Mal kurz auf den Mond

Vor mir erstreckt sich die­se ziem­lich ver­rück­te Land­schaft und mit­ten­drin ver­sucht ein win­zi­ger Vogel, gegen den Wind anzu­flie­gen. Er flat­tert und flat­tert und kommt doch kei­nen Mil­li­me­ter vor­an. Als sei­ne Kräf­te schwin­den, gibt er auf und lässt sich anders­wo­hin wehen. Ich freue mich über die­se klei­ne Vor­stel­lung, aller­dings nicht lan­ge. Denn als ich den Blick wie­der aufs Auto rich­te, muss ich fest­stel­len, dass wir einen unse­rer Vor­der­rei­fen an die Wüs­te ver­lo­ren haben. Naja, nicht ganz. Er ist noch da, aber eben so platt, wie ein Rei­fen nur sein kann. Das Timing ist sub­op­ti­mal, denn bald wird hier, in der Bar­denas Rea­les, die Son­ne unter­ge­hen.

Bar­dena Blan­ca – da sol­len wir hin

Der Hotel­ma­na­ger sagt uns, dass kaum Deut­sche oder Eng­län­der hier­her kom­men. Dafür sei­en die Fran­zo­sen ganz ver­rückt nach der Bar­denas Rea­les. Es scheint, als wür­de er es gut fin­den, dass wir uns auch dafür begeis­tern kön­nen. Des­halb gibt er sich alle Mühe, uns auf unse­ren Aus­flug dort­hin vor­zu­be­rei­ten.

Ein leuch­tend blau­er Text­mar­ker in sei­ner Hand fährt die Gren­ze der Bar­denas Rea­les auf einer Land­kar­te ab. Mit beherz­ten Stri­chen teilt er sie groß­zü­gig in drei Tei­le und klärt uns über die­se Haupt­zo­nen der Halb­wüs­te auf. Zunächst wäre da ein Hoch­pla­teau, El Pla­no genannt, und dann noch die Pla­na de la Negra. Ihr Name kommt daher, dass die Gegend frucht­ba­rer und rei­cher an Vege­ta­ti­on ist und dadurch dunk­ler erscheint. Aller­dings sol­len wir die bei­den links und rechts lie­gen las­sen. Denn der span­nen­de Teil ist die Bar­dena Blan­ca, die zen­tra­le und wüs­ten­ar­ti­ge Ebe­ne. Er erklärt uns noch, wie wir am bes­ten hin­kom­men, wünscht uns viel Ver­gnü­gen und schickt uns dann in die Wüs­te.

Ziem­lich bizarr

Hier ange­kom­men, habe ich das Gefühl, plötz­lich in einem ande­ren Land zu sein. Viel­leicht sogar auf einem ande­ren Pla­ne­ten. In Ara­gon sah die Welt vor ein paar Stun­den noch ziem­lich nor­mal aus. So, wie man das eben kennt. Da war Herbst und die Bäu­me waren bunt. Über­haupt gab es Bäu­me. Hier ist es, wie ich es mir auf dem Mond vor­stel­le. Eine Land­schaft, ähn­lich einer Step­pe. Tro­cken, stau­big und zer­furcht.

Natür­lich gibt es auch Vege­ta­ti­on. Aller­dings ist die­se nicht beson­ders üppig. Den­noch trot­zen hier und da sogar ein paar win­zi­ge Blü­ten der Tro­cken­heit. Wir neh­men auch sie wahr, nur sind wir vor allem wegen den teils bizar­ren Berg­for­men und Pla­teaus der Bar­dena Blan­ca gekom­men. Durch Ero­si­on sind sie aus Sand- und Kalk­stein ent­stan­den. Auch aus Lehm, den es hier zuhauf gibt. Die Far­be Ocker domi­niert. Aber trotz die­ser farb­li­chen Ein­tö­nig­keit wird dem Auge viel gebo­ten.

Über Schot­ter­pis­ten fah­ren wir den Ber­gen ent­ge­gen. Auf der knapp 26 Kilo­me­ter lan­gen Stre­cke, wür­de ich am liebs­ten alle hun­dert Meter anhal­ten und noch hun­dert Fotos schie­ßen. Von die­ser unge­wöhn­li­chen Land­schaft, die schon mehr­fach Kulis­se für Film­pro­duk­tio­nen war. Auch für die Serie Game of Thro­nes wur­de hier gedreht.

Fast men­schen­leer ist es in der Bar­denas Rea­les. Ein Fahr­rad­fah­rer kommt uns auf der Stra­ße ent­ge­gen. Ein paar weni­ge Autos über­ho­len uns. Über den Tou­ris­ten­bus aus Por­tu­gal, der eini­ge Erkun­dungs­wü­ti­ge aus­spuckt, schaue ich galant hin­weg. Das ver­läuft sich hier in die­sem fast 420 Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ßen Natur­park. Erst ein­mal.

Fakt ist, dass gera­de jetzt, wo wir unter Umstän­den auf die Hil­fe ande­rer Men­schen ange­wie­sen sein könn­ten, kein Schwein in der Nähe ist. Etwas rat­los ste­hen wir da und schau­en auf das Auto. Dann machen wir uns ans Werk und räu­men den Kof­fer­raum leer. Nicht mit der Gewiss­heit, aber in der Hoff­nung, dass wir dort alles fin­den wer­den, um die Sache mit dem Rei­fen wie­der in Ord­nung zu brin­gen. Gern, bevor es dun­kel wird.

Wo sich Son­ne und Mond gute Nacht sagen

Inzwi­schen türmt sich unser gan­zes Gepäck im Halb­wüs­ten­sand. Der Ersatz­rei­fen ist da und mit Luft gefüllt. Auch den Wagen­he­ber kön­nen wir ans Licht beför­dern. Der Mann macht sich an die Arbeit und führt einen erbit­ter­ten Kampf gegen wider­spens­ti­ge Rad­mut­tern. Er gewinnt und wir kön­nen wei­ter. Bes­ter Mann!

Und dann tref­fen wir sie wie­der, die gan­zen Leu­te. Die aus dem por­tu­gie­si­schen Bus und noch ande­re. Zum Son­nen­un­ter­gang tum­meln sie sich vor dem Wahr­zei­chen der Bar­denas Rea­les, der Fels­for­ma­ti­on „Castil de Tier­ra“. Sie machen Sel­fies, als wür­de die Son­ne nie wie­der auf- und auch nie wie­der unter­ge­hen. Dass die­ses all­täg­li­che Manö­ver des Him­mels­kör­pers aber auch stän­dig so vie­le Men­schen anlo­cken muss. Und dass die­se allein durch ihre Anwe­sen­heit so ner­vig sein kön­nen. Glück­li­cher­wei­se ist es wie immer: Son­ne weg, Men­schen weg.

Plötz­lich frischt der Wind auf und es wird deut­lich küh­ler. Ruhe zieht ein und wir haben das alles wie­der für uns. Sit­zen im Auto und schau­en über die­se wei­te Land­schaft, die in zart­ro­sa Licht getaucht so fried­lich vor uns liegt. Beob­ach­ten klei­ne Vogel­schwär­me, die am Abend­him­mel ihre Cho­reo­gra­fien absol­vie­ren. So viel Schön­heit, so viel Stil­le.

Auf dem Weg zurück hal­ten wir ein letz­tes Mal an einem Aus­sichts­punkt. Und wäh­rend wir uns von der Bar­denas Rea­les ver­ab­schie­den, beginnt am Hori­zont ein klei­nes Leuch­ten, das lang­sam grö­ßer und grö­ßer wird. Der Mond geht auf und wir haben ihn fast für uns allein. Schau­en ihm noch ein paar Minu­ten dabei zu, wie er an den Him­mel klet­tert, wäh­rend uns die Mücken fres­sen. Dann sagen auch wir gute Nacht.

Die Bar­denas Rea­les

Die Bar­denas Rea­les ist eine Halb­wüs­te, die sich in der auto­no­men Gemein­schaft Navar­ra im Nor­den Spa­ni­ens befin­det. Vor knapp 20 Jah­ren wur­de sie in gro­ßen Tei­len zum geschütz­ten Natur­park erklärt und im Jahr 2000 von der UNESCO außer­dem zum Bio­sphä­ren­re­ser­vat ernannt. Ihre Flä­che beträgt ca. 420 Qua­drat­ki­lo­me­ter.

Wo

Zwi­schen den Orten Oli­te und Tude­la, an der Stra­ße NA 134, befin­det sich bei Argued­as der Haupt­zu­gang zur Bar­dena Blan­ca. Die Zufahrt ist aus­ge­schil­dert. Eine Land­kar­te und Infos kann man ggf. im Hotel oder im Infor­ma­ti­ons­zen­trum „Cen­tro de Infor­mación de Bar­denas Rea­les“ bekom­men, das sich direkt an der Ein­fahrt zum Natur­park befin­det.

Wie

Mit Hil­fe der Kar­te und den Mar­kie­run­gen vor Ort, kann man das zen­tra­le Gebiet umrun­den. Die Län­ge der Stre­cke beträgt ca. 26 Kilo­me­ter. Da es sich um ein Natur­schutz­ge­biet han­delt, dür­fen nur aus­ge­wie­se­ne Rou­ten mit dem Auto befah­ren wer­den. Die Stre­cke vom Infor­ma­ti­ons­zen­trum bis zu einer dort ansäs­si­gen Mili­tär­sta­ti­on ist asphal­tiert. Danach geht es auf Schot­ter­pis­ten wei­ter. Zusätz­lich zu den Rou­ten für PKW gibt es wei­te­re, die nur mit dem Fahr­rad oder zu Fuß erkun­det wer­den kön­nen. Der Ein­tritt ist kos­ten­los.

Wann

Theo­re­tisch kann man von 8 Uhr mor­gens bis eine Stun­de vor Ein­bruch der Dun­kel­heit auf das Gelän­de. Prak­tisch hält einen ganz offen­bar aber auch kei­ner davon ab, noch dem Mond beim Auf­ge­hen zuzu­schau­en.

Über­nach­ten

Die Bar­denas Rea­les befin­det sich nord­öst­lich der Stadt Tude­la, die sich des­halb zum Über­nach­ten anbie­tet.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Joanna Krupa

    Die schöns­ten Orte erfor­dern tat­säch­lich (fast) immer eini­ge Opfer (plat­ter Rei­fen, Mücken). Und wow, ich hab zwar schon 1 Jahr in Spa­ni­en gelebt, wuss­te aber nicht, dass es dort solch eine wun­der­schö­ne Mond­land­schaft gibt. Dan­ke­schön für den Tipp. Ich selbst war 2015 in der Ata­ca­ma Wüs­te in Chi­le, wo auch eine ganz tol­le Mond­land­schaft zu fin­den ist. Könnt ihr ger­ne mal Goog­len (Bil­der). Heißt »Val­le de la Luna«. Super schön!

  2. Avatar von istanbul gezilecek yerler

    Wirk­lich groß­ar­tig. Ich möch­te da sein. Vie­len Dank.

  3. Avatar von Paul Mehnert

    Tol­ler Bericht und vor allem klas­se Fotos. Das sieht ja wirk­lich wie eine Mond­land­schaft aus. Ziem­lich unwirk­lich, aber den­noch fas­zi­nie­rend.
    Vie­len Dank für die Ein­bli­cke.
    Lie­be Grü­ße
    Paul Meh­nert

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