Ljubljana, wo liegt das überhaupt?!

„Ihr müsst unbe­dingt nach Slo­we­ni­en, da ist es wun­der­schön“, sag­te mir eine Freun­din, als ich gera­de dabei war, eine Ost­eu­ro­pa-Tour zu pla­nen. „Okay“, sag­te ich und buche mei­nen Zug nach Ljublja­na. Schnell stel­le ich fest, dass mein ein­zi­ges Wis­sen über Slo­we­ni­en dem Buch „Vero­ni­ka beschließt zu ster­ben“ von Pau­lo Coel­ho ent­stammt. Dort liest in der aller­ers­ten Sze­ne die Prot­ago­nis­tin, die in Ljublja­na lebt, in einer Zeit­schrift einen Arti­kel mit der Über­schrift „Wo liegt eigent­lich Slo­we­ni­en?“ – und stellt fest, dass kaum jemand auf der Welt ihr Hei­mat­land kennt.

Ich kau­fe mir einen Rei­se­füh­rer und fin­de her­aus, dass Slo­we­ni­en ein­mal Teil Jugo­sla­wi­ens war, jedoch schon frü­her und unblu­ti­ger als die ande­ren Staa­ten unab­hän­gig wur­de und inzwi­schen sogar den Euro als Wäh­rung besitzt. Ich ler­ne, dass die­ses Land aus Alpen, Karst-Küs­te mit vie­len ver­zweig­ten Höh­len und der hüb­schen Haupt­stadt besteht, und dass Mari­bor im Osten des Lan­des sogar vor Kur­zem Kul­tur­haupt­stadt Euro­pas war. Ich freue mich dar­über, dass Ljublja­na sich frei mit „die Gelieb­te“ über­set­zen lässt. Mein Freund und Rei­se­be­glei­ter fragt mich, wo Slo­we­ni­en über­haupt liegt – und nutzt erst mal Goog­le Maps, um sich „ein­zu­n­or­den“, wie er es nennt.

imm000_1 (3)imm001_2

Ein wenig unvor­be­rei­tet, aber umso wiss­be­gie­ri­ger, kom­men wir früh mor­gens in Ljublja­na an. Auf der Bus­fahrt dort­hin haben wir wun­der­schö­ne Alpen­land­schaf­ten durch­quert, lei­der im Dun­keln. Wir schla­fen uns noch­mal eine Run­de aus und star­ten dann zur Erkun­dung der Stadt. Auf dem zen­trals­ten Platz in Ljublja­na, der nach Slo­we­ni­ens Natio­nal­dich­ter Preše­ren benannt wur­de, sitzt ein älte­rer Mann und spielt auf einem Akkor­de­on Melo­dien, die mich an baye­ri­sche Volks­fes­te erin­nern. Gleich neben­an über­span­nen drei Brü­cken die Ljublja­ni­ca, so nah neben­ein­an­der, dass man gar nicht mehr das Gefühl hat, einen Fluss zu über­que­ren. Auf der ande­ren Sei­te klei­ne Gäss­chen, schö­ne Plät­ze, schma­le Alt­bau­ten mit hüb­schen klei­nen Bal­ko­nen. An den Ufern rechts und links des Flus­ses klei­ne Cafés, Bars und Restau­rants, sowie vie­le Grün­flä­chen. Läuft man in Rich­tung Markt, durch­quert man einen römisch anmu­ten­den Säu­len­gang. Dahin­ter die Dra­chen­brü­cke mit ihren viel foto­gra­fier­ten grü­nen Sta­tu­en. Ich füh­le mich eher an eine süd­deut­sche oder öster­rei­chi­sche Klein­stadt erin­nert als an eine post­so­zia­lis­ti­sche Haupt­stadt.

Von oben ver­stärkt sich die­ser Ein­druck. Wir klet­tern auf die Burg, die Ljublja­na über­thront, und füh­len uns beim Blick nach unten irgend­wie ans klei­ne, grü­ne Jena erin­nert. (Tat­sa­che, eini­ge Gebäu­de sehen wirk­lich extrem ähn­lich aus! Beim Durch­se­hen der Fotos war ich kurz­zei­tig total ver­wirrt, war­um ich denn auf die­sem Film nun Fotos aus Jena habe…) Alles ist sehr flach, so weit das Auge reicht kaum häss­li­che Plat­ten­bau­ten. In der Fer­ne die traum­haft schö­nen Ber­ge, und immer mal wie­der, mit­ten zwi­schen Tan­nen­bäu­men, klei­ne Fach­werk­häus­chen, die aus­se­hen wie direkt aus dem All­gäu impor­tiert. Inmit­ten des Burg­hofs ste­hen Lie­ge­stüh­le und ein klei­nes Regal mit Büchern und Zeit­schrif­ten. „Libra­ry Under the Tree­tops“ nennt sich das Pro­jekt, wel­ches eine kos­ten­lo­se und mul­ti­l­in­gua­le Mini-Biblio­thek an Sehens­wür­dig­kei­ten in Ljublja­na und ganz Slo­we­ni­en bringt. Wir haben auf dem Markt fri­sche Fei­gen und Pfir­si­che gekauft, sit­zen in der Son­ne und essen. Wie­der run­ter lau­fen wir auf einem Weg durchs Grü­ne, hin­ter der Burg, und haben fast das Gefühl, mit­ten im Wald zu ste­hen.

imm014_15 (3)imm001_2

Ljublja­na ist mir als Stadt irgend­wie sym­pa­thisch. Viel­leicht liegt das dar­an, dass es kaum bekann­te Gebäu­de oder Prunk­bau­ten gibt. Statt­des­sen sind die Häu­ser klein, aber hübsch – Jože Pleč­nik, der Archi­tekt, der das Stadt­bild in den 20er und 30er Jah­ren präg­te (und unter ande­rem die Drei Brü­cken sowie die Markt­hal­le und die begrün­ten Ufer­flä­chen ent­warf), hat sich auf ver­spiel­te Säu­len und hüb­sche Fas­sa­den kon­zen­triert, anstatt Super­la­ti­ve zu gestal­ten. So ist die Schön­heit der Stadt ange­nehm zurück­hal­tend und lädt dazu ein, mehr zu ent­de­cken. Auch, wenn sich vie­le Tou­ris­ten durch die Stra­ßen schie­ben, ist alles irgend­wie ruhig, beschau­lich, gelas­sen.

Spä­ter lau­fen wir noch bis zum Tivo­li Park, der, wie wir zwei Tage spä­ter fest­stel­len, eher die Aus­ma­ße eines rie­si­gen Wal­des besitzt. Vor dem Gra­fik­mu­se­um wer­den in einer Open Air Gale­rie Fotos aus aller Welt aus­ge­stellt. Abends essen wir Burek, lecker fet­ti­gen Blät­ter­teig mit Pizza‑, Fleisch‑, Spi­nat- oder Käse­fül­lung. Wir wer­den uns in den nächs­ten Tagen durch sämt­li­che Sor­ten pro­bie­ren, denn Burek ist nicht nur unglaub­lich lecker, heiß und sät­ti­gend, son­dern auch bil­lig – Slo­we­ni­en ist näm­lich lei­der kein ganz güns­ti­ges Rei­se­land, wie wir fest­stel­len müs­sen.

imm017_18 (3)

Am nächs­ten Tag ist Sonn­tag, und in Ljublja­na heißt das: Floh­markt. Alte Mün­zen neben gru­se­li­gen Kriegs­er­in­ne­run­gen und herr­schaft­li­chen Uhren. Wir haben die Idee, alte Post­kar­ten von Slo­we­ni­en zu erste­hen und zu ver­schi­cken, anstatt wel­che im Tou­ri-Laden zu kau­fen. Doch für eine Post­kar­te ver­lan­gen die Händ­ler locker 20 Euro – ob da jemals irgend­wer etwas kauft?! Wir lau­fen statt­des­sen durch graf­fi­ti­be­sprüh­te Stra­ßen, über denen bun­te Regen­schir­me und Schu­he hän­gen. Ich bin ein biss­chen ver­wirrt, bedeu­ten Schu­he über Strom­lei­tun­gen doch in Latein­ame­ri­ka die Gren­zen zwi­schen den Gebie­ten ver­fein­de­ter Gangs oder Dea­ler. In Ljublja­na, erfah­re ich am Tag dar­auf, ist die Bedeu­tung der Schu­he jedoch noch nicht ganz geklärt, irgend­wann waren sie ein­fach da. Am wahr­schein­lichs­ten ist wohl die Theo­rie, dass Eras­mus­stu­den­ten bei ihrem Abschluss ein Paar Schu­he über eine Lei­tung wer­fen – und der Brauch von allen mög­li­chen ande­ren Men­schen auf­ge­grif­fen wur­de. Foto­gen sind die Schu­he alle­mal!

imm022_23 (3) imm024_25 (3)

Ein biss­chen vom Stadt­zen­trum ent­fernt liegt das alter­na­ti­ve Zen­trum Metel­ko­va. Frü­her war es mal ein Mili­tär­ge­län­de samt Gefäng­nis für Dis­si­den­ten. Heu­te ist es vol­ler Kunst – gemalt, geklebt, gebas­telt, aus Altem, herr­lich bunt, mit Flie­sen zu einem gro­ßen Mosa­ik gestal­tet… Man weiß gar nicht, wohin man zuerst gucken soll. Jeder Qua­drat­zen­ti­me­ter strotzt vor Krea­ti­vi­tät. Das Gefäng­nis wur­de übri­gens zu einem Hos­tel umge­stal­tet, jede Zel­le von einem ande­ren Künst­ler deko­riert. Abends läuft hier Musik, es wird Bier aus­ge­schenkt – am Sonn­tag ist lei­der so viel nicht los, aber die Atmo­sphä­re ist trotz­dem mehr als sehens­wert.

imm023_24 (3)

Den Sonn­tag­mit­tag ver­brin­gen wir im eth­no­gra­phi­schen Muse­um direkt dane­ben, und pro­bie­ren danach rich­tig slo­we­ni­sches Essen. Das hat­te ich mir per­sön­lich etwas anders vor­ge­stellt… in mei­nem Kopf ver­misch­ten sich die öster­rei­chi­sche, die unga­ri­sche und die sla­wi­sche Küche, es gab Maril­len­knö­del, Cevap­ci­ci und Gulasch… in Wirk­lich­keit gibt es für mich in sau­re Sah­ne getränk­te Polen­ta­stü­cke und für mei­nen Freund ver­schie­de­ne Sor­ten Wurst. Ess­bar, aber nicht wirk­lich lecker. Aber gut – wie ihr bereits lesen durf­tet, gibt’s ja Burek. Mampf.

Beim Spa­zier­gang danach holt uns dann doch noch die sozia­lis­ti­sche Ver­gan­gen­heit der Stadt ein. Kei­ne Vier­tel­stun­de von der Innen­stadt ent­fernt ist das Ufer der Ljublja­ni­ca gesäumt von ver­fal­le­nen Fabrik­ge­bäu­den und alten Häu­sern, die von außen kaum den Anschein erwe­cken, als wäre innen noch Leben mög­lich – und doch wei­ße Spit­zen­gar­di­nen hin­ter den Fens­tern hän­gen haben. Die unge­mäh­ten Wie­sen davor sor­gen dafür, dass mich alles an ost­deut­sche Dör­fer erin­nert, an Orte, die man eher im Zusam­men­hang mit Abwan­de­rung oder Struk­tur­schwä­che im Ohr hat.

imm031_32 (3)

Abends dann der Son­nen­un­ter­gang auf der Burg. Ich kom­me ins Schwär­men – ich lie­be Ber­ge, und ich glau­be, Wol­ken, Wet­ter, Licht­stim­mun­gen sind in den Ber­gen noch­mal sehr viel schö­ner als in allen ande­ren Land­schaf­ten. Und wie in Ljublja­na die Son­ne am Hori­zont oran­ge hin­ter den sich in blau abzeich­nen­den Gip­feln ver­sinkt… Hach­ja, schön hier.

imm005_6

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Lena

    Ljublja­na! Das war für uns auch so eine Under­state­ment-Über­ra­schung auf unse­rer Rei­se. Und tat­säch­lich muss­ten wir auch an Jena den­ken, als wir vom Burg­berg her­ab­ge­se­hen haben. 🙂
    Die­ser Sache mit den Schu­hen sind wir übri­gens in vie­len Städ­ten in ganz Euro­pa begeg­net, zuletzt in Flens­burg, und nir­gend­wo konn­te uns jemand sagen, was es damit auf sich hat­te. Eras­mus­stu­den­ten, aha, viel­leicht ist das die Lösung!

  2. Avatar von Norah

    Ah, jetzt will ich wie­der zurück! Ljublja­na gehört defi­ni­tiv zu mei­nen Lieb­lings­städ­ten in Euro­pa 🙂

  3. Avatar von Alexandra Lattek via Facebook

    ljublja­na war bis vor drei wochen auch ein wei­ßer fleck auf mei­ner kar­te, ich habe mich sofort in die stadt ver­liebt ❤️.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert