LOST … in den Anden

Über Lost: Wie der auf­merk­sa­me Leser viel­leicht schon bemerkt hat, sind ich und mein Schreib­stil geprägt von US-ame­ri­ka­ni­schen TV-Seri­en. Und die bes­te Serie des letz­ten Jahr­zehnts ist nun mal »LOST«. Näch­te­lang habe ich mit mei­nem lie­ben Kum­pel Pau­le aus Leip­zig eine Fol­ge nach der ande­ren geschaut. Man konn­te ein­fach nicht auf­hö­ren. Und als wir dann auf dem neu­es­ten Stand waren und immer eine Woche auf die neu­es­te Fol­ge war­ten muss­ten, wur­de dar­aus ein ritu­el­les Event. Da Paul inzwi­schen auch in Ber­lin wohn­te, muss­ten wei­te­re Mit­glie­der der Leip­zi­ger-Lost-Liga nach der Fol­ge per Tele­fon zur gemein­sa­men Ana­ly­se zuge­schal­tet wer­den. Und das gro­ße Seri­en-Fina­le wur­de natür­lich gemein­sam mit Susi, Man­dy, Ant­je, Arne und dem ande­ren Gre­gor in Leip­zig geschaut.

Für alle die Lost nicht ken­nen, nur ganz kurz: Ein Flug­zeug bruch­lan­det auf einer ein­sa­men Insel, die gar nicht so ein­sam ist, und in den fol­gen­den sechs Staf­feln kann man die Gestran­de­ten beim Ver­such die Insel wie­der zu ver­las­sen, beob­ach­ten. Das Beson­de­re ist, dass in jeder Fol­ge eine ande­re Per­son soge­nann­te Flash­backs (Erin­ne­run­gen) an ihr Leben vor der Insel hat. Und da alle Figu­ren mys­te­riö­se und unge­wöhn­lich Vor­le­ben geführt haben, ent­steht zusätz­li­che Span­nung.
Die­ser Blog-Post ist mein Ver­such einer Hom­mage an die Kult­se­rie.

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Kolum­bi­en, Okto­ber 2013, 10 Uhr mor­gens.
Ich bin mit Phil­ipp in der klei­nen Stadt San­ta Ele­na, hoch oben in den Anden Kolum­bi­ens. Phil­ipp stammt aus dem sel­ben Köl­ner Klün­gel der RWL-Stu­den­ten (Regio­nal­wis­sen­schaf­ten Latein­ame­ri­ka) aus dem auch sein Geschäfts­part­ner Mar­kus stammt. Gemein­sam mit Mar­kus und einem Kolum­bia­ner betreibt er eine Rei­se­agen­tur. Palen­que Tours – Sie bie­ten indi­vi­du­el­le Mehr­ta­ges-Trips an, auf denen man im Jeep Natur­schön­hei­ten, Kul­tur­schön­hei­ten und die Beson­der­hei­ten ihrer vege­ta­ri­schen Küche ken­nen­ler­nen kann. Für mei­nen schma­len Back­pa­cker-Geld­beu­tel ist das lei­der etwas zu kos­ten­in­ten­siv, wes­we­gen wir statt­des­sen die­se Wan­de­rung machen. Phil­ipps ent­spann­te und zugleich nach­denk­li­che Art, macht es ein­fach ihn zu mögen. Wir tref­fen sei­nen kana­di­schen Mit­be­woh­ner David und des­sen kolum­bia­ni­sche Freun­din Chris­ti­na. David ist unge­fähr 50 – ein Lebens­künst­ler, einer der schon über­all in der Welt gelebt hat und sich mit Eng­lisch-Unter­richt stets ganz gut über Was­ser gehal­ten hat. Seit fünf Jah­ren ist er nun in Medel­lin. Wenn es die Zeit erlaubt, geht er jedes Wochen­en­de Wan­dern. Dabei hat er inzwi­schen beson­de­re Fer­tig­kei­ten erlangt.

Flash­back Gre­gor – Ber­lin, Check­point Char­lie, Juni 2009
Der Him­mel über Ber­lin ist an die­sem Abend dun­kel­rot. Es liegt etwas von Auf­bruch in der Luft. Ich bin mit Bert­ram bei einem der Tou­ri-Fast-Food-Läden. Bert­ram ken­ne ich seit ein paar Jah­ren. Er ist ein Video­spe­zia­list und schreibt auch ein sehr erfolg­rei­ches Blog zu dem The­ma. Über sein Blog bin ich auf ihn auf­merk­sam gewor­den, dann haben wir uns ein paar mal getrof­fen und inzwi­schen sind wir befreun­det. Ob ich mir vor­stel­len könn­te sei­nen Job zu machen, hat er mich gera­de gefragt. Es geht dar­um ein Video­sys­tem bei Axel Sprin­ger ein­zu­füh­ren. »Im Prin­zip ist alles schon vor­be­rei­tet«, sagt er beru­hi­gend. »Ich glaub schon«, sage ich, völ­lig unsi­cher ob ich wirk­lich sei­ne Rol­le aus­fül­len kann. Aber mit einer gewis­sen Neu­gier.

Kolum­bi­en,
Die Luft in den Anden ist im Gegen­satz zu den sti­cki­gen Städ­ten klar und etwas küh­ler. Wenn man sich die Natur so anschaut, glaubt man im ers­ten Moment durch einen deut­schen Misch­wald zu spa­zie­ren. Dann schaut man genau­er hin, und plötz­lich ent­deckt man Din­ge, die beson­ders sind. Rie­si­ge Schmet­ter­lin­ge zum Bei­spiel. Oder Baum­far­ne – eine der ältes­ten Pflan­zen­ar­ten der Erde. In einem klei­nen Bach ent­deckt David einen Baum mit dem Nest eines Koli­bris. Es ist per­fekt mit Moos getarnt. Wenn man ganz genau hin­schaut, kann man im Nest die Koli­bri-Eier erken­nen. Das beson­de­re an Davids Wan­der­stil ist, dass wir zwar mit einem gro­ben Ziel, aber kom­plett ohne kla­re Rou­te lau­fen.

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Flash­back Gre­gor – Ber­lin, Axel-Sprin­ger-Pas­sa­ge, Juli 2009
Ich ste­he mit Marc, mei­nem Team­lei­ter, an einem der Steh­ti­sche vor dem Deli News, einer Art Snack­bar, und knab­be­re an mei­nem Franz-Bröt­chen. Seit etwa zwei Wochen bin ich Teil des Teams. Das Vor­stel­lungs­ge­spräch war super gelau­fen. So rich­tig sicher füh­le ich mich zwar noch nicht im Mana­gen von Video­sys­te­men, aber das ist gera­de nicht mei­ne größ­te Sor­ge. Viel­mehr ist es der Zynis­mus im Team, der immer dann am Deut­lichs­ten wird, wenn ich eine Fra­ge stel­le, in der die Wor­te Zukunft oder Visio­nen vor­kom­men. Marc nippt bedäch­tig an sei­ner Coke Zero. Dann sagt er mir, dass umstruk­tu­riert wird und unse­re klei­ne Toch­ter­fir­ma in die­ser Form ein­ge­stellt wird. »Aber kei­ne Sor­ge, alle Mit­ar­bei­ter wer­den in ande­re Berei­che über­nom­men.«

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Kolum­bi­en,
Platsch!!! David ist so eben tat­säch­lich in den kal­ten Gebirgs­bach gesprun­gen. Mir ist schon beim Zuschau­en kalt gewor­den. Phil­ipp ist etwas vor­sich­ti­ger. Er kräm­pelt sich die Hosen­bei­ne hoch und schrei­tet lang­sam über die glat­ten vom eisi­gen Bach über­spül­ten Stei­ne. Chris­ti­na und ich blei­ben drau­ßen und ver­til­gen die Vor­rä­te von David: Käse­bröt­chen, Stu­den­ten­fut­ter und Cho­co­la­ti­na Scho­ko­la­de mit Frucht­ge­schmack. Das ist einer der gro­ßen Vor­tei­le dar­an über 30 zu sein. Ohne ein schlech­tes Gewis­sen zu haben, muss man nicht mehr alles machen, wor­auf man kei­ne Lust hat. Nur muss man dafür halt schon ein paar Erfah­run­gen gemacht haben. Und die Ant­wort ist nicht immer so ein­fach wie beim Baden in einem kal­ten Gebirgs­bach, wenn man kei­ne Wech­sel­sa­chen dabei hat.

Flash­back Gre­gor – Ber­lin, Video­re­dak­ti­on von Welt.de, Febru­ar 2009
Ich bin tod­trau­rig und am Boden zer­stört. Mela­nie ver­sucht mich auf­zu­bau­en. Sie ist die Team­lei­te­rin der Video­re­dak­ti­on von Welt.de. Da mei­ne wei­te­re Kar­rie­re im Kon­zern immer noch unge­klärt ist, hat­te ich mir die Erlaub­nis ein­ge­holt, bei der Welt den Ein­satz unse­res Video­sys­tems vor Ort zu betreu­en. Da das aktu­ell aber kein Voll­zeit­job ist, woll­te ich mich neben­bei als Jour­na­list pro­bie­ren. Genau­er gesagt als Video­jour­na­list – so ein Super­ta­lent, das die Fern­seh­bei­trä­ge nicht nur schreibt, son­dern auch filmt, schnei­det und ver­tont. Ich hat­te mich in den höchs­ten Tönen ver­kauft. Und nun das. Alles über­for­dert mich. Das Schnei­den des Gal­pa­gos-Vide­os einer Rei­se­re­dak­teu­rin, das Dre­hen einer Umfra­ge über die alko­ho­li­sier­te Pas­to­rin Mar­got Käß­mann oder der gro­ße Video­spie­le­test mit Paul (der Paul aus der Ein­lei­tung). Ich mer­ke, dass ich noch viel mehr ler­nen und üben müss­te. Im Moment habe ich dafür aber gera­de kei­ne Zeit.

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Kolum­bi­en,
Autsch! Ein gro­ßer Farn peitscht mir ins Gesicht. Vor mir bah­nen sich Phil­ipp und David den Weg durch das Dickicht. Hier ist vor uns defi­ni­tiv noch nie­mand lang gelau­fen. Eine Mache­te wäre jetzt prak­tisch. Ich stel­le mich gedank­lich dar­auf ein, dass wir gleich wie­der umkeh­ren und bis zur Weg­ga­be­lung vor 10 Minu­ten zurück­lau­fen müs­sen. Plötz­lich wird es hel­ler. Wir ste­hen vor einem Abhang. Unge­fähr zwei Meter unter uns ist ein brei­ter Weg. Wir bera­ten uns und ste­hen noch oben, als eine Motor­rad­gang vor­bei­prescht. Ich bin mir nicht sicher, ob sie uns viel­leicht aus­la­chen. Schließ­lich wagen wir den Absprung. Zuerst David, der Wan­der­ex­per­te, dann Phil­ipp, dann ich, und schließ­lich Chris­ti­na. Jeder hilft dem ande­ren. Geschafft! David erin­nert sich, dass am Ende die­ses Weges eine Art Aus­sichts­turm steht. Er erin­nert sich nur an Mei­len­stei­ne. An die Wege dazwi­schen weni­ger. Als wir uns dem Turm nähern, sehen wir von wei­ten, dass die Motor­rad­gang den Platz bereits ein­ge­nom­men hat. Wir müs­sen uns also ein ande­res Fleck­chen für unse­re nächs­te Rast suchen.

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Flash­back Gre­gor, Ber­lin, Rudi-Dutsch­ke-Stra­ße, Juli 2010,
Seit heu­te ist es offi­zi­ell. Ich bin jetzt Platt­form­ma­na­ger für Video bei Bild.de. Marek hat mir zur Fei­er des Tages ein Him­bi-Eis aus­ge­ge­ben. Wir spa­zie­ren durch den hei­ßen Juli-Tag. Marek ist mein neu­er Team­lei­ter. Ein klu­ger Kopf mit wit­zi­ger Ver­gan­gen­heit. Wir ver­ste­hen uns. Sehr diplo­ma­tisch for­mu­liert er, dass mein bis­he­ri­ges Video­sys­tem bei Bild.de wohl nicht zum Ein­satz kom­men wird. »Dafür haben wir jetzt die Mög­lich­keit ein Video­sys­tem nach unse­ren Vor­stel­lun­gen zu gestal­ten.«

Kolum­bi­en,
Wir sind am Höhe­punkt unse­rer Wan­de­rung ange­kom­men. Nach­dem wir eine Wei­le vor einem Gar­ten mit rie­si­gen Kohl­köp­fen und duf­ten­den Euka­lyp­tus-Stau­den Rast gemacht haben, sit­zen wir nun auf der begehr­ten obers­ten Aus­sichts­platt­form. Die Motor­rad­gang war freund­li­cher­wei­se direkt abge­stie­gen, als wir am Turm ange­kom­men waren. Der Turm, ist eigent­lich für Feu­er­wehr­leu­te gedacht, um mög­li­che Brän­de zu erspä­hen, und eigent­lich ist der Auf­stieg auch ver­bo­ten. Nun ist das mit den Regeln in Kolum­bi­en so eine Sache. Wenn sie aus Sicht der Bevöl­ke­rung kei­nen Sinn machen, wer­den Sie gern mal igno­riert. Selbst rote Ampeln wer­den hier nachts meis­tens über­fah­ren. Und so hat auch das Ver­bots­schild an unse­rem Turm den zusätz­li­chen Ver­merk: Bit­te Unfäl­le ver­mei­den!
»That’s the moments I live for« »Das sind die Momen­te für die ich lebe«, meint David. Unter uns spielt die Motor­rad­gang ange­nehm ent­spann­te Blues-Musik. Es riecht nach Gras. Chris­ti­na macht Yoga-Übun­gen auf der Aus­sichts­platt­form. Unser Blick ver­liert sich in der Fer­ne. Da fragt Phil­ip David ob er hier in Medel­lin blei­ben wird. »Yes« »Ja«, sagt er, ohne lan­ge zu über­le­gen. Er hat sei­ne Grün­de: Die Land­schaft, das Kli­ma, die­ses Leben im Moment…

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Fan­ta­sy-Flash­back* von Phil­ipp, vor unge­fähr einem Jahr, irgend­wo in Bogo­tá, Kolum­bi­en,
Ich mag Kolum­bi­en. Seit ein paar Mona­ten woh­ne ich mit mei­ner Freun­din hier in Bogo­tá. Es war Glück, dass wir bei­de direkt einen Job hier gefun­den haben, auch wenn er nur befris­tet war. Ihr gefällt es hier auch, doch sie wird wie­der zurück nach Deutsch­land gehen um fer­tig zu stu­die­ren. Ich bin seit die­sem Jahr mit dem Stu­di­um fer­tig. Regio­nal­wis­sen­schaft­ler für Latein­ame­ri­ka mit Diplom. Und jetzt muss ich mich ent­schei­den. Mar­kus, eben­falls Regio­nal­wis­sen­schaft­ler, hat mir ange­bo­ten, dass ich in sei­ner Rei­se­agen­tur in Medel­lin mit­ar­bei­ten könn­te. Als Part­ner. Tou­ren an Orte, wo der nor­ma­le Pau­schal­tou­rist nicht hin­kommt. Sozi­al­ver­träg­li­cher Tou­ris­mus. Viel­leicht sogar mit indi­ge­nen Völ­kern. Neben­bei soll ich die Web­site pfle­gen. Dafür hat er nicht die Geduld. Hmmm… Eigent­lich habe ich der Stif­tung in Car­ta­ge­na schon zuge­sagt. Und der Job dort wür­de super in mei­nen Lebens­lauf pas­sen. Ich bewun­de­re den Mut von Mar­kus, aber viel­leicht über­for­dern mich alle sei­ne Ideen. Und wäre es nicht trotz­dem immer sein Baby, und ich halt so eine Art Pfle­ge­va­ter? Aber irgend­wie bin ich neu­gie­rig…

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Kolum­bi­en,
Es ist fast schon dun­kel, als wir zurück­kom­men. Die Kumu­lus-Wol­ken über uns schaf­fen eine mys­ti­sche Stim­mung. Die­se Wan­de­rung hat mich fas­zi­niert. Ori­en­tie­rung ist eine mei­ner gro­ßen Schwä­chen. In der Regel muss ich alle fünf Minu­ten auf mei­nem Smart­phone kon­trol­lie­ren, ob ich wirk­lich rich­tig lau­fe. Dass man los­wan­dert um sich dabei absicht­lich zu ver­lau­fen, beein­druckt mich. Und defi­ni­tiv ist es ver­dammt auf­re­gend auf unbe­tre­te­nen Pfa­den durch die Anden zu wan­dern.

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*) Fan­ta­sy-Flash­backs sind ein von mir erfun­de­nes Stil­mit­tel. Ledig­lich die Per­so­nen exis­tie­ren. Der Rest ist frei erfun­den. 😉

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Antworten

  1. Avatar von Sabia

    Sehr tol­le Fotos und ein tol­ler Bericht. Die Serie Lost ist wirk­lich der Ham­mer, das hast du toll umge­setzt. 😀
    Grü­ße aus Bri­xen Süd­ti­rol

    1. Avatar von Gregório Jones

      Dan­ke schön. Ich bin ja gera­de in Mexi­ko unter­wegs und über­le­ge zu wel­cher Seri­en-Hom­mage mich die­ses Land wohl inspi­riert 🙂

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