Mehr Work statt Travel

»Mila­ne­sa« heißt Schnit­zel. Ja, das mögen die Mit­tel­eu­ro­pä­er. Nach Argen­ti­ni­en fah­ren, das Glei­che essen wie zu Hau­se auch und von einer Deut­schen bedient wer­den.

Es gibt Momen­te wäh­rend einer lan­gen Rei­se, an denen es nicht mehr wei­ter­geht. Weder vor noch zurück – Still­stand. Und ja, Ruhe. Men­do­za ist so ein Ort. Ich stei­ge aus dem Bus und weiß: Hier muss ich blei­ben.

Es ist neun Uhr Mor­gens und die Pro­vinz­haupt­stadt am argen­ti­ni­schen Fuß der Zen­tral-Anden glüht vor Hit­ze. Und doch ist alles selt­sam grün und saf­tig. Knat­tern­de Sprink­ler­an­la­gen benet­zen die Pal­men und Far­ne in den qua­dra­ti­schen Parks. Der fei­ne Nebel kommt kaum auf den Blät­tern an, schon ver­duns­tet er an der flir­ren­den Luft. Es riecht nach Staub und frisch geba­cke­nem Brot. Die Men­schen sind geschäf­tig, doch gestresst ist nie­mand. Kei­ne Hek­tik wie im 1.200 Kilo­me­ter ent­fern­ten Bue­nos Aires. Ein biss­chen lang­sa­mer. Maña­na, maña­na.

Maña­na muss ich Arbeit fin­den. Denn nicht die hüb­sche Stadt­ar­chi­tek­tur und der gute Wein hal­ten mich in Men­do­za. Ich habe kei­ne Koh­le mehr. Tage­lang lau­fe ich mir buch­stäb­lich die Hacken ab, ver­tei­le mei­nen Lebens­lauf an allen Hos­tels, Pen­sio­nen und Restau­rants der Innen­stadt. An Tag vier machen mei­ne Füße nicht mehr mit. Ich sacke auf einen Klapp­stuhl vor »El Faro« zusam­men. Über mir Hei­ne­ken-Son­nen­schir­me, unter mir platt­ge­tre­te­ne Ziga­ret­ten­stum­mel. Sie, Mit­te drei­ßig, schwar­ze Kell­ner-Uni­form:
»Möch­test Du was trin­ken?«
»Nein, aber ich möch­te hier arbei­ten.«
»Na, dann komm mal mit.«

Kell­nern macht Spaß. Man muss es sich nur oft genug sagen. Gera­de wenn vie­le Tou­ris­ten in Men­do­za unter­wegs sind, wer­de ich als mul­ti­l­in­gua­les Zug­pferd­chen aus dem Stall gelas­sen. “Mila­ne­sa” heißt Schnit­zel. Ja, das mögen die Mit­tel­eu­ro­pä­er. Nach Argen­ti­ni­en fah­ren, das Glei­che essen wie zu Hau­se und dann von einer Deut­schen bedient wer­den.

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Alle­samt hal­ten sich brav an die Rei­se­tipps im Lonely-Pla­net und glau­ben, es sei nor­mal, zehn Pro­zent Trink­geld zu geben. Da kom­men bei einer 700-Peso-Rech­nung 70 Peso Trink­geld rum – umge­rech­net etwa 14 Euro. Ganz recht, man­che Men­schen ver­sau­fen an einem Abend fast das Dop­pel­te mei­ner Monats­mie­te. Argen­ti­ni­er sind geschei­ter und run­den ein­fach zwei Peso auf. Das ist zwar ein schä­bi­ges Trink­geld für mich, aber wer soll’s ihnen ver­den­ken.

Wir arbei­ten auf Kom­mis­si­on. Das heißt, wenn nie­mand an mei­nen Tischen sitzt, mach ich kei­nen Umsatz und ver­die­ne in Neun-Stun­den-Schicht geschätzt … gar nichts. Die Kell­ner-Kon­kur­renz schläft nicht und des­halb: nie­mals ein­fach nur rum­ste­hen, son­dern immer lächeln und im Sekun­den­takt Pas­san­ten zum Kon­su­mie­ren über­re­den: „Para tomar algo?! Hay pro­mo de mila napo con fri­tas!“

Als Aus­län­de­rin, der man das auch anhört, habe ich einen »Och, die ist ja nicht von hier«-Bonus. Dann machen die Men­do­zi­nos gering­fü­gig mehr Trink­geld locker. Solang ich aber mei­nen Mund hal­te und ein­fach rum­ste­he, fal­le ich nicht als Fremd­kör­per auf. Ich bin so gut getarnt, dass chi­le­ni­sche Tou­ris­ten Fotos von mir machen und sich über die »ech­te« argen­ti­ni­sche Kell­ne­rin auf dem Bild freu­en. Dafür bekom­me ich aller­dings kein Geld.

Kell­nern am ande­ren Ende der Welt ist toll. Wirk­lich. Inklu­si­ve der Kaker­la­ken, die im über­hitz­ten Restau­rant-Kel­ler über das rohe Rind­fleisch ren­nen. Auch die geplatz­ten Bier­fla­schen, die am Vor­abend in der Kühl­tru­he ver­ges­sen wur­den. Und ja, sogar der all­nächt­li­che Anschiss, wie schlecht die Trup­pe gear­bei­tet hat und dass man viel mehr Umsatz hät­te machen sol­len. Der Mensch braucht Ritua­le. Das alles gibt mei­nem Tag Struk­tur.

Nach der Schicht lau­fe ich bar­fuß zu mei­ner Blei­be durch die üppig begrün­ten Alleen Men­do­zas. Der Asphalt ist noch warm. Jen­ny, mei­ne Kol­le­gin, beglei­tet mich ein Stück. „Weißt Du, Du machst einen guten Job. Aber dass du die deut­sche Fami­lie heu­te an dei­nen Tisch gelockt hast, war nicht gut. Mei­ne bei­den Töch­ter in Kolum­bi­en war­ten auf Geld.“

Ich spü­re, wie all die Hit­ze des Tags in einem Rausch in mei­nen Magen schießt. Ich schä­me mich. Für mich ist „El Faro“ nur eine Epi­so­de. Für ande­re ist es das Leben.

(Für die wirk­lich schlech­ten Fotos muss ich mich ent­schul­di­gen. Mei­ne Kame­ra ist gestor­ben und für schma­les Bud­get bekommt man in Men­do­za lei­der nur etwas, das anders­wo Clowns nut­zen, um Pas­san­ten mit Was­ser zu besprit­zen.)

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Antwort

  1. Avatar von Gesa

    Groß­ar­tig geschrie­ben! Da macht es rein gar nicht, dass die Fotos etwas unscharf sind. Im Gegen­teil – macht die Geschich­te irgend­wie sogar noch authen­ti­scher!

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