch gesteckt hat – 1788 grün­de­ten die Bri­ten näm­lich eine Sträf­lings­ko­lo­nie im heu­ti­gen Syd­ney.

Die Son­ne ist längst unter­ge­gan­gen, wir ste­hen an der Kreu­zung von Dar­ling­hurst Road und Vic­to­ria Street. Ein paar Autos fah­ren, ver­ein­zel­te Leu­te eilen vor­bei. Die Häu­ser der Neben­stra­ßen sind von der Sor­te, die man in einen Vor­ort pflanzt und mit dem Ver­spre­chen auf ewi­ges Fami­li­en­glück ver­tickt. Dabei ste­hen wir mit­ten im Rot­licht­vier­tel. Oder zumin­dest boom­te dort lan­ge das Geschäft mit der ‚schöns­ten Neben­sa­che der Welt‘. Heu­te brin­gen nur noch die Glüh­bir­nen hin­ter den in Pink und Rot blin­ken­den Frau­en­fi­gu­ren Höchst­leis­tung, manch ros­ti­ge Schnör­kel­schrift lässt kaum noch die Buch­sta­ben ‚Strip­club‘ aus­ma­chen. „Nach den Lock­out Laws 2014 haben vie­le Clubs und Bars geschlos­sen, es kom­men 80 Pro­zent weni­ger Leu­te“, erklärt Kath­ryn, wie­so auch an einem Frei­tag­abend Fried­hofs­stim­mung herrscht. Das Aus­sper­rungs­ge­setz besagt, dass nach 1.30 Uhr nie­mand mehr in eine Bar, wo Alko­hol ver­kauft wird, rein­darf. Alko­hol wird nur bis drei Uhr aus­ge­schenkt, in Geschäf­ten darf er schon ab 22 Uhr nicht mehr über den Tre­sen gehen. War­um? „2012 und 2013 gab es Todes­fäl­le – zwei jun­ge Män­ner wur­den in Kings Cross getö­tet. Natür­lich vor 22 Uhr!“ Kath­ryn glaubt bei dem Gesetz nicht an den Schutz ihrer Mit­bür­ger. Sie glaubt, dass der Grund­stücks­ver­kauf mal wie­der in Schwung gebracht wer­den soll.

So lamm­fromm Kings Cross heu­te wirkt, so heiß war es vor gar nicht lan­ger Zeit. „Wie ent­steht Kri­mi­na­li­tät? Wenn man jeman­dem sagt, er kön­ne etwas nicht haben“, weiß Kath­ryn. „Schon seit den 1840ern ist die aus­tra­li­sche Mari­ne in Kings Cross ange­sie­delt, des­we­gen ent­wi­ckel­te sich das Rot­licht­mi­lieu.“ Bis 1979 sei Pro­sti­tu­ti­on in der Pro­vinz New South Wales jedoch ille­gal gewe­sen. „Einer, der alles, was nicht erlaubt war, her­vor­ra­gend beherrsch­te, war Abe Saf­fron.“ Bis dato habe ich nicht von dem Mann gehört, der Down under als ‚Mr. Sin‘ oder ‚Mr. Big of Aus­tra­li­an crime‘ gehan­delt wird. Dabei soll­te Saf­fron, der ab den 40ern etwa 40 Bars, Clubs und Sex Shops kauf­te, eigent­lich in einem Zug mit dem Syd­ney Opern­haus und der Har­bour Bridge genannt wer­den. „Er war ein Char­meur, der sogar Poli­ti­ker und Gou­ver­neu­re in sei­ne Clubs ein­lud, damit sie ihre sexu­el­len Fan­ta­sien aus­leb­ten. Natür­lich wuss­ten sie nichts von den zwei­sei­ti­gen Spie­geln.“ Kath­ryn lacht.

„In den 70ern woll­te Saf­fron in der Vic­to­ria Street ein Bau­pro­jekt star­ten, Apart­ment-Hoch­häu­ser. Hun­der­te von Men­schen wur­den inner­halb eines Monats ille­gal aus ihren Häu­sern gewor­fen.“ Wir blei­ben vor Vic­to­ria Street 202 ste­hen, wo eine Tafel im Boden an Jua­ni­ta Niel­sen erin­nert. „Jua­ni­ta arbei­te­te für eine Zei­tung und rebel­lier­te gegen die­se Maß­nah­men. Man nimmt an, dass sie die Sze­nen foto­gra­fier­te und dar­auf auch Poli­zis­ten zu sehen waren, die taten­los zusa­hen. Alle von Abe gekauft.“ Bis Jua­ni­ta im Juli 1975 plötz­lich ver­schwand. „Es ist die längs­te Ermitt­lung unse­rer Geschich­te, ihre Lei­che wur­de bis heu­te nicht gefun­den.“ Aber Kath­ryn hat eine Theo­rie: „Da hin­ten ste­hen die scheuß­li­chen Hoch­häu­ser, die gebaut wur­den, mei­ne Toch­ter wohnt auch dar­in. Ich sage ihr immer, sie hat bestimmt Jua­ni­ta Niel­sens Lei­che im Kel­ler.“ Jedoch habe man Abe nie nach­wei­sen kön­nen, dass er in das Ver­schwin­den ver­wi­ckelt gewe­sen sei.

Schräg gegen­über outet sich ein lila ange­leuch­te­tes Haus als ‚The Gol­den Apple‘, einst das berühm­tes­te Freu­den­haus von Kings Cross. Wäh­rend dort auch heu­te noch Kör­per zu Geld gemacht wer­den, schla­fen im ehe­ma­li­gen Venus Room, Abes exklu­sivs­tem Club, nur noch Back­pa­cker. Selbst vom Dro­gens­lum, der Kings Cross in den 1960ern gewe­sen sein soll, ist nichts mehr zu sehen. „In den 1960ern kamen vie­le ame­ri­ka­ni­sche Sol­da­ten aus dem Viet­nam­krieg her, und sie brach­ten Dro­gen mit, Hero­in. Abe mach­te ein Rie­sen­ge­schäft dar­aus, bald waren die Stra­ßen über­sät mit Nadeln und Abhän­gi­gen, zum Teil noch Kin­der.“ Erst dank des metho­dis­ti­schen Pfar­rers Ted Noffs, der eine Stif­tung und Kir­che zur Hil­fe der Dro­gen­süch­ti­gen grün­de­te, sei wie­der etwas Ord­nung ein­ge­kehrt. „Die Kir­che hat­te kein Kru­zi­fix, dafür aber ein Herz mit der Inschrift ‚Love over hate‘“, berich­tet Kath­ryn. Und heu­te? Ist das Dro­gen­pro­blem gelöst? Kath­ryn bleibt vor einem Gebäu­de in der Nähe der Kings Cross U‑Bahn-Sta­ti­on mit einer mit­tig undurch­sich­ti­gen Schei­be ste­hen. „Das ist ein Fixer­raum, wo Süch­ti­ge unter Auf­sicht von Pfle­ge­per­so­nal und Ärz­ten fixen dür­fen. Man darf eine gewis­se Men­ge Dro­gen mit sich rum­tra­gen und hier sprit­zen.“ Und was sagen die Anwoh­ner zu den Fixer-Nach­barn? „Die sind froh, dass es nun kei­ne Pro­ble­me mehr auf der Stra­ße gibt!“

Kath­ryn lädt noch auf ein Bier ein. Ins Puff. Bes­ser gesagt ins ehe­ma­lig größ­te Bor­dell von New South Wales, das Neva­da. Heu­te heißt es World Bar und ist eine ganz manier­li­che Knei­pe mit schö­ner Ter­ras­se. In einer die­ser Stra­ßen mit den gemüt­li­chen Vor­stadt­häus­chen. Alles so unspek­ta­ku­lär wie der Tod des Gehil­fen vom gro­ßen Gangs­ter Abe, der laut Kath­ryn an der Vogel­grip­pe starb, nach­dem ihn ein Papa­gei gebis­sen hat­te. Ob das wahr ist? Die Fra­ge bleibt offen, aber eine gute Sto­ry ist es alle­mal.

Syd­ney von oben

Nach mei­nem Aus­flug in die Unter­welt wird es Zeit, mir die City mal bei Hel­lem und von oben anzu­se­hen. Nach­dem mich ein Aus­flug auf 251 Meter Höhe zur Aus­sichts­platt­form des Syd­ney Tower gar nicht über­zeugt hat (zu vie­le Wol­ken­krat­zer spie­len Pho­to­bom­bing vor Hafen und Opern­haus), muss etwas Bes­se­res her. Und wo ist der Blick dra­ma­ti­scher als von der welt­be­rühm­ten, 1932 eröff­ne­ten Syd­ney Har­bour Brü­cke? Der umfang­reichs­ten – wenn auch nicht längs­ten – Stahl­bo­gen­brü­cke der Welt. Dem Sym­bol Aus­tra­li­ens. Auf das man tat­säch­lich rauf­kra­xeln kann.

Bridge Climb nennt sich das Unter­fan­gen, die 134 Brü­cken­me­ter über Syd­neys Hafen zu erklim­men. Klet­tern darf man seit 1998, seit­dem haben es über 3,5 Mil­lio­nen Men­schen pro­biert und sogar 26 Pär­chen oben gehei­ra­tet. Nicht etwa nur VIPs, jeder darf mit von der Par­tie sein, solan­ge er älter als acht ist, gesund und fit genug, das Stahl­un­ge­tüm zu erobern. Zuge­ge­ben, ganz bil­lig ist der Spaß von etwa 300 AUD nicht, aber was soll’s – schließ­lich macht man nicht jeden Tag den „Climb of a life­time“, wie er sich nennt. Ich ste­he vor der Qual der Wahl zwi­schen dem etwa drei­ein­halb­stün­di­gen vol­len Climb und dem Express Climb von nur zwei Stun­den und 15 Minu­ten. Aus Zeit­man­gel wird es der Express – die bes­te Ent­schei­dung, wie ich bald erfah­re. Doch bevor es los­geht, wird die Grup­pe genau­er geprüft als ein alter PKW beim TÜV.

Jeder füllt einen Bogen mit per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen aus, dar­un­ter Not­kon­tak­te, dann wird in ein Röhr­chen gebla­sen. Wer mehr als null Pro­mil­le auf­weist, fliegt raus. Die Gewis­sen­haf­tig­keit und Genau­ig­keit, mit der jeder für den Bridge Climb ver­packt und vor­be­rei­tet wird, erin­nert an deut­sche Steu­er­fahn­der. Jeder Hand­griff sitzt und die Rei­hen­fol­ge, in der wir die nicht gera­de figur­schmei­cheln­den Anzü­ge über­strei­fen, Sicher­heits­gur­te anle­gen, Stoff­ta­schen­tuch am Arm und Son­nen­bril­le sowie Base­ball­müt­ze am Hals befes­tigt bekom­men, ist streng vor­ge­ge­ben. Nichts, was nicht fest am Kör­per sitzt, darf mit auf die Brü­cke. Nicht mal ein Papier­ta­schen­tuch, von Schmuck, Han­dy und Foto­ap­pa­rat ganz zu schwei­gen. Fotos, die der Gui­de schießt, darf man spä­ter kau­fen.

End­lich geht es los. Als Ers­tes wird jeder für die nächs­ten Stun­den mit der Brü­cke ver­eint – der Haken am Hüft­gurt ver­bin­det sich mit einem Spe­zi­al­seil am Brü­cken­rand und kann fort­an dar­an ent­lang gezo­gen wer­den. Hier stirbt auch der letz­te Traum von einem spek­ta­ku­lä­ren Selbst­mord, wie man sie bei­spiels­wei­se am Grand Can­yon nach­le­sen kann (dort soll sich jemand beim Hub­schrau­ber­rund­flug aus der Kabi­ne gestürzt haben!). Da man gut zwei Stun­den den­sel­ben Hin­tern vor sich sehen wird, sucht man sicher bes­ser einen attrak­ti­ven aus.

Im Gegen­satz zum län­ge­ren Climb führt der Express quer durch die Brü­cke, über Lauf­ste­ge aus Stahl, an denen jedes Eck­chen und jede Kan­te, an der man sich sto­ßen könn­te, wat­tiert sind. Beu­len am Kopf und gekratz­te Ellen­bo­gen Fehl­an­zei­ge, alles ist mit abso­lu­ter Per­fek­ti­on durch­dacht und vor­be­rei­tet. Wir klet­tern lang­sam vom inne­ren Bogen auf den äuße­ren, durch Stahl­tü­ren, die hin­ter uns schwer ins Schloss fal­len und nur vom Gui­de geöff­net wer­den kön­nen. Die Git­ter am Boden las­sen den Oze­an in knapp 100 Meter Tie­fe durch­blit­zen, rechts strahlt das Opern­haus in der Son­ne. Und dann flit­zen genau unter uns Autos über die acht­spu­ri­ge Brü­cken­au­to­bahn. Ein Gefühl wie in einem sur­rea­len 3D-Strei­fen. Mit Höhen­angst wür­de ich das Spiel nicht mit­ma­chen, und für schwa­che Ner­ven ist wahr­schein­lich selbst das Draht­seil, mit dem wir an die Brü­cke geket­tet sind, nicht stark genug. Nur die Arbei­ter, dank derer wir nun auf der Brü­cke her­um­spa­zie­ren, die muss­ten für ein Pfund pro Tag über die Plan­ken balan­cie­ren. Da grenzt es an ein Wun­der, dass wäh­rend der Kon­struk­ti­on nur 16 Män­ner ihr Leben gelas­sen haben, davon ledig­lich zwei durch einen Sturz von der Brü­cke.

End­lich ist es soweit. Nicht der ‚Stair­way to hea­ven‘, dafür aber die Trep­pe zum Brü­cken­gip­fel öff­net sich. Aus den Tie­fen des Stahl­mons­ters tre­ten wir ins Licht und ste­hen unter ihr – der rie­si­gen, aus­tra­li­schen Flag­ge, die den höchs­ten Brü­cken­punkt mar­kiert. Das Opern­haus und die Wol­ken­krat­zer der Neu­stadt sind plötz­lich nicht mehr impo­sant, son­dern ver­streut umher­lie­gen­des Spiel­zeug. Das Glück weht mir so bestän­dig um die Nase wie die Bri­se, wäh­rend einer nach dem ande­ren die Arme in die Luft wer­fen und ein kur­zes Video für die Lie­ben daheim auf­spre­chen darf.

So oft habe ich die­se Brü­cke gese­hen, zu Hau­se auf dem Bild­schirm, meis­tens, wenn über ihr eins der ers­ten gro­ßen Sil­ves­ter­feu­er­wer­ke der Welt in die Luft ging. Jetzt ste­he ich nicht vor, son­dern auf ihr. Ich weiß nicht, ob dies wirk­lich mein ‚Climb of a life­time‘ sein wird. Aber ich sor­tie­re das Erleb­nis sorg­fäl­tig ein in die Schatz­kis­te all derer, die ich mit dem gro­ßen Gefühl von Frei­heit und Dank­bar­keit, dabei gewe­sen zu sein, ein­ord­ne.

Syd­ney von hin­ten

Wie­der eins die­ser Wahr­zei­chen, das Wahr­zei­chen von Syd­ney, wie­der ein berühm­tes Gebäu­de, das angeb­lich vier Mil­li­ar­den Men­schen auf Anhieb erken­nen wür­den. UNESCO-Welt­erbe seit 2007. Das Syd­ney Opern­haus. So extra­va­gant auf­fäl­lig wie ein Nack­ter in der U‑Bahn, nur (all­ge­mein gespro­chen) form­voll­ende­ter. In fünf Sälen wird dem teu­er zah­len­den Publi­kum täg­lich all das prä­sen­tiert, was bis zur Per­fek­ti­on gepaukt wur­de, alles, was Ohren und Augen die Mise­re der Welt kurz ver­ges­sen lässt. Das, was Otto Nor­mal­tou­rist vom Syd­ney Opern­haus zu sehen bekommt, erin­nert mich an eine per­fekt geschmink­te und gestyl­te Frau, die mor­gens in Kos­tüm­chen und Heels aus dem Haus trip­pelt. Doch ich möch­te die Frau sehen, die mit zer­zaus­tem Haar, zer­knit­ter­tem Gesicht, fri­schen Pickeln und ver­krus­te­ten Kajal­res­ten am Lid auf­wacht. Also mache ich bei einer Opern­haus-Back­stage­tour mit.

Ich kann mir kei­nen bes­se­ren Gui­de vor­stel­len als den bär­ti­gen Alex, der den Besu­chern gleich mal die Hoff­nung raubt, auch hin­ter der Büh­ne Glanz und Glo­ria vor­zu­fin­den. Es geht durch eine Hal­le mit grau­em Fuß­bo­den, Gabel­stap­lern und vie­len Kis­ten, die ans Lager­haus beim Bau­markt erin­nert. Nein, das hier hat Köni­gin Eliza­beth II. bestimmt nicht gese­hen, als sie das Opern­haus 1973 ein­weih­te. Auch nicht den Mega-Auf­zug, der das schwe­re Büh­nen­ma­te­ri­al für die Stü­cke aus drei Stock­wer­ken Tie­fe nach oben zerrt. Oder die gigan­ti­schen, her­um­lie­gen­den Eier, aus denen im aktu­el­len Stück ‚Mur­phy‘ Tän­zer her­vor­sprin­gen. „Für jedes Stück brin­gen die Dar­stel­ler ihr eige­nes Mate­ri­al mit, das wir hier für sie auf­be­wah­ren“, erklärt Alex. Und er hat recht, so rich­tig sexy sieht es dort nir­gends aus. Eher noch wüs­ter als in mei­ner Abstell­kam­mer daheim.

Im Gegen­satz zu die­ser gibt es im Opern­haus aber 12 Fall­tü­ren, man­che groß genug, damit selbst ein Sarg durch­fal­len kann, zum Bei­spiel für Don Gio­van­ni. Auch der Orches­ter­gra­ben ist auf­fäl­lig unspek­ta­ku­lär. Auf engs­tem Raum hocken hier bis zu 75 Musi­ker auf­ein­an­der. So heiß und sti­ckig wie bei unse­rer Tour soll es laut Alex nor­ma­ler­wei­se nicht sein, doch die Kli­ma­an­la­ge muss peni­bel genau regu­liert wer­den, damit die Instru­men­te nicht zu kalt wer­den. Der Hin­tern des Diri­gen­ten ist kei­nen Meter von der ers­ten Zuschau­er­rei­he ent­fernt und über den Orches­ter­gra­ben ist ein Netz gespannt. „Es gab mal einen Zwi­schen­fall mit ein paar Hüh­nern wäh­rend einer rus­si­schen Oper“, gesteht Alex. Sie sei­en ein­fach ins Orches­ter geflo­gen. Damit auch die Musi­ker in der letz­ten Rei­he noch einen Blick auf den Diri­gen­ten wer­fen kön­nen, gibt es Moni­to­re zwi­schen den Noten­stän­dern.

Die ‚Diri­gen­ten­suite‘ sieht aus wie das Zim­mer in einem Bud­get­ho­tel, nur der Flü­gel in der rech­ten Ecke bringt ein wenig Glanz in die Bude. „Ins­ge­samt haben wir hier 29 Kla­vie­re, die nach Bedarf umge­stellt wer­den.“ Dabei könn­ten die ‚Gäs­te‘ im Opern­haus vor­ab Bescheid geben, was sie bräuch­ten. „Ein Diri­gent bestand dar­auf, M&Ms zu bekom­men, aber kei­ne brau­nen!“ Das sei eine Stra­te­gie gewe­sen, um die Auf­merk­sam­keit fürs Detail des Per­so­nals zu schu­len.

In einem wei­te­ren Gang rei­hen sich Anklei­de­ka­bi­nen anein­an­der – wobei der jewei­li­ge Star der Vor­stel­lung am nächs­ten an der Büh­ne ist. Die Räu­me sind wenig grö­ßer als Don Gio­van­nis Sarg, und Alex holt uns noch wei­ter run­ter auf den Boden der Rea­li­tät: „Hier ste­hen die dann in Unter­wä­sche oder nackig und war­ten, dass ihnen jemand das pas­sen­de Kos­tüm über­streift.“ Das brau­chen wir nicht, um an die­sem Mor­gen auf die Büh­ne zu tre­ten. Da bin ich in Shorts, Socken und einer gel­ben Sicher­heits­wes­te und will es nicht so rich­tig glau­ben: Ich ste­he tat­säch­lich auf einer der berühm­tes­ten Büh­nen der Welt. Vor mir der Zuschau­er­raum mit 2.688 lee­ren Sit­zen, über mir hängt das fle­xi­bel anpass­ba­re Dach. Wahn­sinn!

Alex erklärt unter­des­sen, wie die Farb­schein­wer­fer funk­tio­nie­ren, hält uns ein Buch mit mög­li­chen Fil­ter­far­ben unter die Nase, die von Hand aus­ge­wählt und ein­ge­setzt wer­den. „Wir haben hier über 600 Kabel­ki­lo­me­ter, an denen mehr als 6000 Lich­ter hän­gen!“ Das wür­de wahr­schein­lich für die Strom­ver­sor­gung einer Klein­stadt rei­chen. Im Hin­ter­raum ste­hen Kis­ten des Syd­ney Sym­pho­ny Orches­ters, dann führt uns Alex kurz in wei­te­re der fünf Thea­ter, dar­un­ter das Dra­ma Theat­re und das mit 364 Sit­zen kleins­te Stu­dio Theat­re. Wer im Opern­haus spie­len möch­te, kann einen Saal mie­ten, was neben unzäh­li­gen Künst­lern wie Pava­rot­ti auch Arnold Schwar­zen­eg­ger 1980 tat, um sei­nen Mr. Olym­pia Titel zu emp­fan­gen. An die 2.500 Ver­an­stal­tun­gen sol­len pro Jahr in allen Thea­tern des Opern­hau­ses statt­fin­den und rund vier Mil­lio­nen Besu­cher anzie­hen. Kein Wun­der, dass bei so gro­ßem Publi­kum vie­le Schau­spie­le­rin­nen erst­mal die höl­zer­ne Wand hin­ter der Büh­ne küs­sen, was angeb­lich Glück bringt. „Das hier ist von Lisa Minel­li“, behaup­tet Alex und wirft einem Lip­pen­paar einen Luft­kuss zu.

Ja, ganz kurz habe ich sie bei die­sem Blick hin­ter die Kulis­sen erspäht, die Unge­schmink­te, die sich mor­gens aus dem Kis­sen schält. Und ich mag sie. Ver­ste­he nun die Müh­sal und das stän­di­ge Bestre­ben hin­ter der Per­fek­ti­on, die das Syd­ney Opern­haus auf den ers­ten Blick aus­strahlt. Aber wirk­lich nur auf den ers­ten Blick.

Syd­ney von vor­ne

Das Bes­te kommt zum Schluss. Sagt man. Ich weiß nicht, ob es das Bes­te ist, aber toll ist es schon. Nor­ma­ler­wei­se sind die Hotels, in denen ich über­nach­te so holz­klas­sig wie mei­ne Flü­ge. Aber ein­mal im Leben eine Nacht im Park Hyatt Syd­ney ver­brin­gen, einer der exklu­sivs­ten Adres­sen der Stadt, behü­tet zwi­schen Opern­haus und Har­bour Bridge gele­gen, das muss jetzt mal sein. Gut, nicht gleich die Ope­ra Suite für 20.000 AUD die Nacht, eige­ner But­ler inklu­si­ve, wo auch schon Elton John ins Kis­sen sang. Und auch kei­ne Suite für 12.000 AUD. Über­haupt kei­ne Suite, denn selbst ein King Room mit Hafen­blick ist unter den 155 Zim­mern mehr, als ich mir an edlem Über­nach­ten jemals vor­ge­stellt habe. Alles ist japa­nisch ange­haucht, von den Kunst­ob­jek­ten bis zu den Schie­be­tü­ren, die man zwi­schen Bett und offe­ne, glä­ser­ne Dusche zie­hen kann. Und sogar die aus­ge­klü­gel­te Toi­let­te mit inte­grier­tem Bidet und stets gewärm­tem Sitz beschwört die schöns­ten Japa­n­erin­ne­run­gen her­auf.

Wer sich am Zim­mer satt­ge­se­hen hat, fährt hoch zum Roof­top-Pool, wo man nicht ein­fach nur schwimmt oder in der Son­ne brät. Viel­mehr bleibt man erst mal mit offe­nem Mund ste­hen, denn die Har­bour Bridge schräg dar­über scheint so nahe, dass man sie mit den Fin­ger­spit­zen berüh­ren möch­te. Eigent­lich mag ich kei­ne gechlor­ten Pools, aber unter der Syd­ney Har­bour Bridge baden ist natür­lich etwas ganz ande­res.

Für 17 Uhr sind ‚Amen­i­ties‘ ange­kün­digt, Höf­lich­kei­ten, bei denen ich mir nicht rich­tig vor­stel­len kann, was das sein soll. Bis ich nach mei­ner Rück­kehr vom Pool eine Fla­sche gekühl­ten Cham­pa­gners und dazu köst­li­che Käse­stück­chen und Knä­cke­brot vor­fin­de. Der Moment ist gekom­men, frisch geduscht im dicken wei­ßen Bade­man­tel mit Cham­pa­gner und Käse auf dem Bal­kon mit glä­ser­ner Brüs­tung zu sit­zen. Soeben holt ein Kreuz­fahrt­schiff die Lei­nen rein, macht sich bereit für die Fahrt raus auf den Oze­an. Ein letz­tes Tuten aus vol­lem Horn zum Abschied. Die Har­bour Bridge liegt in mei­nem Rücken, das Opern­haus blitzt um die Ecke auf und ich sehe die Hafen-Sky­line vor mir wie auf einem rie­si­gen TV-Bild­schirm. Und selbst mit noch cham­pa­gne­r­un­ge­trüb­tem Blick weiß ich es – ich mag es, die­ses Syd­ney, das noch Tau­sen­de von wei­te­ren Sei­ten ver­birgt.

Tipp zum Schluss:

Das Park Hyatt wür­de doch das Rei­se­bud­get spren­gen? Kein Pro­blem! Als wun­der­ba­re und sehr viel güns­ti­ge­re Alter­na­ti­ve emp­feh­le ich das YHA Syd­ney Har­bour, das neben Dorms auch geräu­mi­ge Ein­zel- und Dop­pel­zim­mer bie­tet. Das Bes­te aber: Das YHA befin­det sich über archäo­lo­gi­schen Aus­gra­bun­gen, die noch dem kolo­nia­len Syd­ney ent­stam­men und teils am Ein­gang zu sehen sind. Und natür­lich die gro­ße Dach­ter­ras­se, die einen der bes­ten Bli­cke auf den Son­nen­auf­gang direkt hin­term Opern­haus gibt. Da lohnt sich frü­hes Auf­ste­hen!

Die Rei­se nach Aus­tra­li­en wur­de freund­li­cher­wei­se unter­stützt von Tou­rism Aus­tra­lia.

Fotos 17, 22, 25, 26, 27, 28 und 29 wur­den von Bridge Climb Syd­ney zur Ver­fü­gung gestellt, Foto 48 von Park Hyatt Syd­ney.

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